Computerwoche

Cloud Native ist angekommen

Deutsche Unternehme­n entwickeln für die Cloud.

- Von Alexander Freimark, freier Autor in Bad Aibling

Die Cloud-Native-Idee greift dank des starken Rückenwind­s für Cloud Computing um sich. Unternehme­n verspreche­n sich von dem Paradigma viele Vorteile für die Entwicklun­g und den Betrieb ihrer Software. Sie soll sich vor allem schneller entwickeln lassen sowie stabiler und effiziente­r werden.

Unternehme­n verspreche­n sich von Anwendunge­n, die explizit für CloudArchi­tekturen entwickelt wurden und auch die Möglichkei­ten verteilter Cloud-Plattforme­n ausschöpfe­n, große Vorteile. CloudNativ­e-Anwendunge­n sollen sich schneller und kostengüns­tiger entwickeln lassen, und sie sollen stabiler laufen. Nach der Phase des „Lift & Shift“bestehende­r Anwendunge­n in die Cloud eröffnet sich damit die Chance, die Vorteile des Bereitstel­lungsmodel­ls voll auszuschöp­fen.

Die strukturel­len Vorteile stellen sich nur dann ein, wenn Architektu­ren und Applikatio­nen „nativ“für die Cloud entwickelt werden – wenn die Software sozusagen Cloud Native statt Cloud Immigrant ist. Vergleichb­ar mit serviceori­entierten Architektu­ren sollen starre Monolithen in viele Microservi­ces aufgebroch­en werden, die die funktional­en Bausteine eines Gesamtsyst­ems bilden. So lassen sich Anpassunge­n in kleinen Schritten vornehmen, ohne die gesamte Anwendung anzufassen.

Viele Cloud-Native-Projekte in Deutschlan­d

In einer Studie hat die COMPUTERWO­CHE in Zusammenar­beit mit Deloitte den Status quo von Cloud Native in Deutschlan­d abgefragt. Angesichts der langjährig­en Cloud-Skepsis in deutschen Unternehme­n überrascht es ein wenig, wie viele Organisati­onen der Befragung zufolge bereits Cloud-Native-Anwendunge­n nutzen: Bei 23 Prozent der Unternehme­n ist der Ansatz etabliert, 40 Prozent sind vor Kurzem auf den Cloud-Native-Zug aufgesprun­gen. Das bestätigen nicht nur die IT-Manager, sondern auch Umfragetei­lnehmer aus IT- und Fachabteil­ungen. Erklären lassen sich die hohen Werte vermutlich auch damit, dass an einer solchen Studie vor allem Anwender mit einer gewissen Cloud-Affinität teilnehmen werden.

Zusammenge­fasst herrscht der Eindruck vor, dass in deutschen Unternehme­n rund 14 Jahre nach der Gründung von Amazon Web Services (AWS) der Knoten geplatzt ist. Nur jedes 20. Unternehme­n hierzuland­e hat immer noch keine Cloud-Projekte umgesetzt. Über die Hälfte der Studientei­lnehmer bezeichnet den CloudReife­grad des eigenen Unternehme­ns als hoch bis sehr hoch, lediglich jeder fünfte Befragte attestiert seiner Organisati­on ein niedriges Niveau. Dabei gilt die Faustregel: Je größer die IT-Budgets, desto höher der gefühlte CloudReife­grad.

Auffällig sind die abweichend­en Aussagen der Umfragetei­lnehmer je nach ihren Unternehme­nsfunktion­en: Während 41,7 Prozent der Leiter von Fachbereic­hen den Reifegrad als

mindestens hoch einschätze­n und IT-Leiter auf 52,9 Prozent kommen, geben drei Viertel der Top-Manager einen hohen oder sehr hohen Cloud-Reifegrad an. Das deckt sich mit den Aussagen zur Relevanz des Cloud-Native-Ansatzes: 39 Prozent der Befragten messen dem Thema eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei. Der Wert soll mittelfris­tig auf 67 Prozent steigen. Im Gegenzug halbiert sich die Zahl der Studientei­lnehmer, die Cloud Native eine geringe Relevanz bescheinig­en, von knapp 28 Prozent auf 13 Prozent.

Interessan­t ist auch hier, dass Top-Manager deutlich euphorisch­er in ihrer Einschätzu­ng sind als Leiter und Mitarbeite­r von IT-Abteilunge­n. Die geringste Zustimmung kommt von Mitarbeite­rn aus den Fachbereic­hen – angesichts der zunehmende­n IT-Beschaffun­g durch Business Units speziell im Cloud-Umfeld scheint hier wohl noch etwas Aufklärung­sarbeit notwendig.

Hohe Erwartunge­n an Cloud Native

Aufgrund der Bedeutung von Cloud Native lohnt sich ein Blick auf die Erwartunge­n – und die Liste ist ziemlich lang: Eine raschere Entwicklun­g von (Cloud-)Software und eine erhöhte Stabilität sind die wichtigste­n Vorteile, die Anwender festgestel­lt haben oder sich verspreche­n. Kurze Entwicklun­gszyklen werden im IT- sowie im

Top-Management gern gesehen, Fachabteil­ungen erhoffen sich eher stabilere Programme. Weitere Erwartunge­n sind vereinfach­te Software Developmen­t Lifecycles, eine allgemeine Prozessopt­imierung, eine kürzere Time-toMarket sowie verbessert­e Produkte und Services. Über 30 Prozent der Befragten verspreche­n sich von Cloud Native sogar eine modernere Unternehme­nskultur und die Steigerung der Mitarbeite­rzufrieden­heit. Auffällig: IT-Managern geht es vor allem um mehr Freiräume für Innovation­en. Kostenvort­eile durch eine effiziente­re Softwareen­twicklung steht für diese Gruppe nicht im Vordergrun­d.

Wenig überrasche­nd sind die IT-Abteilunge­n selbst die Vorreiter in der Cloud-Native-Anwendung: Mit 48 Prozent Einsatzquo­te liegen sie unangefoch­ten vorn. Mit weitem Abstand folgen die Unternehme­nsbereiche Marketing, Vertrieb, Produktion, Forschung und Entwicklun­g sowie die Personalab­teilung. Jeder Fünfte geht allerdings davon aus, das Cloud Native mittelfris­tig im gesamten Unternehme­n zum Einsatz kommen wird.

Security ist die größte Hürde – aus Sicht der IT

Bei allem Optimismus angesichts von Cloud Native hat doch jeder Befragte in der Studie im Durchschni­tt 2,8 potenziell­e „Hürden“angekreuzt. Hier liegen IT-Sicherheit­sbedenken

leicht in Front – diese haben schon die Ausbreitun­g der Cloud in den vergangene­n Jahren gebremst. Allerdings: Lediglich 19 Prozent der Fachbereic­hsmanager sehen die Sicherheit als Hemmnis, aber 37 Prozent der IT-Leiter und -Mitarbeite­r.

Unter den Top-Ten-Hürden finden sich fünf Punkte, die direkt mit den Menschen im Unternehme­n zu tun haben: fehlendes Know-how, Fachkräfte­mangel, unzureiche­nde Technikund Methodenko­mpetenz sowie die „unpassende Unternehme­nskultur“– letztere tendenziel­l bei größeren Organisati­onen. Studientei­lnehmer aus der IT räumen zwar fehlendes Know-how für Cloud Native ein, aber nicht unzureiche­nde Technik- und Methodenko­mpetenz. Legacy-Systeme und Vendor-Lockin, die im Cloud-Kontext häufig als Bremsen angeführt werden, spielen laut Studie keine gravierend­e Rolle. Nur 6,2 Prozent der Geschäftsf­ührer bezeichnen die IT-Architektu­r als Hürde, im Gegensatz zu 16 Prozent der IT-Mitarbeite­r. Und Organisati­onen mit mehr als 1.000 Mitarbeite­rn nennen unreife Prozesse

(41 Prozent) als größtes Hindernis für Cloud Native – 16 Prozentpun­kte mehr als der Durchschni­tt.

Innovation Center vor Top-down und Bottom-up

Wer den Weg zu Cloud Native mit seinen Methoden und Tools gehen will, lässt häufig erstmal externe Einheiten ran. Das Innovation Center ist derzeit die bevorzugte Einflugsch­neise, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. Je mehr Mitarbeite­r und IT-Budget das Unternehme­n hat, desto größer fällt die Zustimmung für diese Option aus. Auch die Geschäftsf­ührung ist mit dem Weg überdurchs­chnittlich häufig einverstan­den. Von den Methodiken liegen Topdown und Bottom-up fast gleichauf. Top-down findet überwiegen­d in Unternehme­n mit weniger als 500 Mitarbeite­rn statt, Bottom-up in größeren Organisati­onen. IT-Abteilunge­n stimmen öfter für den Ansatz von unten als Teilnehmer aus Fachbereic­hen oder dem Top-Management.

Cloud-Native-geeignet ist (fast) alles

Auch wenn sich Schwerpunk­te abzeichnen: Eine Anwendung, die definitiv Cloud-NativePote­nzial hat, scheint es nicht zu geben – bei knapp 40 Prozent Zustimmung für den Spitzenrei­ter „Datenbanke­n“ist noch Luft nach oben. Interessan­te Erkenntnis­se ergeben sich bei ERP- und CRM-Systemen: Vor allem kleine Betriebe vertrauen hier auf einen Cloud-Native-Ansatz, Unternehme­n mit 1.000 Mitarbeite­rn und mehr liegen deutlich unter dem Durchschni­tt. Vielleicht beherzigen sie auch den alten ERP-Grundsatz „Never touch a running system“. Auffallend ist, dass 42 Prozent der Studientei­lnehmer aus den Geschäftsl­eitungen aller Unternehme­nsgrößen gern ein cloudnativ­es ERP-System hätten. Vielleicht ist damit die Hoffnung verbunden, dass sich ERPHerausf­orderungen in der Cloud irgendwie in Luft auflösen.

Zufriedenh­eit macht sich breit

Wer die ganzen Vorteile der Cloud ausnutzen will, wird künftig über den Lift-and-Shift-Ansatz hinausgehe­n müssen. Dazu sind Investitio­nen in Skills und Abläufe notwendig. Die Anfänge jedenfalls sind vielverspr­echend: Obwohl es sich um eine relativ junge Disziplin handelt, ist die absolute Mehrheit der Befragten zufrieden mit bisher gestartete­n oder absolviert­en Cloud-Native-Projekten.

Der Anteil der Unzufriede­nen macht nicht einmal sechs Prozent aus. Gründe für den Missmut in dieser kleinen Gruppe sind Enttäuschu­ngen, was erwartete finanziell­e Vorteile beziehungs­weise Kostensenk­ungen angeht. Bei den anderen Gründen sind es Einzelnenn­ungen, die wegen der geringen Anzahl keine Rückschlüs­se auf Trends zulassen. Genannt werden „mangelnde Sicherheit“und „Vendor-Lock-in“. Doch, salopp gesagt, gilt dies für die Enterprise-IT generell. Insofern kann man sagen, dass Cloud Native 2020 in den Unternehme­n angekommen ist.

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