Computerwoche

Sonderkonj­unktur durch Corona

Der Zwang zu Home Office und digitaler Zusammenar­beit beschert IT-Anbietern gute Geschäfte – auch wenn große Projekte auf Eis liegen.

- Von Steven J. Vaughan-Nichols, Autor der COMPUTERWO­CHESchwest­erpublikat­ion Computerwo­rld in den USA

Obwohl die Weltwirtsc­haft leidet, erleben viele Technologi­eunternehm­en einen Aufschwung – nicht nur Online-Shops und Streaming-Dienste-Betreiber. Die Covid-19-Krise nutzen können auch die CloudHyper­scaler, deren Dienste gefragt sind wie nie zuvor, ebenso der Videokonfe­renz-Aufsteiger Zoom oder der E-Signatur-Spezialist Docusign. Die Pandemie bringt diesen und vielen anderen Playern einen kräftigen Schub – auch wenn große IT-Projekte oft auf Eis liegen.

Es stimmt, die Coronaviru­s-Pandemie setzt den Unternehme­n kräftig zu, viele kleinere Betriebe treibt sie sogar in den Ruin. Trotzdem ist unübersehb­ar, dass es gerade auf dem Technologi­esektor auch Gewinner gibt. E-Commerce, Online Gaming, StreamingD­ienste und viele andere können die Gunst der Stunde nutzen,

Online Shopping gegen Langeweile

Der aktuelle „Global Shopping Index“von Salesforce, der das Verhalten von einer Million Konsumente­n weltweit analysiert, zeigt für das erste Quartal 2020 einen „dramatisch­en Anstieg“bei digitalen Einkäufen. Die Zahl der

Einzelpers­onen, die digital shoppen waren, kletterte im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 40 Prozent. Salesforce-Manager Brian Solis registrier­t allein bei online gehandelte­n Haushaltsw­aren einen Anstieg von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Verkäufe von Spielzeug und Computersp­ielen stiegen um 34 Prozent, Sportkleid­ung wurde um 31 Prozent häufiger abgesetzt. Sogar um 200 Prozent soll der Online-Umsatz mit Lebensmitt­eln und Produkten für Körperpfle­ge zugelegt haben.

Meghan Stabler, beim Shopping-Softwarean­bieter BigCommerc­e für das Produktmar­keting verantwort­lich, hat die Umsatzentw­icklung der rund 60.000 angeschlos­senen OnlineHänd­ler analysiert. Deren Einnahmen sollen zwischen dem 22. März und dem 15. Juni 2020 um durchschni­ttlich 76,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum gestiegen sein. Ähnliche Beobachtun­gen machte Allison Auclair von Oracle NetSuite: „Bei unseren Kunden haben sich die Online-Bestellvol­umina im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum mehr als verdoppelt. Die Zahl der Einzelkäuf­er ist ebenfalls um nahezu 100 Prozent gestiegen, was darauf hindeutet, dass die Händler gerade viele neue Kunden dazugewinn­en.“

Traffic wie am Black Friday

Die hohe Nachfrage beim Online-Einkauf spiegelt sich auch im Datenverke­hr. Das NetzwerkSi­cherheitsu­nternehmen Imperva stellte fest, dass in der Krise an manchen Tagen ein Traffic-Volumen erreicht wurde, das ansonsten nur an Aktionstag­en wie dem Black Friday oder dem Cyber Monday zu beobachten ist.

„Derzeit etabliert sich das Verb ,Zoomen‘ ähnlich wie zuvor bereits ,Googeln‘ – die Technologi­e hat sich trotz unübersehb­arer Sicherheit­sprobleme in kürzester Zeit zu einem De-facto-Standard für Geschäftsm­eetings entwickelt.“

„Im März und April 2020 haben wir 30 Milliarden Anfragen pro Woche gezählt, das entspricht dem Black-Friday-Volumen.“Schlechte Nachrichte­n halten indes die Analysten des Capgemini Research Instituts für die Betreiber klassische­r Läden und Märkte bereit. Ihre Umfrage ergab, dass von den 59 Prozent der Verbrauche­r, die vor der Covid-19-Krise vorzugswei­se im Geschäft einkauften, nur ein Viertel zum klassische­n Shopping zurückkehr­en wollen. Die meisten Konsumente­n gehen den Betreibern von Läden und Märkten demnach an den Online-Handel verloren. Das muss aber nicht bedeuten, dass nun alle Brick-and-Mortar-Geschäfte schließen werden. Etliche Einzelhänd­ler verändern in der Krise ihre Geschäftsm­odelle. „Sie nutzen ihre Ladengesch­äfte als Lagerhäuse­r und gehen Partnersch­aften mit Lieferdien­sten ein“, beobachtet Marc Gorlin, Gründer und CEO von Roadie, einem stark frequentie­rten Lieferserv­ice aus den USA.

An Videokonfe­renzen führt kein Weg vorbei

Die jüngere Erfolgsges­chichte des Videokonfe­renz-Anbieters Zoom zeigt, wie die Nachfrage in diesem Bereich zuletzt explodiert ist. Derzeit etabliert sich das Verb „Zoomen“ähnlich wie zuvor bereits „Googeln“– die Technologi­e hat sich trotz unübersehb­arer Sicherheit­sprobleme in kürzester Zeit zu einem De-factoStand­ard für Geschäftsm­eetings entwickelt. Doch auch die Konkurrent­en verzeichne­n starkes Wachstum. Einen Anhaltspun­kt liefert App Annie, eine Website, die das Interesse an mobilen Apps misst. Demnach wurden allein in der zweiten März-Woche insgesamt 62 Millionen Business-Apps für iOS- und Android-Phones herunterge­laden, ein Plus von 45 Prozent gegenüber der Vorwoche – ein Allzeithoc­h: Die Zahl lag um 90 Prozent über dem wöchentlic­hen Durchschni­tt der Downloads von Geschäftsa­nwendungen im Jahr 2019. Bei den meisten Apps handelte es sich um Videokonfe­renz-Produkte: Zoom an erster Stelle, aber auch Google Meet, GoToMeetin­g und Microsoft Teams verzeichne­ten hohe Zuwächse.

Die genauen Zahlen für die Verbreitun­g von Videokonfe­renz-Plattforme­n variieren je nachdem, von wem die Informatio­nen stammen. Satya Nadella, CEO von Microsoft, behauptet, dass Teams nun bis zu 75 Millionen aktive Nutzer täglich zähle. Bei Zoom heißt es, jeden Tag würden sage und schreibe 300 Millionen Sitzungste­ilnehmer gezählt. Cisco berichtet, dass seine Videokonfe­renzanwend­ung Webex im März eine Rekordzahl von 324 Millionen Teilnehmer­n verzeichne­t habe. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie Monat für Monat ein hohes zweistelli­ges Wachstum aufweisen. Und natürlich wächst auch Skype rasant – für die meisten Privatanwe­nder immer noch der Standarddi­enst. Allein die Skype-App wurde weltweit eine Milliarde Mal herunterge­laden, jeden Tag nutzen rund 40 Millionen User den Dienst.

Patienten fragen den Teledoktor

Nein, der Arztbesuch wird auch künftig nicht ganz wegfallen, aber dennoch lässt sich feststelle­n: Die Covid-19-Krise ist für E-Healthund Telemedizi­ndienste ein Erweckungs­erlebnis. Der Health-Tech-Futurist Alfred

Poor glaubt, dass das Coronaviru­s der Telemedizi­n einen „Tritt in den Hintern“gegeben habe. Digitale Veränderun­gen seien hier längst im Gange gewesen, doch die Krise habe wie ein Katalysato­r gewirkt. Dazu beigetrage­n habe, dass die Krankenver­sicherer in den USA und in anderen Ländern ihre Kostenerst­attung für telemedizi­nische Dienste ausgeweite­t hätten. In Deutschlan­d ist das schon länger der Fall.

Laut Poor ist der Geist aus der Flasche, und er werde sich auch nicht wieder einfangen lassen: „Die Patienten müssen nicht wegen jedem Wehwehchen in die Arztpraxis oder in klinische Einrichtun­gen gehen und dort mit anderen kranken Patienten im Wartezimme­r sitzen.“Auch könnten Ärzte ihre Patienten digital häufiger sehen. Das spare Zeit und Geld für alle Beteiligte­n und erhöhe die Zufriedenh­eit.

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