Blockchain: So finden Sie Use Cases
Blockchain-Techniken bieten Unternehmen ein enormes Potenzial. Doch viele Entscheider stehen vor dem Problem, den richtigen Use Case zu finden. In der Praxis hat sich ein Vorgehen in vier Schritten bewährt.
Viele Unternehmen haben noch nicht verstanden, welches Potenzial ihnen Blockchain-Techniken bieten können. Ein systematisches Vorgehen in vier Schritten führt zu den geeigneten Use Cases.
Der große Hype um die Kryptowährung Bitcoin scheint zwar vorbei zu sein, doch die zugrunde liegende BlockchainTechnik steht noch am Anfang ihrer Karriere. Im Prinzip ermöglicht sie eine unveränderbare und fälschungssichere Datenspeicherung. Dadurch lassen sich Transaktionen auf vertrauenswürdige Weise ausführen, auch ohne dass sich die Geschäftspartner kennen. Nicht einmal eine Zertifizierung oder das Einschalten einer dritten Partei ist notwendig.
Zudem spielt es keine Rolle, um welche Art von Transaktion es sich handelt – ob Geldüberweisung, Warenkauf oder die Bestellung bei einem Lieferanten. Einzige Voraussetzungen: Die Prozesse müssen sich vollständig digital abbilden lassen und alle Beteiligten greifen auf eine gemeinsame Blockchain zu. Diese gewährleistet dann die Verbindlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Transaktionen.
Zum Beispiel muss der Käufer eines Gebrauchtwagens bislang den Angaben des Verkäufers vertrauen, etwa darüber, ob der Wagen einen Unfall hatte, welche Reparaturen vorgenommen wurden oder ob der Tachostand korrekt ist. Mit der Blockchain-Technik ließen sich diese Angaben über die komplette Lebensdauer des Fahrzeugs hinweg unveränderbar und manipulationssicher speichern. So könnte der Käufer jederzeit überprüfen, ob alle Angaben des Verkäufers richtig sind.
Unternehmen, die bereits darüber nachdenken, wie sie die Vorteile der Blockchain-Technik für sich nutzen können, müssen vor allem geeignete Einsatzszenarien identifizieren. Wir zeigen Ihnen vier Schritte auf, die dabei helfen sollen.
Schritt 1: Ideen generieren
Zuerst müssen Ideen für mögliche Use Cases entwickelt werden – möglichst frei von Einschränkungen. Hier haben sich diverse Kreativitätstechniken etabliert. Dazu gehören Innovation Workshops, Design Thinking oder Hackathons, die vor allem im Entwicklungsbereich eingesetzt werden. Aber auch klassische Techniken wie Brainstorming, Bionik, Six Hats oder die 6-3-5-Methode lassen sich nutzen. Unabhängig von der Methode gibt es zwei grundsätzliche Ansätze, um einen Business Case für die Blockchain zu finden.
Der disruptive Ansatz basiert auf der ketzerischen Frage: Was müsste geschehen, damit das eigene Unternehmen in fünf Jahren vom Markt verschwunden ist? Gerade eine umgekehrte Perspektive zur normalen Denkweise kann bei Kreativitätstechniken einen wahren Ideenschub auslösen. Zudem lassen sich hiermit mögliche Gefahren aus Business-Sicht erkennen und analysieren.
Neben Brainstorming eignet sich etwa die 6-3-5-Methode: 6 Personen aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen schreiben 3 Ideen in 5 Minuten auf ein Blatt Papier. Dann werden die Zettel an den Nachbarn weitergereicht, der alle Ideen kommentiert, erweitert
und vertieft. Dies wird so lange wiederholt, bis jeder Teilnehmer jeden Zettel bearbeitet hat. Anschließend werden die Ergebnisse in der Gruppe diskutiert.
In einem konkreten Beispiel kam heraus, dass ein Unternehmen von einem Wettbewerber mit einem Airbnb-Modell am stärksten bedroht wäre. Denn es könnte keine Produkte mehr vermieten, wenn die Kunden das untereinander erledigten. Also entschied sich das Unternehmen, eine solche Lösung einfach selbst zu entwickeln und für sich zu nutzen.
Der analytische Ansatz wirkt dagegen deutlich klassischer: Er bewertet die Wertschöpfungskette anhand von Methoden aus dem Business Process Modelling (BPM). Die Blockchain ist zum Beispiel dann relevant, wenn viele Beteiligte interagieren, die sich gegenseitig per se nicht vertrauen. So wird über grafisch dargestellte Geschäftsprozesse die Wertschöpfungskette betrachtet, um neuralgische Punkte zu entdecken, die viele Beteiligte betreffen und immer wieder zu Problemen führen.
Dies lässt sich analytisch starten und mit einem Workshop oder einer Interview-Reihe mit den Beteiligten fortführen. Hier werden die Prozessbeteiligten gebeten, den Ablauf mit Worten zu beschreiben und Probleme aufzuzeigen. Die Interviews sollten unabhängige Dritte führen, damit die Schwierigkeiten offen angesprochen werden. So ließe sich zum Beispiel in einem Prozess der dezentralen Energieversorgung per Interviews klären, wie vorgegangen werden soll, wenn Nutzer nicht rechtzeitig ihre Rechnungen bezahlen (Mahnungen, Stromkontingente, Obergrenzen, Drosselung).
Schritt 2: Die richtige Technik ermitteln
Klingt eine Idee vielversprechend, muss das Unternehmen die richtige Technik ermitteln. Dies kann neben Blockchain auch eine SQLDatenbank, ein Daten-Management-System oder eine Cloud-basierte Software-as-a-Service-Lösung sein. Ob Blockchain die optimale Lösung darstellt, lässt sich anhand des folgenden Modells feststellen (siehe Grafik).
1. Mehrere Parteien: Eine Blockchain ist vor allem dann sinnvoll, wenn mehrere Parteien untereinander interagieren und dabei Daten austauschen. 2. Fehlendes Vertrauen: Blockchain eignet sich vor allem dann, wenn sich mehrere Parteien untereinander nicht vertrauen. Dieses Vertrauen lässt sich herstellen, indem jeder Beteiligte permanent Einblick in die gesamten Transaktionen sowie deren Historie erhält, ohne dabei seine Identität preiszugeben. 3. Abhängige Transaktionen: Blockchain-Technik bietet sich an, wenn die Transaktionen voneinander abhängig sind oder aufeinander aufbauen. Eine reine Speicherung von Daten lässt sich meist anderweitig effizienter sicherstellen. 4. Prüfprotokollierung: Eine Blockchain ermöglicht ein lückenloses Transaktionsprotokoll. Nur verifizierte Stellen können Transaktionen an die Blockchain anhängen. Dieses Anhängen wird durch die Mehrheit der Teilnehmer nachvollziehbar bestätigt. 5. Akzeptable Latenz: Blockchain ist dann einsetzbar, wenn eine gewisse Latenz bei der Bearbeitung von Transaktionen akzeptiert wird. Zum Beispiel sind zwei Minuten bei einer Kreditkarten-Buchung an der Kasse eine zu lange Wartezeit. Bei Online-Geld-Transfers stellt dies möglicherweise kein Problem dar. 6. Komplexität: Ist der aktuelle Prozess wenig kostenintensiv, besteht kein Handlungsbedarf. Sollte er durch die nötigen Sicherheitsanforderungen sehr komplex und teuer sein, bietet die Blockchain oft eine günstigere Alternative. 7. Sensible Daten: Die Blockchain ist über alle Transaktionen transparent. Daher kann es bei sensiblen Daten riskant sein, sie in der Public Blockchain zu verwalten. Es gibt aber die Möglichkeit, eine Blockchain in einer privaten Umgebung zu betreiben.
Ein mögliches Szenario wäre die weltweite Überwachung der Supply Chain in Echtzeit. Derzeit werden bei Verspätungen von Container-Schiffen die Empfänger meist spät oder gar nicht informiert. Erfährt der Kunde jedoch, dass sich die Ankunft einer Schiffslieferung um mehrere Tage verzögert, kann er unmittelbar reagieren und beispielsweise eine Ersatzteil-Lieferung per Flugzeug veranlassen. Die hohen Kosten würden durch den vermiedenen Produktionsstillstand amortisiert. Da hier mehrere Parteien beteiligt sind, die sich teils wenig kennen, die Transaktionen voneinander abhängen und eine geringe Latenz akzeptabel ist, kommt eine Blockchain grundsätzlich in Frage. Allerdings könnte eine Lösung auf Basis bestehender Supply-Chain-ManagementSysteme günstiger sein.
Schritt 3: Wie effektiv ist die Blockchain?
Stellt sich die Blockchain als optimale Technik heraus, müssen Unternehmen jedoch ermitteln, wie effektiv sie sich einsetzen lässt. Dafür eignet sich folgendes Reifegradmodell.
Reifegrad der Digitalisierung
1. Abzubildender Prozess ist digitalisiert: Viele bestehende Prozesse in Unternehmen sind von Medienbrüchen geprägt – oft mit manuellen Eingaben von mehreren Personen. In der Blockchain sind jedoch nur Prozesse sinnvoll abbildbar, bei denen die Informationen voll digitalisiert vorliegen und weiterverarbeitet werden können. 2. Prozesse aller Beteiligten sind digital: Die Blockchain ermöglicht eine Integration der eigenen Prozesse mit den Prozessen der anderen – oft unbekannten – Beteiligten. Somit ist es essenziell, dass auch die Informationen der Partner vollständig digital vorliegen und verarbeitet werden können. 3. Prozess ist automatisiert: Optimal ist es, wenn die Prozesse bereits vollständig automatisiert ablaufen können, um menschliche Fehler zu vermeiden.
Reifegrad der IT-Infrastruktur
1. Rechenleistung ist ausreichend: Je nach Konsensverfahren der zugrunde liegenden Blockchain-Technik wird eine entsprechende Rechenleistung benötigt. Diese Kapazität muss vorhanden sein oder aufgebaut werden. 2. Netz ist performant angebunden: Wenn ein Blockchain-Knoten (ein „Full Node“) betrieben wird, muss das Netz des Rechenzentrums entsprechend angebunden sein. Sonst kommt es zu Verzögerungen im Betrieb. 3. Skalierbare Cloud-Architektur ist vorhanden: Die Blockchain kann auch Cloud-basiert betrieben werden. Hierfür reicht meist die Netzanbindung, und die Rechenleistung kann bedarfsgerecht skaliert werden. Allerdings müssen dann die IT-Prozesse entsprechend aktuell sein, um die Cloud-Komponenten effizient einzubinden. 4. IT-Governance ist vorhanden: Sind Prozesse und Verantwortlichkeiten nicht definiert und dokumentiert, lassen sich nicht so schnell mögliche Schnittstellen und deren Verbesserungspotenzial durch die Blockchain identifizieren.
Eine ganzheitliche IT-Governance kann hier den reibungslosen Ablauf effizienter gestalten.
Reifegrad der internen Prozesse
1. Sponsor ist vorhanden: Wenn ein Prozess mit Blockchain-Technik produktiv abgebildet werden soll, ist dafür ein Sponsor im oberen Management nötig. Dieser kann Widerstände überwinden und das Projekt mit anderen Abteilungen verknüpfen. 2. Internes Blockchain-Wissen ist vorhanden: Im Unternehmen muss Basiswissen zu Blockchain beziehungsweise Distributed Ledger Technology (DLT) existieren. Das Unternehmen sollte bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt haben, etwa durch einen Proof of Concept. 3. Hoher Reifegrad der internen Prozesse: Blockchain-Projekte lassen sich dann effizient umsetzen, wenn die internen Prozesse modernisiert wurden. Dabei ist es hilfreich, wenn ein Digitalization/Transformation-Office diese innovativen Themen führt. 4. Mitarbeiterkapazitäten sind vorhanden: Ein Blockchain-Projekt kann nur erfolgreich sein, wenn dafür ausreichend Mitarbeiter bereitstehen. Zudem sollten die Mitarbeiter für das Thema eine hohe Motivation besitzen. 5. Partner-Management ist etabliert: Bei Blockchain-Vorhaben ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Unternehmen mit Partnern zusammenarbeiten. Damit man schnell starten kann, sollte bereits ein Partner-Management etabliert sein.
Einen hohen Reifegrad besitzt etwa die Deutsche Bahn, da sie ihre Prozesse schon sehr gut digitalisiert hat. So könnte sie – nach Prüfung der Infrastruktur und interner Kompetenzen – eventuell bereits den bislang formularbasierten Prozess zur Beantragung von Entschädigungen bei Verspätungen mit Hilfe der Blockchain-Technik automatisieren. Dies würde nicht nur mehr Vertrauen bei den Kunden schaffen, sondern auch durch automatische Prüfungen viel Zeit und Kosten für die Bahn sparen.
Schritt 4: Validierung der Konzepte
Auch wenn das Errechnen eines RoI oder ähnlicher Kennzahlen gerade bei neuen Techniken aufgrund fehlender Benchmarks äußerst schwer ist, muss ein echter Business Case entwickelt werden. Zur wirtschaftlichen Prüfung stehen viele bewährte Vorlagen zur Verfügung.
Beim Thema Blockchain sind ICO Canvas und BMC (Business Model Canvas) am weitesten verbreitet. Bestätigt die Berechnung eine Wertsteigerung für das Unternehmen durch die neue Blockchain-Lösung, führt das Unternehmen diese im letzten Schritt ein. Das geschieht entweder in Eigenregie oder in Zusammenarbeit mit einem Partner oder Startup.
Startups fungieren als möglicher Inputgeber sowie als unabhängige Institution, um die Blockchain-Lösung bei allen Prozessbeteiligten einzuführen. Unternehmen sollten die StartupSzene in der eigenen oder in verwandten Branchen analysieren und deren Ansätze prüfen. Anschließend ist zu evaluieren, ob diese Ansätze das eigene Geschäft gefährden könnten und welche Vorgehensweise optimal ist: selbst als etabliertes Unternehmen mit mehr Marktmacht das Thema vorantreiben oder mit diesem Startup kooperieren oder eine eigene Lösung entwickeln.
Zum Beispiel wurden in einem Backoffice täglich 25 bis 30 Pakete zugestellt. Dies führte zu hohem Verwaltungsaufwand, da ohne eine kontrollierte Übergabe Pakete verloren gingen oder von falschen Personen mitgenommen wurden. Das Unternehmen prüfte mehrere Startups, doch keines besaß eine passende Lösung. Dabei besteht dieses Problem auch in Mehrfamilienhäusern.
Ein Blockchain-basiertes System kann die Lieferung sowie Weitergabe von Paketen kontrollieren und nachverfolgen. Zudem lassen sich Pakete in eine Postbox legen, die sich zentral im Büro oder am Mehrfamilienhaus befindet. Hier werden in einer Box Pakete für alle Parteien hineingelegt und deren Verbleib per Blockchain überwacht. Diese Lösung wird von Campana & Schott gegenwärtig entwickelt und getestet.