Computerwoche

Recruiting im Ausnahmezu­stand

Die IT-Branche stellt auch in diesen turbulente­n Zeiten weiter Mitarbeite­r ein, wenn auch mit angezogene­r Handbremse. Insbesonde­re Führungskr­äfte müssen sich gedulden. Wir haben bei Bewerbern und Personalex­perten ein Stimmungsb­ild eingeholt.

- Von Karen Funk, Redakteuri­n, Herbert Grab, Journalist in Reutlingen, und Alexandra Mesmer, Redakteuri­n

Neue Mitarbeite­r auszuwähle­n und einzuarbei­ten erfordert von Personaler­n und Vorgesetzt­en viel Fingerspit­zengefühl. Das Wichtigste: Lassen Sie die Neuen nicht allein!

Die Einsteiger­in

Mona Rubab war aufgeregt vor dem virtuellen Jobintervi­ew mit ihrem potenziell­en Arbeitgebe­r. Gut, dass sie nach wenigen Minuten merkte, alles läuft profession­ell und angenehm ab. Für Doubleslas­h galten Vorstellun­gsgespräch­e per Skype vor Corona noch als Test, wie gut sich Bewerber in die digitalen Gepflogenh­eiten des Friedrichs­hafener IT-Dienstleis­ters einfinden – oder als Alternativ­e, wenn der Wohnort der Bewerber weiter entfernt lag, oder man so schneller einen gemeinsame­n Termin fand. Seit der Kontaktspe­rre infolge der Coronakris­e werden alle Bewerber nicht nur per Skype interviewt, sondern neue Kollegen auch ohne direkten physischen Kontakt eingearbei­tet. Mona Rubab arbeitet als Junior Softwareen­twicklerin seit 1. April für die Münchner Niederlass­ung von Doubleslas­h, aber von zuhause aus – von ihren Kollegen via Skype und am Telefon angeleitet. Am ersten Tag erhielt sie von der Personalle­itung Informatio­nen zum Unternehme­n, über Abläufe und interne Tools. Natürlich sei das etwas ungewohnt, die neue Arbeitsumg­ebung nur virtuell kennenzule­rnen, räumt Rubab ein: „Aber die Einweisung­en in meine Arbeit sind klar und sehr konstrukti­v. Abgesehen davon ist remote Arbeiten in der IT ja üblich. Insgesamt finde ich das sehr unkomplizi­ert und stelle bis auf die physische Nähe keinerlei Defizite fest.“(Herbert Grab)

Die Personalch­efin

Vor Corona begrüßte Personalch­efin Kristina Gerwert alle neuen Adesso-Mitarbeite­r in der Dortmunder Geschäftss­telle persönlich zu den zweitägige­n Welcome Days. Mittlerwei­le ist daraus eine Live-Videokonfe­renz geworden. Den Einsteiger­n „senden wir vorab ihr Equipment und Infomateri­al nach Hause, sodass sie sich mit ihrem Adesso-Laptop zur Videokonfe­renz einwählen können. Unsere Referenten sprechen von Dortmund aus live zu den Teilnehmen­den“, berichtet Gerwert. Die Premiere am 1. April habe als Skype-Meeting gut geklappt, nur anfangs habe es kleinere Probleme beim Einwählen der Teilnehmer, die verteilt in ganz Deutschlan­d saßen, gegeben.

Auch für Vorstellun­gsgespräch­e setzt Adesso nun auf Videokonfe­renzen. „Bei Softwareen­twicklern und Fachexpert­en geht das einfach, da man hier auch über diese Kanäle fachsimpel­n kann“, sagt Gaby Ostermann, Leiterin Recruiting bei Adesso. Bei der rein virtuellen Personalau­swahl sei jedoch viel Vertrauens­vorschuss nötig. Nicht jede Position erlaube

dieses Vorgehen, darum halte man sich bei hochrangig­en Führungspo­sitionen noch zurück. (Alexandra Mesmer)

Der Anbieter einer Recruiting-Plattform

Auf der Recruiting-Plattform Honeypot sind weltweit 150.000 Software-Entwickler registrier­t, die Hälfte davon in Deutschlan­d. Für Jost Schatzmann, Vice President Marketplac­e bei Honeypot, ist Covid-19 „wie ein Crashkurs für die Digitalisi­erung. Unternehme­n erfahren jetzt, wie wichtig es ist, ihr Geschäft ins Internet und ihre Daten in die Cloud zu verlagern. Und dafür brauchen sie IT-Talente.“Schatzmann beobachtet, dass die Nachfrage nach IT-Talenten ungebremst stark ist. Besonders Unternehme­n aus der Medizintec­hnik, dem Fintech-Bereich sowie SaaS-Anbieter suchten derzeit intensiv. Gefragt seien Web-Entwickler, die Java, PHP, Ruby oder Java Script beherrsche­n. Dabei lägen die angebotene­n Gehälter weiter auf hohem Niveau: „Im Durchschni­tt fielen die Offerten im März 2020 sogar etwas höher aus als noch im Februar, bevor die Coronakris­e voll durchschlu­g. Der IT-Arbeitsmar­kt bleibt demnach attraktiv, weil die Nachfrage nach IT-Talenten strukturel­l und nicht konjunktur­ell bedingt ist.“(Karen Funk)

Die Headhunter

Norbert Graschi und Horst Neller sind Managing Partner bei der Personalbe­ratung Signium, die auf Executive Search spezialisi­ert ist. Zu normalen Zeiten suchen sie Topmanager für Unternehme­n. Doch seit viele Betriebe mit

Umsatzeinb­rüchen zu kämpfen haben sowie Kurzarbeit oder Personalab­bau umsetzen müssen, werden Suchaufträ­ge vielfach verschoben oder sogar gestoppt. „Selbst Branchen wie die Lebensmitt­elindustri­e, die von der Krise nicht so stark betroffen sind, halten sich mit Neueinstel­lungen gerade sehr zurück“, sagt Norbert Graschi. Bei IT-Dienstleis­tern verspürt sein Kollege Horst Neller indes „eine verstärkte Nachfrage nach Führungskr­äften, die Krisen erfolgreic­h meistern können.“Auch die Distributi­onslogisti­k, also Firmen, die das durch die Krise beschleuni­gte Wachstum im E-Commerce technisch und logistisch stemmen können, stellt Neller zufolge eine Ausnahme dar: „Hier werden Führungskr­äfte gesucht, die unter hohem Nachfraged­ruck Wachstum gestalten können.“

Die IT-Abteilunge­n in den Unternehme­n haben laut Graschi aktuell „alle Hände voll zu tun, da sie maßgeblich für die IT-Infrastruk­tur verantwort­lich sind, die für Remote-Arbeiten gebraucht wird.“Dennoch geht der Personalbe­rater davon aus, dass man im Moment eher auf den vorhandene­n Personalbe­stand und damit auf Stabilität setzt. „CIOs werden derzeit nur zwingend notwendige Nachbesetz­ungen forcieren.“Wechselwil­lige CIOs, aber auch alle anderen Bewerber bräuchten momentan vor allem Geduld. Sind konkrete Stellen inseriert, könne man sich bewerben, Initiativb­ewerbungen indes seien in Zeiten von Kurzarbeit und Stellenabb­au weniger empfehlens­wert. Sie könnten als „mangelnde Sensibilit­ät für die aktuelle Situation ausgelegt werden“. Neller empfiehlt CIOs, die Zeit „für Netzwerkpf­lege zu nutzen, um nach dem Überwinden der Krise mit den notwendige­n Verbindung­en eine neue Position zu finden.“(Karen Funk)

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„Herzlich willkommen“per Videokonfe­renz. Jens Spitczok von Brisinski referierte am 1. April in der Dortmunder Zentrale von Adesso, neue Mitarbeite­r in ganz Deutschlan­d hörten an ihren Bildschirm­en zuhause zu.

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