Das Ende der Hierarchien
Vielen Führungskräften ist noch nicht klar, dass mit den Millennials ein Wertewandel Einzug gehalten hat. Mit Hierarchien und klassischen Führungsansätzen sind Unternehmensziele nicht mehr zu erreichen.
Vielen Führungskräften ist noch nicht klar, dass mit den Millennials ein Wertewandel Einzug gehalten hat, der einen neuen Führungsstil notwendig macht. Es geht um Authentizität und eine integre Haltung.
Rund ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland besteht mittlerweile aus den sogenannten Millennials, der Generation Y. Heute stellen die etwa 25- bis 39-Jährigen einen großen Anteil genau jener qualifizierten Arbeitskräfte, die der Markt – bedingt durch den demografischen Wandel – besonders umwirbt. Abgeleitet aus dem Englischen (Generation Y wie „why“) ist die Rede von einer Generation der Unentschlossenen, von Menschen, die sich ungern festlegen. Es gibt auch negative Stimmen, die verweichlichte, wenig kritikfähige und allzu fordernde Mitarbeiter ausgemacht haben wollen.
Im Coaching-Alltag ist von älteren Führungskräften und Geschäftsführern zu hören, dass sie die Zusammenarbeit mit Millennials als lästig empfinden. Diese Mitarbeiter wollen demnach viel Zeit für sich, lassen sich mit klassischen Karrierezielen nicht locken und pochen zudem auf Mitbestimmung. Sie hinterfragen Entscheidungen, Hierarchien, Strukturen und Prozesse. Sie fordern Teilzeitmodelle, Home Office und viel Feedback und lassen sich von klassischen Motivatoren nicht locken. Statussymbole haben ihre Wirkung verloren, ebenso die Aussicht auf eine Firmenkarriere.
Viele Manager wollen nicht begreifen, dass das Streben nach Work-Life-Balance und sinnvoller Arbeit kein Zeichen von Arroganz oder mangelndem Interesse am Job ist, sondern dass sich die Auffassung dessen, was Arbeit sein sollte, verändert hat. Die Führungskräfte tun sich schwer zu akzeptieren, dass andere ihren Karrierepfaden nicht folgen wollen.
Mitarbeiter der Generation Y definieren Arbeit neu und bringen ein anderes Wertesystem mit. Sie bejahen Leistung, sehen Arbeit aber nicht mehr als erstrebenswerten Lebensinhalt, sondern schlicht als Weg zum Existenzerhalt. Je besser es Arbeitgebern gelingt, eine Vision vorzugeben und den Sinn der Tätigkeit aufzuzeigen, desto lieber werden die Millennials ihnen folgen. Unternehmen, die solche Rahmenbedingungen schaffen, können sich auf ein motiviertes, gut ausgebildetes und flexibles Team freuen.
Generation Y kommt mit neuem Wertesystem
Wer auf alten Strukturen beharrt, wird den Kürzeren ziehen und muss mit hoher Fluktuation rechnen. Der „Deloitte Millennial Report 2016“prognostiziert, dass zwei Drittel der Berufstätigen zwischen 25 und 35 bis zum Jahr 2020 bereit sind, ihren jetzigen Job hinzuwerfen. Viele tragen sich demnach mit ganz konkreten Kündigungsgedanken.
Die spannende Frage ist: Wie lässt sich ein Team aus Millennials erfolgreich führen und halten? In Gesprächen mit Führungskräften wird immer wieder deutlich, dass die „alte“Art zu führen an ihre Grenzen stößt. Diese Erkenntnis stellt auf unbequeme Weise etablierte Führungsmodelle in Frage. Sie ist aber notwendig, um eine nachhaltige und tiefgreifende Verände
rung zu ermöglichen. Problematisch wird es besonders, wenn in Unternehmen nach außen flache Hierarchien, Kommunikation auf Augenhöhe und ein kooperativer Führungsstil propagiert werden, die Realität im Firmenalltag jedoch anders aussieht: Führung wird stattdessen in Hierarchien gelebt, deren Autorität auf einem Mehr an Erfahrung und Information basiert. Von Mitarbeitern wird erwartet, dass sie folgen. Führung wird daran gemessen, wie gut sie Mitarbeiter „in der Spur“hält. Als Erfolgsnachweis gelten häufig noch die abgeleistete Bürostunden statt der Qualität beendeter Projekte.
Wer jetzt glaubt, dass kosmetische Reparaturen an Arbeitsplatz und Arbeitszeit ausreichten, den muss ich enttäuschen. Halbherzige Zugeständnisse bei Themen wie Home Office oder Präsenzzeiten reichen nicht aus, um zu überzeugen. Der Wertekonflikt reicht tiefer. Für die Generation Y ist der Einklang zwischen der nach außen getragenen Vision und dem gelebten Arbeitsalltag von größter Bedeutung.
Meine Erfahrung als Seriengründer, der selbst zur Generation Y gehört und dessen Teams schon immer mehrheitlich aus Millennials bestanden, zeigt, dass ein unterstützender Führungsstil zu zufriedenen Mitarbeitern und gemeinsamen Erfolgen führt. Die Prinzipien dieses Führens sind vor allem ein wertschätzender Kommunikationsstil sowie das Schaffen einer Arbeitsatmosphäre, in der Probleme offen angesprochen und gemeinsam gelöst werden. Konstruktive Feedback-Kultur ermöglicht Lernen und damit die Chance auf individuelle Weiterentwicklung, die von der Generation Y geschätzt wird.
Warum Führung eine Herausforderung ist
All das klingt in der Theorie einfach und plausibel, in der Praxis kann es jedoch zur Herausforderung werden – besonders wenn die Stressbelastung hoch ist. Jede Führungskraft weiß, wie viel Kraft es kosten kann, Druck nicht weiterzureichen und „auf den Tisch zu hauen“, sondern sich die Verantwortung bewusst zu machen, die an die eigene Position geknüpft ist. Gemeinsames Wachstum erreicht, wer sein Team hinter sich vereint.
Dazu ist es wichtig, achtsam auf die Bedürfnisse und Meinungen der eigenen Mitarbeiter zu hören und dem Team nachvollziehbar mitzuteilen, was für das Projekt oder das Unternehmen wichtig ist und welche Rolle jeder Einzelne spielt. In einer kollaborativen Umgebung, in der Hierarchiestufen fließend sind, entstehen zudem viel eher Innovation und Kreativität als in den hierarchischen Silos der Vergangenheit. Wer mit Haltung führt und an seiner eigenen Rolle im Team arbeitet, wird zum Vorbild. Der so entstehende Respekt ist bedeutend nachhaltiger als der durch Hierarchien geschaffene.
Ich kann nur jedem Management raten, miteinander zu sprechen statt übereinander. Nur mit wertschätzender Kommunikation und der Bereitschaft, als Führungskraft immer weiterzulernen – auch vom eigenen Team –, entsteht ein Arbeitsumfeld, in dem Millennials als Arbeitnehmer und Führungskräfte gleichermaßen ihr Potenzial und Engagement entfalten. Ich muss als Chef das Steuer nicht dauerhaft abgeben, aber bereit sein zuzuhören und damit auch mal anderen das Ruder zu überlassen. Ein Umfeld schaffen mit einer klaren und authentischen Vision am Horizont. Und vor allem muss ich verstehen, dass mein Team und ich im selben Boot sitzen. Dabei darf auch ich Fehler machen und diese eingestehen. Authentizität und eine integre Haltung sind als Chef für die Generation Y wichtiger als eine perfekte Performance.