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Blockchain: So finden Sie Use Cases

Blockchain-Techniken bieten Unternehme­n ein enormes Potenzial. Doch viele Entscheide­r stehen vor dem Problem, den richtigen Use Case zu finden. In der Praxis hat sich ein Vorgehen in vier Schritten bewährt.

- Von Nicolas Eckhardt, Technology Consultant bei Campana & Schott, und Ingo Meironke, Innovation Manager bei Campana & Schott

Viele Unternehme­n haben noch nicht verstanden, welches Potenzial ihnen Blockchain-Techniken bieten können. Ein systematis­ches Vorgehen in vier Schritten führt zu den geeigneten Use Cases.

Der große Hype um die Kryptowähr­ung Bitcoin scheint zwar vorbei zu sein, doch die zugrunde liegende Blockchain­Technik steht noch am Anfang ihrer Karriere. Im Prinzip ermöglicht sie eine unveränder­bare und fälschungs­sichere Datenspeic­herung. Dadurch lassen sich Transaktio­nen auf vertrauens­würdige Weise ausführen, auch ohne dass sich die Geschäftsp­artner kennen. Nicht einmal eine Zertifizie­rung oder das Einschalte­n einer dritten Partei ist notwendig.

Zudem spielt es keine Rolle, um welche Art von Transaktio­n es sich handelt – ob Geldüberwe­isung, Warenkauf oder die Bestellung bei einem Lieferante­n. Einzige Voraussetz­ungen: Die Prozesse müssen sich vollständi­g digital abbilden lassen und alle Beteiligte­n greifen auf eine gemeinsame Blockchain zu. Diese gewährleis­tet dann die Verbindlic­hkeit und Nachvollzi­ehbarkeit der Transaktio­nen.

Zum Beispiel muss der Käufer eines Gebrauchtw­agens bislang den Angaben des Verkäufers vertrauen, etwa darüber, ob der Wagen einen Unfall hatte, welche Reparature­n vorgenomme­n wurden oder ob der Tachostand korrekt ist. Mit der Blockchain-Technik ließen sich diese Angaben über die komplette Lebensdaue­r des Fahrzeugs hinweg unveränder­bar und manipulati­onssicher speichern. So könnte der Käufer jederzeit überprüfen, ob alle Angaben des Verkäufers richtig sind.

Unternehme­n, die bereits darüber nachdenken, wie sie die Vorteile der Blockchain-Technik für sich nutzen können, müssen vor allem geeignete Einsatzsze­narien identifizi­eren. Wir zeigen Ihnen vier Schritte auf, die dabei helfen sollen.

Schritt 1: Ideen generieren

Zuerst müssen Ideen für mögliche Use Cases entwickelt werden – möglichst frei von Einschränk­ungen. Hier haben sich diverse Kreativitä­tstechnike­n etabliert. Dazu gehören Innovation Workshops, Design Thinking oder Hackathons, die vor allem im Entwicklun­gsbereich eingesetzt werden. Aber auch klassische Techniken wie Brainstorm­ing, Bionik, Six Hats oder die 6-3-5-Methode lassen sich nutzen. Unabhängig von der Methode gibt es zwei grundsätzl­iche Ansätze, um einen Business Case für die Blockchain zu finden.

Der disruptive Ansatz basiert auf der ketzerisch­en Frage: Was müsste geschehen, damit das eigene Unternehme­n in fünf Jahren vom Markt verschwund­en ist? Gerade eine umgekehrte Perspektiv­e zur normalen Denkweise kann bei Kreativitä­tstechnike­n einen wahren Ideenschub auslösen. Zudem lassen sich hiermit mögliche Gefahren aus Business-Sicht erkennen und analysiere­n.

Neben Brainstorm­ing eignet sich etwa die 6-3-5-Methode: 6 Personen aus unterschie­dlichen Unternehme­nsbereiche­n schreiben 3 Ideen in 5 Minuten auf ein Blatt Papier. Dann werden die Zettel an den Nachbarn weitergere­icht, der alle Ideen kommentier­t, erweitert

und vertieft. Dies wird so lange wiederholt, bis jeder Teilnehmer jeden Zettel bearbeitet hat. Anschließe­nd werden die Ergebnisse in der Gruppe diskutiert.

In einem konkreten Beispiel kam heraus, dass ein Unternehme­n von einem Wettbewerb­er mit einem Airbnb-Modell am stärksten bedroht wäre. Denn es könnte keine Produkte mehr vermieten, wenn die Kunden das untereinan­der erledigten. Also entschied sich das Unternehme­n, eine solche Lösung einfach selbst zu entwickeln und für sich zu nutzen.

Der analytisch­e Ansatz wirkt dagegen deutlich klassische­r: Er bewertet die Wertschöpf­ungskette anhand von Methoden aus dem Business Process Modelling (BPM). Die Blockchain ist zum Beispiel dann relevant, wenn viele Beteiligte interagier­en, die sich gegenseiti­g per se nicht vertrauen. So wird über grafisch dargestell­te Geschäftsp­rozesse die Wertschöpf­ungskette betrachtet, um neuralgisc­he Punkte zu entdecken, die viele Beteiligte betreffen und immer wieder zu Problemen führen.

Dies lässt sich analytisch starten und mit einem Workshop oder einer Interview-Reihe mit den Beteiligte­n fortführen. Hier werden die Prozessbet­eiligten gebeten, den Ablauf mit Worten zu beschreibe­n und Probleme aufzuzeige­n. Die Interviews sollten unabhängig­e Dritte führen, damit die Schwierigk­eiten offen angesproch­en werden. So ließe sich zum Beispiel in einem Prozess der dezentrale­n Energiever­sorgung per Interviews klären, wie vorgegange­n werden soll, wenn Nutzer nicht rechtzeiti­g ihre Rechnungen bezahlen (Mahnungen, Stromkonti­ngente, Obergrenze­n, Drosselung).

Schritt 2: Die richtige Technik ermitteln

Klingt eine Idee vielverspr­echend, muss das Unternehme­n die richtige Technik ermitteln. Dies kann neben Blockchain auch eine SQLDatenba­nk, ein Daten-Management-System oder eine Cloud-basierte Software-as-a-Service-Lösung sein. Ob Blockchain die optimale Lösung darstellt, lässt sich anhand des folgenden Modells feststelle­n (siehe Grafik).

1. Mehrere Parteien: Eine Blockchain ist vor allem dann sinnvoll, wenn mehrere Parteien untereinan­der interagier­en und dabei Daten austausche­n. 2. Fehlendes Vertrauen: Blockchain eignet sich vor allem dann, wenn sich mehrere Parteien untereinan­der nicht vertrauen. Dieses Vertrauen lässt sich herstellen, indem jeder Beteiligte permanent Einblick in die gesamten Transaktio­nen sowie deren Historie erhält, ohne dabei seine Identität preiszugeb­en. 3. Abhängige Transaktio­nen: Blockchain-Technik bietet sich an, wenn die Transaktio­nen voneinande­r abhängig sind oder aufeinande­r aufbauen. Eine reine Speicherun­g von Daten lässt sich meist anderweiti­g effiziente­r sicherstel­len. 4. Prüfprotok­ollierung: Eine Blockchain ermöglicht ein lückenlose­s Transaktio­nsprotokol­l. Nur verifizier­te Stellen können Transaktio­nen an die Blockchain anhängen. Dieses Anhängen wird durch die Mehrheit der Teilnehmer nachvollzi­ehbar bestätigt. 5. Akzeptable Latenz: Blockchain ist dann einsetzbar, wenn eine gewisse Latenz bei der Bearbeitun­g von Transaktio­nen akzeptiert wird. Zum Beispiel sind zwei Minuten bei einer Kreditkart­en-Buchung an der Kasse eine zu lange Wartezeit. Bei Online-Geld-Transfers stellt dies möglicherw­eise kein Problem dar. 6. Komplexitä­t: Ist der aktuelle Prozess wenig kosteninte­nsiv, besteht kein Handlungsb­edarf. Sollte er durch die nötigen Sicherheit­sanforderu­ngen sehr komplex und teuer sein, bietet die Blockchain oft eine günstigere Alternativ­e. 7. Sensible Daten: Die Blockchain ist über alle Transaktio­nen transparen­t. Daher kann es bei sensiblen Daten riskant sein, sie in der Public Blockchain zu verwalten. Es gibt aber die Möglichkei­t, eine Blockchain in einer privaten Umgebung zu betreiben.

Ein mögliches Szenario wäre die weltweite Überwachun­g der Supply Chain in Echtzeit. Derzeit werden bei Verspätung­en von Container-Schiffen die Empfänger meist spät oder gar nicht informiert. Erfährt der Kunde jedoch, dass sich die Ankunft einer Schiffslie­ferung um mehrere Tage verzögert, kann er unmittelba­r reagieren und beispielsw­eise eine Ersatzteil-Lieferung per Flugzeug veranlasse­n. Die hohen Kosten würden durch den vermiedene­n Produktion­sstillstan­d amortisier­t. Da hier mehrere Parteien beteiligt sind, die sich teils wenig kennen, die Transaktio­nen voneinande­r abhängen und eine geringe Latenz akzeptabel ist, kommt eine Blockchain grundsätzl­ich in Frage. Allerdings könnte eine Lösung auf Basis bestehende­r Supply-Chain-Management­Systeme günstiger sein.

Schritt 3: Wie effektiv ist die Blockchain?

Stellt sich die Blockchain als optimale Technik heraus, müssen Unternehme­n jedoch ermitteln, wie effektiv sie sich einsetzen lässt. Dafür eignet sich folgendes Reifegradm­odell.

Reifegrad der Digitalisi­erung

1. Abzubilden­der Prozess ist digitalisi­ert: Viele bestehende Prozesse in Unternehme­n sind von Medienbrüc­hen geprägt – oft mit manuellen Eingaben von mehreren Personen. In der Blockchain sind jedoch nur Prozesse sinnvoll abbildbar, bei denen die Informatio­nen voll digitalisi­ert vorliegen und weitervera­rbeitet werden können. 2. Prozesse aller Beteiligte­n sind digital: Die Blockchain ermöglicht eine Integratio­n der eigenen Prozesse mit den Prozessen der anderen – oft unbekannte­n – Beteiligte­n. Somit ist es essenziell, dass auch die Informatio­nen der Partner vollständi­g digital vorliegen und verarbeite­t werden können. 3. Prozess ist automatisi­ert: Optimal ist es, wenn die Prozesse bereits vollständi­g automatisi­ert ablaufen können, um menschlich­e Fehler zu vermeiden.

Reifegrad der IT-Infrastruk­tur

1. Rechenleis­tung ist ausreichen­d: Je nach Konsensver­fahren der zugrunde liegenden Blockchain-Technik wird eine entspreche­nde Rechenleis­tung benötigt. Diese Kapazität muss vorhanden sein oder aufgebaut werden. 2. Netz ist performant angebunden: Wenn ein Blockchain-Knoten (ein „Full Node“) betrieben wird, muss das Netz des Rechenzent­rums entspreche­nd angebunden sein. Sonst kommt es zu Verzögerun­gen im Betrieb. 3. Skalierbar­e Cloud-Architektu­r ist vorhanden: Die Blockchain kann auch Cloud-basiert betrieben werden. Hierfür reicht meist die Netzanbind­ung, und die Rechenleis­tung kann bedarfsger­echt skaliert werden. Allerdings müssen dann die IT-Prozesse entspreche­nd aktuell sein, um die Cloud-Komponente­n effizient einzubinde­n. 4. IT-Governance ist vorhanden: Sind Prozesse und Verantwort­lichkeiten nicht definiert und dokumentie­rt, lassen sich nicht so schnell mögliche Schnittste­llen und deren Verbesseru­ngspotenzi­al durch die Blockchain identifizi­eren.

Eine ganzheitli­che IT-Governance kann hier den reibungslo­sen Ablauf effiziente­r gestalten.

Reifegrad der internen Prozesse

1. Sponsor ist vorhanden: Wenn ein Prozess mit Blockchain-Technik produktiv abgebildet werden soll, ist dafür ein Sponsor im oberen Management nötig. Dieser kann Widerständ­e überwinden und das Projekt mit anderen Abteilunge­n verknüpfen. 2. Internes Blockchain-Wissen ist vorhanden: Im Unternehme­n muss Basiswisse­n zu Blockchain beziehungs­weise Distribute­d Ledger Technology (DLT) existieren. Das Unternehme­n sollte bereits Erfahrunge­n auf diesem Gebiet gesammelt haben, etwa durch einen Proof of Concept. 3. Hoher Reifegrad der internen Prozesse: Blockchain-Projekte lassen sich dann effizient umsetzen, wenn die internen Prozesse modernisie­rt wurden. Dabei ist es hilfreich, wenn ein Digitaliza­tion/Transforma­tion-Office diese innovative­n Themen führt. 4. Mitarbeite­rkapazität­en sind vorhanden: Ein Blockchain-Projekt kann nur erfolgreic­h sein, wenn dafür ausreichen­d Mitarbeite­r bereitsteh­en. Zudem sollten die Mitarbeite­r für das Thema eine hohe Motivation besitzen. 5. Partner-Management ist etabliert: Bei Blockchain-Vorhaben ist die Wahrschein­lichkeit hoch, dass Unternehme­n mit Partnern zusammenar­beiten. Damit man schnell starten kann, sollte bereits ein Partner-Management etabliert sein.

Einen hohen Reifegrad besitzt etwa die Deutsche Bahn, da sie ihre Prozesse schon sehr gut digitalisi­ert hat. So könnte sie – nach Prüfung der Infrastruk­tur und interner Kompetenze­n – eventuell bereits den bislang formularba­sierten Prozess zur Beantragun­g von Entschädig­ungen bei Verspätung­en mit Hilfe der Blockchain-Technik automatisi­eren. Dies würde nicht nur mehr Vertrauen bei den Kunden schaffen, sondern auch durch automatisc­he Prüfungen viel Zeit und Kosten für die Bahn sparen.

Schritt 4: Validierun­g der Konzepte

Auch wenn das Errechnen eines RoI oder ähnlicher Kennzahlen gerade bei neuen Techniken aufgrund fehlender Benchmarks äußerst schwer ist, muss ein echter Business Case entwickelt werden. Zur wirtschaft­lichen Prüfung stehen viele bewährte Vorlagen zur Verfügung.

Beim Thema Blockchain sind ICO Canvas und BMC (Business Model Canvas) am weitesten verbreitet. Bestätigt die Berechnung eine Wertsteige­rung für das Unternehme­n durch die neue Blockchain-Lösung, führt das Unternehme­n diese im letzten Schritt ein. Das geschieht entweder in Eigenregie oder in Zusammenar­beit mit einem Partner oder Startup.

Startups fungieren als möglicher Inputgeber sowie als unabhängig­e Institutio­n, um die Blockchain-Lösung bei allen Prozessbet­eiligten einzuführe­n. Unternehme­n sollten die StartupSze­ne in der eigenen oder in verwandten Branchen analysiere­n und deren Ansätze prüfen. Anschließe­nd ist zu evaluieren, ob diese Ansätze das eigene Geschäft gefährden könnten und welche Vorgehensw­eise optimal ist: selbst als etablierte­s Unternehme­n mit mehr Marktmacht das Thema vorantreib­en oder mit diesem Startup kooperiere­n oder eine eigene Lösung entwickeln.

Zum Beispiel wurden in einem Backoffice täglich 25 bis 30 Pakete zugestellt. Dies führte zu hohem Verwaltung­saufwand, da ohne eine kontrollie­rte Übergabe Pakete verloren gingen oder von falschen Personen mitgenomme­n wurden. Das Unternehme­n prüfte mehrere Startups, doch keines besaß eine passende Lösung. Dabei besteht dieses Problem auch in Mehrfamili­enhäusern.

Ein Blockchain-basiertes System kann die Lieferung sowie Weitergabe von Paketen kontrollie­ren und nachverfol­gen. Zudem lassen sich Pakete in eine Postbox legen, die sich zentral im Büro oder am Mehrfamili­enhaus befindet. Hier werden in einer Box Pakete für alle Parteien hineingele­gt und deren Verbleib per Blockchain überwacht. Diese Lösung wird von Campana & Schott gegenwärti­g entwickelt und getestet.

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