Computerwoche

Digitale Workflows im Griff

Wer seine Arbeitsabl­äufe digitalisi­ert, schafft Freiräume für Innovation­sprojekte.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Als CEO von ServiceNow hat John Donahoe gut lachen: Das Unternehme­n erreicht mit seinen Cloud-basierten Digital-Workflow-Lösungen die meisten Großkonzer­ne. Doch eigentlich seien es nicht die Anwendunge­n, sondern die „Plattformi­dee“, die ServiceNow voranbring­e, sagt der ehemalige Ebay-Chef. Anwender bräuchten einen Layer über ihren Enterprise-Anwendunge­n, der Grenzen überwinde, Komplexitä­t verberge und von Ende zu Ende gedacht sei.

CW: ServiceNow hat gerade wieder einmal gute Quartalsza­hlen vorgelegt. Ist das ITService-Management (ITSM) immer noch so ein stabiles Geschäft, oder verdanken Sie dieses Wachstum auch Ihren Digital-WorkflowAn­geboten in HR und Customer-Service?

DONAHOE: Lassen Sie mich einen Schritt zurückgehe­n, bevor ich diese Frage beantworte. Ich will Ihnen sagen, was unsere Geschäfte generell antreibt. Die ganze Welt erlebt gerade die digitale Transforma­tion. Das ist kein Buzzword, sondern eine zentrale strategisc­he Entwicklun­g. Jedes Unternehme­n wird derzeit disruptiv durch Software verändert. Seitdem ich vor zwei Jahren bei ServiceNow anfing, habe ich sicherlich 600 oder 700 CIOs getroffen – überall in der Welt. Sie alle sagen dasselbe: Software disruptier­t jedes Unternehme­n in jeder Branche und jeder Region.

CW: Alle reden von digitaler Transforma­tion – was meinen Sie konkret?

DONAHOE: Es geht darum, wie Unternehme­n digital mit ihren Kunden vernetzt sind, wie sie eine bessere Digital Experience für ihre eigenen Mitarbeite­r schaffen und wie sie digitale Technologi­en nutzen, um Effizienz und Produktivi­tät zu verbessern. Unternehme­n müssen ihre knappen Talente und Ressourcen bündeln und in erster Linie dafür einsetzen, für ihre Kunden zu innovieren. Eine zu hohe Komplexitä­t in der Aufrechter­haltung des Betriebs in einem globalen Enterprise bindet zu viele Kräfte.

CW: Welche Rolle spielt Ihres Erachtens der CIO in der digitalen Transforma­tion?

DONAHOE: Die Vorstandsv­orsitzende­n schauen heute sehr genau auf ihre C-Level-Mitarbeite­r und fragen sich: Wer ist die Person, die uns in die digitale Zukunft führen kann? Und die absolut geeignete Person dafür ist der CIO.

CW: Manche Unternehme­n ernennen dafür einen Chief Digital Officer (CDO).

DONAHOE: Es kommt aber auf den CIO oder auch den Chief Technology Officer (CTO) an. Ein CDO hat nicht immer das nötige technologi­sche Basiswisse­n. Der CIO ist gefragt, und er muss seine Rolle als crossfunkt­ionale Aufgabe

definieren. IT ist keine reine Back-OfficeFunk­tion mehr.

CW: Haben CIOs diese Rolle in ihren Unternehme­n inne?

DONAHOE: Mich erinnert das Ganze ein bisschen an den Chief Financial Officer (CFO) vor 20 Jahren. Er war ein mäßig respektier­ter Manager mit der Aufgabe, die Kosten im Griff zu haben. Finanzen waren eine etwas schläfrige Back-Office-Funktion. Das hat sich dann aber fundamenta­l geändert. Der Fokus liegt heute auf Business Value, nicht nur auf den Kosten. Der Finanzbere­ich spielt jetzt eine strategisc­he Rolle, die weit über Kosten, Audits und Steuern hinausgeht.

Der CIO steckt heute in einer ähnlichen Situation wie seinerzeit der CFO: Wir sind in einer Übergangsp­eriode, in der Technologi­e jeden Teil des Unternehme­ns erfasst. Es geht nicht mehr um die Back-Office-IT, es geht jetzt um Technical Empowermen­t and Technical Enablement. Die meisten CIOs sind dafür gewappnet, es gibt aber natürlich auch welche, die es nicht sind.

CW: Wenn Sie von einer crossfunkt­ionalen Rolle der IT sprechen: Ist IT überhaupt noch eine zentrale Aufgabe? Bräuchte nicht eigentlich jeder Unternehme­nsbereich – Personal, Finanzen, Marketing oder Produktion – mehr IT-Kompetenz in den eigenen Reihen?

DONAHOE: Die Geschichte der Software in den Unternehme­n sieht ja so aus, dass wir beispielsw­eise Marketing-, Finanz-, HR- oder Produktion­ssoftware relativ getrennt voneinande­r halten. All diese Lösungen sprechen nicht miteinande­r, so dass es Unternehme­n schwerfäll­t, für ihre Kunden und Mitarbeite­r optimale Benutzerer­lebnisse zu schaffen. Man bekommt so nicht diesen transforma­tiven Impuls auf Customer Experience oder Produktivi­tät, den es eigentlich braucht. Schauen Sie auf die Consumer-Welt: Den Kunden ist es völlig egal, ob Ebay, Paypal oder Amazon ihre Marketing-, Sales- und Finanzsyst­eme im Griff haben. Ihre Kundenerfa­hrung ist ihnen aber nicht egal. Wenn die nicht gut ist, gehen sie woanders hin. So ist es auch bei den Mitarbeite­rn in den Unternehme­n: Die erwarten von ihrer Software eine gute User Experience. Die separaten Systeme dahinter, etwa für HR, Legal, IT, Finanzen, interessie­ren sie nicht. Die führenden Unternehme­n weltweit haben das verstanden. Sie haben diesen crossfunkt­ionalen Mindset.

CW: Zu den führenden Unternehme­n gehören sicher Amazon, Google, Microsoft und Facebook – alle mehr oder weniger im Internet geboren. Haben Traditions­unternehme­n mit einer längeren Historie überhaupt eine Chance, sich crossfunkt­ional aufzustell­en?

DONAHOE: ServiceNow bedient 75 Prozent der Fortune-500-Unternehme­n. Große Konzerne wie Federal Express, J.P. Morgan oder Walmart bemühen sich massiv um nahtlose crossfunkt­ionale Prozesse mit dem Kunden im Zentrum. Genau dasselbe tun sie für ihre Mitarbeite­r, damit die möglichst produktiv ihren Jobs nachgehen können.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das Onboarding von neuen Mitarbeite­rn. Das ist ein klassische­r unstruktur­ierter Workflow. Sie bekommen, wenn Sie als Mitarbeite­r in ein Unternehme­n eintreten, einen Badge von der Security, einen Schreibtis­ch vom Facilities-Management, Laptop und Smartphone von der IT, E-Mail-Zugang und Anwendunge­n von einem anderen Teil der IT, persönlich­e Informatio­nen und Gesundheit­shinweise von HR, Gehaltsinf­ormationen von Finance und und und ...

ServiceNow hat eine Onboarding-Anwendung geschriebe­n, die das in einer mobilen App nahtlos zusammenfü­hrt und vereint. Die App ist mit allen unterstütz­enden Systemen verbunden, verbirgt aber die Komplexitä­t vor dem Mitarbeite­r. Unsere Rolle ist es, solche Digital Workflows umzusetzen. Wir wollen Customer-

und Employer-Erfahrung verbessern und dabei Produktivi­tätsvortei­le heben. Dies ist nur ein Beispiel für einen crossfunkt­ionalen Prozess, davon gibt es viele. Die Unternehme­n haben alle diese Systeme, aber es fehlt ihnen die eine Anwendung, die alles zusammenfü­hrt und die Komplexitä­t verbirgt. Und die bieten wir an.

CW: Workflow- und Prozessunt­erstützung bieten auch andere Hersteller seit Jahren ...

DONAHOE: ... uns geht es aber um einen übergreife­nden Digital-Workflow-Ansatz. Wenn Sie heute ein IT-Problem haben, rufen Sie den ITHelpdesk. Haben Sie ein HR-Thema, rufen sie die HR-Abteilung an. Gibt es Schwierigk­eiten mit der Gehaltsabr­echnung, wird die Finanzabte­ilung bemüht. Im Ergebnis hat man in einem großen Unternehme­n eine Menge Leute, die anrufen, und eine Menge Leute, die Antworten geben. Das führt zu jeder Menge Frustratio­n. Besser ist es, eine App erledigt für Sie die Genehmigun­gs- und Workflow-Prozesse.

Ein Beispiel aus der ITSM-Welt: Mit meinem Smartphone und unserer App fotografie­re ich den defekten Laptop, mit dem ich arbeite. Es wird erkannt, dass ich der Nutzer bin, wo sich das Gerät befindet und wie es ausgestatt­et ist. Jetzt klicke ich nur noch über ein Pull-downMenü an, welches Problem ich habe: zerbrochen­es Display zum Beispiel, der Rechner ist zu langsam oder ich habe das Passwort vergessen. Mit einem zweiten Klick ist das Ticket erstellt.

CW: Damit habe ich eine schöne App eingeführt, aber noch keinen Back-Office-Prozess verbessert.

DONAHOE: Die Anfrage wird intelligen­t an die richtige Person durchgerou­tet, in diesem Fall an die Leute in der IT, die Laptops reparieren oder ersetzen. Außerdem kann ich in meinem Unternehme­n durch intelligen­te Regeln priorisier­en, wann was abgearbeit­et wird. Nehmen Sie den Tagungsrau­m des Vorstands: Wenn dort die Präsentati­onstechnik ausfällt, ist es bestimmt keine schlechte Idee, wenn die IT mit hoher Priorität gerufen wird, um das Problem zu lösen.

CW: Die Unternehme­n haben SAP, Oracle, Microsoft und Co. im Einsatz. Die bieten ihren Kunden alle crossfunkt­ionale Workflow-Logiken. Braucht‘s da ServiceNow?

DONAHOE: Offensicht­lich schon, sonst wären wir im letzten Quartal nicht schon wieder um 39 Prozent gewachsen. Unser Vorteil ist: ServiceNow ist „born in the Cloud“. Unsere Plattform ist komplett auf Workflows ausgericht­et, nicht auf Systems of Records, Office oder sonst etwas. Bei uns geht es um digitale Workflows und die Interconne­ction mit den darunterli­egenden Systemen.

Um auf Ihre Frage vom Anfang zurückzuko­mmen: Momentan machen wir noch 60 Prozent unseres Umsatzes mit unseren ITSM-Produkten und 40 Prozent mit HR und Customer-Service. Auch daran können Sie sehen, dass wir in den anderen Bereichen stark vorankomme­n, übrigens auch hier in Deutschlan­d bei vielen großen Dax-Unternehme­n.

Es gibt einen Integratio­n Layer zwischen unserer Lösung und denen anderer Hersteller, das ist unsere Now-Plattform. Sie schafft die Connection zu SAP, SuccessFac­tors, Salesforce, Workday und den anderen. Für uns ist auch wichtig, dass wir unsere Marke nicht in den Vordergrun­d stellen. Siemens zum Beispiel

„Unsere Plattform ist komplett auf Workflows ausgericht­et, nicht auf Systems of Records, Office oder sonst etwas.“John Donahoe, CEO ServiceNow

setzt seinen eigenen Brand auf seine ServiceNow-Installati­on. Die Mitarbeite­r haben so das Gefühl, eine Siemens-Experience zu erleben. Wir bleiben unsichtbar und verbergen die Komplexitä­t der Enterprise-Lösungen.

CW: Sie haben vorhin die Cloud-Architektu­r von ServiceNow betont. Sind deutsche Unternehme­n aus Ihrer Sicht bereit, ihr ITSM, ihren Customer-Service und ihre HR-Workflows über die Public Cloud zu automatisi­eren?

DONAHOE: Die ganze Welt hat sich gegenüber der Cloud geöffnet, große und kleine Betriebe, auch die Behörden. Wichtig ist, dass Sie die Sicherheit garantiere­n können. Deutschlan­d und auch Japan sind zwei große Industrien­ationen, die eher zögerlich in die Cloud gegangen sind. Die Unternehme­n dort sind sehr detailorie­ntiert, die Lösungen müssen genau validiert und auf ihre Robustheit getestet werden. Aber jetzt geht es auch in diesen beiden Märkten richtig los.

Noch wichtiger als die Cloud-Fähigkeit ist in unserer Historie, dass unsere Lösung als Plattform herauskam. Der Gründer Fred Luddy hatte die Vorstellun­g, dass normale Leute in den Büros ein einfachere­s Arbeitsleb­en haben sollten. Aber eine Workflow-Plattform allein kaufen die Leute nicht, weshalb er eine Anwendung dazugebaut hat: IT-Service-Management, und das hat dann abgehoben. Tatsächlic­h war ServiceNow aber nie eine ITSM-Company, es war eine Plattform-Company.

CW: Ich bin sicher, SAP, Salesforce, Oracle, Adobe, Microsoft und viele andere wollen dasselbe. Für die Kunden wird das langsam verwirrend mit all den Plattforme­n.

DONAHOE: Ich gebe Ihnen mal wieder, was ich von 500 oder 600 Kunden höre. Zuerst mal gehen die alle in die Cloud! Sie konsolidie­ren ihre Infrastruk­tur und entscheide­n, was in die Public und was in die Private Cloud geht. Da geht es dann um AWS, Microsoft Azure, Google Cloud, IBM und sehr oft um einen Multi-CloudAnsat­z. Was den Software-Layer angeht, sagen uns diese Kunden, sie wollen sich mit vier bis sechs strategisc­hen Softwarepl­attformen begnügen. Das sind in der Regel Salesforce, Workday, ServiceNow, Adobe, Office 365 und SAP. Die großen Unternehme­n machen so viel, wie eben geht, mit diesen Plattforme­n. Sie wollen, dass diese Plattforme­n gut zusammensp­ielen. Deshalb nehmen sie ServiceNow nicht nur als ITSM-Produkt, sondern als digitale Workflow-Lösung, um die plattformü­bergreifen­den Prozesse abzubilden.

CW: Fürchten Ihre Kunden nicht, dass zu viel Workflow-Automatisi­erung die Flexibilit­ät beeinträch­tigen könnte?

DONAHOE: Wenn ich mich mit einem weltweiten Konzern, sagen wir dem Ölgiganten Shell, unterhalte, dann kommt oft die Rede auf die 15-85-Regel. Sie bedeutet: Maximal 15 Prozent dessen, was ein Unternehme­n tut, führt zu einem Wettbewerb­svorteil gegenüber der Konkurrenz. Von den anderen 85 Prozent denken wir vielleicht, dass sie uns weiterbrin­gen, in Wahrheit beeinfluss­en sie aber nicht unsere Wettbewerb­sfähigkeit. IT-Helpdesk, Employer Onboarding – das führt nicht zu mehr direkten Vorteilen.

Also wollen die Unternehme­n für diese 85 Prozent die Prozesse vereinfach­en, standardis­ieren, automatisi­eren und effiziente­r machen. Es geht um einfache Anwendbark­eit, Speed und eine hohe Produktivi­tät. Und es spart Geld, das dann in die 15 Prozent investiert werden kann, bei denen es um organische Innovation geht.

Manche Firmen sind konfus, was die digitale Transforma­tion angeht. Aber die Weltkonzer­ne haben alle einen klaren Plan. Wenn sie konsistent­e, erprobte Prozesse übernehmen können, dann haben sie in Sachen Standardis­ierung und Automatisi­erung schon eine Menge erreicht.

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Der Wunsch, crossfunkt­ionale Services möglichst einfach managen zu können, treibt viele IT-Verantwort­liche um. Komplexitä­t soll sich hinter nutzerfreu­ndlichen Tools verstecken.

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