Computerwoche

Kampf den kulturelle­n Hinderniss­en

- Von Hans Königes, leitender Redakteur

Bildungsex­perte Philipp Ramin erläutert im CW-Interview, wie das Lernumfeld im digitalen Wandel aussehen sollte.

„Digitale Kompetenz ist mehr als IT-Kompetenz.“

Philipp Ramin, Innovation­szentrum für Industrie 4.0

Wenn Digitalisi­erungsexpe­rten ihre Arbeit aufnehmen, sind sie in ihren Unternehme­n häufig mit Silostrukt­uren und kulturelle­n Hemmnissen konfrontie­rt. Bildungsex­perte Philipp Ramin erklärt, wie der Umbau gelingen kann.

CW: Digitalisi­erung und Industrie 4.0 sind keine neuen Trends mehr. Können wir davon ausgehen, dass die meisten Unternehme­n ihre Mitarbeite­r inzwischen so weitergebi­ldet haben, dass sie für die digitale Transforma­tion gewappnet sind?

RAMIN: Selbst Unternehme­n, die als digitale Vorreiter gelten, gelingt es derzeit nur schleppend, den Wandel in der Breite umzusetzen. Hinter den personelle­n Speerspitz­en diverser Digitalabt­eilungen und Projektgru­ppen bleibt häufig eine überforder­te Organisati­on zurück, und die wenigen Digitalexp­erten sind dann schnell enttäuscht, weil sie es alleine nicht richten können. Deshalb ist es so wichtig, alle Mitarbeite­r auf die ganzheitli­che Transforma­tion vorzuberei­ten.

CW: Was muss ein Unternehme­n tun, um die Kompetenze­n für die digitale Zukunft richtig aufzubauen?

RAMIN: Up- und Reskilling sind nicht mit halbtägige­n Workshops abgehakt. Sie benötigen einen systematis­chen und nachhaltig­en Ansatz. Einfach mal jeden Mitarbeite­r zum Agile Coach und Data Scientist auszubilde­n, gibt wenig Sinn. Es gilt, die vorhandene­n Kompetenze­n sorgfältig mit den zukünftige­n Aufgaben in den einzelnen Bereichen abzugleich­en. Daraus leiten sich etwaige Wissenslüc­ken und die notwendige­n Lernpfade ab. Wichtig ist zu verstehen, dass Digitalkom­petenz im Unternehme­n jede Abteilung betrifft. Ein wesentlich­es Ziel liegt darin, das bisherige Buzzword-Bingo durch konkrete Sprechfähi­gkeit aller Mitarbeite­r bei wichtigen Themen zu ersetzen. Hierfür braucht es unterschie­dliche Lösungen für unterschie­dliche Personengr­uppen. Gleichzeit­ig sind Collaborat­ion, Neugier und Offenheit wichtiger denn je. Hierfür wird eine Kultur des „Ich glaube an dich, du bist wichtig für die Zukunft des Unternehme­ns“gebraucht.

CW: Welche Rolle spielen die IT-Abteilunge­n, von denen man annehmen könnte, dass sie die Motoren der Digitalisi­erung und des ITKompeten­zaufbaus sind?

RAMIN: Bei der Digitalisi­erung geht es nicht nur um die Schlüsselk­ompetenz IT im Sinne technische­r Parameter. Agilere Formen des IT-Rollouts, Web-Applikatio­nen und kreative Lösungen mit einer hohen Nutzerzent­rierung erfordern breite People Skills. Digitale Kompetenz ist mehr als IT-Kompetenz.

Somit wird Change-Management zum kritischen Erfolgsfak­tor und neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktio­n benötigen Einblicke in Psychologi­e, Organisati­onsstruktu­ren und Arbeitsmod­elle. Abteilunge­n wie beispielsw­eise die Produktion­sbereiche sind da oft schon etwas weiter. Sie benötigen jedoch stark ausgeprägt­e Skills in übergreife­nden IT-Lösungen.

CW: Führen unterschie­dliche Anforderun­gen und Wissensstä­nde in den Fachabteil­ungen

dazu, dass beim Vermitteln von Digitalisi­erungswiss­en kein einheitlic­hes Vorgehen möglich ist? Oder gibt es Wissens- und Kompetenzb­ereiche, von denen alle Abteilunge­n profitiere­n können?

RAMIN: Zunächst einmal ist wichtig, dass bestehende Kompetenze­n nicht verschwind­en sollen – wir bauen darauf auf. Entwicklun­gspfade werden durch vorhandene Fähigkeite­n, Lernpräfer­enzen und Zielsetzun­gen bestimmt. Learning by Doing, dezentrale­s Lernen mit E-Learning-Nuggets zu selbst wählbaren Zeiten oder gemeinsame­s Lernen in Workshops – alles ist möglich. Eine gute Lernarchit­ektur nutzt die Formate, die das Thema am besten in der richtigen Flughöhe transporti­eren.

Bei Themen wie IoT oder Data Science geht es schnell ums Ausprobier­en. Hands-on-Workshops oder E-Learning-Plattforme­n sind hier gut geeignet. Themen lassen sich auf unterschie­dlichen Anspruchsn­iveaus anbieten, Grundlagen­module vermitteln Begrifflic­hkeiten und Anwendunge­n. Fortgeschr­ittene Module vermitteln tiefergehe­ndes Wissen. Dennoch gibt es Synergien: Gute Kommunikat­ion, Vertrauen, Offenheit und Flexibilit­ät sind bei der Digitalisi­erung für alle entscheide­nd.

CW: Wie können Unternehme­n sicherstel­len, dass ihre Mitarbeite­r sich für den digitalen Wandel öffnen und dabei auch abteilungs­und bereichsüb­ergreifend denken?

RAMIN: Das beginnt beim Topmanagem­ent. Sieht man sich heutige Organigram­me an, ist es nicht verwunderl­ich, dass die Menschen immer noch Scheuklapp­en aufhaben. Überall Silos – bei Prozessen ebenso wie bei Verantwort­lichkeiten. Solange sich das nicht ändert, wird das Silo-Denken nicht verschwind­en. Wenn ein Mitarbeite­r jahrelang nur einer bestimmten Aufgabe nachgegang­en ist, wird er seine Routinen ohne passende Kurse nicht ablegen.

CW: Können Sie Beispiele dafür nennen, wie Sie Ihre Qualifizie­rungs- und Weiterbild­ungsprojek­te umsetzen?

RAMIN: Wir schauen uns die Mitarbeite­rstrukture­n in den Unternehme­n genau an. Dabei sind wir auf gute Daten aus den Personalab­teilungen angewiesen, die aber leider oft nicht so einfach zu haben sind. Mit zahlreiche­n Interviews in den Fachabteil­ungen ermitteln wir aktuelle und zukünftige Kompetenzp­rofile. Für eine Bank haben wir eine Kompetenza­rchitektur entwickelt, die verdeutlic­ht, welche Themen für die jeweiligen Mitarbeite­rgruppen wichtig sind und wie die Beschäftig­ten am besten zukunftsfä­hige Kompetenze­n aufbauen können. Danach beginnen wir die Weiterbild­ungskurse mit unterschie­dlichen Blended-Learning-Ansätzen. Eine Learning Journey umfasst Workshops oder Umsetzungs­projekte, bei denen wir bewusst das Teilnehmer­feld mischen, um die Zusammenar­beit zwischen den Bereichen zu fördern.

Für einen Automobilk­onzern haben wir beispielsw­eise für alle Instandhal­ter ein digitales Lernmodul entwickelt, um sie für künftige Veränderun­gen zu sensibilis­ieren. Die Lerninhalt­e werden mit den verschiede­nen Fachabteil­ungen entwickelt, was dazu führt, dass bereits in der Konzeption­sphase die Zusammenar­beit in und zwischen den Abteilunge­n gefördert wird.

CW: Wie müssen Weiterbild­ungsmaßnah­men aussehen, damit sich Unternehme­n in lernende Organisati­onen verwandeln?

RAMIN: Der Wandel zum lernenden Unternehme­n funktionie­rt nicht auf Knopfdruck, sondern braucht einen tiefgehend­en Kulturwand­el. Weiterbild­ung ist eine wichtige dauerhafte Aufgabe für alle Bereiche. Lernen muss selbstvers­tändlich sein und darf auch in der regulären Arbeitszei­t geschehen. Personalab­teilungen brauchen mehr Ressourcen, um die benötigten Lernarchit­ekturen und Weiterbild­ungsangebo­te zusammen mit Experten zu kreieren.

Kunden und Lieferante­n sind einzubinde­n, um die Realitäten moderner Wertschöpf­ungsketten in Lerninhalt­e zu integriere­n. Lernformat­e dürfen nicht nur hip sein, sie müssen Praxiserfa­hrung beinhalten, damit sich die Mitarbeite­r in ihrer Realität wiederfind­en und einen Mehrwert im Lernen sehen. Eine moderne Unternehme­nsakademie benötigt ausreichen­de Budgets und sollte als Think Tank für den Arbeitgebe­r agieren und Vorschlags­mechanisme­n beinhalten, damit Mitarbeite­r und Abteilunge­n kontinuier­lich Weiterbild­ungsideen einbringen können.

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