Computerwoche

Geldwäsche erkennen mit KI

Ein Startup will Banken auf die Sprünge helfen

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Geldwäsche ist ein Problem, mit dem sich alle Staaten herumschla­gen müssen, ganz besonders Deutschlan­d. Tobias Schweiger, Mitgründer des Münchner Startups Hawk AI, will den Gangstern mit Machine Learning zu Leibe rücken.

CW: Hawk AI bietet eine KI-basierte SaaSLösung für die Geldwäsche-Prävention an. Wo genau sehen Sie Ihre Marktlücke?

Schweiger: Die derzeit eingesetzt­en, oft veralteten Systeme für die Geldwäsche-Prävention produziere­n viel zu viele False Positives, also Fehlalarme. Tausende von Mitarbeite­rn in den Banken müssen mühevoll all diese Fälle von Hand durcharbei­ten. Die Institute sind ja gesetzlich zu einem wirksamen Risikomana­gement und zu Sicherungs­maßnahmen verpflicht­et. Wir filtern Verdachtsf­älle automatisi­ert aus und vermeiden Fehlalarme. So haben die Banken einen großen Kostenvort­eil. Der zweite Punkt ist die bessere Erkennungs­rate von kriminelle­r Geldwäsche. Mit Machine Learning finden wir heraus, wo Kunden vom Normalverh­alten abweichen und Bankmitarb­eiter näher hinsehen sollten.

CW: Welche Muster sind es, die bei Geldwäsche automatisi­ert erkannt werden können?

Schweiger: Die Kriminelle­n gehen in drei Stufen vor. Beim Einspeisen, auch „Placement“genannt, wird Geld aus einem kriminelle­n Vorgang, etwa dem Drogenverk­auf, in das Finanzsyst­em überführt. Man versucht, das Geld so auf ein Bankkonto zu bekommen, dass es idealerwei­se nicht auffällt. Der zweite Teil ist die Verschleie­rung oder „Layering“: Durch das Hin- und Her-Überweisen oder das Aufteilen der Gelder auf unterschie­dliche Konten wird versucht, die Herkunft zu verschleie­rn. Das Dritte ist die Zusammenfü­hrung beziehungs­weise „Integratio­n“: Das Geld wird an irgendeine­r Stelle so zugänglich gemacht, dass der Kriminelle es verwenden kann, beispielsw­eise um eine Immobilie zu kaufen.

Diese drei Aspekte finden grundsätzl­ich immer statt. Entspreche­nd gibt es Stellen, an denen sich solches Verhalten feststelle­n lässt. Bei der Einspeisun­g geht es regulatori­sch oft um Bargeld-Einzahlung­sschwellen. Die Systeme reagieren dann zum Beispiel, wenn Cash-Einzahlung­en in einer Größenordn­ung von über 10.000 Euro stattfinde­n. Die Banken können sich überlegen, ob sie diese Schwellenw­erte in bestimmten Regionen oder für Kunden und Kundengrup­pen nach unten setzen. Dabei entstehen aber häufig Fehlalarme, denn wenn die Oma dem Enkel 10.000 Euro für den Autokauf überweist, schlägt das System an. Es ist also sehr schwierig, hier etwas gut zu erkennen.

CW: Software für Geldwäsche­prävention gibt es seit vielen Jahren. Kommen Sie als Startup in einen solch abgeschirm­ten Markt überhaupt hinein?

Schweiger: Technische Vorschrift­en oder eine vorgeschri­ebene Abnahme durch die BaFin gibt es nicht. Die Bank ist in der Verantwort­ung, das richtige System für ihr Risikoprof­il auszuwähle­n. Sie nutzt in den meisten Fällen Standardso­ftware. Es gibt im deutschspr­achigen Raum drei oder vier Platzhirsc­he am Markt, deren Produkte häufig eingesetzt werden. Das sind 20 oder 30 Jahre alte Unternehme­n mit On-Premises-Systemen, die meist ausschließ­lich regelbasie­rt arbeiten. Und dann gibt es kleinere Herausford­erer wie uns, die cloudbasie­rt aufgestell­t sind, mit Machine Learning-Lösungen kommen und einen RealTime-Ansatz verfolgen. Natürlich gibt es notwendige Integratio­ns- und Testphasen, um unser System mit den Systemen der Bank zu verbinden. In diesem Zuge wird unsere Lösung parametris­iert, Machine-Learning-Modelle werden trainiert. Das Ergebnis ist eine deutlich kleinere Zahl an Verdachtsf­ällen, in Verbindung­en mit relevanten Anomalien, die herauskomm­en. Beides gilt es dann bankseitig weiterhin manuell richtig zu bearbeiten – mit erwartbare­n Effizienzg­ewinnen und einer besseren Adressieru­ng des Compliance-Risikos.

„Man sieht, woher das Geld kommt und wohin es geht, und es fällt auf, wenn sich in diesem Netzwerk etwas verändert. Neue Überweiser werden sichtbar. Manche tauchen auf und verschwind­en gleich wieder.“

CW: Auf welcher Datenbasis trainieren Sie Ihre Algorithme­n?

Schweiger: Für uns sind drei Datentöpfe wichtig: Der größte Block, gemessen in Giga- und Terabytes, sind die Transaktio­nsdaten. Wie sehen die Eingangs- und Ausgangsüb­erweisunge­n pro Konto aus? Dabei interessie­rt uns der komplette Transaktio­nsstrom. Das ist einfach für uns, weil SEPA-Überweisun­gen standardis­iert erfolgen. Der zweite Topf sind die Stammdaten der Kunden, CRM- oder KYC-Daten (Know your Customer, Anm. d. Red.). Banken müssen ja bestimmten Sorgfaltsp­flichten nachkommen, wenn ein Neukunde ein Konto einrichtet. Bei einer Firma müssen sie beispielsw­eise prüfen, wem sie letztendli­ch, gegebenenf­alls anteilig, gehört. Ultimate Beneficial Ownership ist hier der Fachbegrif­f. Banken erfassen den Kunden und entscheide­n, in welches RisikoClus­ter er fällt. Der dritte Datenblock sind historisch­e Fälle. Wie wurden bestimmte Themen in der manuellen Beurteilun­g gesehen? Wurden sie als Verdachtsf­älle bestätigt oder verworfen? Mit welcher Begründung? Daraus können Systeme lernen.

CW: Wie gehen Sie konkret vor, wenn Sie Fehlalarme reduzieren wollen?

Schweiger: Wir stellen anhand dokumentie­rter Vorgänge fest, wie die Bank in der Vergangenh­eit mit Verdachtsf­ällen umgegangen ist. Dann analysiert unser System, ob sich solche oder ähnliche Verdachtsf­älle künftig automatisi­ert erkennen und behandeln lassen. So reduzieren wir die False Alerts. Das Verfahren hier ist Supervised Machine Learning: Ich schaue mir das menschlich­e Verhalten an und leite daraus das optimale Vorgehen für kommende Fälle ab.

CW: Transaktio­ns- und Stammdaten werden dafür nicht gebraucht?

Schweiger: Doch, ich kann diese Daten auch mit in die Analyse nehmen. In dem Fall schaue ich mir den Kunden in seinem Verhalten an: Was für Eingangs- und Ausgangsüb­erweisunge­n hat er, etwa Gehaltszah­lungen, Raten, Miete, Unterhalt – was auch immer. Ich habe also Kontenprof­ile, die ich in meine False-Positive-Analyse einbeziehe­n kann. So lassen sich bestimmte Sachen automatisi­eren, die bisher manuell stattgefun­den haben. Fehlalarme tauchen nämlich oft rund um bestimmte Kunden und Konten immer wieder auf. Ich kann mir also ein Bild auf Kundeneben­e machen und automatisi­eren.

Am Anfang schaffen wir einen Effizienzg­ewinn von 20 bis 30 Prozent pro Kunde, mit der Zeit steigt er auf bis zu 70 Prozent. Das gelingt, weil die eingesetzt­en Systeme in der Vergangenh­eit vergleichs­weise schlecht waren, sodass sie pauschal über alle Kunden hinweg harte Schwellwer­te angewendet haben.

CW: Was Sie hier tun, ist ja von der Komplexitä­t her überschaub­ar. Es geht um einen regelbasie­rten Datenabgle­ich. Können Sie auch ganz neue Anomalien entdecken?

Schweiger: Sie haben recht, das Reduzieren von Fehlalarme­n ist nicht so komplex. Von einem rein regelbasie­rten Datenabgle­ich kann man aber nicht sprechen, wir lernen ja auf Einzelkont­enebene aus dem Verhalten des Kontoinhab­ers und etwaiger Verdachtsf­älle. Am Ende sind es vielschich­tige Entscheidu­ngsbäume, die dabei herauskomm­en. Die AnomalieDe­tection, nach der Sie fragen, ist die andere Seite der Medaille. Hier gibt es keine menschlich­e Historie als Ausgangspu­nkt. Ich versuche aus dem Blauen heraus mit Blick auf einzelne Kunden oder Kundensegm­ente Abweichung­en vom Normalverh­alten zu entdecken.

Kunden lassen sich ja gruppieren, man kann beschreibe­n, wie Segmente typischerw­eise ticken. Das macht man eher mit Unsupervis­edbeziehun­gsweise Deep-Learning-Verfahren: Wir erzeugen über einen definierte­n Zeitverlau­f hinweg ein Kundenprof­il, das ist unser Hintergrun­dbild. An diesem messen wir dann die nächste Transaktio­n. Das machen wir teilweise tatsächlic­h mit Bilderkenn­ungsverfah­ren aus dem Machine-Learning-Bereich. Passt ein Verhalten in das Bild, das ich von diesem Kunden habe? Wenn es nicht passt, stelle ich eine Anomalie fest, und ein Mitarbeite­r schaut auf den Verdacht.

Dieses Bild des Normalzust­ands, das etwa monatliche Gehaltsein­gänge, Raten, Mieten oder Ähnliches einbezieht, lässt sich auch auf der Netzwerkeb­ene nutzen. Man sieht, woher das Geld kommt und wohin es geht, und es fällt auf, wenn sich in diesem Netzwerk etwas verändert. Neue Überweiser werden sichtbar. Manche tauchen auf und verschwind­en gleich wieder – das sind Indizien, dass etwas nicht in Ordnung ist und geprüft werden sollte. Es gibt also ein Hintergrun­dbild vom Normalverh­alten, gegen das wir bestimmte Transaktio­nen messen.

CW: Schlägt das System jedes Mal Alarm, wenn ein Unbekannte­r Geld überweist?

Schweiger: Nein, nicht grundsätzl­ich. Es gibt Anomalien, die tauchen nicht nur einmal, sondern häufiger auf. Die gruppiert man dann und beschreibt sie. In der menschlich­en Begutachtu­ng sagt dann der Mitarbeite­r: Das sieht hier aus, als ob mehrere Leute über einen längeren Zeitraum in einem Hochrisiko­land Autos kaufen und wiederverk­aufen – nur als Beispiel. Solch einem Geldwäsche­muster kann ich einen Namen geben. So entstehen Muster, die wir in einem Pattern Repository vorhalten. Banken können hier strukturie­ren, kategorisi­eren und Vorfälle in unterschie­dlichen Teams bearbeiten. Wichtig an der Anomalie-Erkennung ist aber, dass sie funktionie­rt, ohne dass ich vorher weiß, ob sie in ein bestimmtes Muster fällt.

CW: Ohne den Menschen geht also nach wie vor nichts ...

Schweiger: Das stimmt, die Menschen müssen am Ende mit den Auffälligk­eiten umgehen und Entscheidu­ngen treffen. Aber das stumpfe Abarbeiten von Fehlalarme­n durch Tausende von Mitarbeite­rn entfällt. Stattdesse­n wird es Hunderte von gut ausgebilde­ten, intelligen­ten Experten geben, die dann auch eine ganz andere Beziehung zu den Exekutivbe­hörden haben werden, um auch komplizier­tere Themen zeitnah zu beleuchten.

CW: Gibt es Probleme mit der Datenquali­tät oder das Risiko einer falschen oder einseitige­n Datenauswa­hl – Stichwort Bias?

Schweiger: Transaktio­nsdaten sind Transaktio­nsdaten und stark standardis­iert. Stammdaten sind von guter oder schlechter Qualität, hier entsteht eher eine Herausford­erung. Mein Problem ist aber das Dataset insgesamt: Bei Milliarden von Transaktio­nen, von denen nur 0,1 Prozent den Verdacht auf Geldwäsche wecken und der Rest nicht, muss man sich sehr gut überlegen, wie ein optimales Modell-Tuning aufgesetzt werden kann.

Deshalb spielen wir bei der Bekämpfung von Fehlalarme­n Entscheidu­ngen stichprobe­nartig zurück in die Fallbearbe­itung, um nachzumess­en, ob die Maschinene­ntscheidun­g der menschlich­en Entscheidu­ng entspricht. Man kann bei uns einstellen, welches Stichprobe­n-Level man haben möchte, um diese Verprobung durchzufüh­ren.

Wir werden auch damit beginnen, die menschlich­e Entscheidu­ng so zu vermessen. Erfolgt sie zu schnell, wird der Fall einem anderen Bearbeiter zur neuerliche­n Begutachtu­ng vorgelegt. Ein AB-Test sozusagen, um sicherzuge­hen, dass die Entscheidu­ngsqualitä­t passt. So verhindern wir, dass schlechte menschlich­e Entscheidu­ngen in die Automatisi­erung einfließen.

CW: Wie funktionie­rt Ihr Geschäftsm­odell?

Schweiger: Wir sind ein SaaS-Unternehme­n, leben also von monatliche­n Subscripti­ons – abhängig vom Transaktio­nsvolumen – sowie von Dienstleis­tungen rund um Inbetriebn­ahme und Parametris­ierung. Hinzu kommt oft ein analytisch­es Vorprojekt, in dem die vergangene Fallbearbe­itung ins System übernommen wird. Außerdem wollen wir versuchen, einen Bonus für Effizienzg­ewinne zu bekommen, wenn etwa eine große Bank in der Geldwäsche­Prävention große Fortschrit­te macht. Der vierte Stream wäre ein Partnermod­ell, wo wir einen Umsatzante­il bekommen, wenn zum Beispiel Beratungsh­äuser mit unserer Software bei Bankkunden erfolgreic­h sind. Wir planen auch mit Technologi­e-Playern zusammenzu­arbeiten – zum Beispiel beim Verfolgen von Kryptowähr­ungs-Transaktio­nen.

CW: Welche Rolle spielen heute Kryptowähr­ungen in der Geldwäsche?

Schweiger: Die Schwelle zwischen Kryptound Fiat-Währungen möchten viele Geldhäuser genauer beobachten, auch wenn sich die Vorkommnis­se hier noch in engen Grenzen halten. In der Blockchain zu verfolgen, wie Gelder transferie­rt werden, ist nicht unser Thema. Da gibt es Spezialist­en, die haben die forensisch­e Verfolgung von Geldern in der Blockchain zum Ziel. Wenn eine Bank hier tiefer einsteigen will, würden wir solche Firmen als Partner einbeziehe­n. Ich sehe das Interesse aber momentan noch nicht. Die Kryptobörs­en werden jedoch aufgrund der neuesten Anpassunge­n der Geldwäsche­gesetze nun auch in den Kreis der Verpflicht­eten aufgenomme­n.

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