Zum Projekt:
Die Professoren Andreas Boes, Thomas Hess und Alexander Pretschner leiten zusammen das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Inverse Transparenz: Beteiligungsorientierte Ansätze für Datensouveränität in der digitalen Arbeitswelt gestalten“, das 2019 gestartet ist. Dafür arbeiten sie mit dem Unternehmen Software AG zusammen. Sie sind Direktoriumsmitglieder des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt), Pretschner ist dessen Vorsitzender.
https://www.inversetransparenz.de/ uber-das-projekt
BOES: Bei einfachen Büroarbeiten werden zum Beispiel die Anschläge gemessen.
HESS: ... oder in der Industrieproduktion, wie viele Teile gefertigt werden.
BOES: Software-Entwicklung dagegen ist im Grunde eine hochkreative Tätigkeit, bei der komplexe und innovative Produkte entstehen. Wir arbeiten in einem Projekt mit der Software AG zusammen. Das Unternehmen geht bewusst damit um, dass es eben nicht alles misst, was es messen könnte. Sondern es wird versucht, in Datentransparenz zu fassen, was wirklich wichtig ist. Zum Beispiel, wie ein Problem gelöst wurde. Diese Erfahrungen werden dann mit allen Beschäftigten weltweit geteilt.
HESS: Auf Führungsebene ist interessant, dass das Management die Daten eben nicht einsetzt, um den individuellen Fortschritt zu kontrollieren. Es könnte problemlos an der Software nachlesen, wie viele Zeilen jemand geschrieben hat, und meinen, wer viel programmiert hat, sei produktiv. Oder man könnte es am Ergebnis festmachen: Vielleicht hat jemand zwar nur drei Module geschrieben, aber es sind die besseren. Eine solche Kontrolle wäre aus Unternehmensperspektive aber nicht sinnhaft. Sie würde nicht dazu führen, dass das Management Input für Innovationen bekommt.
CW: Das Stichwort Innovationen ist öfter gefallen: Wie lassen sich Daten dafür nutzen?
PRETSCHNER: Es gibt die Forschungsströmung der sogenannten Code-Intelligence. Früher haben wir Informatiker versucht, allein aus dem Code Rückschlüsse zu ziehen, wo etwa besonders fehleranfällige Stellen liegen, oder welche Code-Stücke besonders schwierig zu warten sind – anhand von Metriken, mit denen wir strukturelle Merkmale des Codes erfasst haben. Das hat nicht so richtig gut funktioniert. Aber wenn man Kontextwissen aus dem Entwicklungsprozess dazu nimmt, klappt das sehr viel besser. Wir können Testfälle so sortieren, dass diejenigen Tests als erstes ausgeführt werden, die am wahrscheinlichsten Fehler finden, sodass Entwickler schnell Rückkopplungen erhalten. Ich glaube, dass entwicklungsbezogene Daten die Software-Entwicklung extrem positiv beeinflussen können – sofern sie menschenverträglich verwendet werden.
BOES: Das sind also nicht nur leistungsbezogene Daten, die anfallen. Viele Daten sind immer wichtiger dafür, dass Menschen vernünftig zusammenarbeiten können. Zum Beispiel läuft in manchen Unternehmen die ganze Kommunikation in Systemen ähnlich dem, was wir von Facebook kennen. Und moderne Unternehmen schaffen über Daten Transparenz. Es gibt Programme, bei denen Kollegen sehen, wie weit Arbeitsabläufe fortgeschritten sind, an die sie dann anschließen. In den neuen datenbasierten Wertschöpfungssystemen gehen Innovation und Wertschöpfung Hand in Hand. Firmen wie Facebook, Google oder Spotify sind permanent dabei, ihr Produkt zu erweitern und zu verbessern. Sie brauchen datenvermittelte Transparenz, damit die Beschäftigten innovativ sind. Die sehen in Echtzeit, wie ein Kunde mit ihrem Produkt umgeht, und können sich dann Gedanken machen, wie es sich verbessern lässt.
HESS: Innovation ist sicher der unternehmerisch wichtigste Bereich, aber es gibt noch andere Felder, zum Beispiel die Arbeitssicherheit.
BOES: Wir beginnen in diesem Jahr mit dem betrieblichen Praxislaboratorium bei der Software AG. Im dritten Jahr sollen Technologie und das Instrumentarium auf eine größere Gruppe von Unternehmen übertragen werden. Unser Ziel ist, am Ende eine fallerprobte Lösung zu haben für den Umgang mit Daten in digitalen Arbeitsprozessen.
PRETSCHNER: Perspektivisch sollte der Ansatz natürlich nicht nur für Software-Ingenieure Anwendung finden, sondern auch für Manager.
„Früher haben wir Informatiker versucht, allein aus dem Code Rückschlüsse zu ziehen, wo etwa besonders fehleranfällige Stellen liegen oder welche Code-Stücke besonders schwierig zu warten sind. Das hat nicht so richtig gut funktioniert. Aber wenn man Kontextwissen aus dem Entwicklungsprozess dazu nimmt, klappt das sehr viel besser.“
Alexander Pretschner, TU München/bidt
„Unsere Meinung ist, dass sich ohne Vertrauenskultur ein vernünftiges Arbeiten nicht erreichen lässt.“
Andreas Boes, ISF/bidt