Hamburg lockt die IT-Elite
Hanseaten bieten IT-Talenten mehr als nur Hafen und Logistik.
Hamburg ist bei IT-Fachkräften beliebt. Dennoch haben Arbeitgeber es nicht leicht, Spezialisten zu finden. Wie den Unternehmen in ganz Deutschland macht auch den Nordlichtern der Fachkräftemangel zu schaffen. Beste Aussichten also für Bewerber – wenn sie die richtigen Qualifikationen mitbringen.
Hamburg hat zwar weder die berühmte Berliner Luft zu bieten noch die Münchner Biergärten oder die Frankfurter Dippemess, ist aber dennoch bei IT-Fachkräften begehrt. „Hamburg gehört in Deutschland zu den fünf beliebtesten Städten“, sagt Amelie Seeliger. Sie ist bei der auf IT- und Engineering-Fachkräfte spezialisierten Personalvermittlung Gulp für den IT-Arbeitsmarkt in der Hansestadt zuständig. Während Berlin wegen seiner Startup-Szene, München wegen der Automotive-Branche und Frankfurt mit seiner Bank- und Finanzbranche IT-Fachkräfte anziehe, stehe Hamburg bei den Bewerbern wegen seiner Internationalität und der breiten Palette an IT-Herausforderungen in verschiedensten Branchen hoch im Kurs.
Natürlich bildet die Schifffahrts- und Logistikbranche im Norden der Republik einen Schwerpunkt, aber darüber hinaus finden sich laut Seeliger auch in den meisten anderen Märkten Aufgabenfelder für IT-Profis. Besonders gefragt seien Softwareentwickler, Security Professionals und Experten für neuere Technologien wie Cloud, Big Data/Analytics, künstliche Intelligenz oder das Internet of Things. „Diese Technologien sind teilweise noch so jung, dass es auf dem Arbeitsmarkt nur wenige Fachleute mit einschlägiger Erfahrung gibt“, weiß die Gulp-Personalexpertin. Das wissen auch die Arbeitgeber. Sie suchen in aller Regel nach Mitarbeitern, die über gutes Basiswissen und Berufserfahrung verfügen. Vor allem sollten sie aber die Bereitschaft mitbringen, sich in neue Techniken und Aufgabenfelder einzuarbeiten.
Bei den Bewerbern rennen Firmen mit einer solchen Haltung offene Türen ein: „Wir beob- achten, dass die Kandidaten vor allem an reizvollen Projekten interessiert sind. Dabei geht es meist auch um neue Technologien“, sagt Susanne Heinrichs, Bereichsleiterin Recruitment, Performance-Management und HR-Controlling beim Online-Händler Otto. Mehr als 300 neue Tech-Mitarbeiter hat ihr Unternehmen im vergangenen Jahr eingestellt. „Es ist sicher im Moment ein Arbeitnehmermarkt. Wir müssen uns schon auf die Anforderungen und Erwartungen der Bewerber einstellen, wenn wir qualifizierte und motivierte Mitarbeiter gewinnen wollen.“
IT-Hintergrund muss schon sein
Die Wünsche der Talente richteten sich nicht in erster Linie auf Gehalt, Firmenwagen oder Statussymbole, sondern auf interessante Aufgaben. Wichtig seien eine gute, kooperative Atmosphäre, eine faire Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten einschließlich Home Office sowie die Chance, in Projekten Verantwortung zu übernehmen. Zudem wollen IT-Profis tech-
nisch auf der Höhe der Zeit arbeiten. „Gerade für junge Leute hängt die Attraktivität des Arbeitsplatzes davon ab, dass der Arbeitgeber technologisch an vorderster Front dabei ist. Sie möchten in einem kooperativen und flexiblen Arbeitsumfeld auch eigene Ideen einbringen können“, meint Otto-Managerin Heinrichs.
Diese Einstellung kommt den Recruitern des Online-Händlers durchaus entgegen: „Wir leben eine Innovationskultur und arbeiten in der IT heute fast ausschließlich mit agilen Entwicklungsmethoden; dabei spielen Flexibilität, Offenheit und kommunikative Kompetenz der Mitarbeiter eine entscheidende Rolle.“Dennoch dürfe es nicht an einschlägigen Qualifikationen fehlen: Ein Hochschulabschluss, eine Ausbildung mit IT-Schwerpunkt oder einschlägige Berufserfahrung im IT-Bereich oder E-Commerce seien in aller Regel Voraussetzung für eine Anstellung im IT-Umfeld bei Otto.
Dass IT-Fachleute oft nicht in erster Linie aufs Geld schauen, sondern es sich leisten können, einem attraktiven Arbeitsumfeld und reizvollen Projekten den Vorzug zu geben, hängt auch damit zusammen, dass sie ohnehin zu den bestbezahlten Fachkräften bundesweit gehören. Laut einer Studie der Hamburger Vergütungsberatung Compensation Partner liegt der Bruttojahresverdienst für IT-Fachleute im Durchschnitt bei gut 62.000 Euro. Dabei sind die Spannen sowohl im Hinblick auf Ausbildung und Berufserfahrung, als auch zwischen den einzelnen Spezialgebieten erheblich.
So rangieren Sicherheitsexperten (75.577 Euro) und SAP-Berater (72.893 Euro) am oberen Ende der Gehaltsskala, während Datenbankadministratoren (50.511 Euro), System- und Netzadministratoren (49.284 Euro) und Anwender-Supporter (44.745 Euro) das untere Ende markieren. Geht es um die Ausbildung, liegen promovierte Uni-Absolventen (79.073 Euro) und Informatiker mit Uni-Diplom (76.462 Euro) vorn, am unteren Ende der Gehaltsskala finden sich der Bachelor (55.208 Euro) und der Ausbildungsberuf Fachinformatiker (50.024 Euro).
Entspannung auf dem Arbeitsmarkt erst 2021
Dabei lassen sich die bundesweiten Zahlen nahezu eins zu eins auf Hamburg übertragen. In einem bundesweiten Index, den die Gehaltsspezialisten von Compensation Partner für ihre Studie ermittelt haben, liegen München und Frankfurt mit rund 120 Prozent des bundesweiten Durchschnitts vorn, während sich Hamburg mit 101,7 Prozent fast exakt im Mittelfeld befindet. In den Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein können die IT-Mitarbeiter nur mit einem Gehalt rechnen, das sich um zehn beziehungsweise 15 Prozent unter dem Durchschnitt bewegt.
So reichen beispielsweise in Hamburg die Gehälter der Softwareentwickler nach einer aktuellen Erhebung von Compensation Partner im Durchschnitt von 50.000 bis 64.000 Euro, abhängig von Front- oder Backend-Entwick- lung, Firmengröße und Berufserfahrung. Spitzengehälter von fast 90.000 Euro können Backend-Entwickler mit mehr als neun Jahren Berufserfahrung verbuchen, Frontend-Programmierer mit geringer Berufserfahrung sollten dagegen nur mit rund 40.000 Euro rechnen.
Nach den Angaben des Statistikportals Statista gab es im Jahr 2016 in Hamburg über 12.000 Unternehmen, die jeweils mehr als eine Million Euro Umsatz erwirtschafteten. Dazu gehören das Dax-Unternehmen Beiersdorf ebenso wie eine Reihe weiterer börsennotierter oder überregional bedeutender Unternehmen wie Fielmann, Nordex, Airbus, Aurubis, Eurokai, Evotec, HAPAG Lloyd, Hawesko, HHLA, Jungheinrich, Lotto24, Otto, TAG Immobilien oder Xing, die ihren Hauptsitz oder Niederlassungen in Hamburg haben. Darüber hinaus sind einige der großen internationalen und deutschen Softwareunternehmen in der Hansestadt vertreten, darunter Adobe Systems, Google, IBM, QSC, HP Enterprise, Lufthansa Systems, Microsoft und SAP.
Es gibt in der Hansestadt also keinen Mangel an potenziellen Arbeitgebern, zumal die Digitalisierung immer mehr Lebensbereiche erfasst. Aber auch der Bedarf an IT-Spezialisten nimmt kontinuierlich zu: Nach dem Fachkräftemonitor der Handelskammer Hamburg wies der Bereich der IT-Arbeitskräfte im Jahr 2017 eine Lücke von rund 2200 Personen auf – das sind etwa 2,7 Prozent des gesamten IT-Arbeitsmarkts in Hamburg. Für die nahe Zukunft haben die Statistiker für Arbeitgeber gute Nachrichten: „Ab dem Jahr 2021 könnte es mehr IT-Arbeitskräfte als freie Stellen geben“, schreiben sie in ihrer Analyse „Auswirkungen der Digitalisierung auf den Hamburger Arbeitsmarkt“. Weil aber das Angebotspotenzial durch den demografischen Wandel ab dem Jahr 2020 kontinuierlich abnehmen werde, sei ab dem Jahr 2026 wieder mit einem Mangel an IT-Fachkräften zu rechnen.
In ihrer Analyse haben die Arbeitsmarktexperten der Handelskammer die drei Szenarien „langsame Digitalisierung“, „mittelschnelle Digitalisierung“und „schnelle Digitalisierung“zugrunde gelegt und daraus Prognosen abgeleitet. Im Szenario „langsam“läge der Engpass im Jahre 2030 bei 8300 fehlenden IT-Fachkräften, beim Szenario „schnell“sogar bei 9200 unbesetzten Stellen – beste Aussichten also für alle, die noch nicht wissen, was sie studieren sollen.
IT-Arbeitsmarkt wächst überproportional
Dass es in Hamburg zu wenige IT-Fachkräfte gibt, bestätigt auch der Sprecher der dortigen Arbeitsagentur, Knut Böhrnsen. „Bei den ITFachkräften sind uns in Hamburg im Jahr 2018 insgesamt 1660 sozialversicherungspflichtige Stellen gemeldet worden“, berichtet Böhrnsen. Das waren 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2018 verzeichnete er einen monatlichen Bestand von 590 offenen Stellen, ein Plus von 19,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Die Personalnachfrage steigt kontinuierlich an, das nehmen wir auch in anderen Branchen wahr. Aber der IT-Bereich wächst überproportional.“
Dabei sei das Bewerberpotenzial mit etwa 260 gemeldeten Arbeitslosen im Monatsdurchschnitt zwar gleich hoch wie im Vorjahr, guten Bewerbern gelinge aber meist der nahtlose Sprung in eine neue Anstellung, wenn etwa ein Job an ein Projekt gekoppelt war und dieses abgeschlossen sei. „Ein Arbeitsloser mit handfester IT-Qualifikation, der nicht sofort in eine neue Festanstellung vermittelt werden kann, ist eine seltene Spezies“, kommentiert Böhrnsen. „Dann liegen fast immer andere Hinderungsgründe wie familiäre Bindungen, eingeschränkte Arbeitszeiten, fehlende Mobilität oder gesundheitliche Probleme vor.“
Dabei räumt der Arbeitsmarktexperte ein, dass gerade im Bereich der hochqualifizierten ITFachkräfte der Großteil der Stellensuche und -vermittlung an der Agentur für Arbeit vorbei laufe: „Qualifizierte Bewerber melden sich meist oft gar nicht erst bei uns, sondern finden aus eigener Initiative oder über spezialisierte Personalberatungen einen neuen Arbeitgeber.“
Diese Einschätzung teilt man beim Personalvermittler Gulp. Amelie Seeliger: „Das Zeitfenster, in dem hochqualifizierte IT-Spezialisten für eine Vermittlung in Frage kommen, beträgt oft nur wenige Tage.“Nach Abschluss eines Projekts könnten Freelancer in aller Regel unter einer Vielzahl von Angeboten auswählen. Aber auch für sie seien technologisch anspruchsvolle Projekte, flexible Arbeitsbedingungen und ein attraktiver Arbeitsort oft wichtiger, als in Stundensatzverhandlungen den letzten Euro herauszuhandeln.
Trotz des offensichtlichen Mangels an IT-Experten sind die Hamburger Unternehmen bei der Bewerbersuche nur bedingt zu Zugeständnissen bereit. Arbeitgeber nehmen eher eine längere Suche in Kauf, als einen Bewerber einzustellen, der nicht auf die Position passt, heißt es unisono. Der Markt sei zwar eng, aber keineswegs dramatisch.
Wichtiges Argument: Attraktiver Standort
Ähnlich äußert sich auch Susanne Heinrichs von Otto: „Die Qualifikation muss stimmen und der Bewerber muss zu uns passen, da machen wir keine Abstriche“, sagt die Bereichsleiterin Recruitment. „Die wenigsten unserer neuen Mitarbeiter stammen ursprünglich aus Hamburg. Aber viele von ihnen kommen gern hierher, weil sie das kulturelle Angebot und das internationale Flair schätzen.“
Dass sie trotz des engen Arbeitsmarkts mit ihrer Einstellungspraxis richtig liegt, zeigt sich für sie auch darin, dass fast alle neuen Mitarbeiter bei Otto bleiben: „Wir übernehmen nach der Probezeit mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter in ein festes Arbeitsverhältnis“, erzählt die Personalexpertin nicht ohne Stolz.