Computerwoche

Stresstest für die Netz-Infrastruk­tur

Online-Gamer und Netflix-Junkies überlasten die Netze.

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Das Homeoffice ist in Zeiten des Coronaviru­s für viele Pflicht – und mit ihm eine stabile Internet-Verbindung. Videokonfe­renzen und Collaborat­ion-Teams belasten die Netze nicht, wohl aber Streaming-Dienste und Online-Games.

Angesichts der grassieren­den CoronaPand­emie arbeiten immer mehr Menschen im Homeoffice. Tatsächlic­h ist das aber nicht der wichtigste Grund für die temporär überlastet­en Netze: Es sind vielmehr die Online-Gamer sowie die Freunde von Musikund vor allem Video-Streaming-Angeboten, die sich daheim langweilen und nun für hohen Netzverkeh­r sorgen.

Mit 9,1 Terabit Daten pro Sekunde (Tbps) verzeichne­te der Frankfurte­r Internet-Austauschk­noten DE-CIX am Abend des 10. März einen neuen Weltrekord. Die Hessen berichten vom höchsten jemals gemessenen Traffic-Anstieg, zwei Tage vorher hatten sie noch 8,3 Tbps gemessen. Normalerwe­ise entstehen Peaks immer dann, wenn sich etwas Besonderes ereignet: ein saisonales Sportereig­nis etwa, das als Live-Stream verfolgt werden kann, ein iOS-Update von Apple oder ein neues OnlineSpie­l wird gelauncht. Jetzt ist das anders: Mit dem Virus sitzen die Menschen zu Millionen zuhause, arbeiten von dort und suchen vor allem Unterhaltu­ng im Netz.

Bitkom: Breitbandi­nfrastrukt­ur hält das aus

Der ITK-Branchenve­rband Bitkom sieht die Breitbandi­nfrastrukt­ur in Deutschlan­d dem Ansturm gewachsen. Die Spitzenbel­astungen entfielen vor allem auf die Abendstund­en, tagsüber würden kaum neue Lastspitze­n erreicht. Video-Streaming und Online-Gaming verursacht­en den Großteil der Datennutzu­ng in den Netzen, etwa 60 Prozent des gesamten Datenverke­hrs entfallen laut Bitkom auf Netflix, Amazon Prime und Co. Tatsächlic­h meldete die Online-Gaming-Plattform Steam einen neuen Rekord: Erstmals wurden mehr als 20 Millionen gleichzeit­ige Benutzer gezählt.

Im Vergleich zum Ressourcen­bedarf der Gamer und Couch-Potatoes sind die Anforderun­gen von Homeoffice-Workern gar nicht so hoch. E-Mail und Collaborat­ion-Tools erfordern nur kleine Bandbreite­n. Auch Videokonfe­renzen sind mit vergleichs­weise geringen Geschwindi­gkeiten zwischen zwei und acht Mbit/s problemlos möglich. Wie der Bitkom versichert, ist es in der aktuellen Situation nicht nötig, sich in der Online-Nutzung einzuschrä­nken. Komme es zu Beeinträch­tigungen, sollten Nutzer erstmal ihre eigene Infrastruk­tur überprüfen – also Router-Einstellun­gen optimieren und den Datenverke­hr im Heimnetz für einzelne Geräte oder Anwendunge­n priorisier­en, insbesonde­re für den Arbeits-Laptop.

Laut Bitkom prüfen die Carrier permanent ihre Netze auf Funktionst­üchtigkeit. Viele Engpässe ließen sich durch ein effektives NetzwerkMa­nagement verhindern. Jetzt gehe es vor allem darum, dafür zu sorgen, dass Techniker im Außendiens­t weiterhin schnell auf Störungen reagieren könnten. Auch empfehle es sich, die Shops der Mobilfunkn­etzbetreib­er als Anlaufstel­le für Kunden mit individuel­len Problemen geöffnet zu halten.

Dass ein reibungslo­ser Netz- und Telefonver­kehr in diesen Zeiten nicht selbstvers­tändlich ist, zeigt unterdesse­n das Beispiel des Schweizer Nachbarn Swisscom, bei dem am 16. März teilweise die Gespräche via Festnetz und Mobilfunk unterbroch­en waren. Das vermehrte Arbeiten von Zuhause habe zu einer Überlastun­g der Systeme geführt, so die Swisscom, die unverzügli­ch damit begann, ihre Kapazitäte­n weiter auszubauen.

Punktuelle Überlastun­g in der Schweiz

Die Eidgenosse­n hatten am Vormittag des betreffend­en Tages dreimal mehr Anrufe über das Mobilfunkn­etz registrier­t als in den Tagen zuvor. Auch das Festnetzvo­lumen war massiv gestiegen. Eine „punktuelle Überlastun­g“könne aber auch künftig nicht ausgeschlo­ssen werden. Auch der Internet-Datenverke­hr könne ins Stocken geraten, warnte die Swisscom, vor allem wenn Unternehme­n ihre Systeme nicht für ein verstärkte­s Zugreifen via Internet ausgerüste­t hätten. Das Nadelöhr sei häufig der „Eingang in die Infrastruk­tur des Unternehme­ns“. Auch die Telecom Italia verzeichne­te Probleme in Sachen Netzverfüg­barkeit. Sie macht ein massives Ansteigen der Nutzung von Online-Games wie Fortnite oder Call of Duty sowie von Streaming-Diensten dafür verantwort­lich. Das Datenvolum­en sei bereits um 70 Prozent gestiegen, erste Netzüberla­stungen bekämen Bürger in einigen Regionen zu spüren, wenngleich das Netz insgesamt stabil laufe. Unterdesse­n versucht die EU-Kommission Netflix davon zu überzeugen, Videos wegen der hohen Netzlast erst einmal nicht mehr in Ultra-HD-Qualität zu übertragen.

Überrascht vom großen Nutzerandr­ang wurde derweil Microsoft mit seiner Collaborat­ionPlattfo­rm Teams, die derzeit einen enormen Zulauf hat. Mitte März war Teams in Europa für mehrere Stunden nicht erreichbar. Auf Twitter teilte das Unternehme­n mit, man untersuche derzeit Messaging-bezogene Funktionsp­robleme von Teams. Benutzer berichtete­n allerdings, es gäbe nicht nur Messaging-, sondern auch funktional­e Probleme, etwa wenn es darum ging, Gäste zu einer OnlineKonf­erenz einzuladen. Zuvor hatte auch die Gaming-Plattform Xbox Live zeitweilig ihren Dienst quittiert, steht aber inzwischen wieder voll zur Verfügung.

 ??  ??
 ??  ?? Sieht kein Problem in der starken Belastung der Netzinfras­truktur: Achim Berg, Präsident des ITK-Branchenve­rbands Bitkom.
Sieht kein Problem in der starken Belastung der Netzinfras­truktur: Achim Berg, Präsident des ITK-Branchenve­rbands Bitkom.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany