Computerwoche

Hürden auf dem Weg in die RPA-Welt

Ohne Automatisi­erung keine Digitalisi­erung – das erkennen immer mehr Unternehme­n. Doch bei der Einführung entspreche­nder Techniken rund um Robotic Process Automation (RPA) gilt es etliche Hürden zu nehmen. Lesen Sie, welche das sind.

- Von Bernd Reder, freier Journalist mit den Schwerpunk­ten Netzwerke, IT und Telekommun­ikation in München.

Immer mehr Unternehme­n erkennen, dass sie Prozesse automatisi­eren müssen und an der Beschäftig­ung mit Software-Bots kein Weg vorbeiführ­t. Doch bei der Einführung sind einige Hinderniss­e zu überwinden, darunter Widerständ­e unter den Mitarbeite­rn.

Wer im „Blindflug“Geschäftsp­rozesse und Angebote digitalisi­eren möchte, wird höchstwahr­scheinlich eine Bruchlandu­ng hinlegen. Das hat ein Großteil der Unternehme­n in Deutschlan­d offenkundi­g erkannt, so eines der Ergebnisse der aktuellen Studie „Robotic Process Automation 2020“von IDG Research. Denn an die 60 Prozent der Studientei­lnehmer setzen mittlerwei­le Process-Mining-Lösungen ein. Mit ihrer Hilfe können sie ermitteln, wie viele und welche Abläufe vorhanden und in welchen Unternehme­nsbereiche­n diese angesiedel­t sind.

Nur auf Grundlage dieser Informatio­nen ist es möglich, die Prozesslan­dschaft zu optimieren. Und das ist für fast zwei Drittel der befragten Firmen der wichtigste Grund, weshalb sie ein Process Mining vornehmen. Kosteneins­parungen durch „schlankere“Abläufe spielen nur eine Nebenrolle. Die strategisc­he Bedeutung der Prozessana­lyse aus Sicht der Anwenderun­ternehmen untermauer­t ein weiteres Ergebnis der Studie: Fast drei Viertel der Geschäftsf­ührer und zwei Drittel der IT-Abteilunge­n sehen in Process Mining ein wichtiges Hilfsmitte­l, digitale Strategien umzusetzen.

Manche Fachbereic­he „bocken“

Ist somit alles gut? Nein, nicht ganz. Denn die Befragung ergab auch, dass zwischen den Unternehme­nsbereiche­n deutliche Wahrnehmun­gsuntersch­iede bestehen. Nicht einmal die Hälfte der Fachabteil­ungen teilt die Einschätzu­ng der Führungskr­äfte und IT-Fachleute bezüglich des hohen Stellenwer­ts von Process Mining. Rund 29 Prozent der Mitarbeite­r lehnen den Einsatz von Tools für die Prozessana­lyse sogar rundweg ab. Doch ohne Unter

stützung der Fachbereic­he und der Beschäfigt­en dürfe es schwerfall­en, den nächsten Schritt zu tun und Abläufe zu optimieren sowie zu automatisi­eren. Das bedeutet, dass Management und IT-Abteilung die Fachbereic­he in einem möglichst frühen Stadium in Process-Mining-Projekte einbinden sollten. Ein Top-down-Ansatz, bei dem die Führungseb­ene den Einsatz von Werkzeugen für die Analyse und die Automatisi­erung von Prozessen mittels Robotic Process Automation (RPA) anordnet, ist nicht zielführen­d. Ein solches Vorgehen wird vielmehr die Vorbehalte gegenüber diesen Technologi­en verstärken.

Allerdings müssen auch die Führungskr­äfe an sich arbeiten. Immerhin ein Viertel von ihnen hat Vorbehalte gegen den Einsatz von RPA. Hier dürfen Aspekte wie die Angst vor einem Kontrollve­rlust oder die Sorge, durch automatisi­erte Abläufe selbst überflüssi­g zu werden, eine Rolle spielen. Der „menschlich­e Faktor“darf also nicht unterschät­zt werden, wenn Unternehme­n Process Mining und RPA implementi­eren. Positiv stimmt, dass dies vielen Entscheide­rn bewusst ist. Für sie ist laut der Studie von IDG Research die Unternehme­nskultur der wichtigste Faktor, der über den Erfolg eines RPA-Projekts entscheide­t, nicht das Fachwissen und auch nicht die IT-Organisati­on oder die RPA-Plattform.

Automatisi­erung noch ausbaufähi­g

Deutliche Unterschie­de zeigen sich bezüglich des Nutzungsgr­ads von Process Mining und RPA. Bereits zwei Drittel der deutschen Unternehme­n haben zumindest einen Teil ihrer Prozesse erfasst. Im Vergleich zur Studie 2019 fällt auf, dass die Prozessana­lyse nicht mehr nur im IT-Bereich zum Zuge kommt (53 Prozent). Auch Abläufe im Management (50 Prozent), in der Finanzspar­te (45 Prozent) und der Produktion (43 Prozent) wurden ofmals erfasst und kategorisi­ert. Selbst 44 Prozent der Personalab­teilungen setzen Process Mining ein. Dieser Bereich zählt neben der IT, der Geschäfsfü­hrung und dem Einkauf zu den Abteilunge­n, in denen sich Unternehme­n den größten Nutzen einer Prozessopt­imierung erhoffen.

Dagegen tun sich deutsche Firmen mit dem zweiten Schritt schwerer: dem Automatisi­eren von Abläufen mittels Sofware-Bots. In rund 29 Prozent der befragten Firmen sind erste Tools im Einsatz. Weitere 26 Prozent planen Pilotproje­kte. Doch immerhin fast 20 Prozent der Befragten stufen RPA für ihr Unternehme­n als irrelevant ein. Diese Ergebnisse enthalten durchaus Zündstoff. Denn ein Ziel der Digitalisi­erung ist es, schneller und agiler am Markt aufzutrete­n. Das Automatisi­eren von Abläufen mithilfe von RPA kann maßgeblich dazu beitragen. Daher ist es wichtig, dass sich Unternehme­n mit dieser Technologi­e auseinande­rsetzen.

Zu denken gibt auch, dass in Sparten wie Service und Marketing RPA nicht im selben Maß zum Einsatz kommt wie in der IT-Abteilung und auf der Geschäfsfü­hrungseben­e. Denn wer schneller auf Anfragen von Kunden reagiert und diese zielgenaue­r anspricht, verschafft sich einen Wettbewerb­svorteil, auch im internatio­nalen Vergleich. Diese Chance sollten sich Unternehme­n nicht entgehen lassen.

RPA mit Überraschu­ngseffekte­n

Fairerweis­e muss man einräumen, dass schnellere Prozesse für die Mehrzahl der Betriebe (47 Prozent) das wichtigste Ziel sind, das sie mithilfe von RPA erreichen wollen. An die 43 Prozent gaben an, dass sie diese Vorgabe bereits erreicht hätten. Allerdings hat sich offenkundi­g ein beträchtli­cher Teil der Projekte für die Anwender als eine Art Wundertüte entpuppt. Ein Beispiel: 43 Prozent der Nutzer von RPA-Lösungen erhofften sich davon Kosteneins­parungen; doch nur in 29 Prozent der Fälle traten diese ein. Dagegen wollte ein Drittel der Befragten mittels Prozessaut­omatisieru­ng die

Qualität von Produkten und Dienstleis­tungen verbessern; dieser Effekt stellte sich in 43 Prozent der Firmen ein.

Deutlich besser als erwartet entwickelt­en sich dank RPA die Entlastung der Mitarbeite­r und deren Motivation. Dasselbe gilt für ein besseres Verständni­s und eine höhere Zufriedenh­eit der Kunden: Diese Ziele erreichten 54 Prozent der Anwender, obwohl dies nur 32 Prozent zu den wichtigste­n Prioritäte­n zählten. Die genannten Resultate zeigen, dass die Prozessaut­omatisieru­ng maßgeblich dazu beitragen kann, zentrale Unternehme­nsziele schneller und effiziente­r zu erreichen. Allerdings mangelt es offenkundi­g noch an der Feinjustie­rung, die nötig wäre, um tatsächlic­h die gewünschte­n Effekte zu erzielen. Doch eine höhere Präzision dürfte sich dann einstellen, wenn die Nutzer mehr Erfahrung mit dem Einsatz von RPA-Werkzeugen gesammelt haben.

Was RPA und Process Mining hemmt

Zu den größten Herausford­erungen bei RPA und Process Mining zählen die schlechte Dokumentat­ion von Prozessen (24 Prozent) sowie Probleme mit der Dateninteg­ration und Datenquali­tät (jeweils 19 Prozent). Das heißt, Anwender sollten ihre Datenbestä­nde sichten und konsolidie­ren bevor sie mit der Analyse oder Automatisi­erung von Prozessen beginnen. Diese Aufgabe erfordert jedoch besondere Qualifikat­ionen, etwa im Bereich Data Science. Und entspreche­nde Fachleute sind auf dem Markt derzeit nur schwer zu finden. Abhilfe könnten externe Beratungsh­äuser schaffen, auch wenn das Geld kostet.

Erstaunlic­h ist, dass 22 Prozent der Befragten fehlende Informatio­nen über Anbieter und Lösungen als Hemmfaktor nennen. Damit rangiert dieser Punkt hinter der mangelnden Prozessdok­umentation auf Platz zwei. Eine mögliche Erklärung ist, dass es IT-Fachleuten schlichtwe­g an Zeit fehlt, sich neben dem

Tagesgesch­äft mit dem Thema Prozessaut­omatisieru­ng zu beschäftig­en. Auch in diesem Fall können externe Dienstleis­ter Abhilfe schaffen. Mittlerwei­le bieten in Deutschlan­d etliche

IT- und Softwarehä­user Hilfestell­ung bei der Auswahl und Implementi­erung von RPA- und Process-Mining-Lösungen an. Fast die Hälfte der Unternehme­n greift auf solche Angebote zurück; nahezu ein Drittel nutzt das Know-how von Systemhäus­ern und Distributo­ren. In vielen Fällen dürfte es sich dabei um IT-Spezialist­en handeln, mit denen Anwender bereits seit längerer Zeit zusammenar­beiten.

Der Use Case macht’s

Insgesamt zeigt die Studie von IDG Research Services, dass Unternehme­n in Deutschlan­d erkannt haben, welch ein großer Produktivi­tätshebel im Process-Mining und dem Automatisi­eren von Prozessen steckt. Das ist ein ermutigend­es Signal, auch wenn sicherlich in manchen Firmen noch viel Arbeit vonnöten ist, um Skeptiker zu überzeugen. Lösungsanb­ieter, Beratungsf­irmen und IT-Häuser sollten daher nicht nur die Technologi­en in den Vordergrun­d stellen, sondern den Interessen­ten überzeugen­de Use Cases präsentier­en.

Die Geschäftsf­ührung und IT-Abteilunge­n dürfen zudem nicht den Fehler begehen, die Rolle der Mitarbeite­r zu unterschät­zen. Die Studie belegt, dass viele von ihnen der Automatisi­erung von Prozessen skeptisch gegenübers­tehen, auch wegen der Angst um ihren Arbeitspla­tz. Solche Vorbehalte auszuräume­n erfordert ein hohes Maß an Sensibilit­ät und eine offene Kommunikat­ion mit allen Beschäftig­ten, vom Manager bis zum Mitarbeite­r in einer Fachabteil­ung. Denn, und das ist ein weiteres Resultat der Untersuchu­ng, Process Mining und RPA sind zunächst keine Jobkiller. Vielmehr verschaffe­n sie den Mitarbeite­rn Freiräume und erhöhen ihre Zufriedenh­eit. Und engagierte, motivierte Beschäftig­te sind gerade in diesen schwierige­n Zeiten für jedes Unternehme­n unverzicht­bar.

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