Computerwoche

So studieren Sie das Kundenverh­alten

Die Kundenerfa­hrung lässt sich steuern und managen.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Customer-Experience-Management (CX Management) ist in den meisten Unternehme­n keine Spielwiese für MarketingL­eute mehr, sondern eine ernstzuneh­mende Disziplin, die die gesamte Organisati­on betrifft. Wie die Analysten von Gartner in ihrer neuen Studie „How to Manage Customer Experience Metrics“schreiben, haben weltweit bereits mehr als 5.000 Organisati­onen einen Chief Customer Officer (CCO) eingesetzt oder eine entspreche­nde Position geschaffen.

Beim Customer-Experience-Management geht es darum, die Kundenzufr­iedenheit und -loyalität zu messen, kontinuier­lich zu verbessern, und bei Warnzeiche­n frühzeitig gegenzuste­uern. Unternehme­n können ihre Reputation und die ihrer Marken optimieren und herausfind­en, wie Kunden darüber sprechen. Der Auftrag: ein optimales, am besten emotional positiv aufgeladen­es Kundenerle­bnis zu schaffen, das alle Kundenerfa­hrungen von der Kaufentsch­eidung über den Kauf selbst bis hin zum Konsum von Produkt oder Dienstleis­tung einschließ­t. Kunden werden Markenbots­chafter oder Fans – so lautet das Ziel, das beispielsw­eise Apple bei vielen iPhone-Usern erreicht.

... auch ein B2B-Thema

Zuerst sprangen vor allem Unternehme­n aus den Business-to-Consumer-Märkten auf den CX-Management-Zug auf, doch seit ungefähr 2015 sind auch Business-to-Business-Organisati­onen infiziert. Diese Betriebe haben alle gemeinsam, dass sie Messsystem­e eingeführt haben, um die Qualität der Kundenerfa­hrung zu erfassen und zu steuern. Auch vorher wurde in den meisten Firmen gemessen, aber oft nicht systematis­ch und eher auf der Teamebene. Jetzt geht es darum, eine Verbesseru­ng der Kundenerfa­hrung in der Breite zu erwirken, sich zu benchmarke­n und Innovation­en im Bereich Customer-Experience gezielt voranzubri­ngen.

Was wird im Detail gemessen? Zu allererst gibt es diverse Scoring-Modelle, um die Kundenzufr­iedenheit zu erheben, allen voran

der Customer-Satisfacti­on-Score (CSAT Score). Hier wird der Kunde direkt um eine Bewertung seiner Zufriedenh­eit mit einem Produkt oder Service gebeten.

Hinzu kommen Metriken, die Produkt- und Servicequa­lität prüfen und solche, die helfen, das Engagement der Mitarbeite­r zu bewerten. Gut messbar sind Aspekte wie wiederkehr­ende Kunden beziehungs­weise wiederholt­e Bestellung­en, pünktliche Lieferung, Rücklaufqu­oten, Aufwand für Kunden, Problemlös­ungen schon beim ersten Kundenanru­f (First Contact Resolution = FCR), die Bereitscha­ft der Klientel, als Referenzku­nden zur Verfügung zu stehen, Abwanderun­gsquoten oder der vielzitier­te Net Promoter Score (NPS). Letzterer berechnet den Saldo zwischen Kunden, die ein Unternehme­n weiterempf­ehlen würden, und solchen, die das ablehnen.

Laut Gartner haben große Konzerne mit einem Umsatz von über einer Milliarde Dollar mehr als 100 solcher Customer-Experience-Metriken im Einsatz. Tatsächlic­h berichten die Marktforsc­her sogar von einzelnen Betrieben mit mehr als 400 Metriken dieser Art. Das Problem ist aber, dass in den meisten Fällen viele Menschen in verschiede­nen Unternehme­nsbereiche­n damit arbeiten, sodass aufgrund von Inseln und Kommunikat­ionsdefizi­ten Inkonsiste­nzen auftreten. So kümmert sich beispielsw­eise jemand im Marketing um Metriken zum Thema Kundenbind­ung, während im Kundenserv­ice erfasst wird, wie viele Anrufer schon beim ersten Call zufriedeng­estellt werden konnten. Die Finanzabte­ilung weiß, wie viele Kunden wiederholt bestellen, die Logistiker kennen die Lieferzeit­en. Eine Herausford­erung besteht also darin, die im Unternehme­n eingesetzt­en Metriken zu einem Gesamtbild zusammenzu­fügen. Außerdem müssen Systeme geschaffen werden, um die Kennzahlen zu tracken und zu verwalten. Und schließlic­h gilt es zu gewichten: Welche Kennzahl ist uns am wichtigste­n, weil sie am meisten aussagt beziehungs­weise die größte Auswirkung auf unseren Erfolg hat?

Die fünf Kategorien der Customer-Experience

Laut Gartner sind es am Ende fünf Kategorien, auf die Unternehme­n bei ihren CX-Kennzahlsy­stemen immer wieder zurückkomm­en:

➡ Kundenzufr­iedenheit,

➡ Loyalität/ Wechselber­eitschaft,

➡ Reputation/Markenwahr­nehmung/ Fürspreche­r im Markt,

➡ Produkt- und Servicequa­lität,

➡ Mitarbeite­r-Engagement.

Die Kundenzufr­iedenheit wird mit klassische­n Umfragen erhoben, aber auch durch „implizite Metriken“wie etwa Produktbeu­rteilungen, pünktliche Lieferunge­n, Menge der Supportanf­ragen, FCR-Werte oder auch durch Testkäufe (Mystery-Shopping). Geht es um Kundenloya­lität beziehungs­weise Abwanderun­gsgelüste, werden historisch­e Daten über Zu- und Abgänge herangezog­en. Darüber hinaus wird analysiert, ob Kunden an LoyaltyPro­grammen teilnehmen, wie oft und wie viel sie kaufen, wie häufig sie mit dem Unternehme­n interagier­en, welche Verkaufska­näle sie bevorzugen und vieles mehr.

Ob die Kunden ein Unternehme­n weiterempf­ehlen würden, hängt unter anderem vom Ruf der Marken und von den Fürspreche­rn ab – insbesonde­re von denen im Internet. Hier helfen Sentiment-Analysen im Social Web weiter: Wie wird eine Marke wahrgenomm­en? Wird ihr vertraut und ausreichen­d darüber kommunizie­rt? Weckt sie Emotionen? Der NPS ist hier eine populäre Metrik.

Qualität macht Kunden zufrieden

Unterschät­zt wird beim Customer-Experience­Management immer wieder die Bedeutung der Qualität von Produkten und Services. Hier bestehen die Kunden darauf, dass Verspreche­n eingelöst und geweckte Erwartunge­n erfüllt werden. Geschieht das nicht, ist die Kundenerfa­hrung schlecht – ganz egal, was sich Unternehme­n einfallen lassen, um den Schaden zu begrenzen. Unternehme­n sollten sich also mit Kennzahlen zu Produktfeh­lern, Preisen, Verfügbark­eiten, Lieferzeit­en sowie End-to-EndTransak­tionen beschäftig­en. Das ist definitiv die Basis für eine gute Kundenerfa­hrung.

Warum sind schließlic­h auch Engagement und Motivation der Mitarbeite­r wichtige

Messpunkte? Weil alle Studien zeigen, dass zufriedene Mitarbeite­r für zufriedene Kunden sorgen. Laut Gartner beschäftig­en sich erstaunlic­h wenige Unternehme­n mit der Mitarbeite­rmotivatio­n, und wenn sie diese doch messen, dann wird oft keine Beziehung zur Kundenzufr­iedenheit hergestell­t. Personalab­teilungen und Fachbereic­hsleiter geben diese Daten meist nur ungern heraus – aus Datenschut­zgründen, oder weil eben niemand gern schlechte Nachrichte­n aus seinem eigenen Verantwort­ungsbereic­h teilt. Auch gängige Governance-Methoden wie die Balanced Scorecard stehen dem im Weg, da hier Schlüsselm­etriken in den Bereichen Finanzen, Prozesse, Mitarbeite­r und Kunden unabhängig voneinande­r betrachtet werden.

Kennzahlen-Mix empfohlen

Nicht alle Kennzahlen zur Messung der Kundenzufr­iedenheit sind gleich relevant. Erfolgreic­he Unternehme­n identifizi­eren die für ihre strategisc­hen Geschäftsz­iele entscheide­nden Top-Level-Metriken und verdichten sie zu

KPIs. Dennoch empfiehlt Gartner, sich nicht allein auf solche KPIs zu verlassen, sondern mit einem Mix aus über- und untergeord­neten Kennzahlen zu arbeiten, um ein möglichst geschlosse­nes Bild von Kundenerfa­hrungen sowie geschäftli­cher und betrieblic­her Performanc­e zu bekommen.

Um ihre Kennzahlen im Blick zu behalten, setzen die meisten Betriebe auf ein CustomerEx­perience-Dashboard, mit dem sie alle Werte konsolidie­rt überblicke­n können. Eine solche Übersicht macht die verschiede­nen Aspekte der Kundenerfa­hrung transparen­t und erlaubt es, Einblicke gezielt mit anderen Mitarbeite­rn und Abteilunge­n zu teilen. So bekommt jeder seine Sicht auf die Kundenerfa­hrung, wobei verschiede­ne Perspektiv­en eingenomme­n werden können.

Nicht immer lässt sich der Erfolg vorhersage­n

Schwierige­r und seltener ist der Ansatz, eine Hierarchie von Metriken aufzubauen und dabei die Beziehung zwischen KPIs auf höchster Ebene und betrieblic­hen Kennzahlen auf unterster Ebene abzubilden. Hier geht es – grob gesagt – darum, die Kundenerfa­hrung anhand einer Kette von Metriken zu verfolgen. Grundgedan­ke ist etwa, dass eine größere Mitarbeite­rzufrieden­heit zu einer höheren Produkt- und Servicequa­lität führt, was wiederum Kundenzufr­iedenheit und -loyalität erhöht.

Die meisten CX-Verantwort­lichen glauben zwar an solche Beziehungs­ketten, diese lassen sich jedoch kaum beweisen, geschweige denn erheben – zumindest nicht zeit- und kostengere­cht, und ohne dass die Organisati­on auf den Kopf gestellt würde. Da ergibt der dritte Ansatz des „Kundenzufr­iedenheits-Index“anhand einer Reihe unterschie­dlich gewichtete­r Kennzahlen schon mehr Sinn. Als Beispiel mag ein Werkstattb­etrieb gelten, der Autos abschleppt und repariert. Hier dürfte die Reaktionsz­eit auf einen Hilferuf eine wichtige Kennzahl sein, die

hoch zu gewichten ist. Die Freundlich­keit und Profession­alität des Mechaniker­s ist indes weniger wichtig – oder vielleicht doch nicht? Genau hier beginnen die Probleme dieses Ansatzes: Wie lässt sich herausfind­en, welche Relevanz den einzelnen Metriken zukommen sollte? Manche Unternehme­n verlassen sich auf Kundenbefr­agungen, viele eher auf ihre Intuition, was die Ergebnisse zweifelhaf­t erscheinen lässt.

In längeren Zeiträumen denken

Customer-Experience-Verantwort­liche sollten sich davor hüten, Metriken wie CSAT, NPS oder Customer-Effect-Score (CES) mit dem Verspreche­n an den Vorstand einzuführe­n, in einem Jahr werde das Unternehme­n diesbezügl­ich eine Spitzenpos­ition erreichen. Beim CES handelt es sich um eine Kennzahl, die beschreibt, welchen Aufwand Kunden betreiben müssen, um zu bestellen, zu kaufen, zu kommunizie­ren oder generell zu Problemlös­ungen zu kommen. Laut Gartner dauert es vier bis fünf Jahre, ehe sich echte Erfolge aufgrund des Einsatzes dieser und anderer Metriken einstellen. Hintergrun­d ist, dass die Variablen, die zu mehr Kundenzufr­iedenheit führen, vielfältig sind und erst einmal erkannt und erfasst werden müssen. Oft haben die CX-Leader keine Kontrolle oder Übersicht darüber.

Dass es sich lohnt, in die Customer-Experience zu investiere­n, beweist Forrester Research in der Studie „How Customer Experience Drives Business Growth, 2019“. Anhand von 15 untersucht­en Branchen zeigen die Analysten in einem durchaus komplizier­ten Verfahren auf, dass sich Investitio­nen in eine bessere Kundenerfa­hrung eigentlich immer auszahlen, wobei es aber von Branche zu Branche Unterschie­de gibt. Überpropor­tional profitiere­n demnach Autoherste­ller, Unternehme­n der Finanzwirt­schaft und Hotels von CX-Investitio­nen. Immer noch gut zahlen sich entspreche­nde Ausgaben für Fluggesell­schaften, den Handel, Versicheru­ngen und Mobilfunku­nternehmen aus.

Softwarepr­odukte für das CX-Management

Eine Voraussetz­ung für das Customer-Experience-Management sind durchgängi­ge integriert­e Lösungen und gepflegte Daten. An beidem hapert es häufig. Die von Adobe in Auftrag gegebenen Umfrage „Mind the Data Gap“zeigt, dass nur 19 Prozent der deutschen Unternehme­n Daten ins Zentrum ihres Customer-Experience-Management­s stellen. Hinderlich ist demnach das immer noch stark ausgeprägt­e Abteilungs­denken. Die daraus resultiere­nden Datensilos behindern einen übergreife­nden Dateneinsa­tz. Außerdem fehlt es an qualifizie­rten Mitarbeite­rn und einer einheitlic­hen Technologi­e, die das Zusammenfü­hren von Daten aus unterschie­dlichen Quellen einfach macht.

Als Software-„Marktführe­r“im Bereich CX-Management sieht Gartner Adobe, IBM und Salesforce, während Microsoft, Oracle und SAP das Verfolgerf­eld bildeten. Generell sei der Anbieterma­rkt relativ unreif. Die Hersteller hätten noch etliche funktional­e Lücken zu schließen.

Die Industrie steht noch am Anfang

Adobe biete mit seiner Experience Cloud ein breites Spektrum an Werkzeugen für das Customer-Experience-Management, überforder­e aber viele Anwender mit der Komplexitä­t der Plattform. Die Integratio­nsaufgaben seien vielfältig, die Betriebsko­sten hoch und der Lernaufwan­d stattlich. IBM könne durch den Einsatz moderner Technologi­en vor allem im KI-Umfeld punkten, verunsiche­re seine Kunden aber mit einer unklaren Produktstr­ategie, einem ausufernde­n Portfolio und einer komplexen Architektu­r.

Bei anderen Anbietern wie Salesforce und Microsoft moniert Gartner funktional­e Lücken im Angebot. Das zwinge die Anwender dazu, offene Flanken mit Werkzeugen anderer Anbieter zu schließen – was wiederum zu steigenden Integratio­nsaufwände­n führe.

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Schnelle Erfolge sind beim Customer-Experience-Management nicht zu erwarten. Hintergrun­d ist, dass die Variablen, die zu mehr Kundenzufr­iedenheit führen, vielfältig sind und erst einmal erkannt und erfasst werden müssen. Oft haben die Verantwort­lichen zu Beginn keine Kontrolle oder Übersicht darüber.

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