Cloud Native ist angekommen
Deutsche Unternehmen entwickeln für die Cloud.
Die Cloud-Native-Idee greift dank des starken Rückenwinds für Cloud Computing um sich. Unternehmen versprechen sich von dem Paradigma viele Vorteile für die Entwicklung und den Betrieb ihrer Software. Sie soll sich vor allem schneller entwickeln lassen sowie stabiler und effizienter werden.
Unternehmen versprechen sich von Anwendungen, die explizit für CloudArchitekturen entwickelt wurden und auch die Möglichkeiten verteilter Cloud-Plattformen ausschöpfen, große Vorteile. CloudNative-Anwendungen sollen sich schneller und kostengünstiger entwickeln lassen, und sie sollen stabiler laufen. Nach der Phase des „Lift & Shift“bestehender Anwendungen in die Cloud eröffnet sich damit die Chance, die Vorteile des Bereitstellungsmodells voll auszuschöpfen.
Die strukturellen Vorteile stellen sich nur dann ein, wenn Architekturen und Applikationen „nativ“für die Cloud entwickelt werden – wenn die Software sozusagen Cloud Native statt Cloud Immigrant ist. Vergleichbar mit serviceorientierten Architekturen sollen starre Monolithen in viele Microservices aufgebrochen werden, die die funktionalen Bausteine eines Gesamtsystems bilden. So lassen sich Anpassungen in kleinen Schritten vornehmen, ohne die gesamte Anwendung anzufassen.
Viele Cloud-Native-Projekte in Deutschland
In einer Studie hat die COMPUTERWOCHE in Zusammenarbeit mit Deloitte den Status quo von Cloud Native in Deutschland abgefragt. Angesichts der langjährigen Cloud-Skepsis in deutschen Unternehmen überrascht es ein wenig, wie viele Organisationen der Befragung zufolge bereits Cloud-Native-Anwendungen nutzen: Bei 23 Prozent der Unternehmen ist der Ansatz etabliert, 40 Prozent sind vor Kurzem auf den Cloud-Native-Zug aufgesprungen. Das bestätigen nicht nur die IT-Manager, sondern auch Umfrageteilnehmer aus IT- und Fachabteilungen. Erklären lassen sich die hohen Werte vermutlich auch damit, dass an einer solchen Studie vor allem Anwender mit einer gewissen Cloud-Affinität teilnehmen werden.
Zusammengefasst herrscht der Eindruck vor, dass in deutschen Unternehmen rund 14 Jahre nach der Gründung von Amazon Web Services (AWS) der Knoten geplatzt ist. Nur jedes 20. Unternehmen hierzulande hat immer noch keine Cloud-Projekte umgesetzt. Über die Hälfte der Studienteilnehmer bezeichnet den CloudReifegrad des eigenen Unternehmens als hoch bis sehr hoch, lediglich jeder fünfte Befragte attestiert seiner Organisation ein niedriges Niveau. Dabei gilt die Faustregel: Je größer die IT-Budgets, desto höher der gefühlte CloudReifegrad.
Auffällig sind die abweichenden Aussagen der Umfrageteilnehmer je nach ihren Unternehmensfunktionen: Während 41,7 Prozent der Leiter von Fachbereichen den Reifegrad als
mindestens hoch einschätzen und IT-Leiter auf 52,9 Prozent kommen, geben drei Viertel der Top-Manager einen hohen oder sehr hohen Cloud-Reifegrad an. Das deckt sich mit den Aussagen zur Relevanz des Cloud-Native-Ansatzes: 39 Prozent der Befragten messen dem Thema eine hohe oder sehr hohe Bedeutung bei. Der Wert soll mittelfristig auf 67 Prozent steigen. Im Gegenzug halbiert sich die Zahl der Studienteilnehmer, die Cloud Native eine geringe Relevanz bescheinigen, von knapp 28 Prozent auf 13 Prozent.
Interessant ist auch hier, dass Top-Manager deutlich euphorischer in ihrer Einschätzung sind als Leiter und Mitarbeiter von IT-Abteilungen. Die geringste Zustimmung kommt von Mitarbeitern aus den Fachbereichen – angesichts der zunehmenden IT-Beschaffung durch Business Units speziell im Cloud-Umfeld scheint hier wohl noch etwas Aufklärungsarbeit notwendig.
Hohe Erwartungen an Cloud Native
Aufgrund der Bedeutung von Cloud Native lohnt sich ein Blick auf die Erwartungen – und die Liste ist ziemlich lang: Eine raschere Entwicklung von (Cloud-)Software und eine erhöhte Stabilität sind die wichtigsten Vorteile, die Anwender festgestellt haben oder sich versprechen. Kurze Entwicklungszyklen werden im IT- sowie im
Top-Management gern gesehen, Fachabteilungen erhoffen sich eher stabilere Programme. Weitere Erwartungen sind vereinfachte Software Development Lifecycles, eine allgemeine Prozessoptimierung, eine kürzere Time-toMarket sowie verbesserte Produkte und Services. Über 30 Prozent der Befragten versprechen sich von Cloud Native sogar eine modernere Unternehmenskultur und die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit. Auffällig: IT-Managern geht es vor allem um mehr Freiräume für Innovationen. Kostenvorteile durch eine effizientere Softwareentwicklung steht für diese Gruppe nicht im Vordergrund.
Wenig überraschend sind die IT-Abteilungen selbst die Vorreiter in der Cloud-Native-Anwendung: Mit 48 Prozent Einsatzquote liegen sie unangefochten vorn. Mit weitem Abstand folgen die Unternehmensbereiche Marketing, Vertrieb, Produktion, Forschung und Entwicklung sowie die Personalabteilung. Jeder Fünfte geht allerdings davon aus, das Cloud Native mittelfristig im gesamten Unternehmen zum Einsatz kommen wird.
Security ist die größte Hürde – aus Sicht der IT
Bei allem Optimismus angesichts von Cloud Native hat doch jeder Befragte in der Studie im Durchschnitt 2,8 potenzielle „Hürden“angekreuzt. Hier liegen IT-Sicherheitsbedenken
leicht in Front – diese haben schon die Ausbreitung der Cloud in den vergangenen Jahren gebremst. Allerdings: Lediglich 19 Prozent der Fachbereichsmanager sehen die Sicherheit als Hemmnis, aber 37 Prozent der IT-Leiter und -Mitarbeiter.
Unter den Top-Ten-Hürden finden sich fünf Punkte, die direkt mit den Menschen im Unternehmen zu tun haben: fehlendes Know-how, Fachkräftemangel, unzureichende Technikund Methodenkompetenz sowie die „unpassende Unternehmenskultur“– letztere tendenziell bei größeren Organisationen. Studienteilnehmer aus der IT räumen zwar fehlendes Know-how für Cloud Native ein, aber nicht unzureichende Technik- und Methodenkompetenz. Legacy-Systeme und Vendor-Lockin, die im Cloud-Kontext häufig als Bremsen angeführt werden, spielen laut Studie keine gravierende Rolle. Nur 6,2 Prozent der Geschäftsführer bezeichnen die IT-Architektur als Hürde, im Gegensatz zu 16 Prozent der IT-Mitarbeiter. Und Organisationen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern nennen unreife Prozesse
(41 Prozent) als größtes Hindernis für Cloud Native – 16 Prozentpunkte mehr als der Durchschnitt.
Innovation Center vor Top-down und Bottom-up
Wer den Weg zu Cloud Native mit seinen Methoden und Tools gehen will, lässt häufig erstmal externe Einheiten ran. Das Innovation Center ist derzeit die bevorzugte Einflugschneise, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. Je mehr Mitarbeiter und IT-Budget das Unternehmen hat, desto größer fällt die Zustimmung für diese Option aus. Auch die Geschäftsführung ist mit dem Weg überdurchschnittlich häufig einverstanden. Von den Methodiken liegen Topdown und Bottom-up fast gleichauf. Top-down findet überwiegend in Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern statt, Bottom-up in größeren Organisationen. IT-Abteilungen stimmen öfter für den Ansatz von unten als Teilnehmer aus Fachbereichen oder dem Top-Management.
Cloud-Native-geeignet ist (fast) alles
Auch wenn sich Schwerpunkte abzeichnen: Eine Anwendung, die definitiv Cloud-NativePotenzial hat, scheint es nicht zu geben – bei knapp 40 Prozent Zustimmung für den Spitzenreiter „Datenbanken“ist noch Luft nach oben. Interessante Erkenntnisse ergeben sich bei ERP- und CRM-Systemen: Vor allem kleine Betriebe vertrauen hier auf einen Cloud-Native-Ansatz, Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern und mehr liegen deutlich unter dem Durchschnitt. Vielleicht beherzigen sie auch den alten ERP-Grundsatz „Never touch a running system“. Auffallend ist, dass 42 Prozent der Studienteilnehmer aus den Geschäftsleitungen aller Unternehmensgrößen gern ein cloudnatives ERP-System hätten. Vielleicht ist damit die Hoffnung verbunden, dass sich ERPHerausforderungen in der Cloud irgendwie in Luft auflösen.
Zufriedenheit macht sich breit
Wer die ganzen Vorteile der Cloud ausnutzen will, wird künftig über den Lift-and-Shift-Ansatz hinausgehen müssen. Dazu sind Investitionen in Skills und Abläufe notwendig. Die Anfänge jedenfalls sind vielversprechend: Obwohl es sich um eine relativ junge Disziplin handelt, ist die absolute Mehrheit der Befragten zufrieden mit bisher gestarteten oder absolvierten Cloud-Native-Projekten.
Der Anteil der Unzufriedenen macht nicht einmal sechs Prozent aus. Gründe für den Missmut in dieser kleinen Gruppe sind Enttäuschungen, was erwartete finanzielle Vorteile beziehungsweise Kostensenkungen angeht. Bei den anderen Gründen sind es Einzelnennungen, die wegen der geringen Anzahl keine Rückschlüsse auf Trends zulassen. Genannt werden „mangelnde Sicherheit“und „Vendor-Lock-in“. Doch, salopp gesagt, gilt dies für die Enterprise-IT generell. Insofern kann man sagen, dass Cloud Native 2020 in den Unternehmen angekommen ist.