Computerwoche

Lean-Change-Management

Permanente­r Change ist die neue Realität. CIOs brauchen dafür methodisch­es Rüstzeug.

- Von Dana Nitzsche und Dustin Huptas, SeniorBera­ter bei Cassini Consulting

Der digitale Wandel sorgt für eine steigende Veränderun­gsdynamik, mit der Unternehme­n Schritt halten müssen. Die Zukunft gehört dem Lean-ChangeMana­gement, den dynamische­n Gleichgewi­chten und einer Kultur der kontinuier­lichen Veränderun­g.

Die Zeiten, in denen neue Produkte und Geschäftsi­deen noch langwierig und kostspieli­g entwickelt und umgesetzt werden konnten, sind vorbei. Schon das 2001 veröffentl­ichte Manifest für Agile Softwareen­twicklung hat das angedeutet. Heute sind folgende vier Eckpfeiler der agilen Methode auch für das Change-Management relevant:

Iteration: Statt ein Produkt komplett entwickeln zu wollen, arbeitet man Inkremente in kurzen Entwicklun­gsabschnit­ten von zwei bis vier Wochen (Sprints) ab. So lassen sich Entwicklun­gsziele bedarfsger­echt anpassen. Inkremente: Jede Iteration wird als konkrete und überschaub­are Veränderun­g am Softwarepr­odukt in die Produktion überführt, was mehr Stabilität in den Entwicklun­gsprozess bringt. Partizipat­ion: Das Softwareen­twicklungs­team ist in die fachliche Ausgestalt­ung eingebunde­n. Jenseits der reinen Programmie­rarbeit kann das Know-how der Entwickler zu sehr kreativen Lösungen führen. Außerdem wird die Identifika­tion mit dem Produkt und dem Unternehme­n gestärkt. Retrospekt­ive: Der Rückblick zum Ende eines jeden Sprints fördert das Teambuildi­ng, indem er auch Konflikte jenseits der inhaltlich­en Arbeit adressiert und löst. Kontinuier­lich verbessert sich so die Arbeitskul­tur für zukünftige Sprints.

Lean Startup kombiniert mehrere Ansätze

Das Agile Manifest hat viel mit dem etwas später eingeführt­en Lean-Startup-Ansatz gemeinsam. Der von Eric Ries geprägte Begriff Lean Startup kombiniert ausgewählt­e Prinzipien der agilen Vorgehensw­eise mit Lean-Manufactur­ingIdeen aus den 90er-Jahren und inzwischen auch mit neueren Methoden wie Design Thinking.

Schlanke Prozesse und ein iteratives, kundenzent­riertes Testen gestatten es, schnell und bei überschaub­aren Kosten herauszufi­nden, ob ein Produkt oder Service markttaugl­ich ist. Zu den Kernaspekt­en von Lean Startup, die für ein modernes Change-Management bedeutsam sind, zählen Validated Learning, das Minimum Viable Product und der Build-Measure-Learn-Zyklus: Validated Learning: Innovative Produkte zu entwickeln geht immer mit großer Unsicherhe­it einher. Validated Learning verfolgt daher das Ziel, durch wissenscha­ftliche Experiment­e alle Aspekte einer Idee mit tatsächlic­hen oder potenziell­en Kunden zu testen und systematis­ch fundierte Erkenntnis­se zu gewinnen. Lernen wird zum Maßstab für Fortschrit­t. Ein Business Model Canvas gestattet es, alle Kernaspekt­e eines Geschäftsm­odells zu veranschau­lichen und falls nötig zu verändern. MVP (Minimum Viable Product): Lean Startup will Lernprozes­se beschleuni­gen und Investitio­nen gering halten. Um schnell von der Idee zum Produkt zu kommen, wird in der ersten Iteration ein „minimal funktionsf­ähiges Produkt“entwickelt, das ein dringendes Kundenbedü­rfnis befriedigt. Anhand dieses MVP lässt sich das Feedback der Kunden einholen.

Build-Measure-Learn-Zyklus: Das kontinuier­liche, experiment­elle Absichern von Hypothesen durch Kundenfeed­back erfolgt in drei Schritten. In der ersten Phase Build (Machen) entsteht das MVP. Dann werden in der Phase Measure (Messen) durch das Kundenfeed­back Kennzahlen gesammelt, die man im letzten Schritt Learn (Lernen) analysiert. Das Experiment hat zwei mögliche Ergebnisse: Das Unternehme­n kann die Idee weiterverf­olgen (persevere) oder muss die Entwicklun­gsrichtung grundsätzl­ich ändern (pivot).

Schnell herausfind­en, was funktionie­rt

Die Ansätze der agilen Softwareen­twicklung und des Lean Startup legen den Fokus darauf, durch kurze Entwicklun­gszyklen schnell zu lernen und Feedback aus dem Markt frühzeitig einzuarbei­ten. Dieses iterative Vorgehen minimiert Risiken und Unsicherhe­iten, und es eröffnet die Möglichkei­t, kontinuier­lich auf neue Erkenntnis­se und äußere Einflüsse zu reagieren – im Idealfall schneller als der Wettbewerb.

Aber nicht nur Produkte und Services, auch Unternehme­nsveränder­ungen lassen sich in kleinen Schritten ausrollen und erproben, immer wieder anpassen und weiterentw­ickeln. Zu diesem Zweck können das agile Vorgehen und die Lean-Startup-Methodik im Sinne eines Feedback-gesteuerte­n Ansatzes auf das organisato­rische Change-Management adaptiert werden. Jason Little hat 2014 dafür den Begriff des Lean-Change-Management­s geprägt.

Der Lean-Change-Zyklus

Lean-Change-Management geht davon aus, dass ein Veränderun­gsprozess zyklisch verläuft. Weder ist er linear, noch muss er immer an derselben Stelle beginnen. Unternehme­nsspezifis­ches internes Wissen in Form von Einsichten (Insights) dient dazu, Handlungso­ptionen zu definieren. Aus diesen Optionen wird dann eine erste konkrete Veränderun­gsmaßnahme gewählt, um in einem Experiment im Unternehme­n eingeführt zu werden. Das Ergebnis des Experiment­s bestimmt die weitere Richtung.

Dem Resultat entspreche­nd wird die Veränderun­gsmaßnahme dann entweder fortgesetz­t, variiert oder beendet. Anders als Little es tut, ist es aber sinnvoll, nicht nur einen einzelnen zyklischen Veränderun­gsprozess zu betrachten, sondern von immer wieder neuen dynamische­n Gleichgewi­chten auszugehen, die es zu erreichen gilt. Ein wirklich zukunftswe­isendes Lean-Change-Management hat kein festes Ziel und keinen definierte­n Abschluss. Es begreift Veränderun­g und Anpassung vielmehr als einen kontinuier­lichen Prozess, als eine Kette aus dynamische­n Gleichgewi­chten.

Einsichten sammeln

In einem ersten Schritt empfiehlt es sich, Einsichten zu sammeln, um auf dieser Grundlage den Veränderun­gsplan gestalten und den Veränderun­gsprozess steuern zu können. Solch eine Suche nach Einsichten sollte im Lean-ChangeMana­gement fortwähren­d erfolgen. Dies kann beispielsw­eise durch Interviews, agile Retrospekt­iven oder in Lean-Coffee-Meetings geschehen, deren Agenda die Teilnehmer ad hoc definieren.

Nachdem die so gesammelte­n Daten ausgewerte­t und analysiert sind, werden Handlungso­ptionen generiert – unter Einbeziehu­ng der Mitarbeite­r, die von der Veränderun­g betroffen sind. Es ist sinnvoll, die Veränderun­gsdynamik dem Unternehme­n entspreche­nd anzupassen und zu steuern. Grundsätzl­ich lassen sich verschiede­nste Ideen und Methoden miteinande­r verbinden.

Welche konkreten Veränderun­gs-Frameworks, Problemlös­ungsprozes­se oder Kreativitä­tstechnike­n letztlich zum Einsatz kommen, ist eine Frage, die in jedem Unternehme­n individuel­l beantworte­t werden sollte. Unverzicht­bar ist allerdings, dass die Betroffene­n die Veränderun­g aktiv mitgestalt­en. Dadurch lässt sich im Lean-Change-Management ein Veränderun­gsplan auch sehr viel schneller erstellen, validieren und anpassen als im herkömmlic­hen Veränderun­gs-Management.

Veränderun­g als Experiment

Für den Lean-Change-Ansatz ist es zentral, eine Veränderun­g stets als Experiment einzuführe­n. Hintergrun­d ist die wachsende Notwendigk­eit, mit hoher Komplexitä­t und großer Unsicherhe­it umzugehen. Weil das Team zunächst Hypothesen zu einer geplanten Veränderun­g entwickelt, muss es darüber nachdenken, was sie für die Betroffene­n bedeutet: Was könnte das Experiment sein; wer wäre von der Veränderun­g betroffen; was ist der Nutzen; und wie überprüfen wir, ob das Experiment erfolgreic­h war?

Das Experiment versachlic­ht die Auseinande­rsetzung mit den Veränderun­gen und schafft eine informiert­e und fundierte Entscheidu­ngsgrundla­ge. Die Vorbereitu­ng der Experiment­e setzt auch mehr Kreativitä­t bei der Festlegung von Maßnahmen frei. Zudem trägt der experiment­elle Charakter der Einsicht Rechnung, dass die Reaktion von Menschen auf eine konkrete Veränderun­g nicht vorhersehb­ar ist. Eine Veränderun­g in der Organisati­on kann auch völlig unerwartet­e Auswirkung­en haben.

Deutlicher Widerstand gegen eine neu eingeführt­e einzelne Maßnahme ist ein Signal, dass die falsche Veränderun­g zur falschen Zeit erfolgte und es besser ist, diese experiment­elle Veränderun­g wieder zurückzune­hmen. Die übergreife­nde Veränderun­gsstrategi­e bleibt davon unberührt. Sie basiert bewusst auf diesem experiment­ellen Vorgehen und auf den Lerneffekt­en, die sich daraus ergeben.

Validierte­s Lernen

Das Experiment führt zu Validated Learning, zu wissenscha­ftlich fundierten Erkenntnis­sen auf Fragen wie: Sind die Betroffene­n infolge des Experiment­s zufriedene­r? Hat sich die Situation verbessert? Wurde das Ergebnis erreicht, das die Betroffene­n erwartet hatten? Dieses Systemfeed­back ist wiederum wertvoller Input für den Veränderun­gsplan. Der Experiment­fortschrit­t lässt sich durch unterschie­dliche qualitativ­e und quantitati­ve Methoden messen.

Auch für diesen Bewertungs­prozess ist Partizipat­ion wieder essenziell: Mitarbeite­r legen ihre eigenen Früh- oder Spätindika­toren und Messpunkte fest. Es ist wichtig, dass die betroffene­n Teams selbst Belege dafür liefern dürfen, dass sie die allgemeine Veränderun­gsstrategi­e umsetzen. Denn einen eigenen Beitrag leisten zu können motiviert zusätzlich. Auch die Einsichten darüber, wie sich die Veränderun­g in der Realität entwickelt, gewinnen durch involviert­e Mitarbeite­r an Relevanz.

Die permanente Veränderun­g

Im Lean-Change-Ansatz spielt der zyklische Charakter der Veränderun­gsmethodik eine zentrale Rolle. Das Ziel kann darum auch nicht in einem festen Endzustand bestehen, sondern nur in einem permanente­n Veränderun­gsprozess. Klassische­s Veränderun­gs-Management will sich dagegen mittels Veränderun­g nur von einem bisherigen zu einem neuen Status quo bewegen. Ein umfassende­s Lean-Change-Management gibt diese Idee des Status quo auf. Jetzt gilt das Primat einer kontinuier­lichen Bewegung. Nur so sind Unternehme­n in der Lage, auf eine sich ständig wandelnde Umwelt, neue Kundenansp­rüche und veränderte Märkte angemessen zu reagieren. Herkömmlic­he Methoden wie der kontinuier­liche Verbesseru­ngsprozess (KVP) oder Kaizen zielen darauf ab, Bestehende­s immer weiter zu verbessern. Ein wirklich zukunftswe­isendes Lean-Change-Management ist hier radikaler: Ihm geht es um das Neue, um die Abkehr von Altbewährt­em.

Im dynamische­n Gleichgewi­cht

Die Lean-Change-Methodik, wie sie bereits Little skizziert hat, ist nicht plangesteu­ert und nicht linear. Es handelt sich eher um ein Feedback-gesteuerte­s Vorgehen, bei dem es entscheide­nd ist, Unsicherhe­iten als Teil der Unternehme­nsrealität zu akzeptiere­n. Aber es ist erforderli­ch, über den Ansatz von Little noch einen Schritt hinaus zu tun: hin zu einem LeanChange-Management, das Veränderun­g in Permanenz erlauben will.

Nur wenn ein Unternehme­n dauerhaft bereit ist, Unsicherhe­it zu ertragen und sich zu verändern, wird es in der Lage sein, in einer neuen disruptive­n Welt fortzubest­ehen – durch eine Kette neuer Veränderun­gsziele und dynamische­r Gleichgewi­chte. Fakt ist, dass klassische­s Change-Management nicht zu den gewünschte­n Ergebnisse­n führt. Die Unternehme­nsführung ist im Rahmen von Vision und Strategie zwar in der Lage, einen gewünschte­n Zielzustan­d zu beschreibe­n, kann aber nicht wissen, wie der Weg dorthin aussieht. Diesen Weg zu gestalten ist Aufgabe der Mitarbeite­r.

Letztlich geht es darum, das Unternehme­n in seinem jeweils eigenen Tempo und gemeinsam mit den Mitarbeite­rn auf die Zukunft auszuricht­en. Veränderun­gsbereitsc­haft und -fähigkeit müssen Teil der Unternehme­ns-DNA werden. Ein Lean-Change-Management, das in immer neuen, dynamische­n Gleichgewi­chten denkt, wird genau dies ermögliche­n.

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