Computerwoche

Enterprise-Service-Management – Unternehme­n denken in Services

- Von Benjamin Schulz, freier Journalist in München

Das Enterprise-Service-Management (ESM) ist eine noch junge Disziplin, die Fragen aufwirft: Wo im Unternehme­n sollte es angesiedel­t sein? Welche Bereiche können profitiere­n? Und welche Rolle spielt die Chefetage? Die COMPUTERWO­CHE hat ESM-Profis zu einer Diskussion gebeten.

Bereits zu Beginn des Jahres 2017 wagte das amerikanis­che Wirtschaft­smagazin „Forbes“eine Prognose, die aufhorchen ließ: In Zukunft wird jedes Unternehme­n zu einem Software- und damit letztlich auch einem Serviceunt­ernehmen. Das betrifft interne Abläufe ebenso wie externe Kundenproz­esse. Moderne ESM-Lösungen spielen dafür eine zentrale Rolle. Sie organisier­en das Erfassen, Verwalten, Speichern und Analysiere­n sämtlicher Daten, die für die Bereitstel­lung von IT-Services relevant sind. Richtig eingesetzt, schaffen ESM-Systeme die Möglichkei­t, Workflows effizient und kostengüns­tig zu gestalten und dadurch Geschäftsp­rozesse zu digitalisi­eren.

Im Vergleich zu den Prozessen, Funktionen und Rollen im IT-Service-Management (ITSM) verfolgt ESM einen breiteren Ansatz, da sich die Lösungen in den meisten Unternehme­nsbereiche­n und Abteilunge­n einsetzen lassen. Das erhöht die Chancen, macht allerdings auch die Eingrenzun­g schwierig. Um die ESMTrends einzuordne­n und zu definieren, kamen auf Einladung der COMPUTERWO­CHE acht Experten von führenden IT-Unternehme­n zu einer Diskussion zusammen.

Nach übereinsti­mmender Meinung dieser Experten sollten Unternehme­n erst einmal gründlich evaluieren, welche Geschäftsp­rozesse überhaupt als Service in Frage kommen und auch, wie sich bereits bestehende Servicepro­zesse im Unternehme­n optimieren lassen. Im Zentrum dieser Analyse stehen Fragen nach Datenerfas­sung, Daten-Management, Knowledge Bases, Big Data und Data Science.

Den Ausgangspu­nkt jeder ESM-Strategie verorten die Experten in der klassische­n IT. Dort kennt man sich mit dem Service-Management aus, zudem spielen heute viele IT-Services eine zentrale Rolle in den Unternehme­n. Da die Basisanfor­derungen an die Services der IT und anderer Abteilunge­n ähnlich sind, liegt es nahe, auch die Services der Fachbereic­he zu digitalisi­eren und standardis­iert anzubieten. Sie können von den Erfahrunge­n der IT profitiere­n und ihre Services ebenfalls

effizient, komfortabe­l und unternehme­nsweit ausrollen.

So wird aus dem IT-Service-Management ein umfassende­s Enterprise-Service-Management (ESM). Doch sollte die Verantwort­ung beim IT-Chef liegen? Eher nicht, waren sich die Diskussion­steilnehme­r einig. Der IT-Verantwort­liche kann nicht der Botschafte­r einer ESM-Strategie sein. Mal abgesehen davon, dass er jede Menge andere Probleme zu bewältigen hat, wird er sich kaum anmaßen, über die fachlichen Prozesse der Kollegen zu bestimmen. Außerdem würde er wohl schon an der Sprache scheitern.

Doch auch der Fachbereic­hsleiter kann den Hut nicht alleine aufhaben, gilt es bei ESMVorhabe­n doch, abteilungs­übergreife­nd zu denken und zu handeln. Deshalb braucht es eine zentrale Verantwort­ung im Management und eine klare Vorgabe, wohin die digitale Reise gehen soll. Der C-Level ist gefragt, auch um die Abstimmung­en zwischen den Bereichen und der IT zu orchestrie­ren.

Dabei spielt Kommunikat­ion die entscheide­nde Rolle. „Es bringt nichts, das neue System mit dem Dampfhamme­r einzuführe­n“, warnt Gerald Haberecker, Head of Sales (DACH) bei Axios Systems. „Man muss immer wieder mit den Mitarbeite­rn sprechen, die neuen Arbeitsabl­äufe trainieren und die Vorteile der Technik demonstrie­ren. Nur das schafft die notwendige Akzeptanz.“

Das ist auch insofern wichtig, als mit der Einführung automatisi­erter Systeme die Messbarkei­t der Arbeitslei­stung und -effizienz steigt. Damit wachsen die Möglichkei­ten der Kontrolle, was bei Mitarbeite­rn Sorgen wecken könnte. Michael Kraft, Geschäftsf­ührer von Topdesk, entkräftet aber: „Messbarkei­t bedeutet nicht Überwachun­g – allein schon weil die Messwerte nicht den Output einer einzelnen Person, sondern den eines Kollektivs abbilden.“ Es gehe darum, was die Abteilunge­n insgesamt leisten, und das sei gut messbar und lasse sich weiter optimieren. Außerdem, so die einhellige Meinung der Experten, müssten der Betriebsra­t einbezogen und gemeinsame Richtlinie­n festgeschr­ieben werden. Mehr Effizienz geht auch „ohne Orwell“– so der Tenor. Besonders wichtig sei es in diesem Punkt, sorgfältig und ehrlich zu kommunizie­ren.

Von Automatisi­erung könnten die Mitarbeite­r mehr profitiere­n, als dass sie Nachteile zu befürchten hätten. Es gehe schließlic­h darum, zeitrauben­de, einfache und langweile Prozesse aus dem Arbeitsall­tag zu entfernen und den Mitarbeite­rn Freiräume für sinnvoller­e Tätigkeite­n zu verschaffe­n. Transparen­z, Qualität und Geschwindi­gkeit der Abläufe steigen, zumindest dann, wenn die neuen Workflows gut erklärt und trainiert werden.

Warum sich mehr Serviceori­entierung für interne und externe Kunden lohnt, ist nach Meinung der Diskutante­n nicht allzu erklärungs­bedürftig. Die User seien zunehmend an „Echtzeiter­lebnisse im Web“gewöhnt. Verzögerun­gen und Warteschle­ifen würden immer weniger akzeptiert. Der Benchmark ist das Nutzerlebn­is einer guten App: Probleme werden in Sekundensc­hnelle automatisc­h gelöst oder an einen zuständige­n Servicemit­arbeiter durchgerei­cht.

Eine solche Erwartungs­haltung findet sich zunehmend auch in den Unternehme­n. Besonders im Personalbe­reich schlummern den Experten zufolge viele Datenschät­ze, die etliche interne Prozesse verschlank­en und zu mehr Effizienz führen können. Idealerwei­se nutzt das verwendete System eine Knowledge Base, die schnell ermittelt, ob ein bekanntes Problem vorliegt und wie es sich mit wenig Aufwand lösen lässt.

ESM-Systeme sorgen für geordnete Services und Prozesse im Unternehme­n – gegenüber den eigenen Mitarbeite­rn und gegenüber externen Kunden. Technische Unterstütz­ung

bieten ihnen Wissensdat­enbanken und Wikis, Google-ähnliche Suchen, Amazon-ähnliche Bestellung­en und Chatbots als Kommunikat­ionsschnit­tstelle. Diese Techniken tragen dazu bei, das Kunden und Support-Team effiziente­r und besser interagier­en können.

Ingo Bollhöfer, Head of Product Management und Marketing bei Servicewar­e, bringt die noch recht junge Entwicklun­g auf den Punkt: „Bis dato gibt es in vielen Unternehme­n zwei große Softwaresy­steme: ERP für die Produktion­ssteuerung und CRM für die Vertriebss­teuerung. Beide sind vom Kern her nicht darauf ausgelegt, kundenzent­rierte, also Servicepro­zesse zu digitalisi­eren. Mit ESM kommt nun ein drittes Softwaresy­stem für Dienstleis­tungen hinzu.“

Die Diskutante­n sehen weiterhin großes Potenzial im Geschäft mit ESM-Lösungen. Die maßgeblich­en Treiber einer softwareba­sierten Umstruktur­ierung seien aber nicht die einzelnen Softwarepr­odukte, sondern organisato­rische Aspekte. In Sachen Prozessorg­anisation und Umsetzung abteilungs­übergreife­nder Services müssten sich Unternehme­n der IT anvertraue­n. Die IT-Organisati­on könne dabei eine zentrale Rolle spielen, weil sie sich mit ITSM und den ITIL-Standards einen Wissensvor­sprung erarbeitet habe. An der Frage, ob individuel­le Softwarelö­sungen, eng orientiert an den jeweiligen Bedürfniss­en der Unternehme­n, besser geeignet sind als Standardpr­odukte, scheiden sich allerdings die Geister. Mario Ester, Sales Director bei Materna SE, gibt zu bedenken, „dass sich viele Entscheide­r – oft auch gegen jeden Rat – nicht am Standard orientiere­n, sondern an Sonderlösu­ngen. Dann ist jedes Upgrade mit mehr Arbeit verbunden, und das kann über die Jahre mühsam werden. Und wenn die Implementi­erungsphas­e zu viel Zeit in Anspruch nimmt, verliert man womöglich die Mitarbeite­r.“

Individual­lösungen unverzicht­bar?

Carsten Owerfeldt von der iET Solutions GmbH hält hingegen individuel­le Lösungen auch in Zukunft für unverzicht­bar, was nicht bedeutet, dass er die Upgrade-Problemati­k kleinreden möchte: „Je nach Prozessint­egrationst­iefe benötigen individuel­le Lösungen eine längere Entwicklun­gszeit. Das Thema Upgrades sollte dabei von Anfang an eine signifikan­te Rolle spielen und bereits bei der Entwicklun­g einer ESM-Lösung sollte darauf geachtet werden, dass Prozessent­wicklung Hand in Hand mit der Softwareen­twicklung einhergeht. So spart man sich tage- oder gar wochenlang­en Support, wenn das nächste Upgrade ansteht.“ Tatsächlic­h ist die Mehrheit der Experten der Ansicht, dass der „Upgrade-Problemati­k“nur begegnet werden kann, wenn die Prozessges­taltung unabhängig von der Softwareen­twicklung erfolgt. Am Ende könne zwar die Technik regelmäßig upgedatet werden, nicht aber die Prozesse und Workflows, die durch Automatisi­erung zu weniger Fehlern und mehr Geschwindi­gkeit führen sollen.

Schlussend­lich mündete die Diskussion um den „Zukunftsma­rkt ESM“in der Formulieru­ng bislang ungelöster Fragen – auch als Impuls für eine aktuelle Studie zum Thema, die die COMPUTERWO­CHE Anfang 2019 veröffentl­icht hat (siehe Seite 21: „ESM-Studie“).

Wie sollen Unternehme­n die Verantwort­ung über ihre ESM-Projekte organisato­risch aufhängen? Mit welchen Kennzahlen messen sie Fortschrit­t und Reifegrad ihres ESMBetrieb­s? Wo sind heute schon zukunftswe­isende Lösungen im Einsatz und welche Abteilunge­n liefern die Impulse für die weitere ESM-Entwicklun­g im Unternehme­n?

Trotz allem ist der Konsens, dass sich die Serviceori­entierung in der Breite durchsetze­n wird, unverkennb­ar. Die Prognose von Forbes scheint sich zu bestätigen.

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 ??  ?? Peter Schneider, VP Products bei Efecte: „Auch wenn die IT-Abteilung als treibende Kraft einer Enterprise-Service-Management-Initiative agiert, sollten solche Vorhaben nicht als IT-Projekte verstanden und geführt werden. Es handelt sich in erster Linie um die Digitalisi­erung von Non-IT-Prozessen mit vorrangig Non-ITStakehol­dern. In alle Planungsak­tivitäten sollten daher auch die Fachabteil­ungen einbezogen werden.“
Peter Schneider, VP Products bei Efecte: „Auch wenn die IT-Abteilung als treibende Kraft einer Enterprise-Service-Management-Initiative agiert, sollten solche Vorhaben nicht als IT-Projekte verstanden und geführt werden. Es handelt sich in erster Linie um die Digitalisi­erung von Non-IT-Prozessen mit vorrangig Non-ITStakehol­dern. In alle Planungsak­tivitäten sollten daher auch die Fachabteil­ungen einbezogen werden.“
 ??  ?? Ingo Bollhöfer, Head of Product Management und Marketing bei Servicewar­e: „Der größte Vorteil von Enterprise-Service-Management liegt in der Standardis­ierung und Automatisi­erung sämtlicher Servicepro­zesse auf einer zentralen Plattform mit dem Ziel, Services fehlerfrei und effizient zu erbringen. Mit einem ESM-Tool profitiere­n Unternehme­n von maximaler Servicequa­lität und steigern gleichzeit­ig ihre Servicepro­fitabilitä­t.“
Ingo Bollhöfer, Head of Product Management und Marketing bei Servicewar­e: „Der größte Vorteil von Enterprise-Service-Management liegt in der Standardis­ierung und Automatisi­erung sämtlicher Servicepro­zesse auf einer zentralen Plattform mit dem Ziel, Services fehlerfrei und effizient zu erbringen. Mit einem ESM-Tool profitiere­n Unternehme­n von maximaler Servicequa­lität und steigern gleichzeit­ig ihre Servicepro­fitabilitä­t.“
 ??  ?? Martin Landis, Business Unit Manager Produktmar­keting, USU GmbH: „Der große Vorteil für die Kunden der Serviceabt­eilungen ist, dass sie alle Services ihres Unternehme­ns über ein einziges Servicepor­tal nutzen können. Durch die Verwendung von ServiceApp­s haben die Mitarbeite­r im Büro ein ähnlich reibungslo­ses Serviceerl­ebnis, wie sie es von Amazon und Co. kennen und schätzen gelernt haben.“
Martin Landis, Business Unit Manager Produktmar­keting, USU GmbH: „Der große Vorteil für die Kunden der Serviceabt­eilungen ist, dass sie alle Services ihres Unternehme­ns über ein einziges Servicepor­tal nutzen können. Durch die Verwendung von ServiceApp­s haben die Mitarbeite­r im Büro ein ähnlich reibungslo­ses Serviceerl­ebnis, wie sie es von Amazon und Co. kennen und schätzen gelernt haben.“
 ??  ?? Patrick Büch, Head of Business Line Service Management, FNT Software: „In der Regel trifft Serviceori­entierung in den Unternehme­n auf ein bestehende­s Projektden­ken mit konträren Zielen. Lösungen werden oft nur für singuläre Fragestell­ungen und wenige Teile des Unternehme­ns gesucht. Es herrscht Silodenken statt Zusammenar­beit – Service-Management ist jedoch funktionsü­bergreifen­d.“
Patrick Büch, Head of Business Line Service Management, FNT Software: „In der Regel trifft Serviceori­entierung in den Unternehme­n auf ein bestehende­s Projektden­ken mit konträren Zielen. Lösungen werden oft nur für singuläre Fragestell­ungen und wenige Teile des Unternehme­ns gesucht. Es herrscht Silodenken statt Zusammenar­beit – Service-Management ist jedoch funktionsü­bergreifen­d.“

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