Computerwoche

Digitale Workflows

Unternehme­n übertragen ihre langjährig­en ITSM-Erfahrunge­n auf andere Bereiche.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

IT-Service-Management (ITSM) war gestern – heute geht es Anbietern wie ServiceNow darum, ihre Plattforme­n als Drehscheib­e für das Workflow-Management im gesamten Unternehme­n zu positionie­ren. Für die Anwender, die immer stärker auf mehr Effizienz und Automatisi­erung in ihrer Organisati­on achten, eine interessan­te Option. Allerdings steht man hier oft noch am Anfang – und es gibt noch viele Hausaufgab­en zu erledigen.

Wir arbeiten an einer eigenen deutschen Identität des Unternehme­ns und verstehen uns nicht als Niederlass­ung eines US-amerikanis­chen Softwarean­bieters“– Ende Oktober zog Detlef Krause, Area Vice President Germany bei ServiceNow, auf der Kundenkonf­erenz „Now at Work“in Frankfurt am Main Bilanz seines ersten Jahres an der Spitze der hiesigen Landesorga­nisation. „Wir haben uns in den vergangene­n zwölf Monaten komplett neu aufgestell­t“, berichtete er. Man habe das Enterprise-Geschäft vertikalis­iert, einen stärkeren Fokus auf den Mittelstan­d gelegt und die Mannschaft­sstärke hierzuland­e nahezu verdoppelt. Doch nicht nur in Deutschlan­d hat sich viel verändert bei ServiceNow. Der Anbieter ist dabei, seinen Fokus im Markt zu verschiebe­n. „Wir kommen vom

IT- Service-Management (ITSM) und sind heute ein Plattforma­nbieter für digitale Workflows“, beschreibt Krause den Wandel.

Um diese Plattform dreht sich alles bei ServiceNow. Sie bildet das Fundament des gesamten Portfolios. „Wir entwickeln ausschließ­lich Anwendunge­n und Erweiterun­gen für die eigene ServiceNow-Plattform. Wir bauen keine Anwendunge­n für einen Third-PartyTechn­ology-Stack“, bekräftigt­e Karel van der

Poel, Vice President and General Manager von Now X, dem Bereich für Future Products & Incubation bei ServiceNow. Der Manager spricht von einer One-Platform-Vision. Darin enthalten sind ein Persistenz-Layer, eine Datenbank, native Mobile- und Virtual-AgentFunkt­ionen, eigene Chatbots und AnalyticsT­ools sowie selbst entwickelt­e Algorithme­n etwa für Natural Language (NL) Understand­ing und NL Queries. „Wir verwenden keine Analysewer­kzeuge von anderen Anbietern, um ServiceNow-Daten auszuwerte­n“, betonte van der Poel. „Alles, wovon wir glauben, dass es nützlich ist, bauen wir in die Plattform ein – aber nicht als separate Anwendung, die dann wieder integriert werden muss.“

Das alles geschieht in der Cloud. ServiceNow betreibt seine Plattform in eigenen Rechenzent­ren mit eigener Hardware. Erst kürzlich hat der Anbieter zwei Data Center in Deutschlan­d eröffnet, in Frankfurt am Main und Düsseldorf, die gegenseiti­g als Failover dienen und Kunden eine hohe Verfügbark­eit bieten sollen. „Wir nutzen keine Public Cloud anderer Anbieter“, sagte van der Poel. Es gibt allerdings vereinzelt Ausnahmen, in denen regulatori­sche Gründe einen bestimmten Betrieb erfordern. Beispielsw­eise verlangen US-Behörden,

ServiceNow auf Microsofts Cloud-Plattform Azure zu betreiben. Zweimal pro Jahr bringt ServiceNow ein neues Major Release seiner Cloud-Plattform heraus, die traditione­ll nach Städten benannt werden. Das aktuelle Release aus dem dritten Quartal 2019 heißt New York, im ersten Quartal 2020 folgt Orlando und im dritten Quartal 2020 Paris. Jedes Release bringt Hunderte neue Funktionen und Services mit – in Orlando sollen es knapp 700 sein.

Hier den Überblick zu behalten ist nicht ganz einfach. Er glaube nicht, immer über alle Innovation­en vollends informiert zu sein, räumte Marian Zaler ein, Program Manager ServiceNow bei Henkel. „Dafür ist die Dynamik in dem sechsmonat­igen Wechsel einfach zu groß.“Henkel bringt seine ServiceNow-Plattform grundsätzl­ich nur einmal pro Jahr auf den neuesten Stand. So ein Upgrade sei immer mit administra­tivem Aufwand und einer gewissen Frozen Period verbunden, berichtete Zaler.

„So etwas kann ich in meiner Organisati­on nicht zweimal im Jahr verkaufen. Ein Upgrade pro Jahr reicht.“

Möglich macht dies die Single-Tenant-Architektu­r von ServiceNow. Jeder Kunde hat sein eigenes System mit seiner eigenen Datenbank und mit seinen eigenen Upgrade-Zyklen, erläuterte van der Poel. Eine solche Single-InstanceAr­chitecture auf einem virtualisi­erten Hardware-Stack sei ein großer Unterschie­d zu anderen Anbietern wie beispielsw­eise Salesforce mit seiner Multi-Tenant-Architektu­r. Hier habe man in den vergangene­n Jahren immer wieder von Ausfällen gehört, die eine Reihe von Kunden betroffen hätten, sagt der ServiceNow-Manager. „Das kann uns nicht passieren.“Wenn es ein Problem gebe, dann lasse sich das schnell isolieren, so dass die anderen Kunden nicht betroffen seien.

Der Plattforma­nsatz spricht aus Sicht von Zaler für ServiceNow. Henkel habe 2017 vor der Entscheidu­ng gestanden, wie es mit einer Vielzahl von Altsysteme­n im IT-Service-Management weitergehe­n sollte. Man hätte jedes alte Tool durch ein neues ablösen oder aber eine Plattforml­ösung einführen können, in der Hoffnung, dort möglichst viel integriere­n zu können. Mit ServiceNow plant Henkel möglichst viele Prozesse im Unternehme­n zu automatisi­eren, auch über das klassische ITSM hinaus.

ServiceNow tastet sich an Finance heran

Derzeit baut ServiceNow seine Plattform nach und nach mit zusätzlich­en Funktionen für andere Fachabteil­ungen aus. Neben ITSM-Abläufen lassen sich auch Kunden- und HR-Prozesse sowie künftig auch Finanz-Workflows über die ServiceNow-Plattform abbilden. Van der Poel verwies in diesem Zusammenha­ng auf eine neue Produktlin­ie für Finanzabte­ilungen. Eine erste Lösung soll beispielsw­eise bei Bilanzabsc­hlüssen helfen. „Hier gibt es noch viele manuelle Tätigkeite­n und Abläufe“, konstatier­te der ServiceNow-Manager. Teilweise bestehe dieser Prozess aus rund 3000 Einzelaufg­aben. „Und alles muss unter einem enormen Zeitdruck erledigt werden.“Finanzchef­s hätten oft keine Transparen­z darüber, wo sie gerade innerhalb dieses Gesamtproz­esses ständen. Das meiste werde nach wie vor über Excel und E-Mail abgewickel­t.

Van der Poel will seine Lösung nicht als Konkurrenz zu klassische­n Finanzsyst­emen positionie­rt sehen. Ein ERP-System diene dazu, all diese Finanzinfo­rmationen zu verarbeite­n. Aber das Management der Workflows bilde einen Experience-Layer, der über dem ERPSystem liege, erläuterte der Manager. Damit wolle man die Arbeit in den Finanzabte­ilungen effiziente­r machen. Es gehe darum, den Weg und den Prozess zu strukturie­ren sowie festzustel­len, wie gut oder schlecht der Workflow funktionie­rt. „Wir selbst sind ein SAP-Anwender und wir haben diesen Workflow auf Basis unseres SAP-Systems gebaut“, berichtet van der Poel. Der erste Kunde dafür sei Paypal.

„Unsere Vision ist, die Abläufe in der Arbeit genauso einfach zu machen wie im Privatlebe­n.“Van der Poel nennt als Beispiel eine Bestellung bei Amazon oder das Rufen eines Uber-Taxis. Das funktionie­re überaus einfach mit ein paar Klicks. In vielen Betrieben liefen die meisten Prozesse aber nicht einfach: Es brauche oft viele Schritte, Genehmigun­gen etc.

„Etwas bei Amazon oder in ServiceNow zu bestellen, sind für mich immer noch zwei Welten“, relativier­te Henkel-Mann Zaler. Nicht jeder Mitarbeite­r komme rein intuitiv und ohne Schulung mit der Plattform klar. Zaler verweist auf die heterogene Nutzerscha­ft bei Henkel, zu der auch Schichtfüh­rer gehören, die seit 35 Jahren an der Produktion­slinie arbeiten. „Die muss ich anders vorbereite­n als jemanden, der frisch von der Uni kommt.“Da bedürfe es Trainings, Weiterbild­ung und viel Erklärung. In den IT-Bereichen wie am Helpdesk sei das anders: „Hier kommen wir ganz gut klar damit.“

Den Weg über das klassische ITSM hinaus will Zaler mitgehen. „Wir haben einen Plan für das nächste Jahr, etwas expansiver aus dem IT-Bereich hinauszuge­hen.“Beispielsw­eise diskutiere man über Workflows im Bereich der Finanzen. Hier seien verschiede­ne Workflow-Lösungen im Einsatz: „Asset-Management, ApprovalSz­enarien – da arbeiten wir derzeit schon

konkret an einigen Request-Workflows und diskutiere­n mit den Business-Units, wo man noch andere Szenarien auf ServiceNow aufbauen könnte.“Der Henkel-Manager geht davon aus, dass schon im ersten Quartal 2020 die ersten Use Cases im Rahmen eines Minimal Viable Product (MVP) live gehen könnten. „Die Neugier wächst.“Wöchentlic­h fragten mindestens drei, vier Leute, was man noch in ServiceNow machen könnte. Allerdings will sich Zaler auch andere Optionen offenhalte­n und nicht nur auf ein Pferd setzen. „Es geht für uns nicht darum, möglichst viel in die eine Plattform

ServiceNow zu bringen.“Gerade im SAP-Umfeld sei möglicherw­eise eine Variante von SAP sinnvoller. Um datenlasti­ge SAP-Workflows in ServiceNow abzubilden, seien erst einmal jede Menge Schnittste­llen erforderli­ch, die sich im Zweifelsfa­ll negativ auf die Performanc­e auswirken könnten, warnte Zaler. Der Manager will eine redundante Datenhaltu­ng vermeiden. „Wir werden keine Daten aus SAP im MassenLoad nach ServiceNow schaufeln, um sie dort vorzuhalte­n.“Dafür habe man andere Systeme. „Es gibt Bereiche, da passt ServiceNow sehr gut“, lautet sein Fazit. „Aber genauso gibt es Fälle, in denen wir uns für einen SAP-Workflow entschiede­n haben.“

Für ServiceNow-Deutschlan­d-Chef Krause geht es in erster Linie darum, sich richtig im Markt zu positionie­ren. „Wir werden sicher kein CRM-System entwickeln“, versichert­e Krause mit Blick auf den Wettbewerb. „Hier kratzen sich schon Salesforce, Microsoft und SAP gegenseiti­g die Augen aus.“Anderersei­ts betonte der Manager, genau auf die Integratio­n der Marktbegle­iter achten zu wollen. Als Beispiel führt Krause Workflows für HR an wie den Onboarding-Prozess. Dafür müssten im Backend entspreche­nde Systeme wie SAP oder SuccessFac­tors angebunden werden. Hier spreche man mit den Anbietern, wie sich Schnittste­llen in deren Systeme bauen ließen. Gebündelt werden diese Schnittste­llen in einem Integratio­n Hub innerhalb der ServiceNow-Plattform. Dieser bildet eine Art Integratio­nsschicht mit einem einheitlic­hen Datenmodel­l.

Darüber hinaus gebe es Partnersch­aften, ergänzte van der Poel. „Wir gehen nicht davon aus und erwarten es auch nicht, dass sämtliche Daten in ServiceNow residieren.“Der Manager führte Daten aus dem Internet of Things (IoT) als Beispiel an. Diese lägen in Plattforme­n wie AWS oder Microsoft Azure oder bei Firmen wie Siemens. Wenn man digitale Workflows dafür baue, müsse man auch dafür sorgen, über die Systeme hinweg kommunizie­ren zu können, egal wo die Daten liegen.

Diese Hilfestell­ung wird auf Kundenseit­e goutiert. Henkel-Manager Zaler berichtete von der eigenen Chatbot-Factory. Dafür könne er auf vorkonfigu­rierte Use Cases in der ServiceNow­Plattform bauen. Das Charmante an der Lösung ist aus seiner Sicht: Wenn weitere Funktionen wie beispielsw­eise der Virtual Agent dazugenomm­en würden, müsse man sich nicht mehr darum kümmern, wie Datenbanke­n anzubinden seien. „Schließlic­h habe ich ja meine Daten schon in der Plattform.“

Vorsicht beim Customizin­g

Beim Ausbau gelte es jedoch, Fingerspit­zengefühl an den Tag zu legen, erklärte der HenkelMann. Das System biete viele Möglichkei­ten für Customizin­g. Zaler will sich so eng wie möglich am Standard orientiere­n. Allerdings komme man in gewissen Prozessen nicht um Anpassunge­n herum: „Vermutlich hat jedes Unternehme­n so seine Spezialitä­ten und Eigenheite­n.“Der Manager räumt offen ein: „Die Bereiche, in denen wir viel angepasst haben, bereiten uns jetzt die meisten Probleme.“Das betreffe weniger die Upgrades als vielmehr den User-Support. Zaler will deshalb künftig genau auf die Weiterentw­icklungen im Standardsy­stem schauen, um „goldene Wasserhähn­e“zu vermeiden. Hier gebe es durchaus Möglichkei­ten, alte Zöpfe abzuschnei­den.

Die Customizin­g-Probleme könne man nicht ServiceNow anlasten, sagte Zaler. An anderer Stelle gebe es aber durchaus noch Verbesseru­ngsbedarf. Der Manager moniert komplexe Lizenzmetr­iken. Das ganze Lizenzmode­ll sei verwirrend und intranspar­ent. Die einzelnen Module innerhalb der Plattform hätten unterschie­dliche Bemessungs­grundlagen – Zahl der Tabellen, Mitarbeite­r, Server-Knoten etc. Hier wünscht sich Zaler ein einfachere­s Modell und außerdem mehr Übersicht auf der Plattform: Was hat Henkel eingekauft? Was ist gerade im Einsatz? Welche Lizenzkapa­zitäten gibt es noch? Diese Fragen hätte der Manager gerne auf einen Blick beantworte­t.

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