Ein bisschen agil ist zu wenig
Die „agile Transformation“wird von Managern oft im Munde geführt, aber nicht entschlossen umgesetzt. Kein Wunder: Hier geht es um das Verändern jahrelang antrainierter Verhaltensweisen und um die Aufgaben der Führungskräfte. Wer erfolgreich sein will, muss sich mit agilen Prinzipien und Werten beschäftigen – und diese vorleben.
Viele Unternehmen möchten sich agil transformieren – aber oft nicht in letzter Konsequenz. Für die Manager, die den Wandel treiben sollen, geht es um das eigene Rollenverständnis und über Jahre antrainierte Verhaltensweisen, die nun in Frage stehen.
Agilität ist das Gebot der Stunde, kaum ein Manager, der in seiner Außendarstellung nicht von der agilen Transformation seines Unternehmens schwärmen würde. Oft bleibt dabei die Wahrheit auf der Strecke, denn die meisten Betriebe, vor allem die mit langjährig gewachsenen Strukturen, kochen hier auch nur mit Wasser.
Die Verantwortlichen beschäftigen sich zwar intensiv mit agilen Vorgehensweisen wie Scrum und Kanban, auch mit Design Thinking, dem SAFe-Framework und DevOps. In der Praxis werden diese Methoden und Vorgehensweisen aber oft opportunistisch ausgeschlachtet: Elemente wie Stand-up Meetings, Task-Boards, Persona, Backlogs, Story-Mapping, Retrospektiven oder Impact-Mapping werden nach Gutdünken kombiniert, wie es der eigenen Vorstellung von Agilität entspricht.
Der IT-Dienstleister Campana & Schott hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen die Studie „Future Organization Report 2019“herausgebracht (siehe „Die Studie“). Befragt wurden ausschließlich Unternehmen, die bereits intensive Erfahrungen mit agilen Methoden gemacht haben. Sie alle sehen die agile Transformation als Chance, schneller und flexibler auf Marktforderungen und Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Wunsch dieser Unternehmen ist es, dass sich die Mitarbeiter ein „agiles Mindset“zulegen und sich in die Lage versetzen, schneller zu lernen, kontinuierlich zu hinterfragen und interdisziplinär in Netzwerken zusammenzuarbeiten. Dazu sollen sie intuitiv nach agilen Werten und Prinzipien handeln. Flache Hierarchien, selbstorganisierte Teams und kurze Iterationszyklen gehören zu den Zielen.
Einen diesbezüglich hohen Reifegrad attestiert sich derzeit aber nur gut ein Viertel der Befragten (27,5 Prozent), wobei die befragten Entscheider eine positivere Bilanz ziehen als die Beschäftigten. Laut Umfrage sind diese Unternehmen auch diejenigen, deren wirtschaftlicher Erfolg deutlich über dem Durchschnitt aller Umfrageteilnehmer liegt.
Es geht um Werte und Prinzipien
Die meisten Betriebe haben aber de facto noch kein Interesse an flächendeckender Agilität, sie analysieren erst einmal, in welchen Bereichen und Abteilungen konkrete Vorteile zu erwarten sind, und setzen agile Methoden auch nur dort ein. Wie die Studie feststellt, greift jedoch ein solches, rein taktisches Arbeiten mit agilen Vorgehensweisen und Praktiken auf Dauer zu kurz.
Es gehe nicht nur um das „doing agile“, sondern um das „being agile“– um das Verankern agiler Werte und Prinzipien in die täglichen
Entscheidungen und Handlungen der Beschäftigten. Hier spiele die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle – etwa die transparente Kommunikation der Absichten und Werte durch das Management, das „Empowerment“aller Mitarbeiter und die kontinuierliche Einbindung von Kunden in geschäftliche Prozesse.
Gelingt es, das ganze Unternehmen von Beginn an in die agile Transformation einzubinden, steigen Arbeitszufriedenheit, Teamorientierung und auch das Vertrauen untereinander, was zu mehr „psychologischer Sicherheit“führt. Unterm Strich steigt dann die Unternehmensleistung, so meinen die Marktforscher von Uni St. Gallen und Campana & Schott.
Die Betreiber der Studie empfehlen den Unternehmen, neue Führungsprofile zu schaffen: Das klassische Bild des „Lenkers und Arbeitsverteilers“passe nicht in eine agile Organisation. Führungskräfte müssten sich vielmehr daran messen lassen, ob sie ihre Mitarbeiter entwickeln, ihnen erfolgreich Verantwortung übertragen (Empowerment), sie zur Eigeninitiative motivieren, eine gute Feedback- und Fehlerkultur schaffen und eine positive Zukunftsperspektive eröffnen.
Die agile Transformation kann demnach nicht allein vom Management verordnet werden, an der konzeptionellen Ausarbeitung und Umsetzung müssen auch die Mitarbeiter beteiligt sein. Zu den Aufgaben der Führungskräfte gehört es, die Werte und Prinzipien der Agilität zu verinnerlichen und zu leben. Das schafft Transparenz, Bewusstsein und motiviert alle Beteiligten. Die Intention sollten sich selbst organisierende Teams sein, die sich durch klare Zielvorgaben und eine Vision frei innerhalb bestimmter Leitplanken bewegen können. Je mehr Handlungsspielraum die Mitarbeiter haben und je mehr sie Entscheidungen selbst treffen und Initiativen anstoßen können, desto zufriedener und agiler arbeiten sie und bauen so von der Basis her eine agile Organisation auf.
OKR und Kanban sind geeignete Hilfsmittel
Eine wichtige Rolle spielt Transparenz: Wenn alle wissen, wer woran arbeitet, führt das zu einer höheren Motivation der Mitarbeiter und zu einer besseren Priorisierung der Aufgaben. Entscheidungen werden schneller gefällt, Projekte effizienter umgesetzt. In der Praxis hat sich beispielsweise ein temporärer Jobtausch zwischen Führungskräften und Beschäftigten bewährt, da so eine offene Kommunikation und mehr Verständnis für die Aufgabe des jeweils anderen entstehen kann.
Methodisch empfehlen die Studienautoren vor allem die Beschäftigung mit Objectives & Key Results (OKR), damit Ziele auf Unternehmens-, Team- und Mitarbeiterebene und für alle nachvollziehbar verfolgt werden können. Auch eine transparente Organisation des Topmanagements nach der Kanban-Methode könne helfen, da sie Ordnung in die Projektstrukturen bringe.