Was wird aus Zukunftstechnologien?
Eigentlich sollte der 5G-Ausbau in vollem Gange sein, doch nun steckt der schnelle Mobilfunk in den Startlöchern fest. Technologien und Endgeräte aus China sind zurzeit oft nicht greifbar. Auch andere Zukunftstechnologien wie KI oder Virtual und Augmented Reality kommen nicht planmäßig voran.
Der Mobilfunk der 5. Generation hängt in den Startlöchern fest. Auch Virtual und Augmented Reality dürften wegen der Pandemie nicht so vorankommen wie erhofft. Künstliche Intelligenz indes ist für die Bewältigung der Krise ein Faktor.
Die Analysten von ABI Research haben überlegt, welche Folgen die Coronakrise auf den Einsatz von Zukunftstechnologien haben könnte. Insbesondere beschäftigen sie sich mit dem Mobilfunk der 5. Generation (5G), der künstlichen Intelligenz (KI) sowie mit Virtual und Augmented Reality (VR/AR).
5G-Netzwerke
Mit 5G sowie der voranschreitenden Glasfaservernetzung in vielen Ländern und einer neuen Generation von Software sind Unternehmen laut ABI Research in der Lage, eine neue Ära der Innovation und der globalen Zusammenarbeit einzuläuten, was sich grundsätzlich positiv auf den Wohlstands auswirke. Die Coronakrise bedeute allerdings einen herben Rückschlag auf diesem Weg. Die großen Telcos mit ihren aggressiven 5G-Rollout-Plänen bekommen demnach Probleme, vor allem wenn sie von Zulieferungen aus China abhängen.
Die für den Mobilfunkmarkt so wichtige globale Standardisierungsinitiative 3GPP (3rd Generation Partnership Project) komme mit ihrer Arbeit nach dem Ausfall des Mobile World Congress (MWC) nur noch schleppend voran und müsse den Release-16-Standard höchstwahrscheinlich bis zum Jahresende verschieben, fürchten die Analysten. Da dieser wichtige Features für das Enterprise beinhalte, werde das die Implementierungen in Unternehmen hemmen. Generell würden sich Consumer- und EnterpriseAnwendungen, die 5G unterstützen, verzögern, weil die Mobilfunkbetreiber mit dem Virus viele andere Baustellen hätten.
ABI Research glaubt zudem, dass die anhaltenden Probleme chinesischer Zulieferer der USPolitik in die Hände spielen werden. Dort fürchtet man eine starke Abhängigkeit von China und möchte in Sachen 5G lieber ein offenes, weltweit verteiltes Entwicklungsnetzwerk vorantreiben. Auch die Telcos werden demnach die Abhängigkeit von China senken wollen – bei Endgeräten ebenso wie bei der Netzinfrastruktur. Was 5G
Smartphones, Wearables und sonstige Endgeräte angeht, sind Lieferengpässe unvermeidlich, da China die Werkbank der Welt ist. Der COVID-19-Ausbruch hat im Reich der Mitte massive Folgen für Produktion und Lieferketten. Auch als weltgrößter Markt ist China in den vergangenen Wochen kräftig eingebrochen.
Obwohl es auch bei Laptops und Tablets Lieferengpässe gibt, ist der Smartphone-Markt doch am stärksten betroffen. Apple, Huawei, Xiaomi und OPPO – die größten Smartphone-Hersteller kommen aus China oder lassen dort fertigen. Sie haben ihre Roadmaps für die Entwicklung neuer Modelle bereits angepasst oder ihre für 2020 vorhergesagten Absatzzahlen revidiert. Auch wichtige Supply-Chain-Partner wie Qualcomm, Broadcom, Qorvo oder Skyworks sind von der Krise hart getroffen. Die SmartphoneProduktion soll in der ersten Jahreshälfte 2020 um bis zu 30 Prozent sinken, so ABI Research, Unterbrechungen in den Handelsketten würden die Situation noch verschlimmern. Besser steht es um Samsung: Die Koreaner hatten ihre Produktion in den vergangenen Jahren weg von China in eine ganze Reihe von anderen Ländern verlagert, darunter Vietnam, Indien und Taiwan. Das könnte sich jetzt positiv auswirken.
KI und Machine Learning
Einen Schub könnte laut ABI Research die zweite große Triebkraft der Digitalisierung erhalten, das Segment künstliche Intelligenz (KI) und Machine-Learning (ML). Unternehmen wie Alibaba, YITU, das Startup Graphen oder Google Deepmind – sie und viele andere arbeiten daran, KI-Tools zu entwickeln, die einen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Krise leisten. Es geht um intelligente Lösungen, um das Virus schneller zu entdecken, seine Entstehung nachzuvollziehen, die geographische Verbreitung zu verstehen und durch die Analyse von Proteinstrukturen schneller an einen Impfstoff zu gelangen. Auch wird KI in der Bioinformatik genutzt, wo die RNA-Sequenz des Erregers analysiert wird, um Medikamente für die Behandlung der Symptome zu entwickeln.
Pharmazeutische Unternehmen und Gesundheitsbehörden werden in Zukunft alles tun, um Pandemien früher zu entdecken und die Ausbreitung gezielt zu verhindern. Vor allem werden sie schneller Medikamente entwickeln können. KI wird dabei zu den wichtigsten unterstützenden Technologien gehören. Die Investitionen der Pharmaindustrie in diesen Bereich sollen schon bald in die Milliarden gehen.
Augmented und Virtual Reality
Die Produktion von Datenbrillen und sonstigem Equipment rund um AR und VR hat unter dem Coronavirus stark gelitten, zumal die Consumer-Electronics-Industrie hier führend ist – und die sitzt in China, Taiwan und Südkorea. Ein Beispiel ist MAD Gaze, ein AR-Brillenhersteller aus Hongkong, der Lieferschwierigkeiten meldete und die Displays nun nicht mehr aus China, sondern aus Korea und Japan bezieht. Auch Nreal, ein kleiner chinesischer Anbieter von Smart Glasses für den ConsumerMarkt, beklagt Produktions- und Lieferprobleme. Dasselbe gilt für die großen drei: Oculus, HTC und Vive.
ABI Research glaubt, dass die finanziellen Konsequenzen für diese Anbieter hart sein werden, zumal die Nachfrage einbrechen und unerwartete Kosten die Hersteller treffen würden. Viele Startups in diesem Bereich litten zudem unter finanziellen Engpässen, weil die Risikokapital-Quellen teilweise versiegen könnten. Verzögerungen dürfte es zudem in der Entwicklung von AR/VR-Anwendungen geben, auch vor dem Hintergrund, weil die wichtigen Developer-Konferenzen von Facebook, Apple und Google in diesem Jahr abgesagt wurden.
Probleme sieht ABI vor allem für kleine Anbieter und Startups, bei denen alles von der Auslieferung eines bestimmten Produkts abhängt. Die großen Konzerne würden von den Zulieferern bevorzugt behandelt und hätten oft noch gut gefüllte Lager, sie dürften nicht so schwer betroffen sein.
ABI unterscheidet im AR/ VR-Markt zwischen dem Consumer- und dem Enterprise-Segment. Einige Unternehmen arbeiteten bereits mit Fernwartung, wobei Mitarbeiter in einer bestimmten Region oder einem Werk über eine Datenbrille Informationen zu einer Problemlösung eingespielt bekommen. Das Interesse an solchen Lösungen werde nun sprunghaft zunehmen, da aufgrund des Virus die Reiseaktivitäten zum Stillstand gekommen sind.
Angesichts der finanziellen Folgen aus der Corona-Krise werden sich allerdings viele Unternehmen keine teuren Head-mounted Systems leisten wollen. Wann immer es möglich ist, werden sie auf App-basierte Lösungen setzen, die das Smartphone oder ein anderes mobiles Endgerät nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie – ähnlich wie beim Einsatz von KI und ML – erst einmal sinnvolle BusinessCases identifizieren. Dazu dürfte das Coronavirus beitragen: Jetzt ist das Bereitstellen von Wissen über große Distanzen gefragt. Dafür können VR- und AR-Lösungen der Schlüssel sein.