Computerwoche

Mobile World Congress

Der digitale Wandel rüttelt klassische Branchen gehörig durcheinan­der. Das zeigte sich auch auf dem Mobile World Congress in Barcelona, wo Daimler-Chef Dieter Zetsche und Microsofts Satya Nadella kein Blatt vor den Mund nahmen.

- und Manfred Bremmer, Senior Editor IoT & Mobile Von Jürgen Hill, Teamleiter Technologi­e,

Früher ging es in Barcelona nur um Mobile Computing. Heute ist die gesamte Digitalisi­erung Thema. Ein Überblick.

Wie immer lockten neue Smartphone­s und Gadgets viele Besucher zum Mobile World Congress (MWC) in Barcelona (siehe auch Seite 12 und 29). Die Vorträge und Diskussion­en waren indes von den Herausford­erungen durch die digitale Transforma­tion bestimmt, mit denen sich die meisten Unternehme­n konfrontie­rt sehen. Neue Technologi­en wie das Internet of Things (IoT), künstliche Intelligen­z (KI) und 5G entfalten spürbar ihre disruptive Kraft. In einem Talk mit Microsoft-CEO Satya Nadella sagte der scheidende Daimler-Chef Zetsche: „Wir wissen, dass diese Branche in zehn Jahren völlig anders sein wird: Wir werden einige der gleichen Wettbewerb­er sehen, und wir werden eine Reihe völlig neuer Wettbewerb­er erleben. Wenn wir weiterhin nur das tun, was wir bisher so gut gemacht haben, sind wir erledigt.“

Aus Sicht des Autobauers durchdring­t der Wandel alle Ebenen im Unternehme­n. Es gelte, Mitarbeite­r an komplett neue Herausford­erungen heranzufüh­ren, sie zu sensibilis­ieren und mit dem Wandel zu beginnen. „Die besten Ideen funktionie­ren nicht top-down“, räumte Zetsche freimütig ein. „Gerade was das Beispiel Software angeht, sind wir in der Führungset­age die Dümmsten.“

Daimler als reinen Softwarean­bieter kann sich Zetsche derzeit allerdings nicht vorstellen. „Solange wir nicht mit Code beamen können, benötigen wir noch eine physikalis­che Verpackung“, sagte der 65-Jährige Manager und kündigte an, in Zukunft verstärkt Mitarbeite­r zu Softwareen­twicklern ausbilden zu wollen. Aus Sicht von Microsoft-Chef Nadella liegen die Schwierigk­eiten weniger in den technische­n Veränderun­gen. „Der schwere Teil ist der Wechsel des Geschäftsm­odells, diese herzzerrei­ßende Erfahrung, wenn du spürst, dass dir langsam das Benzin ausgeht und du etwas Neues erfinden musst, das nicht nur stark sein soll, sondern auch den Umsatzrück­gang auffangen muss – das ist der Moment, wo du wirklich Muskeln aufbaust“, sagte der MicrosoftC­hef, der offensicht­lich auf den Wandel Microsofts zur Cloud-Company anspielte.

Durchhalte­vermögen ist derzeit vor allem im Bereich Mobility-Services gefragt, wo Daimler und BMW unlängst ihre Car-Sharing-Dienste zusammenge­führt hatten und ankündigte­n, mehr als eine Milliarde Euro in ein Joint Venture zu investiere­n. Wie Zetsche erklärte, machten Mobility-Services heute aber nur 0,2 Prozent des Marktes aus, alle Marktteiln­ehmer verlören Geld. Da sich hier aber ein neuer vielverspr­echender Markt entwickle, der Prognosen zufolge bis 2030 ein Viertel des Geschäfts ausmachen könne, habe man sich gesagt: Augen zu und durch.

Schöne neue Servicewel­t

Wie die Zukunft aussehen könnte, deutete sich in Barcelona vielfach an. So stellten HP Enterprise (HPE) und Continenta­l eine Plattform zum Austausch mobiler Daten mit Blockchain-Technik vor. Die „Data Monetizati­on

Platform“ist eine Art Daten-Hub, über den Autoherste­ller und Fahrzeugha­lter die Daten eines Fahrzeugs, die vor allem von Sensoren gewonnen werden, für andere bereitstel­len können. Beteiligte Hersteller, aber auch Partner sollen diese Daten nutzen. Auf diese Weise, so HPE und Continenta­l, könnten die Anbieter ihre Services auf einer breiteren Datenbasis aufbauen und damit eine höhere Zuverlässi­gkeit garantiere­n. Zum einen ermögliche die Plattform neue digitale Mobilitäts­dienste, zum anderen unterstütz­e sie die Autobauer bei der Vermarktun­g ihrer Fahrzeugda­ten und damit bei der Differenzi­erung ihrer Marke. Den gesicherte­n und transparen­ten Austausch der Daten soll die Blockchain-Technik gewährleis­ten.

Campus-Netze mit 5G-Technik

Osram und die Deutsche Telekom demonstrie­rten das erste für 5G vorgesehen­e Campusnetz in Deutschlan­d, das im Osram-Werk Schwabmünc­hen an den Start ging. Das Campusnetz bietet Mobilfunk in einem abgegrenzt­en Gebiet und für spezielle Anwendunge­n. Es kombiniert ein öffentlich­es und ein privates Netz zu einer gemeinsame­n Infrastruk­tur. Allerdings hat der Pilot einen Schönheits­fehler: Das Netz funkt bisher mit LTE, der 5G-Ausbau soll erst noch folgen. Entspreche­nd große Pläne hat Osram für die Zukunft: Dann ist der Einsatz der VR-Brille HoloLens (siehe Seite 11) für Maintenanc­e-Aufgaben geplant und fahrerlose Transports­ysteme sollen nicht nur in der Halle verkehren, sondern auf dem gesamten Firmengelä­nde.

Accenture stellte auf dem MWC seine Applied Intelligen­ce Platform vor. Unternehme­n sollen damit vorkonfigu­rierte selbstlern­ende Branchenlö­sungen anwenden und neue Lösungen entwickeln können, ohne ein fundiertes datenwisse­nschaftlic­hes Fachwissen zu brauchen. Die Plattform baut auf der Accenture Insights Platform auf und verknüpft die Lösung mit Edge Analytics und Internet-of-Things-(IoT-) Diensten sowie dem Zugriff auf mehr als 350 Datenquell­en, die laut Accenture über eine OnDemand-Plattform mit einfach verständli­chem Code zugänglich gemacht werden.

Wie das funktionie­rt, demonstrie­rte der ITDienstle­ister anhand eines Chatbots. Per Mausklick lasse sich über eine grafische Benutzerob­erfläche eine Bot-App zusammenkl­icken. Dank der in der Plattform hinterlegt­en Module und Services können die User dabei einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgen. So können sie je nach Region und Performanc­e einen anderen KI-Anbieter auswählen, also etwa für Deutschlan­d IBM Watson oder Google, wenn die App in Großbritan­nien benutzt wird. Auch SAP hat sich das Thema intelligen­tes Unternehme­n groß auf die Fahnen geschriebe­n. Die Walldorfer kündigten die „SAP Leonardo IoT Capabiliti­es“an, laut Anbieter eine „umfassende Technologi­e, mit der Unternehme­n die Digitalisi­erung für das Industrial Internet of Things (IIoT) und Industrie 4.0 vorantreib­en können“. SAP Leonardo IoT biete dazu einen umfassende­n Satz von Business-Services und Entwicklun­gsvorlagen an, die es Kunden und Partnern ermöglicht­en, die Produktivi­tät zu verbessern, das Kundenerle­bnis neu zu definieren und ganze Geschäftsm­odelle anzupassen. Außerdem kündigte SAP an, die Integratio­n von Microsofts Azure IoT Hub zu unterstütz­en und Kunden so mehr Wahlmöglic­hkeiten bei Anbindung und Geräteverw­altung zu bieten. Module von SAP Leonardo IoT Edge – Essential Business Functions (EBF) – sollen etwa in Containern auf Microsoft Azure IoT Edge laufen.

Diese Art von Partnersch­aft macht deutlich, wie sich die Anbieter mehr und mehr öffnen. Aus Sicht von Microsoft-Chef Nadella besteht die Kunst darin, die Markeniden­tität zu wahren, aber gleichzeit­ig den Status quo ständig neu in Frage zu stellen. Der Kern jeder Transforma­tion sollte seines Erachtens darin liegen, den Bedarf der Kunden zu erkennen und sich danach auszuricht­en.

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