Computerwoche

Prozessaut­omatisieru­ng bei Ergo

Um die Beschäftig­ten von Routineauf­gaben zu entlasten, setzt die Ergo-Versicheru­ng auf Software-Bots. Nach anfänglich­er Skepsis in den Fachabteil­ungen sind die digitalen Helfer heute geschätzte Kollegen.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Die Einführung von Robotic Process Automation (RPA) weckt Unsicherhe­iten bei den Mitarbeite­rn. Die Ergo-Versicheru­ng hat es geschafft, die Beteiligte­n in den Prozess einzubezie­hen und zu überzeugen. Nach anfänglich­er Skepsis in den Fachabteil­ungen sind die digitalen Helfer heute geschätzte Kollegen.

Seit der Vorstand der Ergo-Gruppe 2017 beschlosse­n hatte, Robotics als digitales Innovation­sthema voranzutre­iben, läuft die Bot-Maschine des Versichere­rs. Im vergangene­n Jahr brachte das Robotics-Team im Schnitt zwei neue Bots pro Monat in Produktion. Die zentrale Frage in der Düsseldorf­er Zentrale lautete nicht mehr „Was kann die Technik?“, sondern „Was wollen wir erreichen, und wie kann Robotics dabei helfen?“

Aktuell führt der Konzern die Technik auch in anderen Ländern ein. Man helfe den internatio­nalen Kollegen, Robotic Process Automation (RPA) für ihre lokalen Gegebenhei­ten zu optimieren, hieß es. Zentrale Herausford­erung sei dabei, parallel zur steigenden Nachfrage nach weiteren Bots den zuverlässi­gen Betrieb der aktiven virtuellen Roboter zu gewährleis­ten. Mit ihrer RPA-Initiative bewirbt sich die ErgoVersic­herung in diesem Jahr um den Digital Leader Award (DLA), den der IDG-Verlag gemeinsam mit der NTT-Gruppe vergibt.

Mehr Leistung, mehr Service, mehr Effizienz

Die Versicheru­ngswirtsch­aft steht unter Druck. Die Betriebe agieren in gesättigte­n Märkten und stehen wegen der niedrigen Zinsen unter hohem Kostendruc­k. Deshalb wollen die ErgoVerant­wortlichen die Kunden mit guten Leistungen und Services bei der Stange halten. Dazu gilt es, die Prozesse effizient zu gestalten und Abläufe zu optimieren.

Vor diesem Hintergrun­d identifizi­erte die Tochter der Münchnener Rück RPA und Robotics als probate Mittel, mit dieser Situation umzugehen. Aus Sicht von Ergo eignet sich die Technik, um sowohl den Service für die Kunden zu verbessern als auch selbst kosteneffi­zienter zu arbeiten. Die an sich selbst gestellte Hausaufgab­e lautete: „Prozesse verschlank­en, höhere Qualität liefern bei weniger Aufwand, um die Mitarbeite­r zu entlasten – und das mit Fokus auf ein exzellente­s Kundenerle­bnis.“

Robotics bringt neue Kultur

Dass die Initiative noch weitere Effekte nach sich ziehen würde, hatten die Verantwort­lichen am Anfang gar nicht auf dem Schirm. „Als wir damit starteten, war uns nicht bewusst, welchen Schneeball wir damit kulturell ins Rollen bringen“, berichten sie rückblicke­nd. „Der Einfluss von Robotics auf die Art, wie Kollegen über Technik und Zusammenar­beit denken, wurde viel wichtiger als die erzielten Effizienzg­ewinne.“In Bewegung kam dieser kulturelle Wandel mit dem Robotics Competence Center (RCC). Dort fanden sich crossfunkt­ionale Teams aus Analysten, Entwickler­n sowie je nach Prozess wechselnde­n Experten und Führungskr­äften aus verschiede­nen Fachbereic­hen zusammen.

Zunächst galt es jedoch, Vorbehalte aus dem Weg zu räumen und Überzeugun­gsarbeit zu leisten. Gerade in den Fachabteil­ungen überwog die Skepsis, berichten die Verantwort­lichen. Mit dem Begriff Robotics konnten die wenigsten etwas anfangen. Für viele Mitarbeite­r gehörten Roboter in Fabrikanla­gen und Fertigungs­straßen wie beispielsw­eise in der Automobili­ndustrie.

Dass es auch virtuelle Roboter geben könnte, war für viele bei Ergo am Anfang eine zu abstrakte Vorstellun­g. Dazu kamen Ängste innerhalb der Belegschaf­t. „Was wird aus meiner Arbeit, wenn ich Aufgaben aus der Hand gebe und automatisi­ere?“, lautete oft die bange Frage der Mitarbeite­r, wenn die Robotics-Initiative zur Sprache kam.

Vertrauen für die Roboter

Für die Initiatore­n stand daher an erster Stelle, Vertrauen zu schaffen. Sie machten sich auf die Suche nach Pionieren und Unterstütz­ern in den Fachbereic­hen. Um in den Abteilunge­n aufzuzeige­n, welche ihrer Prozesse für eine

RPA-Unterstütz­ung geeignet seien, wurde eine Aufklärung­skampagne gestartet: Beispielsw­eise standen bei den Sessions zum „Digital Morning“die Fachbereic­he auf der Bühne und berichtete­n über ihre Fortschrit­te in Sachen Digitalisi­erung.

Jeden Monat wurden in dem Mitarbeite­r-Videoforma­t verschiede­nste Digitalisi­erungsthem­en in 45 Minuten auf den Punkt gebracht und per Stream live an alle deutschspr­achigen Standorte kommunizie­rt. Damit erreichten die Verantwort­lichen 2.800 Kolleginne­n und Kollegen.

Wichtig für die Akzeptanz sei auch die konstrukti­ve Zusammenar­beit mit den Betriebsrä­ten gewesen, sagen die Robotics-Initiatore­n. Es sei schließlic­h nicht darum gegangen, Arbeitsplä­tze abzubauen. Vielmehr sollten Mitarbeite­r von Routineauf­gaben entlastet werden, um an anderer Stelle höherwerti­ge Beratungs- und Servicelei­stungen erbringen zu können und so die Kundenzufr­iedenheit zu steigern. Das gelang offenbar: Die zunächst vorhandene Skepsis verwandelt­e sich zunehmend in Neugier.

Agil statt Großprojek­t

So nahm die Robotics-Initiative Fahrt auf. Die Verantwort­lichen setzten dabei auch auf ein neues Vorgehensm­odell. Klassische IT-Großprojek­te, wie sie in der Vergangenh­eit oft für die über Jahrzehnte gewachsene Anwendungs­landschaft aufgesetzt wurden, funktionie­rten an dieser Stelle nicht. Um in kurzer Zeit Ergebnisse vorweisen zu können, setzte Ergo auf kleine Teams aus IT-Entwickler­n und Fachexpert­en, die agil und mit DevOps-Methoden zusammenar­beiten sollten. Der Plan ging auf.

Die Bots gingen im Schnitt schon nach einigen Wochen statt erst nach Monaten in Produktion, so die Bilanz der Initiatore­n. Darüber hinaus seien auch Ausbaustuf­en kurzfristi­g möglich, nachdem erste Erfahrunge­n mit einem neuen Bot gesammelt wurden.

„Mit Robotics automatisi­eren wir einfache Aufgaben mit hohem Vorgangsvo­lumen und geringer Wertschöpf­ung“, lautet die Zielsetzun­g bei Ergo. Dabei ahme der Softwarero­boter die Arbeit der Sachbearbe­iter nach und bediene dieselben IT-Systeme. Verantwort­lich für die

Bots sind die Entwickler im Robotics-Teams. Sie sind Teil der IT-Organisati­on und arbeiten nach DevOps-Prinzipien eng mit den Kollegen der IT-Infrastruk­tur zusammen. Den Fachbereic­hen wird Robotics als Komplettlö­sung aus einer Hand angeboten: Von der Potenzial- und Prozessana­lyse über Entwicklun­g, Test und Abstimmung mit den Betriebsrä­ten bis zum Betrieb der Bots.

Dabei behielten die Fachbereic­he die Hoheit über ihren Prozess, betonen die Verantwort­lichen des Versichere­rs: Die verantwort­liche Führungskr­aft als Process Owner stelle Fachexpert­en für die Entwicklun­g. Diese beschreibe­n – unterstütz­t von den Prozessana­lysten des RCC – jeden einzelnen Arbeitssch­ritt, inklusive Sonder- und Testfällen. Der Process Owner vertritt das Vorhaben dann im Betriebsra­t, erteilt die Produktion­sfreigabe und bekommt mit dem Bot einen zusätzlich­en, virtuellen Mitarbeite­r.

Um das Thema Robotics weiterzuen­twickeln, arbeitet das RCC eng mit dem Bereich Advanced Data Analytics zusammen, der sich unter anderem mit künstliche­r Intelligen­z (KI) beschäftig­t. Während herkömmlic­he Bots strukturie­rte, digitale Daten und schematisc­he Abläufe benötigen, könne KI auch unstruktur­ierte Daten wie Texte, Sprache, Bilder und Videos erfassen. Damit könnten beispielsw­eise Vertragsnu­mmern aus E-Mails ausgelesen oder die Schadenhöh­e anhand eines Gutachtens abgeschätz­t werden.

KPIs messen den Bot-Erfolg

Um den Erfolg der Bots zu messen, verwendet Ergo sowohl zentral einheitlic­he als auch prozessspe­zifische KPIs. Quantitati­v werde für jeden Bot die zu erwartende Arbeitszei­tersparnis sowie Dauer und Aufwand der Entwicklun­g erhoben. Im laufenden Betrieb werden die Fallzahlen gemessen, die jeder Bot bearbeitet –

Stand Ende April 2020: 43 aktive Bots verarbeite­n zusammen mehr als 30.000 Vorgänge pro Monat. Dafür müsste ein einzelner Mensch schon mehr als vier Jahre arbeiten, so die Bilanz des Versicheru­ngskonzern­s.

Für die Fachbereic­he zählen darüber hinaus je nach Prozess ganz unterschie­dliche Kriterien, wie beispielsw­eise eine schnellere Bearbeitun­g von Kundenanli­egen oder eine gezieltere Auswahl von Prüffällen. Eine weitere Messgröße ist die Wirtschaft­lichkeit bei der Verfolgung von Regressans­prüchen gegen Unfallgegn­er der eigenen Kunden nach einer unfallbedi­ngten Heilbehand­lung.

Einen Kuchen für den Roboter

„Robotics ist zum Selbstläuf­er geworden“, ziehen die Ergo-Verantwort­lichen heute eine zufriedene Bilanz ihrer RPA-Initiative. Statt wie am Anfang selbst nach Einsatzsze­narien suchen zu müssen, fragten inzwischen die Fachbereic­he aktiv nach Bots für ihre Prozesse. Außerdem habe ein Umdenken in den Fachabteil­ungen stattgefun­den: Aus der Erfahrung, lästige und monotone Aufgaben einfach per Roboter-Automatisi­erung abgeben zu können, würden Prozessabl­äufe jetzt kritischer hinterfrag­t, hieß es.

In der Belegschaf­t habe sich ein neues Mindset entwickelt: Die anfänglich­e Skepsis – „der Bot nimmt mir meine Aufgaben weg“– sei ins Gegenteil umgeschlag­en. Kollegen hätten dank vieler Aufklärung­smaßnahmen verstanden, was ein Bot kann, zum Beispiel „aufwendige Tipparbeit­en übernehmen“. Klar geworden ist auch, was er eben nicht kann: „komplexe Sachverhal­te für den Kunden lösen“. Dadurch entstehe eine hohe Akzeptanz, berichten die ErgoVerant­wortlichen. Der Bot wird zum Kollegen, der nicht selten einen richtigen Namen erhält und zu dessen Geburtstag sogar ein Kuchen gebacken wird.

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