Sonderkonjunktur durch Corona
Der Zwang zu Home Office und digitaler Zusammenarbeit beschert IT-Anbietern gute Geschäfte – auch wenn große Projekte auf Eis liegen.
Obwohl die Weltwirtschaft leidet, erleben viele Technologieunternehmen einen Aufschwung – nicht nur Online-Shops und Streaming-Dienste-Betreiber. Die Covid-19-Krise nutzen können auch die CloudHyperscaler, deren Dienste gefragt sind wie nie zuvor, ebenso der Videokonferenz-Aufsteiger Zoom oder der E-Signatur-Spezialist Docusign. Die Pandemie bringt diesen und vielen anderen Playern einen kräftigen Schub – auch wenn große IT-Projekte oft auf Eis liegen.
Es stimmt, die Coronavirus-Pandemie setzt den Unternehmen kräftig zu, viele kleinere Betriebe treibt sie sogar in den Ruin. Trotzdem ist unübersehbar, dass es gerade auf dem Technologiesektor auch Gewinner gibt. E-Commerce, Online Gaming, StreamingDienste und viele andere können die Gunst der Stunde nutzen,
Online Shopping gegen Langeweile
Der aktuelle „Global Shopping Index“von Salesforce, der das Verhalten von einer Million Konsumenten weltweit analysiert, zeigt für das erste Quartal 2020 einen „dramatischen Anstieg“bei digitalen Einkäufen. Die Zahl der
Einzelpersonen, die digital shoppen waren, kletterte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 40 Prozent. Salesforce-Manager Brian Solis registriert allein bei online gehandelten Haushaltswaren einen Anstieg von 51 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Verkäufe von Spielzeug und Computerspielen stiegen um 34 Prozent, Sportkleidung wurde um 31 Prozent häufiger abgesetzt. Sogar um 200 Prozent soll der Online-Umsatz mit Lebensmitteln und Produkten für Körperpflege zugelegt haben.
Meghan Stabler, beim Shopping-Softwareanbieter BigCommerce für das Produktmarketing verantwortlich, hat die Umsatzentwicklung der rund 60.000 angeschlossenen OnlineHändler analysiert. Deren Einnahmen sollen zwischen dem 22. März und dem 15. Juni 2020 um durchschnittlich 76,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen sein. Ähnliche Beobachtungen machte Allison Auclair von Oracle NetSuite: „Bei unseren Kunden haben sich die Online-Bestellvolumina im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt. Die Zahl der Einzelkäufer ist ebenfalls um nahezu 100 Prozent gestiegen, was darauf hindeutet, dass die Händler gerade viele neue Kunden dazugewinnen.“
Traffic wie am Black Friday
Die hohe Nachfrage beim Online-Einkauf spiegelt sich auch im Datenverkehr. Das NetzwerkSicherheitsunternehmen Imperva stellte fest, dass in der Krise an manchen Tagen ein Traffic-Volumen erreicht wurde, das ansonsten nur an Aktionstagen wie dem Black Friday oder dem Cyber Monday zu beobachten ist.
„Derzeit etabliert sich das Verb ,Zoomen‘ ähnlich wie zuvor bereits ,Googeln‘ – die Technologie hat sich trotz unübersehbarer Sicherheitsprobleme in kürzester Zeit zu einem De-facto-Standard für Geschäftsmeetings entwickelt.“
„Im März und April 2020 haben wir 30 Milliarden Anfragen pro Woche gezählt, das entspricht dem Black-Friday-Volumen.“Schlechte Nachrichten halten indes die Analysten des Capgemini Research Instituts für die Betreiber klassischer Läden und Märkte bereit. Ihre Umfrage ergab, dass von den 59 Prozent der Verbraucher, die vor der Covid-19-Krise vorzugsweise im Geschäft einkauften, nur ein Viertel zum klassischen Shopping zurückkehren wollen. Die meisten Konsumenten gehen den Betreibern von Läden und Märkten demnach an den Online-Handel verloren. Das muss aber nicht bedeuten, dass nun alle Brick-and-Mortar-Geschäfte schließen werden. Etliche Einzelhändler verändern in der Krise ihre Geschäftsmodelle. „Sie nutzen ihre Ladengeschäfte als Lagerhäuser und gehen Partnerschaften mit Lieferdiensten ein“, beobachtet Marc Gorlin, Gründer und CEO von Roadie, einem stark frequentierten Lieferservice aus den USA.
An Videokonferenzen führt kein Weg vorbei
Die jüngere Erfolgsgeschichte des Videokonferenz-Anbieters Zoom zeigt, wie die Nachfrage in diesem Bereich zuletzt explodiert ist. Derzeit etabliert sich das Verb „Zoomen“ähnlich wie zuvor bereits „Googeln“– die Technologie hat sich trotz unübersehbarer Sicherheitsprobleme in kürzester Zeit zu einem De-factoStandard für Geschäftsmeetings entwickelt. Doch auch die Konkurrenten verzeichnen starkes Wachstum. Einen Anhaltspunkt liefert App Annie, eine Website, die das Interesse an mobilen Apps misst. Demnach wurden allein in der zweiten März-Woche insgesamt 62 Millionen Business-Apps für iOS- und Android-Phones heruntergeladen, ein Plus von 45 Prozent gegenüber der Vorwoche – ein Allzeithoch: Die Zahl lag um 90 Prozent über dem wöchentlichen Durchschnitt der Downloads von Geschäftsanwendungen im Jahr 2019. Bei den meisten Apps handelte es sich um Videokonferenz-Produkte: Zoom an erster Stelle, aber auch Google Meet, GoToMeeting und Microsoft Teams verzeichneten hohe Zuwächse.
Die genauen Zahlen für die Verbreitung von Videokonferenz-Plattformen variieren je nachdem, von wem die Informationen stammen. Satya Nadella, CEO von Microsoft, behauptet, dass Teams nun bis zu 75 Millionen aktive Nutzer täglich zähle. Bei Zoom heißt es, jeden Tag würden sage und schreibe 300 Millionen Sitzungsteilnehmer gezählt. Cisco berichtet, dass seine Videokonferenzanwendung Webex im März eine Rekordzahl von 324 Millionen Teilnehmern verzeichnet habe. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie Monat für Monat ein hohes zweistelliges Wachstum aufweisen. Und natürlich wächst auch Skype rasant – für die meisten Privatanwender immer noch der Standarddienst. Allein die Skype-App wurde weltweit eine Milliarde Mal heruntergeladen, jeden Tag nutzen rund 40 Millionen User den Dienst.
Patienten fragen den Teledoktor
Nein, der Arztbesuch wird auch künftig nicht ganz wegfallen, aber dennoch lässt sich feststellen: Die Covid-19-Krise ist für E-Healthund Telemedizindienste ein Erweckungserlebnis. Der Health-Tech-Futurist Alfred
Poor glaubt, dass das Coronavirus der Telemedizin einen „Tritt in den Hintern“gegeben habe. Digitale Veränderungen seien hier längst im Gange gewesen, doch die Krise habe wie ein Katalysator gewirkt. Dazu beigetragen habe, dass die Krankenversicherer in den USA und in anderen Ländern ihre Kostenerstattung für telemedizinische Dienste ausgeweitet hätten. In Deutschland ist das schon länger der Fall.
Laut Poor ist der Geist aus der Flasche, und er werde sich auch nicht wieder einfangen lassen: „Die Patienten müssen nicht wegen jedem Wehwehchen in die Arztpraxis oder in klinische Einrichtungen gehen und dort mit anderen kranken Patienten im Wartezimmer sitzen.“Auch könnten Ärzte ihre Patienten digital häufiger sehen. Das spare Zeit und Geld für alle Beteiligten und erhöhe die Zufriedenheit.