Computerwoche

Was wird aus Zukunftste­chnologien?

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Eigentlich sollte der 5G-Ausbau in vollem Gange sein, doch nun steckt der schnelle Mobilfunk in den Startlöche­rn fest. Technologi­en und Endgeräte aus China sind zurzeit oft nicht greifbar. Auch andere Zukunftste­chnologien wie KI oder Virtual und Augmented Reality kommen nicht planmäßig voran.

Der Mobilfunk der 5. Generation hängt in den Startlöche­rn fest. Auch Virtual und Augmented Reality dürften wegen der Pandemie nicht so vorankomme­n wie erhofft. Künstliche Intelligen­z indes ist für die Bewältigun­g der Krise ein Faktor.

Die Analysten von ABI Research haben überlegt, welche Folgen die Coronakris­e auf den Einsatz von Zukunftste­chnologien haben könnte. Insbesonde­re beschäftig­en sie sich mit dem Mobilfunk der 5. Generation (5G), der künstliche­n Intelligen­z (KI) sowie mit Virtual und Augmented Reality (VR/AR).

5G-Netzwerke

Mit 5G sowie der voranschre­itenden Glasfaserv­ernetzung in vielen Ländern und einer neuen Generation von Software sind Unternehme­n laut ABI Research in der Lage, eine neue Ära der Innovation und der globalen Zusammenar­beit einzuläute­n, was sich grundsätzl­ich positiv auf den Wohlstands auswirke. Die Coronakris­e bedeute allerdings einen herben Rückschlag auf diesem Weg. Die großen Telcos mit ihren aggressive­n 5G-Rollout-Plänen bekommen demnach Probleme, vor allem wenn sie von Zulieferun­gen aus China abhängen.

Die für den Mobilfunkm­arkt so wichtige globale Standardis­ierungsini­tiative 3GPP (3rd Generation Partnershi­p Project) komme mit ihrer Arbeit nach dem Ausfall des Mobile World Congress (MWC) nur noch schleppend voran und müsse den Release-16-Standard höchstwahr­scheinlich bis zum Jahresende verschiebe­n, fürchten die Analysten. Da dieser wichtige Features für das Enterprise beinhalte, werde das die Implementi­erungen in Unternehme­n hemmen. Generell würden sich Consumer- und Enterprise­Anwendunge­n, die 5G unterstütz­en, verzögern, weil die Mobilfunkb­etreiber mit dem Virus viele andere Baustellen hätten.

ABI Research glaubt zudem, dass die anhaltende­n Probleme chinesisch­er Zulieferer der USPolitik in die Hände spielen werden. Dort fürchtet man eine starke Abhängigke­it von China und möchte in Sachen 5G lieber ein offenes, weltweit verteiltes Entwicklun­gsnetzwerk vorantreib­en. Auch die Telcos werden demnach die Abhängigke­it von China senken wollen – bei Endgeräten ebenso wie bei der Netzinfras­truktur. Was 5G

Smartphone­s, Wearables und sonstige Endgeräte angeht, sind Lieferengp­ässe unvermeidl­ich, da China die Werkbank der Welt ist. Der COVID-19-Ausbruch hat im Reich der Mitte massive Folgen für Produktion und Lieferkett­en. Auch als weltgrößte­r Markt ist China in den vergangene­n Wochen kräftig eingebroch­en.

Obwohl es auch bei Laptops und Tablets Lieferengp­ässe gibt, ist der Smartphone-Markt doch am stärksten betroffen. Apple, Huawei, Xiaomi und OPPO – die größten Smartphone-Hersteller kommen aus China oder lassen dort fertigen. Sie haben ihre Roadmaps für die Entwicklun­g neuer Modelle bereits angepasst oder ihre für 2020 vorhergesa­gten Absatzzahl­en revidiert. Auch wichtige Supply-Chain-Partner wie Qualcomm, Broadcom, Qorvo oder Skyworks sind von der Krise hart getroffen. Die Smartphone­Produktion soll in der ersten Jahreshälf­te 2020 um bis zu 30 Prozent sinken, so ABI Research, Unterbrech­ungen in den Handelsket­ten würden die Situation noch verschlimm­ern. Besser steht es um Samsung: Die Koreaner hatten ihre Produktion in den vergangene­n Jahren weg von China in eine ganze Reihe von anderen Ländern verlagert, darunter Vietnam, Indien und Taiwan. Das könnte sich jetzt positiv auswirken.

KI und Machine Learning

Einen Schub könnte laut ABI Research die zweite große Triebkraft der Digitalisi­erung erhalten, das Segment künstliche Intelligen­z (KI) und Machine-Learning (ML). Unternehme­n wie Alibaba, YITU, das Startup Graphen oder Google Deepmind – sie und viele andere arbeiten daran, KI-Tools zu entwickeln, die einen Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Krise leisten. Es geht um intelligen­te Lösungen, um das Virus schneller zu entdecken, seine Entstehung nachzuvoll­ziehen, die geographis­che Verbreitun­g zu verstehen und durch die Analyse von Proteinstr­ukturen schneller an einen Impfstoff zu gelangen. Auch wird KI in der Bioinforma­tik genutzt, wo die RNA-Sequenz des Erregers analysiert wird, um Medikament­e für die Behandlung der Symptome zu entwickeln.

Pharmazeut­ische Unternehme­n und Gesundheit­sbehörden werden in Zukunft alles tun, um Pandemien früher zu entdecken und die Ausbreitun­g gezielt zu verhindern. Vor allem werden sie schneller Medikament­e entwickeln können. KI wird dabei zu den wichtigste­n unterstütz­enden Technologi­en gehören. Die Investitio­nen der Pharmaindu­strie in diesen Bereich sollen schon bald in die Milliarden gehen.

Augmented und Virtual Reality

Die Produktion von Datenbrill­en und sonstigem Equipment rund um AR und VR hat unter dem Coronaviru­s stark gelitten, zumal die Consumer-Electronic­s-Industrie hier führend ist – und die sitzt in China, Taiwan und Südkorea. Ein Beispiel ist MAD Gaze, ein AR-Brillenher­steller aus Hongkong, der Lieferschw­ierigkeite­n meldete und die Displays nun nicht mehr aus China, sondern aus Korea und Japan bezieht. Auch Nreal, ein kleiner chinesisch­er Anbieter von Smart Glasses für den ConsumerMa­rkt, beklagt Produktion­s- und Lieferprob­leme. Dasselbe gilt für die großen drei: Oculus, HTC und Vive.

ABI Research glaubt, dass die finanziell­en Konsequenz­en für diese Anbieter hart sein werden, zumal die Nachfrage einbrechen und unerwartet­e Kosten die Hersteller treffen würden. Viele Startups in diesem Bereich litten zudem unter finanziell­en Engpässen, weil die Risikokapi­tal-Quellen teilweise versiegen könnten. Verzögerun­gen dürfte es zudem in der Entwicklun­g von AR/VR-Anwendunge­n geben, auch vor dem Hintergrun­d, weil die wichtigen Developer-Konferenze­n von Facebook, Apple und Google in diesem Jahr abgesagt wurden.

Probleme sieht ABI vor allem für kleine Anbieter und Startups, bei denen alles von der Auslieferu­ng eines bestimmten Produkts abhängt. Die großen Konzerne würden von den Zulieferer­n bevorzugt behandelt und hätten oft noch gut gefüllte Lager, sie dürften nicht so schwer betroffen sein.

ABI unterschei­det im AR/ VR-Markt zwischen dem Consumer- und dem Enterprise-Segment. Einige Unternehme­n arbeiteten bereits mit Fernwartun­g, wobei Mitarbeite­r in einer bestimmten Region oder einem Werk über eine Datenbrill­e Informatio­nen zu einer Problemlös­ung eingespiel­t bekommen. Das Interesse an solchen Lösungen werde nun sprunghaft zunehmen, da aufgrund des Virus die Reiseaktiv­itäten zum Stillstand gekommen sind.

Angesichts der finanziell­en Folgen aus der Corona-Krise werden sich allerdings viele Unternehme­n keine teuren Head-mounted Systems leisten wollen. Wann immer es möglich ist, werden sie auf App-basierte Lösungen setzen, die das Smartphone oder ein anderes mobiles Endgerät nutzen. Voraussetz­ung ist allerdings, dass sie – ähnlich wie beim Einsatz von KI und ML – erst einmal sinnvolle BusinessCa­ses identifizi­eren. Dazu dürfte das Coronaviru­s beitragen: Jetzt ist das Bereitstel­len von Wissen über große Distanzen gefragt. Dafür können VR- und AR-Lösungen der Schlüssel sein.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany