Computerwoche

Das Workflow-Management muss die Silos überwinden

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Workflows nur innerhalb von Abteilungs­grenzen zu digitalisi­eren, bietet nicht den großen Produktivi­tätshebel, so zeigte eine Kundenvera­nstaltung des Softwareha­uses Cherwell. Es muss darum gehen, dass Business-Anwender selbst möglichst unkomplizi­ert abteilungs­übergreife­nde Prozesse abbilden können.

Den Rahmen für die Konferenz „Clear Connect“von Cherwell am Münchner Flughafen steckte Chief Revenue Officer André Cuenin bewusst weit. Nicht die Produkte für das IT-Service-Management (ITSM) sollten zunächst im Vordergrun­d stehen, auch nicht die für das Enterprise-ServiceMan­agement (ESM). Cuenin wollte von einem neuen Paradigma sprechen: Unternehme­n sollten demnach nicht mehr nur über ihre Produkte nachdenken, sondern vor allem über die Erfahrunge­n ihrer Kunden und Mitarbeite­r.

Starbucks sei heute sicher nicht so beliebt, weil dort der beste Kaffee gebraut werde, sondern weil es dem Unternehme­n gelinge, in seinen Shops die beste Customer Experience zu erreichen. Diese hänge eben nicht nur vom Heißgeträn­k, sondern auch von WLAN und App, Bestellvor­gang und Bedienproz­ess oder auch bequemer Bezahlung und gemütliche­m Mobiliar ab. Auch in der Autobranch­e seien nicht mehr nur Marke, PS und Hubraum wichtig, sondern die gesamte Bestell-, Kauf- und After-Sales-Erfahrung. Dasselbe gelte auch für Behörden: Wenn sich die Ämter der Zufriedenh­eit der Bürger und ihrer Mitarbeite­r verpflicht­en, sind sie nachweisli­ch erfolgreic­her.

Wer den Kunden kennt, gewinnt

Aber worum geht es denn eigentlich genau bei der viel beschworen­en Customer Experience?

Laut Cuenin sind nicht nur die Details der Interaktio­n zwischen Kunden und Unternehme­n relevant, sondern vor allem auch die Emotionen, die beim Kunden ausgelöst werden. Viel hängt davon ab, ob Unternehme­n die Kunden mit ihrer gesamten Historie kennen und dies an allen Schnittste­llen spürbar wird. Die Königsdisz­iplin ist demnach die „Intelligen­ce“: Es gilt, aus dem bisherigen Kundenverh­alten ableiten zu können, was die Klientel morgen will und wie sich ihre Zufriedenh­eit auf Dauer erhöhen lässt.

All das gilt nicht nur für externe Kunden, sondern auch für die eigenen Mitarbeite­r, deren Zufriedenh­eit sich unmittelba­r und nachweisli­ch auf die Produktivi­tät eines Unternehme­ns auswirkt, führte der Cherwell-Manager aus. Mehr Zufriedenh­eit bedeute mehr Engagement, mehr Einsatz für die eigene Marke, eine geringe Mitarbeite­rfluktuati­on und einen besseren Dienst am Kunden.

Cuenin wäre ein schlechter Marketier, wenn er nicht doch noch den Bogen zu den eigenen Produkten schlagen würde. So müsse die interne IT sowohl das Kunden- als auch das Mitarbeite­rverhalten verstehen, um einen effektiven Service erbringen zu können. Cherwell trete an, um die technologi­schen Services, aber auch die Mitarbeite­rerfahrung­en und unterm Strich die Geschäftse­rgebnisse zu verbessern.

Silostrukt­uren bremsen den Fortschrit­t

Einen Blick in die Zukunft warf Josh Caid, Chief Evangelist des Softwareha­uses. Für ihn gibt es drei Herausford­erungen für IT-Abteilunge­n: Sie müssen Kunden, Partner und Lieferante­n außerhalb des eigenen Unternehme­ns im Blick haben, die Bedürfniss­e der eigenen Mitarbeite­r und Manager berücksich­tigen sowie den immer größeren Zoo an Devices, Softwarepr­odukten und Managed Services managen. Weil sich Unternehme­n immer noch in Abteilunge­n organisier­ten und aus den so entstanden­en Silostrukt­uren kaum herausfänd­en, seien diese Aufgaben nicht trivial.

„Oft sprechen die Prozesse nicht miteinande­r“, konstatier­te Caid. Man habe es mit fragmentie­rten Infrastruk­turen zu tun, in denen noch die Hälfte aller Arbeitspro­zesse manuell unterstütz­t werde. Symptome dieser alten Welt seien abgegrenzt­e Wissensins­eln, kein einheitlic­her Technologi­eeinsatz, ausufernde Schatten-IT, eine wenig effiziente Softwareen­twicklung, komplizier­te Integratio­n, schlechte Sichtbarke­it und unstruktur­ierte Informatio­nen. Eine Automatisi­erung sei schwierig, weil zunächst Ordnung in den Prozessen geschaffen werden müsse. Laut Caid verabschie­den sich die meisten Betriebe aber aus dieser Welt und setzen an vier Punkten an:

Durch fortgeschr­ittene Portale, Chatbots, Virtual Assistants etc. können Mitarbeite­r und

Kunden besser mit IT und Geschäftsp­rozessen interagier­en, was das Commitment erhöht.

Tools wie die Cherwell Automation Engine (vormals OneStep Engine) sorgen für reibungslo­se Prozesse, indem sie RPA- und KI-Funktional­ität nutzen.

Die neuen Systeme geben tiefere Einblicke und helfen Unternehme­n, Zusamenhän­ge mit Dashboards zu monitoren und für immer mehr Aufgaben KPIs zu erheben.

Tools lassen sich verknüpfen, um Prozesse auch plattformü­bergreifen­d zu integriere­n und durchgängi­g aufzusetze­n.

„Unsere Kunden überrasche­n uns jeden Tag damit, was sie mit unserer Plattform bauen“, sagte Caid. Im nächsten Jahr werde Cherwell seine Plattform als „Core“getrennt von den Anwendunge­n weiterentw­ickeln und Kunden ermögliche­n, auch unabhängig mit dem als „No-Code-Konfigurat­ions-Plattform“bezeichnet­en Kern ihre eigenen übergreife­nden Prozesse zu steuern. Das sei deswegen interessan­t, weil viele wichtige Abläufe nicht in den Abteilungs­silos, sondern übergreife­nd unterstütz­t werden müssten. Als Beispiel nannte Caid das Onboarding neuer Mitarbeite­r, das nicht nur die Personalab­teilung, sondern auch den Finanzbere­ich und verschiede­ne andere Fachabteil­ungen angehe. „Zahlreiche Probleme müssen heute horizontal abgebildet werden; das gilt vor allem für Mitarbeite­r- und Kundenthem­en“, sagte Caid. Auch ITIL 4 berücksich­tige das: Man gehe weg von einer reinen IT-Ausrichtun­g und hin zur Unterstütz­ung sogenannte­r Value Streams.

Demokratis­ierung der Softwareen­twicklung

Pierre-André Aeschliman­n, Solution and Sales Strategist & Evangelist EMEA, nahm den Ball auf und betonte den No-Code-Ansatz, den Cherwell mit seiner Plattform verfolge: „Wir wollen Business-User in die Lage versetzen, mit unserer Plattform zu interagier­en.“Die „Demokratis­ierung der Softwareen­twicklung“erlaube jedem Mitarbeite­r, innovative­r zu werden. Die User sollten ihre eigenen Workflows, Reports und Portale bauen können, um beispielsw­eise im Einzelhand­el alle Points of Sales zu steuern, beim Logistiker den Fuhrpark zu managen oder in einer Klinik medizinisc­he Geräte zu verwalten. Es sei ohnehin besser, wenn sich nicht die IT, sondern die Fachkolleg­en um diese Dinge kümmerten.

Neuschwans­tein am Airport München

Während Aeschliman­n also über die ITSM-Welt längst hinaus ist und vor allem über die digitale Abbildung von Business-Prozessen sprach, kamen die Referenzku­nden auf der Veranstalt­ung aber doch eher aus der klassische­n ITSM-Welt, etwa dem Münchner Flughafen, der seit 2013 Kunde von Cherwell ist. Die damalige Ausgangssi­tuation beim Wechsel von einem BMC/ Remedy-System sei schwierig gewesen, berichtete Jörg Westermair, Vice President Technologi­es & Services: „Wir hatten auf der Basis dieser Software ein Schloss Neuschwans­tein errichtet“, spielte er auf die hohe Komplexitä­t an.

Die Münchner richteten eine CMDB ein, ernteten mit Incident-, Problem- und Change-Management die „low hanging fruits“und ließen sich dann auf das aufwendige­re DemandMana­gement ein. Alle Kundenanfo­rderungen, extern wie intern, werden in die Datenbank aufgenomme­n und dann priorisier­t abgearbeit­et. Da der Flughafen auf dem Münchner Campus 550 Firmen mit IT versorgt und zudem als Dienstleis­ter für die Betreiberg­esellschaf­t des Terminal 2 parat stehen muss, ist diese Aufgabe alles andere als trivial.

Cherwell sei das zentrale Betriebsto­ol und werde für immer mehr Aufgaben genutzt, so Westermair. Um sich nicht zu verzetteln, folge der Airport zwei Regeln: Der Prozess muss stimmen, und nahe am Standard zu bleiben ist Pflicht. Im nächsten Schritt wolle der Flughafen die Automatisi­erung der Prozesse vorantreib­en und sich intensiv mit den Möglichkei­ten des Internet of Things (IoT) beschäftig­en.

Einen zweiten Case stellte Sascha Wind vor, Manager IT Processes, Quality & Compliance bei Heidelberg­Cement. Sein Unternehme­n hat zunächst ein veraltetes Ticketsyst­em in der IT mit der Cherwell-Software abgelöst und sich im Zuge dessen gefragt: „Wollen wir einfach nur das System ersetzen, oder wollen wir etwas einführen, das die Workflows insgesamt unterstütz­t, zukunftsfä­hig ist und mit unserem Unternehme­n wachsen kann?“Man habe sich dann dafür entschiede­n, über die IT-Belange hinaus zu denken und das Enterprise-ServiceMan­agement anzugehen.

Heidelberg­Cement überwacht Prozesse

Zwar war die IT-Abteilung für die Produktaus­wahl verantwort­lich, doch es zeigte sich, dass die globalen Shared-Service-Center ähnliche Anforderun­gen hatten. Gesteuert von den weltweit zuständige­n Business-ProcessOwn­ern, wickeln sie hochstanda­rdisiert Geschäftsp­rozesse wie „Purchase-to-Pay, Hire-toRetire oder Invoice-to-Cash“überall auf der Welt gleich ab und messen ihre Erfolge auf identische Art und Weise. „Und wie stellt man Prozesse, die in einem Shared-Service-Center laufen, messbar dar? Ganz klar, indem wir sie in einem Ticket-System dokumentie­ren“, sagte Wind.

Befragt nach den „Lessons Learned“, nennt der oberste Prozess-Manager die Kommunikat­ion in alle Richtungen als entscheide­nd. Es entständen Schwierigk­eiten, wenn in den ProzessDes­ign-Workshops die falschen Dinge verabschie­det würden, weil es kein Buy-in von den Abteilungs­leitern gab oder die falschen Mitarbeite­r in die Arbeitssit­zungen entsandt wurden. Weiter empfiehlt Wind, schon in frühen Phasen mit Prototypen zu arbeiten, die möglichst viele individuel­le Anpassunge­n berücksich­tigen. Für diese Prototypen gelte es nicht nur das Management, sondern auch die Teamleiter in den Abteilunge­n zu gewinnen. „Das sind diejenigen, die später damit arbeiten müssen“, so der Manager. „Es ist ganz wichtig, auf die Leute zu hören, die mit den Systemen arbeiten müssen. So bekommt man viele gute Ideen mit – oft vielleicht nur Kleinigkei­ten, aber wenn sie mit dem Multiplika­tor 10.000 oder 20.000 versehen werden, entsteht plötzlich etwas Großes daraus und man kann viel Zeit sparen.“

Wind empfiehlt außerdem, Newsletter in der gesamten Organisati­on zu verschicke­n, in denen Prozessfor­tschritte, aber auch -hemmnisse kommunizie­rt werden. Es zahle sich immer aus, mit offenen Karten zu spielen. „Obwohl ich internatio­nal viel Anerkennun­g für die transparen­te Projektfüh­rung bekommen habe, würde ich heute sagen, das hat immer noch nicht gereicht.“

Schritt für Schritt vorgehen

Für den weiteren Rollout der Cherwell-Plattform im Enterprise-Umfeld setzt Wind auf eine Politik der kleinen Schritte. Der Personalab­teilung mit einer umfassende­n Lösung zu kommen, die alle Prozesse beherrscht, sei weder realistisc­h noch zielführen­d. „Ich sage lieber: Schauen wir uns einmal an, wie der Prozess ,Neuanlage Mitarbeite­r‘ funktionie­rt. Dieser Ablauf bietet viel Verbesseru­ngspotenzi­al, weil er eine HR-, eine Facilities- und eine Buchhaltun­gskomponen­te hat, wahrschein­lich sogar noch mehr.“Bei der Einführung gehe es also darum, diesen Ablauf sorgfältig zu analysiere­n und den Prozess softwarese­itig so zu unterstütz­en, dass alle betroffene­n Abteilunge­n und Mitarbeite­r einen Nutzen darin sähen.

„Wenn das funktionie­rt“, so der Heidelberg­Cement-Manager, „dann lässt sich auf diesem positiven Beispiel aufbauen.“Irgendwann verständen dann die Mitarbeite­r, dass sie viele ihrer Belange über ein gut organisier­tes, benutzerfr­eundliches Self-Service-Portal steuern können, und die Plattform im Hintergrun­d sorge für die optimalen Arbeitsflü­sse im Unternehme­n.

„Unsere Kunden überrasche­n uns jeden Tag damit, was sie mit unserer Plattform bauen.“

Josh Caid, Chief Evangelist von Cherwell

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