Mobile World Congress
Der digitale Wandel rüttelt klassische Branchen gehörig durcheinander. Das zeigte sich auch auf dem Mobile World Congress in Barcelona, wo Daimler-Chef Dieter Zetsche und Microsofts Satya Nadella kein Blatt vor den Mund nahmen.
Früher ging es in Barcelona nur um Mobile Computing. Heute ist die gesamte Digitalisierung Thema. Ein Überblick.
Wie immer lockten neue Smartphones und Gadgets viele Besucher zum Mobile World Congress (MWC) in Barcelona (siehe auch Seite 12 und 29). Die Vorträge und Diskussionen waren indes von den Herausforderungen durch die digitale Transformation bestimmt, mit denen sich die meisten Unternehmen konfrontiert sehen. Neue Technologien wie das Internet of Things (IoT), künstliche Intelligenz (KI) und 5G entfalten spürbar ihre disruptive Kraft. In einem Talk mit Microsoft-CEO Satya Nadella sagte der scheidende Daimler-Chef Zetsche: „Wir wissen, dass diese Branche in zehn Jahren völlig anders sein wird: Wir werden einige der gleichen Wettbewerber sehen, und wir werden eine Reihe völlig neuer Wettbewerber erleben. Wenn wir weiterhin nur das tun, was wir bisher so gut gemacht haben, sind wir erledigt.“
Aus Sicht des Autobauers durchdringt der Wandel alle Ebenen im Unternehmen. Es gelte, Mitarbeiter an komplett neue Herausforderungen heranzuführen, sie zu sensibilisieren und mit dem Wandel zu beginnen. „Die besten Ideen funktionieren nicht top-down“, räumte Zetsche freimütig ein. „Gerade was das Beispiel Software angeht, sind wir in der Führungsetage die Dümmsten.“
Daimler als reinen Softwareanbieter kann sich Zetsche derzeit allerdings nicht vorstellen. „Solange wir nicht mit Code beamen können, benötigen wir noch eine physikalische Verpackung“, sagte der 65-Jährige Manager und kündigte an, in Zukunft verstärkt Mitarbeiter zu Softwareentwicklern ausbilden zu wollen. Aus Sicht von Microsoft-Chef Nadella liegen die Schwierigkeiten weniger in den technischen Veränderungen. „Der schwere Teil ist der Wechsel des Geschäftsmodells, diese herzzerreißende Erfahrung, wenn du spürst, dass dir langsam das Benzin ausgeht und du etwas Neues erfinden musst, das nicht nur stark sein soll, sondern auch den Umsatzrückgang auffangen muss – das ist der Moment, wo du wirklich Muskeln aufbaust“, sagte der MicrosoftChef, der offensichtlich auf den Wandel Microsofts zur Cloud-Company anspielte.
Durchhaltevermögen ist derzeit vor allem im Bereich Mobility-Services gefragt, wo Daimler und BMW unlängst ihre Car-Sharing-Dienste zusammengeführt hatten und ankündigten, mehr als eine Milliarde Euro in ein Joint Venture zu investieren. Wie Zetsche erklärte, machten Mobility-Services heute aber nur 0,2 Prozent des Marktes aus, alle Marktteilnehmer verlören Geld. Da sich hier aber ein neuer vielversprechender Markt entwickle, der Prognosen zufolge bis 2030 ein Viertel des Geschäfts ausmachen könne, habe man sich gesagt: Augen zu und durch.
Schöne neue Servicewelt
Wie die Zukunft aussehen könnte, deutete sich in Barcelona vielfach an. So stellten HP Enterprise (HPE) und Continental eine Plattform zum Austausch mobiler Daten mit Blockchain-Technik vor. Die „Data Monetization
Platform“ist eine Art Daten-Hub, über den Autohersteller und Fahrzeughalter die Daten eines Fahrzeugs, die vor allem von Sensoren gewonnen werden, für andere bereitstellen können. Beteiligte Hersteller, aber auch Partner sollen diese Daten nutzen. Auf diese Weise, so HPE und Continental, könnten die Anbieter ihre Services auf einer breiteren Datenbasis aufbauen und damit eine höhere Zuverlässigkeit garantieren. Zum einen ermögliche die Plattform neue digitale Mobilitätsdienste, zum anderen unterstütze sie die Autobauer bei der Vermarktung ihrer Fahrzeugdaten und damit bei der Differenzierung ihrer Marke. Den gesicherten und transparenten Austausch der Daten soll die Blockchain-Technik gewährleisten.
Campus-Netze mit 5G-Technik
Osram und die Deutsche Telekom demonstrierten das erste für 5G vorgesehene Campusnetz in Deutschland, das im Osram-Werk Schwabmünchen an den Start ging. Das Campusnetz bietet Mobilfunk in einem abgegrenzten Gebiet und für spezielle Anwendungen. Es kombiniert ein öffentliches und ein privates Netz zu einer gemeinsamen Infrastruktur. Allerdings hat der Pilot einen Schönheitsfehler: Das Netz funkt bisher mit LTE, der 5G-Ausbau soll erst noch folgen. Entsprechend große Pläne hat Osram für die Zukunft: Dann ist der Einsatz der VR-Brille HoloLens (siehe Seite 11) für Maintenance-Aufgaben geplant und fahrerlose Transportsysteme sollen nicht nur in der Halle verkehren, sondern auf dem gesamten Firmengelände.
Accenture stellte auf dem MWC seine Applied Intelligence Platform vor. Unternehmen sollen damit vorkonfigurierte selbstlernende Branchenlösungen anwenden und neue Lösungen entwickeln können, ohne ein fundiertes datenwissenschaftliches Fachwissen zu brauchen. Die Plattform baut auf der Accenture Insights Platform auf und verknüpft die Lösung mit Edge Analytics und Internet-of-Things-(IoT-) Diensten sowie dem Zugriff auf mehr als 350 Datenquellen, die laut Accenture über eine OnDemand-Plattform mit einfach verständlichem Code zugänglich gemacht werden.
Wie das funktioniert, demonstrierte der ITDienstleister anhand eines Chatbots. Per Mausklick lasse sich über eine grafische Benutzeroberfläche eine Bot-App zusammenklicken. Dank der in der Plattform hinterlegten Module und Services können die User dabei einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgen. So können sie je nach Region und Performance einen anderen KI-Anbieter auswählen, also etwa für Deutschland IBM Watson oder Google, wenn die App in Großbritannien benutzt wird. Auch SAP hat sich das Thema intelligentes Unternehmen groß auf die Fahnen geschrieben. Die Walldorfer kündigten die „SAP Leonardo IoT Capabilities“an, laut Anbieter eine „umfassende Technologie, mit der Unternehmen die Digitalisierung für das Industrial Internet of Things (IIoT) und Industrie 4.0 vorantreiben können“. SAP Leonardo IoT biete dazu einen umfassenden Satz von Business-Services und Entwicklungsvorlagen an, die es Kunden und Partnern ermöglichten, die Produktivität zu verbessern, das Kundenerlebnis neu zu definieren und ganze Geschäftsmodelle anzupassen. Außerdem kündigte SAP an, die Integration von Microsofts Azure IoT Hub zu unterstützen und Kunden so mehr Wahlmöglichkeiten bei Anbindung und Geräteverwaltung zu bieten. Module von SAP Leonardo IoT Edge – Essential Business Functions (EBF) – sollen etwa in Containern auf Microsoft Azure IoT Edge laufen.
Diese Art von Partnerschaft macht deutlich, wie sich die Anbieter mehr und mehr öffnen. Aus Sicht von Microsoft-Chef Nadella besteht die Kunst darin, die Markenidentität zu wahren, aber gleichzeitig den Status quo ständig neu in Frage zu stellen. Der Kern jeder Transformation sollte seines Erachtens darin liegen, den Bedarf der Kunden zu erkennen und sich danach auszurichten.