Keine Lust auf IT-Innovationen
Deutsche Manager nähern sich intelligenten Technologien nur zögerlich.
Alle Jahre wieder erhebt der IT-Dienstleister Capgemini in einer ausführlichen Befragung von Geschäftsführern und Managern in Deutschland, Österreich und der Schweiz die wichtigsten Technologietrends. Demnach interessieren sich die Topentscheider derzeit vor allem für Sicherheits- und Daten-Management-Themen. Alles, was in die Kategorie „Intelligente Technologien“fällt, etwa künstliche Intelligenz oder Blockchain, haben die Macher weniger auf dem Schirm.
Welche Technologietrends halten Manager im digitalen Wandel für relevant? Auf einer Skala von eins (sehr wichtig) bis sechs (völlig unwichtig) liegt einer aktuellen Studie von Capgemini zufolge der Bereich Sicherheit mit einem Durchschnittswert von 1,4 klar vorn. Auf den Plätzen folgen die Aspekte Daten (1,8), Prozesse (1,9), Anwendung (2,3), Interaktion (2,5), Infrastruktur (2,6) und Intelligente Technologien (2,8).
Der IT-Dienstleister hat im Herbst letzten Jahres 120 Geschäftsführer und Topmanager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt. Den Interviewten wurden aus den genannten sieben übergeordneten Bereichen 35 Einzelthemen vorgelegt, um die Trendtechnologien zu ermitteln. Die Umfrage wiederholt sich jährlich, doch wird das Angebot der zu bewertenden Technologien jedes Mal neu angepasst. Hintergrund ist, dass es immer wieder Hype-Technologien gibt, die auf dem Radar der Entscheider auftauchen und bald wieder verschwinden, ohne eine allzu große Wirkung zu entfalten.
Platz eins unter den Technologien mit der gegenwärtig größten Bedeutung besetzt erstmals das Thema Security-Automation. Die Manager reagieren offenbar darauf, dass die Aufgaben rund um IT-Sicherheit im Zuge der Digitalisierung und der sich verschärfenden regulatorischen Anforderungen (etwa durch die EUDSGVO) zunehmen und vielfältiger werden.
Security-Automation ist kein Neuling im Capgemini-Ranking: In den vergangenen drei Jahren gehörte das Thema immer zu den Topdrei-Themen. Wie der IT-Dienstleister feststellt, sind die Unternehmen heute verstärkt dabei, Sicherheitsaufgaben zu automatisieren. Knapp 15 Prozent der Befragten sind diesen Schritt demnach bereits gegangen, mehr als 50 Prozent stecken noch in der Planung oder Umsetzung.
Mehrfaktor-Authentifizierung ist Pflicht
Das zweitwichtigste Technologiethema hat ebenfalls mit IT-Sicherheit zu tun: Es handelt sich um das Management von digitalen Identitäten beziehungsweise um die Mehr-FaktorAuthentifizierung. Ursächlich hierfür sind offenbar neue gesetzliche Vorgaben wie die Payment Service Directive 2 (PSD2) mit der Verpflichtung zur sogenannten „starken Kundenauthentifizierung“.
Derzeit nutzen erst 20 Prozent der Umfrageteilnehmer Authentifizierungsmechanismen mit zwei oder mehr Verfahren, fast 60 Prozent stecken aber in der Planung oder implementieren bereits. Capgemini erwartet, dass die Multi-Faktor-Authentifizierung einfache Authentifizierungsverfahren insbesondere in kritischen Bereichen zügig ablösen wird.
Es lebe die Plattform-Ökonomie
Der Aufbau neuer Plattformen für Vertrieb, Kundenkontakt, ERP oder Internet of Things (IoT) steht an dritter Stelle der Prioritäten. Solche Plattformen seien für den Betrieb moderner vernetzter Anwendungen unerlässlich, lassen sich damit doch alle Informationen an einem Ort vorhalten, Datenflüsse von Geräten und Applikationen regeln sowie Analysen einfacher vornehmen.
Im Zuge der Digitalisierung haben die Unternehmen oft zuerst die Schnittstelle zum Kunden modernisiert und die Systeme, auf denen die Daten zusammenlaufen sollen, hintangestellt. Jetzt würden Lieferanten und Geschäftspartner den Nachholbedarf erkennen und handeln: 42 Prozent der Befragten implementieren derzeit eine neue Plattform für den Kundenkontakt und den Vertrieb oder für IoT-Anwendungen. Entweder setzen sie dabei auf eine eigene Lösung, oder sie nutzen Cloud-Plattformen von Providern. Nur jeder zehnte Teilnehmer hat diesen Prozess bereits abgeschlossen.
Sicherheit im Gerätedschungel
Heiß ist derzeit auch das Thema IoT-Sicherheit (Platz 4), zumal die Risiken durch schwer erkennbare Angriffe auf IoT-fähige Geräte steigen. 58 Prozent der Teilnehmer setzen sich mit dieser potenziellen Sicherheitslücke auseinander. Risiken entstehen durch schwache Standard-Passwörter, Klartext-HTTP-Kommunikation zu einem Server für Firmware- oder Paket-Updates, Klartext-HTTP-Authentifizierung und die Nutzung veralteter Bibliotheken.
Oft ist unklar, welche Sicherheit ein IoT-fähiges Gerät bietet, weil Risiken und Schwachstellen unbekannt sind und es an Informationen über das jeweils geeignete Einsatzgebiet mangelt. Es fehlt an Standards, Unternehmen können aber die Sicherheit der Geräte mit relativ einfachen Maßnahmen wie der Änderung der Standard-Anmeldeinformationen oder der Unterbindung des Zugriffs auf IoTGeräte aus externen Netzwerken erhöhen. Darüber hinaus sollten die Betriebe ihr Portfolio überprüfen und definieren, in welchen Bereichen sie welches Sicherheitsniveau benötigen. Entsprechend ist die IoT-GeräteStrategie anzupassen.
DevOps im Herzen des agilen Wandels
Last, but not least schaffte es der Megatrend DevOps in die Top Five: Vier von fünf Unternehmen beschäftigen sich mit dem agilen Ansatz, erfolgreich umgesetzt haben ihn bislang aber nur rund 20 Prozent. Insbesondere in großen Unternehmen ist die Umstellung aufwendig: Strukturen müssen nicht nur in der IT-Abteilung, sondern vor allem auch in den Fachbereichen angepasst werden.
Agiles Arbeiten erfordert die Definition sogenannter Produktverantwortlicher auf der Fachseite, die es in klassischen Organisationsformen meist nicht gibt. Internationale Unternehmen müssen entscheiden, wie autark Länderorganisationen in einzelnen Bereichen arbeiten sollen, und zu guter Letzt stellt sich die Frage, wie groß oder klein die Verantwortungsbereiche zugeschnitten werden.
Manche Anwendung ist zu komplex, um von einem oder wenigen agilen Teams betreut zu werden. Auch die IT-Teams sind organisatorisch neu auszurichten, Entwicklung und Testing gilt es zu skalieren. Mit der Umsetzung all dieser Aufgaben ist derzeit jedes vierte Unternehmen beschäftigt, etwa jedes dritte steckt noch in der Planung. DevOps dürfte in einigen Jahren das dominierende IT-Entwicklungsund -Betriebsmodell sein.
Technologien mit der geringsten Bedeutung
Verschlafen Unternehmen im deutschsprachigen Raum wichtige Trends, oder sind sie einfach nur hellsichtiger als andere? Jedenfalls liegt das Thema Infrastruktur für künstliche Intelligenz (KI) laut Capgemini-Umfrage nur auf dem 31. und damit fünftletzten Platz der wichtigsten Technologien (Durchschnittsnote: 3,49) – man könnte auch sagen, KI besetzt nach Einschätzung der befragten Manager Rang fünf der unwichtigsten Technologien.
Dabei wäre Vorbereitung angezeigt, wenn Unternehmen wirklich in das Thema einsteigen wollen. Die Nutzung intelligenter Technologien erfordert viel Rechenleistung, insbesondere wenn Daten in Echtzeit verarbeitet werden sollen, wie bei IoT-Anwendungen oder beim Einsatz von Chatbots. Grundsätzlich lohnt es sich, die Umgebung zum Trainieren der Algorithmen logisch von deren Ausführungsumgebung zu trennen und zum Beispiel mit Containertechnologie für Konsistenz zu sorgen.
Vorteile haben Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Cluster für Big-DataAnwendungen aufgebaut haben: Sie können diese auch für intelligente Anwendungen einsetzen. Ist das nicht der Fall oder übersteigen die Anforderungen nach einiger Zeit die eigenen Kapazitäten, müssen Unternehmen ausbauen, auf Edge-Computing setzen oder die Cloud-Infrastrukturen der großen Anbieter nutzen. Offenbar setzen die Befragten darauf: Fast die Hälfte hat derzeit keine Pläne, eine eigene Infrastruktur aufzubauen.
Aufwendiges Omnichannel-Management
Auf dem 32. und damit viertletzten Rang liegt die inzwischen recht weit verbreitete Nutzung Omnichannel-fähiger Workflows. Die Marktbeobachter weisen darauf hin, dass solche Vorhaben hauptsächlich für Unternehmen mit direktem Kontakt zum Endkunden und hohem Kommunikationsaufkommen interessant seien. Das trifft nicht auf alle Umfrageteilnehmer zu, weshalb hier ein verzerrtes Bild entstehen kann. Omnichannel-fähige Workflows setzen voraus, dass die Betriebe Altsysteme ablösen oder anbinden, neue Anwendungen integrieren und organisatorische Abläufe ändern – viel Aufwand also, der hier zu betreiben ist. Hinzu kommt, dass oft auch die bereichsübergreifende Steuerungslogik vereinheitlicht werden muss. Manches Unternehmen ist in solche Projekte hineingestolpert und hat die damit verbundenen Veränderungen unterschätzt. Laut Capgemini lohnt sich der Aufwand aber: Ein Erfolg verspreche effizientere Arbeitsabläufe, verkürzte Bearbeitungszeiten, geringere Kosten und größere Kundenzufriedenheit.
Blockchain bleibt ein Exot
Mit der Blockchain-Technologie können die Befragten überwiegend noch wenig anfangen, sie hat es nur auf den 33. Rang geschafft. Bekannt aus dem Finanzwesen, lässt die DistributedLedger-Technologie immerhin ihr theoretisches Potenzial für andere Bereiche erkennen: Im Supply-Chain-Management etwa könnte sie helfen, die Lieferketten transparent zu gestalten, oder sie könnte dazu beitragen, Serviceprozesse zu automatisieren. Tatsächlich befindet sich ihr Einsatz aber immer noch im Experimentierstadium: Rund 27 Prozent der Studienteilnehmer planen oder implementieren derzeit Lösungen.
Den Einsatz erschweren die fehlende Interoperabilität mit Altsystemen und die mangelnde Integration in die Anwendungen von Partnern entlang der Wertschöpfungskette. Außerdem ist noch nicht klar, wann und in welchem Maße sich die Blockchain-Investitionen auszahlen. Laut Capgemini werden Unternehmen reifere Lösungen in Bezug auf Standardisierung, unternehmensübergreifende Integration und Sicherheit anstreben. Die Technologie werde erst in einigen Jahren in die breitere Anwendung gehen.
Der Mensch wird noch nicht nachgebaut
Kommen wir zum vorletzten, 34. Platz: Cognitive Computing für die Steuerung von Geschäftsprozessen. Die Marktforscher meinen damit Computermodelle oder -systeme, die Technologien wie Deep Learning oder Data-Mining nutzen, um menschliche Lern- und Denkprozesse zu simulieren. Kognitiv arbeitende Systeme werden nicht zur Lösung konkreter Probleme programmiert, sie entwickeln eigenständig Lösungswege durch die statistische Analyse großer Datenmengen in hoher Geschwindigkeit.
Ziel ist es, dass solche Systeme in Echtzeit mit ihrer Umgebung interagieren und so zum Beispiel Geschäftsprozesse steuern. Als noch junge Technologie werden kognitive Systeme derzeit
beispielsweise für die Optimierung von Suchmaschinen oder zur Unterstützung von medizinischen Diagnosen eingesetzt. Derzeit planen aber nur wenige Teilnehmer, sich in absehbarer Zeit intensiver damit zu beschäftigen.
AI Ops steht noch am Anfang
Das Schlusslicht unter den Trendtechnologien bildet der algorithmische IT-Betrieb (AI Ops), der wie Cognitive Computing noch ganz am Anfang steht. Gemeint sind Plattformen zur Automatisierung des IT-Betriebs, die Daten und maschinelles Lernen einsetzen, um intelligente Entscheidungen zu fällen. Auf diese Weise sollen verschiedene IT-Tätigkeiten automatisiert werden, außerdem geht es darum, sehr schnell auf kritische Situationen zu reagieren. Im Moment setzt sich allerdings nur etwa jedes fünfte Unternehmen intensiver mit solchen Technologien auseinander. Käme es hier zu größeren Fortschritten, würde das den ITAbteilungen die Chance bieten, unabhängig von fachlichen Anforderungen Erfahrungen mit intelligenten Technologien zu sammeln. Außerdem könnte AI Ops dazu beitragen, die zunehmende Komplexität der IT-Landschaft besser zu beherrschen.
Manche Rohrkrepierer sind gar keine
Die Technologien am Ende des Rankings müssen keineswegs dort bleiben: In den vergangenen Jahren haben sie teilweise große Sprünge nach vorn gemacht. Die digitale Geldbörse etwa bekam mit dem Start von Apple Pay in Deutschland und der Schweiz mächtig Aufwind und findet sich nun bereits im Mittelfeld der Prioritätenliste. Ähnlich verhält es sich mit Virtual-Reality-Lösungen oder der DigitalTwin-Technologie.
Am deutlichsten war der Bedeutungszuwachs beim erstplatzierten Thema Security-Automation und der noch relativ neuen Cognitive Security. Unternehmen setzen darauf, mithilfe von intelligenten, selbstständig agierenden
Abwehrmechanismen die Sicherheit zu erhöhen, ohne dass der Aufwand dafür wächst. Auch IoT-fähige Endgeräte sind angesichts der zunehmenden Umsetzung von Industrie-4.0Vorhaben in den Fokus gerückt.
Dass der Umgang mit Daten und deren Verwertung wichtiger wird, überrascht angesichts des Megatrends Digitalisierung ebenso wenig wie die zunehmende Bedeutung des Managements von Metadaten. Die auszuwertenden Datenmengen steigen unaufhörlich, deshalb plant bereits jedes vierte Unternehmen, die Cloud als Infrastruktur für seine Business-Intelligence-Aktivitäten zu nutzen.
Serverless und Infrastructure-as-Code
Vor diesem Hintergrund wird auch Serverless Computing wichtiger: Hier wird die Infrastruktur noch weiter abstrahiert wie bei einer als Service bereitgestellten Plattform. Anwender müssen sich nicht mehr um die Einrichtung, Provisionierung und Skalierung ihrer Laufzeitumgebungen kümmern. All das übernimmt der Anbieter für sie. Ermöglicht wird diese Flexibilität unter anderem durch Infrastructure-asCode (IaC). Die Konfiguration der Maschine wird als Code hinterlegt, sodass jede Änderung nachvollziehbar wird und viele Server gleichzeitig eingerichtet oder verändert werden können. IaC spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung von DevOps.
Im Bereich Prozesse und Anwendungen haben Business-Activity-Monitoring und Preventive Maintenance stark an Bedeutung gewonnen. Für die automatische Überwachung von Prozessen stehen damit Daten zur Verfügung, mit deren Hilfe sich Schwachstellen erkennen und beheben lassen, noch bevor es zu Ausfällen kommt. Dass auch der Aufbau neuer Plattformen und Open APIs wichtiger werden, hängt mit gesetzlichen Vorgaben wie PSD2, aber auch mit dem steigenden Digitalisierungsgrad und der tieferen Vernetzung von Prozessen zusammen.