Recruiting im Ausnahmezustand
Die IT-Branche stellt auch in diesen turbulenten Zeiten weiter Mitarbeiter ein, wenn auch mit angezogener Handbremse. Insbesondere Führungskräfte müssen sich gedulden. Wir haben bei Bewerbern und Personalexperten ein Stimmungsbild eingeholt.
Neue Mitarbeiter auszuwählen und einzuarbeiten erfordert von Personalern und Vorgesetzten viel Fingerspitzengefühl. Das Wichtigste: Lassen Sie die Neuen nicht allein!
Die Einsteigerin
Mona Rubab war aufgeregt vor dem virtuellen Jobinterview mit ihrem potenziellen Arbeitgeber. Gut, dass sie nach wenigen Minuten merkte, alles läuft professionell und angenehm ab. Für Doubleslash galten Vorstellungsgespräche per Skype vor Corona noch als Test, wie gut sich Bewerber in die digitalen Gepflogenheiten des Friedrichshafener IT-Dienstleisters einfinden – oder als Alternative, wenn der Wohnort der Bewerber weiter entfernt lag, oder man so schneller einen gemeinsamen Termin fand. Seit der Kontaktsperre infolge der Coronakrise werden alle Bewerber nicht nur per Skype interviewt, sondern neue Kollegen auch ohne direkten physischen Kontakt eingearbeitet. Mona Rubab arbeitet als Junior Softwareentwicklerin seit 1. April für die Münchner Niederlassung von Doubleslash, aber von zuhause aus – von ihren Kollegen via Skype und am Telefon angeleitet. Am ersten Tag erhielt sie von der Personalleitung Informationen zum Unternehmen, über Abläufe und interne Tools. Natürlich sei das etwas ungewohnt, die neue Arbeitsumgebung nur virtuell kennenzulernen, räumt Rubab ein: „Aber die Einweisungen in meine Arbeit sind klar und sehr konstruktiv. Abgesehen davon ist remote Arbeiten in der IT ja üblich. Insgesamt finde ich das sehr unkompliziert und stelle bis auf die physische Nähe keinerlei Defizite fest.“(Herbert Grab)
Die Personalchefin
Vor Corona begrüßte Personalchefin Kristina Gerwert alle neuen Adesso-Mitarbeiter in der Dortmunder Geschäftsstelle persönlich zu den zweitägigen Welcome Days. Mittlerweile ist daraus eine Live-Videokonferenz geworden. Den Einsteigern „senden wir vorab ihr Equipment und Infomaterial nach Hause, sodass sie sich mit ihrem Adesso-Laptop zur Videokonferenz einwählen können. Unsere Referenten sprechen von Dortmund aus live zu den Teilnehmenden“, berichtet Gerwert. Die Premiere am 1. April habe als Skype-Meeting gut geklappt, nur anfangs habe es kleinere Probleme beim Einwählen der Teilnehmer, die verteilt in ganz Deutschland saßen, gegeben.
Auch für Vorstellungsgespräche setzt Adesso nun auf Videokonferenzen. „Bei Softwareentwicklern und Fachexperten geht das einfach, da man hier auch über diese Kanäle fachsimpeln kann“, sagt Gaby Ostermann, Leiterin Recruiting bei Adesso. Bei der rein virtuellen Personalauswahl sei jedoch viel Vertrauensvorschuss nötig. Nicht jede Position erlaube
dieses Vorgehen, darum halte man sich bei hochrangigen Führungspositionen noch zurück. (Alexandra Mesmer)
Der Anbieter einer Recruiting-Plattform
Auf der Recruiting-Plattform Honeypot sind weltweit 150.000 Software-Entwickler registriert, die Hälfte davon in Deutschland. Für Jost Schatzmann, Vice President Marketplace bei Honeypot, ist Covid-19 „wie ein Crashkurs für die Digitalisierung. Unternehmen erfahren jetzt, wie wichtig es ist, ihr Geschäft ins Internet und ihre Daten in die Cloud zu verlagern. Und dafür brauchen sie IT-Talente.“Schatzmann beobachtet, dass die Nachfrage nach IT-Talenten ungebremst stark ist. Besonders Unternehmen aus der Medizintechnik, dem Fintech-Bereich sowie SaaS-Anbieter suchten derzeit intensiv. Gefragt seien Web-Entwickler, die Java, PHP, Ruby oder Java Script beherrschen. Dabei lägen die angebotenen Gehälter weiter auf hohem Niveau: „Im Durchschnitt fielen die Offerten im März 2020 sogar etwas höher aus als noch im Februar, bevor die Coronakrise voll durchschlug. Der IT-Arbeitsmarkt bleibt demnach attraktiv, weil die Nachfrage nach IT-Talenten strukturell und nicht konjunkturell bedingt ist.“(Karen Funk)
Die Headhunter
Norbert Graschi und Horst Neller sind Managing Partner bei der Personalberatung Signium, die auf Executive Search spezialisiert ist. Zu normalen Zeiten suchen sie Topmanager für Unternehmen. Doch seit viele Betriebe mit
Umsatzeinbrüchen zu kämpfen haben sowie Kurzarbeit oder Personalabbau umsetzen müssen, werden Suchaufträge vielfach verschoben oder sogar gestoppt. „Selbst Branchen wie die Lebensmittelindustrie, die von der Krise nicht so stark betroffen sind, halten sich mit Neueinstellungen gerade sehr zurück“, sagt Norbert Graschi. Bei IT-Dienstleistern verspürt sein Kollege Horst Neller indes „eine verstärkte Nachfrage nach Führungskräften, die Krisen erfolgreich meistern können.“Auch die Distributionslogistik, also Firmen, die das durch die Krise beschleunigte Wachstum im E-Commerce technisch und logistisch stemmen können, stellt Neller zufolge eine Ausnahme dar: „Hier werden Führungskräfte gesucht, die unter hohem Nachfragedruck Wachstum gestalten können.“
Die IT-Abteilungen in den Unternehmen haben laut Graschi aktuell „alle Hände voll zu tun, da sie maßgeblich für die IT-Infrastruktur verantwortlich sind, die für Remote-Arbeiten gebraucht wird.“Dennoch geht der Personalberater davon aus, dass man im Moment eher auf den vorhandenen Personalbestand und damit auf Stabilität setzt. „CIOs werden derzeit nur zwingend notwendige Nachbesetzungen forcieren.“Wechselwillige CIOs, aber auch alle anderen Bewerber bräuchten momentan vor allem Geduld. Sind konkrete Stellen inseriert, könne man sich bewerben, Initiativbewerbungen indes seien in Zeiten von Kurzarbeit und Stellenabbau weniger empfehlenswert. Sie könnten als „mangelnde Sensibilität für die aktuelle Situation ausgelegt werden“. Neller empfiehlt CIOs, die Zeit „für Netzwerkpflege zu nutzen, um nach dem Überwinden der Krise mit den notwendigen Verbindungen eine neue Position zu finden.“(Karen Funk)