„Plattform“ist das Unwort der Dekade
Wer den Begriff Plattform in die IT-Welt gesetzt hat, sollte Tantiemen von der Softwareindustrie bekommen. Kein Begriff verbirgt besser die Probleme, die der Softwareeinsatz mit sich bringt.
Jeder kennt sie, die Powerpoint-Charts der großen Softwarehersteller: In bunten Farben stehen dicke und dünne Balken nebenund übereinander, mit denen vor allem die eigenen Produktwelten in ein Großes, Ganzes eingeordnet werden. Pfeile und Dotted Lines schaffen kreuz und quer Verbindungen, oft steht API oder REST API dran. Ein optisches Fundament mit Namen Infrastruktur oder Datenbank ist dabei, ebenso eine Wolke, die die Cloud symbolisiert.
Auf solchen Charts passt immer alles zusammen. Alte Anwendungen fügen sich „seamless“in moderne Softwarearchitekturen ein. Marktführende Softwareprodukte und Cloud-Welten lassen sich „mit wenigen Clicks“in die Plattform einklinken, vorhandene Individualanwendungen packt man einfach in Container und dockt sie an.
Plattformen suggerieren Stabilität, Sicherheit, Vollständigkeit und Integration. Automatisch drängt sich der Aristoteles-Gedanke auf: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“Aber ist das wirklich so? Tatsächlich müssen viele Softwareplattformen den Beweis erst noch erbringen. Nehmen wir das Beispiel Kunden-Management: Die großen Softwarehäuser kaufen Marketing-, Vertriebs-, E-Commerce- und Kundenservice-Lösungen zusammen und nennen das dann Plattform.
John Donahoe, CEO von ServiceNow, sagt im CW-Gespräch (Seite 16), große Konzerne wollten nur noch mit vier bis sechs großen Plattformanbietern zusammenarbeiten. Ein bisschen erinnert das an die guten alten Zeiten: „Nobody gets fired for buying IBM.“IT-Verantwortliche sollten Vorsicht walten lassen und bei der Softwareauswahl auch in Zukunft den gesamten Markt im Blick behalten. Auf Plattformen sind Angebotslücken und -schwächen leicht zu verstecken.
Herzlich, Ihr Heinrich Vaske, Editorial Director