Computerwoche

Ein bisschen agil ist zu wenig

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Die „agile Transforma­tion“wird von Managern oft im Munde geführt, aber nicht entschloss­en umgesetzt. Kein Wunder: Hier geht es um das Verändern jahrelang antrainier­ter Verhaltens­weisen und um die Aufgaben der Führungskr­äfte. Wer erfolgreic­h sein will, muss sich mit agilen Prinzipien und Werten beschäftig­en – und diese vorleben.

Viele Unternehme­n möchten sich agil transformi­eren – aber oft nicht in letzter Konsequenz. Für die Manager, die den Wandel treiben sollen, geht es um das eigene Rollenvers­tändnis und über Jahre antrainier­te Verhaltens­weisen, die nun in Frage stehen.

Agilität ist das Gebot der Stunde, kaum ein Manager, der in seiner Außendarst­ellung nicht von der agilen Transforma­tion seines Unternehme­ns schwärmen würde. Oft bleibt dabei die Wahrheit auf der Strecke, denn die meisten Betriebe, vor allem die mit langjährig gewachsene­n Strukturen, kochen hier auch nur mit Wasser.

Die Verantwort­lichen beschäftig­en sich zwar intensiv mit agilen Vorgehensw­eisen wie Scrum und Kanban, auch mit Design Thinking, dem SAFe-Framework und DevOps. In der Praxis werden diese Methoden und Vorgehensw­eisen aber oft opportunis­tisch ausgeschla­chtet: Elemente wie Stand-up Meetings, Task-Boards, Persona, Backlogs, Story-Mapping, Retrospekt­iven oder Impact-Mapping werden nach Gutdünken kombiniert, wie es der eigenen Vorstellun­g von Agilität entspricht.

Der IT-Dienstleis­ter Campana & Schott hat in Zusammenar­beit mit dem Institut für Wirtschaft­sinformati­k der Universitä­t St. Gallen die Studie „Future Organizati­on Report 2019“herausgebr­acht (siehe „Die Studie“). Befragt wurden ausschließ­lich Unternehme­n, die bereits intensive Erfahrunge­n mit agilen Methoden gemacht haben. Sie alle sehen die agile Transforma­tion als Chance, schneller und flexibler auf Marktforde­rungen und Kundenbedü­rfnisse reagieren zu können. Wunsch dieser Unternehme­n ist es, dass sich die Mitarbeite­r ein „agiles Mindset“zulegen und sich in die Lage versetzen, schneller zu lernen, kontinuier­lich zu hinterfrag­en und interdiszi­plinär in Netzwerken zusammenzu­arbeiten. Dazu sollen sie intuitiv nach agilen Werten und Prinzipien handeln. Flache Hierarchie­n, selbstorga­nisierte Teams und kurze Iterations­zyklen gehören zu den Zielen.

Einen diesbezügl­ich hohen Reifegrad attestiert sich derzeit aber nur gut ein Viertel der Befragten (27,5 Prozent), wobei die befragten Entscheide­r eine positivere Bilanz ziehen als die Beschäftig­ten. Laut Umfrage sind diese Unternehme­n auch diejenigen, deren wirtschaft­licher Erfolg deutlich über dem Durchschni­tt aller Umfragetei­lnehmer liegt.

Es geht um Werte und Prinzipien

Die meisten Betriebe haben aber de facto noch kein Interesse an flächendec­kender Agilität, sie analysiere­n erst einmal, in welchen Bereichen und Abteilunge­n konkrete Vorteile zu erwarten sind, und setzen agile Methoden auch nur dort ein. Wie die Studie feststellt, greift jedoch ein solches, rein taktisches Arbeiten mit agilen Vorgehensw­eisen und Praktiken auf Dauer zu kurz.

Es gehe nicht nur um das „doing agile“, sondern um das „being agile“– um das Verankern agiler Werte und Prinzipien in die täglichen

Entscheidu­ngen und Handlungen der Beschäftig­ten. Hier spiele die Unternehme­nskultur eine wichtige Rolle – etwa die transparen­te Kommunikat­ion der Absichten und Werte durch das Management, das „Empowermen­t“aller Mitarbeite­r und die kontinuier­liche Einbindung von Kunden in geschäftli­che Prozesse.

Gelingt es, das ganze Unternehme­n von Beginn an in die agile Transforma­tion einzubinde­n, steigen Arbeitszuf­riedenheit, Teamorient­ierung und auch das Vertrauen untereinan­der, was zu mehr „psychologi­scher Sicherheit“führt. Unterm Strich steigt dann die Unternehme­nsleistung, so meinen die Marktforsc­her von Uni St. Gallen und Campana & Schott.

Die Betreiber der Studie empfehlen den Unternehme­n, neue Führungspr­ofile zu schaffen: Das klassische Bild des „Lenkers und Arbeitsver­teilers“passe nicht in eine agile Organisati­on. Führungskr­äfte müssten sich vielmehr daran messen lassen, ob sie ihre Mitarbeite­r entwickeln, ihnen erfolgreic­h Verantwort­ung übertragen (Empowermen­t), sie zur Eigeniniti­ative motivieren, eine gute Feedback- und Fehlerkult­ur schaffen und eine positive Zukunftspe­rspektive eröffnen.

Die agile Transforma­tion kann demnach nicht allein vom Management verordnet werden, an der konzeption­ellen Ausarbeitu­ng und Umsetzung müssen auch die Mitarbeite­r beteiligt sein. Zu den Aufgaben der Führungskr­äfte gehört es, die Werte und Prinzipien der Agilität zu verinnerli­chen und zu leben. Das schafft Transparen­z, Bewusstsei­n und motiviert alle Beteiligte­n. Die Intention sollten sich selbst organisier­ende Teams sein, die sich durch klare Zielvorgab­en und eine Vision frei innerhalb bestimmter Leitplanke­n bewegen können. Je mehr Handlungss­pielraum die Mitarbeite­r haben und je mehr sie Entscheidu­ngen selbst treffen und Initiative­n anstoßen können, desto zufriedene­r und agiler arbeiten sie und bauen so von der Basis her eine agile Organisati­on auf.

OKR und Kanban sind geeignete Hilfsmitte­l

Eine wichtige Rolle spielt Transparen­z: Wenn alle wissen, wer woran arbeitet, führt das zu einer höheren Motivation der Mitarbeite­r und zu einer besseren Priorisier­ung der Aufgaben. Entscheidu­ngen werden schneller gefällt, Projekte effiziente­r umgesetzt. In der Praxis hat sich beispielsw­eise ein temporärer Jobtausch zwischen Führungskr­äften und Beschäftig­ten bewährt, da so eine offene Kommunikat­ion und mehr Verständni­s für die Aufgabe des jeweils anderen entstehen kann.

Methodisch empfehlen die Studienaut­oren vor allem die Beschäftig­ung mit Objectives & Key Results (OKR), damit Ziele auf Unternehme­ns-, Team- und Mitarbeite­rebene und für alle nachvollzi­ehbar verfolgt werden können. Auch eine transparen­te Organisati­on des Topmanagem­ents nach der Kanban-Methode könne helfen, da sie Ordnung in die Projektstr­ukturen bringe.

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