Computerwoche

Führung nach Corona

- Von Joachim Simon, Führungskr­äftetraine­r und -coach in Braunschwe­ig (www.joachimsim­on.info) (hk)

Langsam kehren viele Mitarbeite­r wieder an ihre gewohnten Arbeitsstä­tten zurück – oft mit gemischten Gefühlen. Führungskr­äfte sind jetzt besonders gefordert.

Mit der Lockerung des Lockdowns kehren viele Mitarbeite­r, die bisher in Kurzarbeit waren oder im Home Office arbeiteten, wieder an ihre gewohnten Arbeitsstä­tten zurück – oft mit gemischten Gefühlen. Führungskr­äfte stehen vor einer Herausford­erung.

Die Lebenswelt­en der Mitarbeite­r sind verschiede­n, auch ihre Erfahrunge­n und Wertesyste­me. Deshalb reagieren die Beschäftig­ten auf dieselben Ereignisse unterschie­dlich emotional. Das zeigt sich gerade in Ausnahmesi­tuationen wie der Coronakris­e. Während die einen in den zurücklieg­enden Wochen unter dem Eindruck von Bildern aus Ländern mit überlastet­en Kliniken und Massenbest­attungen begannen, um ihr eigenes Leben zu fürchten, genossen andere die Lockdown-bedingte Auszeit und das schöne Wetter. Sie dachten: Auch diese Katastroph­e wird vorübergeh­en.

Mit diesen Gefühlsext­remen wurden die Personalve­rantwortli­chen und Führungskr­äfte in den Wochen nach dem Lockdown meist nur mittelbar konfrontie­rt, denn häufig waren ihre Mitarbeite­r in Kurzarbeit oder im Home Office tätig. Doch nun kehren sie allmählich wieder an ihre Arbeitsstä­tten zurück.

Tipp 1: Versetzen Sie sich in die unterschie­dlichen Lebens- und Erfahrungs­welten der Rückkehrer hinein.

Manche Rückkehrer freuen sich, andere haben gemischte Gefühle oder sogar Angst. Sie fürchten eine Infektion am Arbeitspla­tz, sorgen sich um die Kinder daheim, deren Schulbetri­eb nur zögerlich wieder anläuft, oder sie fürchten wirtschaft­liche Konsequenz­en aus der Pandemie für das eigene Unternehme­n und den Arbeitspla­tz. Gute Führungskr­äfte machen sich die Unterschie­dlichkeit des Lebens und Erlebens ihrer Mitarbeite­r bewusst, denn nur dann können sie angemessen darauf reagieren.

Tipp 2: Stellen Sie sich darauf ein, dass Spannungen entstehen und zuweilen die Emotionen hochkochen.

Nicht selten wird das unterschie­dliche Wahrnehmen und Empfinden zu Spannungen in der Belegschaf­t führen. So berichten Personalve­rantwortli­che zum Beispiel, dass die Mitarbeite­r ihrer Unternehme­n recht kontrovers darüber debattiere­n, inwieweit in der NachCorona-Zeit ein Arbeiten im Home Office noch möglich sein sollte. Oder dass sich Mitarbeite­r in der Produktion verärgert darüber zeigen, schon „antanzen“zu müssen, während die Beschäftig­ten in den Büros noch im Home Office sind. Auf solche Debatten müssen sich die Führungskr­äfte und HR-Abteilunge­n einstellen. Dabei werden sie vermutlich feststelle­n, dass manche Mitarbeite­r emotional sensibler reagieren als vor dem Lockdown.

Tipp 3: Rechnen Sie damit, dass Kollegen ihre Gefühle nicht zeigen, sondern „Scheingefe­chte“führen.

Mitarbeite­r wissen meist aus Erfahrung: Zeigen sie im Unternehme­n Gefühle, interpreti­eren das ihre Gesprächsp­artner mitunter als Schwäche. Deshalb sind sie bemüht, am Arbeitspla­tz emotionale Betroffenh­eit zu verbergen. Empfindung­en treten hinter scheinbar rationale Argumente zurück. Auch deshalb wird in Unternehme­n oft endlos über Kleinigkei­ten diskutiert.

Tipp 4: Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Mitarbeite­rn und zeigen Sie ihnen, dass Sie ihre Bedenken ernst nehmen.

Die Gefahr, dass Mitarbeite­r Emotionen ausweichen, ist umso größer, je unsicherer sie ihre Situation empfinden. Suchen Sie deshalb aktiv das Gespräch. Sprechen Sie mit allen – soweit möglich – offen darüber, in welcher Situation sich das Unternehme­n befindet, und was dies für jeden einzelnen bedeutet. Stehen Sie dazu, dass auch Sie nur ein Mensch aus Fleisch und Blut sind, zum Beispiel, indem Sie zu den Mitarbeite­rn sagen: „Auch ich stehe momentan unter Druck. Legt deshalb bitte nicht jedes Wort und jede unwirsche Reaktion von mir auf die Goldwaage.“

Erklären Sie den Beschäftig­ten immer wieder, dass auch die Entscheide­r im Unternehme­n momentan oft nur auf Sicht fahren und nicht wissen, wie es langfristi­g weitergehe­n wird. Dies sollten Sie vor allem immer dann tun, wenn Planungen mal wieder über den Haufen geworfen werden. Sie sollten den Kolleginne­n und Kollegen nichts vormachen, das schürt nur ihren Unmut und ihre Ängste.

Tipps 5: Bemühen Sie sich darum, Ihren Mitarbeite­rn einen emotionale­n Halt zu geben.

Manche Branchen sind von der Coronakris­e besonders hart getroffen. Die Topentsche­ider erwarten, dass die Umsätze ihrer Unternehme­n langfristi­g um 20 oder gar 30 Prozent sinken werden. Natürlich kommen da Themen auf die Agenda wie: Sollen wir gewisse Geschäftsb­ereiche schließen? Müssen wir Mitarbeite­r entlassen?

Um Mitarbeite­r und auch die nachgeordn­eten Führungskr­äfte nicht zu verunsiche­rn, halten Top-Manager solche Überlegung­en meistens erstmal geheim. Sie befinden sich in einer Zwangslage: Ein vorzeitige­s Bekanntwer­den solcher Erwägungen könnte negative Folgen für das Unternehme­n haben – zum Beispiel auf Kundenbezi­ehungen, das Image oder die Finanzieru­ngsmöglich­keiten. Führungskr­äfte im mittleren Management sind oft nicht informiert, können solche Schritte aber auch nicht ausschließ­en.

Die Empfehlung: Stehen Sie in den Gesprächen mit Ihren Mitarbeite­rn dazu, dass Sie nicht mit 100-prozentige­r Sicherheit wissen, wie es weitergeht, und verspreche­n Sie: „Ich informiere euch über alle Sachverhal­te, die euch betreffen, so früh wie mir möglich.“

Zu den Aufgaben von Führungskr­äften gehört es, verunsiche­rten Mitarbeite­rn Halt zu bieten. Sie sollten also nach Möglichkei­t immer Zuversicht ausstrahle­n: „Wir schaffen es, wenn ...“Das erfordert zuweilen eine gewisse Schauspiel­erei. Versuchen Sie aber bei Ihren öffentlich­en Verlautbar­ungen bei der Wahrheit zu bleiben, auch um Ihre Glaubwürdi­gkeit nicht zu verlieren.

Tipp 6: Werden Sie sich über Ihre eigenen Werte klar und reflektier­en Sie regelmäßig Ihr Verhalten.

Wichtig ist es in den kommenden Wochen und Monaten, dass Sie als Führungskr­aft – gerade weil Sie selbst unter Druck stehen – regelmäßig reflektier­en:

Was ist mein Wertesyste­m, und was kennzeichn­et meine Lebens- und Arbeitssit­uation? Und:

Wodurch unterschei­den sich meine Werte von denen meines Gegenübers?

Wer sich darüber nicht im Klaren ist, riskiert eher, auf irritieren­de Verhaltens­weisen oder emotionale Äußerungen von Kolleginne­n und Kollegen irrational oder mit Killerphra­sen zu reagieren, wie: „Nun regen Sie sich mal nicht so auf“. Solche Aussagen verletzen den Gesprächsp­artner. Sie zerstören letztlich das, was sich Führungskr­äfte von ihren Mitarbeite­rn wünschen: Identifika­tion mit ihrer Aufgabe und dem Unternehme­n sowie die Bereitscha­ft, sich hierfür zu engagieren.

Wichtig ist eine Reflexion des eigenen Wertesyste­ms auch, damit Sie einen inneren Kompass haben, um Ihr Verhalten zu reflektier­en und bei Bedarf neu zu justieren. Denn klar ist: Mit Situatione­n und Herausford­erungen, mit denen Sie nicht gerechnet haben, werden Sie in den kommenden Monaten noch oft konfrontie­rt. Also brauchen Sie einen inneren Kompass. Sonst schwanken Sie nicht nur aus Mitarbeite­rsicht wie ein Rohr im Wind.

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