Führung nach Corona
Langsam kehren viele Mitarbeiter wieder an ihre gewohnten Arbeitsstätten zurück – oft mit gemischten Gefühlen. Führungskräfte sind jetzt besonders gefordert.
Mit der Lockerung des Lockdowns kehren viele Mitarbeiter, die bisher in Kurzarbeit waren oder im Home Office arbeiteten, wieder an ihre gewohnten Arbeitsstätten zurück – oft mit gemischten Gefühlen. Führungskräfte stehen vor einer Herausforderung.
Die Lebenswelten der Mitarbeiter sind verschieden, auch ihre Erfahrungen und Wertesysteme. Deshalb reagieren die Beschäftigten auf dieselben Ereignisse unterschiedlich emotional. Das zeigt sich gerade in Ausnahmesituationen wie der Coronakrise. Während die einen in den zurückliegenden Wochen unter dem Eindruck von Bildern aus Ländern mit überlasteten Kliniken und Massenbestattungen begannen, um ihr eigenes Leben zu fürchten, genossen andere die Lockdown-bedingte Auszeit und das schöne Wetter. Sie dachten: Auch diese Katastrophe wird vorübergehen.
Mit diesen Gefühlsextremen wurden die Personalverantwortlichen und Führungskräfte in den Wochen nach dem Lockdown meist nur mittelbar konfrontiert, denn häufig waren ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit oder im Home Office tätig. Doch nun kehren sie allmählich wieder an ihre Arbeitsstätten zurück.
Tipp 1: Versetzen Sie sich in die unterschiedlichen Lebens- und Erfahrungswelten der Rückkehrer hinein.
Manche Rückkehrer freuen sich, andere haben gemischte Gefühle oder sogar Angst. Sie fürchten eine Infektion am Arbeitsplatz, sorgen sich um die Kinder daheim, deren Schulbetrieb nur zögerlich wieder anläuft, oder sie fürchten wirtschaftliche Konsequenzen aus der Pandemie für das eigene Unternehmen und den Arbeitsplatz. Gute Führungskräfte machen sich die Unterschiedlichkeit des Lebens und Erlebens ihrer Mitarbeiter bewusst, denn nur dann können sie angemessen darauf reagieren.
Tipp 2: Stellen Sie sich darauf ein, dass Spannungen entstehen und zuweilen die Emotionen hochkochen.
Nicht selten wird das unterschiedliche Wahrnehmen und Empfinden zu Spannungen in der Belegschaft führen. So berichten Personalverantwortliche zum Beispiel, dass die Mitarbeiter ihrer Unternehmen recht kontrovers darüber debattieren, inwieweit in der NachCorona-Zeit ein Arbeiten im Home Office noch möglich sein sollte. Oder dass sich Mitarbeiter in der Produktion verärgert darüber zeigen, schon „antanzen“zu müssen, während die Beschäftigten in den Büros noch im Home Office sind. Auf solche Debatten müssen sich die Führungskräfte und HR-Abteilungen einstellen. Dabei werden sie vermutlich feststellen, dass manche Mitarbeiter emotional sensibler reagieren als vor dem Lockdown.
Tipp 3: Rechnen Sie damit, dass Kollegen ihre Gefühle nicht zeigen, sondern „Scheingefechte“führen.
Mitarbeiter wissen meist aus Erfahrung: Zeigen sie im Unternehmen Gefühle, interpretieren das ihre Gesprächspartner mitunter als Schwäche. Deshalb sind sie bemüht, am Arbeitsplatz emotionale Betroffenheit zu verbergen. Empfindungen treten hinter scheinbar rationale Argumente zurück. Auch deshalb wird in Unternehmen oft endlos über Kleinigkeiten diskutiert.
Tipp 4: Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Mitarbeitern und zeigen Sie ihnen, dass Sie ihre Bedenken ernst nehmen.
Die Gefahr, dass Mitarbeiter Emotionen ausweichen, ist umso größer, je unsicherer sie ihre Situation empfinden. Suchen Sie deshalb aktiv das Gespräch. Sprechen Sie mit allen – soweit möglich – offen darüber, in welcher Situation sich das Unternehmen befindet, und was dies für jeden einzelnen bedeutet. Stehen Sie dazu, dass auch Sie nur ein Mensch aus Fleisch und Blut sind, zum Beispiel, indem Sie zu den Mitarbeitern sagen: „Auch ich stehe momentan unter Druck. Legt deshalb bitte nicht jedes Wort und jede unwirsche Reaktion von mir auf die Goldwaage.“
Erklären Sie den Beschäftigten immer wieder, dass auch die Entscheider im Unternehmen momentan oft nur auf Sicht fahren und nicht wissen, wie es langfristig weitergehen wird. Dies sollten Sie vor allem immer dann tun, wenn Planungen mal wieder über den Haufen geworfen werden. Sie sollten den Kolleginnen und Kollegen nichts vormachen, das schürt nur ihren Unmut und ihre Ängste.
Tipps 5: Bemühen Sie sich darum, Ihren Mitarbeitern einen emotionalen Halt zu geben.
Manche Branchen sind von der Coronakrise besonders hart getroffen. Die Topentscheider erwarten, dass die Umsätze ihrer Unternehmen langfristig um 20 oder gar 30 Prozent sinken werden. Natürlich kommen da Themen auf die Agenda wie: Sollen wir gewisse Geschäftsbereiche schließen? Müssen wir Mitarbeiter entlassen?
Um Mitarbeiter und auch die nachgeordneten Führungskräfte nicht zu verunsichern, halten Top-Manager solche Überlegungen meistens erstmal geheim. Sie befinden sich in einer Zwangslage: Ein vorzeitiges Bekanntwerden solcher Erwägungen könnte negative Folgen für das Unternehmen haben – zum Beispiel auf Kundenbeziehungen, das Image oder die Finanzierungsmöglichkeiten. Führungskräfte im mittleren Management sind oft nicht informiert, können solche Schritte aber auch nicht ausschließen.
Die Empfehlung: Stehen Sie in den Gesprächen mit Ihren Mitarbeitern dazu, dass Sie nicht mit 100-prozentiger Sicherheit wissen, wie es weitergeht, und versprechen Sie: „Ich informiere euch über alle Sachverhalte, die euch betreffen, so früh wie mir möglich.“
Zu den Aufgaben von Führungskräften gehört es, verunsicherten Mitarbeitern Halt zu bieten. Sie sollten also nach Möglichkeit immer Zuversicht ausstrahlen: „Wir schaffen es, wenn ...“Das erfordert zuweilen eine gewisse Schauspielerei. Versuchen Sie aber bei Ihren öffentlichen Verlautbarungen bei der Wahrheit zu bleiben, auch um Ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.
Tipp 6: Werden Sie sich über Ihre eigenen Werte klar und reflektieren Sie regelmäßig Ihr Verhalten.
Wichtig ist es in den kommenden Wochen und Monaten, dass Sie als Führungskraft – gerade weil Sie selbst unter Druck stehen – regelmäßig reflektieren:
Was ist mein Wertesystem, und was kennzeichnet meine Lebens- und Arbeitssituation? Und:
Wodurch unterscheiden sich meine Werte von denen meines Gegenübers?
Wer sich darüber nicht im Klaren ist, riskiert eher, auf irritierende Verhaltensweisen oder emotionale Äußerungen von Kolleginnen und Kollegen irrational oder mit Killerphrasen zu reagieren, wie: „Nun regen Sie sich mal nicht so auf“. Solche Aussagen verletzen den Gesprächspartner. Sie zerstören letztlich das, was sich Führungskräfte von ihren Mitarbeitern wünschen: Identifikation mit ihrer Aufgabe und dem Unternehmen sowie die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren.
Wichtig ist eine Reflexion des eigenen Wertesystems auch, damit Sie einen inneren Kompass haben, um Ihr Verhalten zu reflektieren und bei Bedarf neu zu justieren. Denn klar ist: Mit Situationen und Herausforderungen, mit denen Sie nicht gerechnet haben, werden Sie in den kommenden Monaten noch oft konfrontiert. Also brauchen Sie einen inneren Kompass. Sonst schwanken Sie nicht nur aus Mitarbeitersicht wie ein Rohr im Wind.