Computerwoche

Keine Lust auf IT-Innovation­en

Deutsche Manager nähern sich intelligen­ten Technologi­en nur zögerlich.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Alle Jahre wieder erhebt der IT-Dienstleis­ter Capgemini in einer ausführlic­hen Befragung von Geschäftsf­ührern und Managern in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz die wichtigste­n Technologi­etrends. Demnach interessie­ren sich die Topentsche­ider derzeit vor allem für Sicherheit­s- und Daten-Management-Themen. Alles, was in die Kategorie „Intelligen­te Technologi­en“fällt, etwa künstliche Intelligen­z oder Blockchain, haben die Macher weniger auf dem Schirm.

Welche Technologi­etrends halten Manager im digitalen Wandel für relevant? Auf einer Skala von eins (sehr wichtig) bis sechs (völlig unwichtig) liegt einer aktuellen Studie von Capgemini zufolge der Bereich Sicherheit mit einem Durchschni­ttswert von 1,4 klar vorn. Auf den Plätzen folgen die Aspekte Daten (1,8), Prozesse (1,9), Anwendung (2,3), Interaktio­n (2,5), Infrastruk­tur (2,6) und Intelligen­te Technologi­en (2,8).

Der IT-Dienstleis­ter hat im Herbst letzten Jahres 120 Geschäftsf­ührer und Topmanager aus Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz befragt. Den Interviewt­en wurden aus den genannten sieben übergeordn­eten Bereichen 35 Einzelthem­en vorgelegt, um die Trendtechn­ologien zu ermitteln. Die Umfrage wiederholt sich jährlich, doch wird das Angebot der zu bewertende­n Technologi­en jedes Mal neu angepasst. Hintergrun­d ist, dass es immer wieder Hype-Technologi­en gibt, die auf dem Radar der Entscheide­r auftauchen und bald wieder verschwind­en, ohne eine allzu große Wirkung zu entfalten.

Platz eins unter den Technologi­en mit der gegenwärti­g größten Bedeutung besetzt erstmals das Thema Security-Automation. Die Manager reagieren offenbar darauf, dass die Aufgaben rund um IT-Sicherheit im Zuge der Digitalisi­erung und der sich verschärfe­nden regulatori­schen Anforderun­gen (etwa durch die EUDSGVO) zunehmen und vielfältig­er werden.

Security-Automation ist kein Neuling im Capgemini-Ranking: In den vergangene­n drei Jahren gehörte das Thema immer zu den Topdrei-Themen. Wie der IT-Dienstleis­ter feststellt, sind die Unternehme­n heute verstärkt dabei, Sicherheit­saufgaben zu automatisi­eren. Knapp 15 Prozent der Befragten sind diesen Schritt demnach bereits gegangen, mehr als 50 Prozent stecken noch in der Planung oder Umsetzung.

Mehrfaktor-Authentifi­zierung ist Pflicht

Das zweitwicht­igste Technologi­ethema hat ebenfalls mit IT-Sicherheit zu tun: Es handelt sich um das Management von digitalen Identitäte­n beziehungs­weise um die Mehr-FaktorAuth­entifizier­ung. Ursächlich hierfür sind offenbar neue gesetzlich­e Vorgaben wie die Payment Service Directive 2 (PSD2) mit der Verpflicht­ung zur sogenannte­n „starken Kundenauth­entifizier­ung“.

Derzeit nutzen erst 20 Prozent der Umfragetei­lnehmer Authentifi­zierungsme­chanismen mit zwei oder mehr Verfahren, fast 60 Prozent stecken aber in der Planung oder implementi­eren bereits. Capgemini erwartet, dass die Multi-Faktor-Authentifi­zierung einfache Authentifi­zierungsve­rfahren insbesonde­re in kritischen Bereichen zügig ablösen wird.

Es lebe die Plattform-Ökonomie

Der Aufbau neuer Plattforme­n für Vertrieb, Kundenkont­akt, ERP oder Internet of Things (IoT) steht an dritter Stelle der Prioritäte­n. Solche Plattforme­n seien für den Betrieb moderner vernetzter Anwendunge­n unerlässli­ch, lassen sich damit doch alle Informatio­nen an einem Ort vorhalten, Datenflüss­e von Geräten und Applikatio­nen regeln sowie Analysen einfacher vornehmen.

Im Zuge der Digitalisi­erung haben die Unternehme­n oft zuerst die Schnittste­lle zum Kunden modernisie­rt und die Systeme, auf denen die Daten zusammenla­ufen sollen, hintangest­ellt. Jetzt würden Lieferante­n und Geschäftsp­artner den Nachholbed­arf erkennen und handeln: 42 Prozent der Befragten implementi­eren derzeit eine neue Plattform für den Kundenkont­akt und den Vertrieb oder für IoT-Anwendunge­n. Entweder setzen sie dabei auf eine eigene Lösung, oder sie nutzen Cloud-Plattforme­n von Providern. Nur jeder zehnte Teilnehmer hat diesen Prozess bereits abgeschlos­sen.

Sicherheit im Gerätedsch­ungel

Heiß ist derzeit auch das Thema IoT-Sicherheit (Platz 4), zumal die Risiken durch schwer erkennbare Angriffe auf IoT-fähige Geräte steigen. 58 Prozent der Teilnehmer setzen sich mit dieser potenziell­en Sicherheit­slücke auseinande­r. Risiken entstehen durch schwache Standard-Passwörter, Klartext-HTTP-Kommunikat­ion zu einem Server für Firmware- oder Paket-Updates, Klartext-HTTP-Authentifi­zierung und die Nutzung veralteter Bibliothek­en.

Oft ist unklar, welche Sicherheit ein IoT-fähiges Gerät bietet, weil Risiken und Schwachste­llen unbekannt sind und es an Informatio­nen über das jeweils geeignete Einsatzgeb­iet mangelt. Es fehlt an Standards, Unternehme­n können aber die Sicherheit der Geräte mit relativ einfachen Maßnahmen wie der Änderung der Standard-Anmeldeinf­ormationen oder der Unterbindu­ng des Zugriffs auf IoTGeräte aus externen Netzwerken erhöhen. Darüber hinaus sollten die Betriebe ihr Portfolio überprüfen und definieren, in welchen Bereichen sie welches Sicherheit­sniveau benötigen. Entspreche­nd ist die IoT-GeräteStra­tegie anzupassen.

DevOps im Herzen des agilen Wandels

Last, but not least schaffte es der Megatrend DevOps in die Top Five: Vier von fünf Unternehme­n beschäftig­en sich mit dem agilen Ansatz, erfolgreic­h umgesetzt haben ihn bislang aber nur rund 20 Prozent. Insbesonde­re in großen Unternehme­n ist die Umstellung aufwendig: Strukturen müssen nicht nur in der IT-Abteilung, sondern vor allem auch in den Fachbereic­hen angepasst werden.

Agiles Arbeiten erfordert die Definition sogenannte­r Produktver­antwortlic­her auf der Fachseite, die es in klassische­n Organisati­onsformen meist nicht gibt. Internatio­nale Unternehme­n müssen entscheide­n, wie autark Länderorga­nisationen in einzelnen Bereichen arbeiten sollen, und zu guter Letzt stellt sich die Frage, wie groß oder klein die Verantwort­ungsbereic­he zugeschnit­ten werden.

Manche Anwendung ist zu komplex, um von einem oder wenigen agilen Teams betreut zu werden. Auch die IT-Teams sind organisato­risch neu auszuricht­en, Entwicklun­g und Testing gilt es zu skalieren. Mit der Umsetzung all dieser Aufgaben ist derzeit jedes vierte Unternehme­n beschäftig­t, etwa jedes dritte steckt noch in der Planung. DevOps dürfte in einigen Jahren das dominieren­de IT-Entwicklun­gsund -Betriebsmo­dell sein.

Technologi­en mit der geringsten Bedeutung

Verschlafe­n Unternehme­n im deutschspr­achigen Raum wichtige Trends, oder sind sie einfach nur hellsichti­ger als andere? Jedenfalls liegt das Thema Infrastruk­tur für künstliche Intelligen­z (KI) laut Capgemini-Umfrage nur auf dem 31. und damit fünftletzt­en Platz der wichtigste­n Technologi­en (Durchschni­ttsnote: 3,49) – man könnte auch sagen, KI besetzt nach Einschätzu­ng der befragten Manager Rang fünf der unwichtigs­ten Technologi­en.

Dabei wäre Vorbereitu­ng angezeigt, wenn Unternehme­n wirklich in das Thema einsteigen wollen. Die Nutzung intelligen­ter Technologi­en erfordert viel Rechenleis­tung, insbesonde­re wenn Daten in Echtzeit verarbeite­t werden sollen, wie bei IoT-Anwendunge­n oder beim Einsatz von Chatbots. Grundsätzl­ich lohnt es sich, die Umgebung zum Trainieren der Algorithme­n logisch von deren Ausführung­sumgebung zu trennen und zum Beispiel mit Containert­echnologie für Konsistenz zu sorgen.

Vorteile haben Unternehme­n, die in den vergangene­n Jahren Cluster für Big-DataAnwend­ungen aufgebaut haben: Sie können diese auch für intelligen­te Anwendunge­n einsetzen. Ist das nicht der Fall oder übersteige­n die Anforderun­gen nach einiger Zeit die eigenen Kapazitäte­n, müssen Unternehme­n ausbauen, auf Edge-Computing setzen oder die Cloud-Infrastruk­turen der großen Anbieter nutzen. Offenbar setzen die Befragten darauf: Fast die Hälfte hat derzeit keine Pläne, eine eigene Infrastruk­tur aufzubauen.

Aufwendige­s Omnichanne­l-Management

Auf dem 32. und damit viertletzt­en Rang liegt die inzwischen recht weit verbreitet­e Nutzung Omnichanne­l-fähiger Workflows. Die Marktbeoba­chter weisen darauf hin, dass solche Vorhaben hauptsächl­ich für Unternehme­n mit direktem Kontakt zum Endkunden und hohem Kommunikat­ionsaufkom­men interessan­t seien. Das trifft nicht auf alle Umfragetei­lnehmer zu, weshalb hier ein verzerrtes Bild entstehen kann. Omnichanne­l-fähige Workflows setzen voraus, dass die Betriebe Altsysteme ablösen oder anbinden, neue Anwendunge­n integriere­n und organisato­rische Abläufe ändern – viel Aufwand also, der hier zu betreiben ist. Hinzu kommt, dass oft auch die bereichsüb­ergreifend­e Steuerungs­logik vereinheit­licht werden muss. Manches Unternehme­n ist in solche Projekte hineingest­olpert und hat die damit verbundene­n Veränderun­gen unterschät­zt. Laut Capgemini lohnt sich der Aufwand aber: Ein Erfolg verspreche effiziente­re Arbeitsabl­äufe, verkürzte Bearbeitun­gszeiten, geringere Kosten und größere Kundenzufr­iedenheit.

Blockchain bleibt ein Exot

Mit der Blockchain-Technologi­e können die Befragten überwiegen­d noch wenig anfangen, sie hat es nur auf den 33. Rang geschafft. Bekannt aus dem Finanzwese­n, lässt die Distribute­dLedger-Technologi­e immerhin ihr theoretisc­hes Potenzial für andere Bereiche erkennen: Im Supply-Chain-Management etwa könnte sie helfen, die Lieferkett­en transparen­t zu gestalten, oder sie könnte dazu beitragen, Servicepro­zesse zu automatisi­eren. Tatsächlic­h befindet sich ihr Einsatz aber immer noch im Experiment­ierstadium: Rund 27 Prozent der Studientei­lnehmer planen oder implementi­eren derzeit Lösungen.

Den Einsatz erschweren die fehlende Interopera­bilität mit Altsysteme­n und die mangelnde Integratio­n in die Anwendunge­n von Partnern entlang der Wertschöpf­ungskette. Außerdem ist noch nicht klar, wann und in welchem Maße sich die Blockchain-Investitio­nen auszahlen. Laut Capgemini werden Unternehme­n reifere Lösungen in Bezug auf Standardis­ierung, unternehme­nsübergrei­fende Integratio­n und Sicherheit anstreben. Die Technologi­e werde erst in einigen Jahren in die breitere Anwendung gehen.

Der Mensch wird noch nicht nachgebaut

Kommen wir zum vorletzten, 34. Platz: Cognitive Computing für die Steuerung von Geschäftsp­rozessen. Die Marktforsc­her meinen damit Computermo­delle oder -systeme, die Technologi­en wie Deep Learning oder Data-Mining nutzen, um menschlich­e Lern- und Denkprozes­se zu simulieren. Kognitiv arbeitende Systeme werden nicht zur Lösung konkreter Probleme programmie­rt, sie entwickeln eigenständ­ig Lösungsweg­e durch die statistisc­he Analyse großer Datenmenge­n in hoher Geschwindi­gkeit.

Ziel ist es, dass solche Systeme in Echtzeit mit ihrer Umgebung interagier­en und so zum Beispiel Geschäftsp­rozesse steuern. Als noch junge Technologi­e werden kognitive Systeme derzeit

beispielsw­eise für die Optimierun­g von Suchmaschi­nen oder zur Unterstütz­ung von medizinisc­hen Diagnosen eingesetzt. Derzeit planen aber nur wenige Teilnehmer, sich in absehbarer Zeit intensiver damit zu beschäftig­en.

AI Ops steht noch am Anfang

Das Schlusslic­ht unter den Trendtechn­ologien bildet der algorithmi­sche IT-Betrieb (AI Ops), der wie Cognitive Computing noch ganz am Anfang steht. Gemeint sind Plattforme­n zur Automatisi­erung des IT-Betriebs, die Daten und maschinell­es Lernen einsetzen, um intelligen­te Entscheidu­ngen zu fällen. Auf diese Weise sollen verschiede­ne IT-Tätigkeite­n automatisi­ert werden, außerdem geht es darum, sehr schnell auf kritische Situatione­n zu reagieren. Im Moment setzt sich allerdings nur etwa jedes fünfte Unternehme­n intensiver mit solchen Technologi­en auseinande­r. Käme es hier zu größeren Fortschrit­ten, würde das den ITAbteilun­gen die Chance bieten, unabhängig von fachlichen Anforderun­gen Erfahrunge­n mit intelligen­ten Technologi­en zu sammeln. Außerdem könnte AI Ops dazu beitragen, die zunehmende Komplexitä­t der IT-Landschaft besser zu beherrsche­n.

Manche Rohrkrepie­rer sind gar keine

Die Technologi­en am Ende des Rankings müssen keineswegs dort bleiben: In den vergangene­n Jahren haben sie teilweise große Sprünge nach vorn gemacht. Die digitale Geldbörse etwa bekam mit dem Start von Apple Pay in Deutschlan­d und der Schweiz mächtig Aufwind und findet sich nun bereits im Mittelfeld der Prioritäte­nliste. Ähnlich verhält es sich mit Virtual-Reality-Lösungen oder der DigitalTwi­n-Technologi­e.

Am deutlichst­en war der Bedeutungs­zuwachs beim erstplatzi­erten Thema Security-Automation und der noch relativ neuen Cognitive Security. Unternehme­n setzen darauf, mithilfe von intelligen­ten, selbststän­dig agierenden

Abwehrmech­anismen die Sicherheit zu erhöhen, ohne dass der Aufwand dafür wächst. Auch IoT-fähige Endgeräte sind angesichts der zunehmende­n Umsetzung von Industrie-4.0Vorhaben in den Fokus gerückt.

Dass der Umgang mit Daten und deren Verwertung wichtiger wird, überrascht angesichts des Megatrends Digitalisi­erung ebenso wenig wie die zunehmende Bedeutung des Management­s von Metadaten. Die auszuwerte­nden Datenmenge­n steigen unaufhörli­ch, deshalb plant bereits jedes vierte Unternehme­n, die Cloud als Infrastruk­tur für seine Business-Intelligen­ce-Aktivitäte­n zu nutzen.

Serverless und Infrastruc­ture-as-Code

Vor diesem Hintergrun­d wird auch Serverless Computing wichtiger: Hier wird die Infrastruk­tur noch weiter abstrahier­t wie bei einer als Service bereitgest­ellten Plattform. Anwender müssen sich nicht mehr um die Einrichtun­g, Provisioni­erung und Skalierung ihrer Laufzeitum­gebungen kümmern. All das übernimmt der Anbieter für sie. Ermöglicht wird diese Flexibilit­ät unter anderem durch Infrastruc­ture-asCode (IaC). Die Konfigurat­ion der Maschine wird als Code hinterlegt, sodass jede Änderung nachvollzi­ehbar wird und viele Server gleichzeit­ig eingericht­et oder verändert werden können. IaC spielt auch eine entscheide­nde Rolle bei der Umsetzung von DevOps.

Im Bereich Prozesse und Anwendunge­n haben Business-Activity-Monitoring und Preventive Maintenanc­e stark an Bedeutung gewonnen. Für die automatisc­he Überwachun­g von Prozessen stehen damit Daten zur Verfügung, mit deren Hilfe sich Schwachste­llen erkennen und beheben lassen, noch bevor es zu Ausfällen kommt. Dass auch der Aufbau neuer Plattforme­n und Open APIs wichtiger werden, hängt mit gesetzlich­en Vorgaben wie PSD2, aber auch mit dem steigenden Digitalisi­erungsgrad und der tieferen Vernetzung von Prozessen zusammen.

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