Stresstest für die Netz-Infrastruktur
Online-Gamer und Netflix-Junkies überlasten die Netze.
Das Homeoffice ist in Zeiten des Coronavirus für viele Pflicht – und mit ihm eine stabile Internet-Verbindung. Videokonferenzen und Collaboration-Teams belasten die Netze nicht, wohl aber Streaming-Dienste und Online-Games.
Angesichts der grassierenden CoronaPandemie arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice. Tatsächlich ist das aber nicht der wichtigste Grund für die temporär überlasteten Netze: Es sind vielmehr die Online-Gamer sowie die Freunde von Musikund vor allem Video-Streaming-Angeboten, die sich daheim langweilen und nun für hohen Netzverkehr sorgen.
Mit 9,1 Terabit Daten pro Sekunde (Tbps) verzeichnete der Frankfurter Internet-Austauschknoten DE-CIX am Abend des 10. März einen neuen Weltrekord. Die Hessen berichten vom höchsten jemals gemessenen Traffic-Anstieg, zwei Tage vorher hatten sie noch 8,3 Tbps gemessen. Normalerweise entstehen Peaks immer dann, wenn sich etwas Besonderes ereignet: ein saisonales Sportereignis etwa, das als Live-Stream verfolgt werden kann, ein iOS-Update von Apple oder ein neues OnlineSpiel wird gelauncht. Jetzt ist das anders: Mit dem Virus sitzen die Menschen zu Millionen zuhause, arbeiten von dort und suchen vor allem Unterhaltung im Netz.
Bitkom: Breitbandinfrastruktur hält das aus
Der ITK-Branchenverband Bitkom sieht die Breitbandinfrastruktur in Deutschland dem Ansturm gewachsen. Die Spitzenbelastungen entfielen vor allem auf die Abendstunden, tagsüber würden kaum neue Lastspitzen erreicht. Video-Streaming und Online-Gaming verursachten den Großteil der Datennutzung in den Netzen, etwa 60 Prozent des gesamten Datenverkehrs entfallen laut Bitkom auf Netflix, Amazon Prime und Co. Tatsächlich meldete die Online-Gaming-Plattform Steam einen neuen Rekord: Erstmals wurden mehr als 20 Millionen gleichzeitige Benutzer gezählt.
Im Vergleich zum Ressourcenbedarf der Gamer und Couch-Potatoes sind die Anforderungen von Homeoffice-Workern gar nicht so hoch. E-Mail und Collaboration-Tools erfordern nur kleine Bandbreiten. Auch Videokonferenzen sind mit vergleichsweise geringen Geschwindigkeiten zwischen zwei und acht Mbit/s problemlos möglich. Wie der Bitkom versichert, ist es in der aktuellen Situation nicht nötig, sich in der Online-Nutzung einzuschränken. Komme es zu Beeinträchtigungen, sollten Nutzer erstmal ihre eigene Infrastruktur überprüfen – also Router-Einstellungen optimieren und den Datenverkehr im Heimnetz für einzelne Geräte oder Anwendungen priorisieren, insbesondere für den Arbeits-Laptop.
Laut Bitkom prüfen die Carrier permanent ihre Netze auf Funktionstüchtigkeit. Viele Engpässe ließen sich durch ein effektives NetzwerkManagement verhindern. Jetzt gehe es vor allem darum, dafür zu sorgen, dass Techniker im Außendienst weiterhin schnell auf Störungen reagieren könnten. Auch empfehle es sich, die Shops der Mobilfunknetzbetreiber als Anlaufstelle für Kunden mit individuellen Problemen geöffnet zu halten.
Dass ein reibungsloser Netz- und Telefonverkehr in diesen Zeiten nicht selbstverständlich ist, zeigt unterdessen das Beispiel des Schweizer Nachbarn Swisscom, bei dem am 16. März teilweise die Gespräche via Festnetz und Mobilfunk unterbrochen waren. Das vermehrte Arbeiten von Zuhause habe zu einer Überlastung der Systeme geführt, so die Swisscom, die unverzüglich damit begann, ihre Kapazitäten weiter auszubauen.
Punktuelle Überlastung in der Schweiz
Die Eidgenossen hatten am Vormittag des betreffenden Tages dreimal mehr Anrufe über das Mobilfunknetz registriert als in den Tagen zuvor. Auch das Festnetzvolumen war massiv gestiegen. Eine „punktuelle Überlastung“könne aber auch künftig nicht ausgeschlossen werden. Auch der Internet-Datenverkehr könne ins Stocken geraten, warnte die Swisscom, vor allem wenn Unternehmen ihre Systeme nicht für ein verstärktes Zugreifen via Internet ausgerüstet hätten. Das Nadelöhr sei häufig der „Eingang in die Infrastruktur des Unternehmens“. Auch die Telecom Italia verzeichnete Probleme in Sachen Netzverfügbarkeit. Sie macht ein massives Ansteigen der Nutzung von Online-Games wie Fortnite oder Call of Duty sowie von Streaming-Diensten dafür verantwortlich. Das Datenvolumen sei bereits um 70 Prozent gestiegen, erste Netzüberlastungen bekämen Bürger in einigen Regionen zu spüren, wenngleich das Netz insgesamt stabil laufe. Unterdessen versucht die EU-Kommission Netflix davon zu überzeugen, Videos wegen der hohen Netzlast erst einmal nicht mehr in Ultra-HD-Qualität zu übertragen.
Überrascht vom großen Nutzerandrang wurde derweil Microsoft mit seiner CollaborationPlattform Teams, die derzeit einen enormen Zulauf hat. Mitte März war Teams in Europa für mehrere Stunden nicht erreichbar. Auf Twitter teilte das Unternehmen mit, man untersuche derzeit Messaging-bezogene Funktionsprobleme von Teams. Benutzer berichteten allerdings, es gäbe nicht nur Messaging-, sondern auch funktionale Probleme, etwa wenn es darum ging, Gäste zu einer OnlineKonferenz einzuladen. Zuvor hatte auch die Gaming-Plattform Xbox Live zeitweilig ihren Dienst quittiert, steht aber inzwischen wieder voll zur Verfügung.