Erfahrung mit Kurzarbeit
IT-Unternehmen müssen auf die aktuelle Krise reagieren und gleichzeitig an morgen denken
Die Münchner Data- und KI-Beratung Alexander Thamm wuchs in den vergangenen Jahren stark, noch im Februar hatte Susanne Wolf über 30 Stellen offen. Mit dem Lockdown Mitte März kamen auf die Personalchefin ganz neue Herausforderungen zu.
CW: Frau Wolf, wie hat sich Ihre Arbeit als Personalerin im Zuge der Coronakrise verändert?
Susanne Wolf: Ich war es gewohnt, auf dem stark umkämpften Münchner Arbeitsmarkt nach Daten- und KI-Experten suchen zu müssen. Wir waren auf vollem Wachstumskurs, Ende Februar hatten wir über 30 offene Stellen für Datenexperten und in Marketing-, IT-, Sales- und Personalabteilung. Doch dann kam Corona! Einige Projekte wurden vorübergehend gestoppt, und wir entschlossen uns, Kurzarbeit einzuführen. Ein Thema, mit dem ich mich bis dahin nicht auseinandersetzen musste. Es war nicht mehr möglich, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Ich musste iterativ vorgehen, zunächst alle Pläne hinterfragen und prüfen, wie der neue Personalbedarf aussieht.
CW: Wie haben Ihre Mitarbeiter reagiert?
Wolf: Die haben verstanden, dass Kurzarbeit ein wichtiges Instrument ist, um möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Das haben wir auch sehr gut geschafft, indem wir zu jedem Zeitpunkt alles getan haben, um zu informieren und Transparenz zu zeigen. Es wurde mit jedem Mitarbeiter ein Gespräch geführt und die jeweiligen Gründe im Detail erläutert. Das Management entschloss sich außerdem, das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Sobald sich die Projektlage änderte, haben wir die Kurzarbeitsregelung für die Betreffenden angepasst oder ganz aufgehoben und dies mit dem Mitarbeiter abgestimmt. Der Aufwand für uns als Personalabteilung und auch für die Lohnbuchhaltung ist enorm.
CW: Sie führten im Februar noch viele Vorstellungsgespräche, und Bewerber unterschrieben auch Arbeitsverträge. Wie ging es für diejenigen weiter, die in der Krise ihren Job antraten?
Wolf: Wir haben keine der geplanten Neueinstellungen abgesagt, was die neuen Mitarbeiter schätzten. Trotz der veränderten Rahmenbedingungen war es uns wichtig, im Austausch mit den künftigen Kollegen zu stehen. Das Onboarding bildeten wir virtuell ab. Das Equipment wie Laptop oder Smartphone schickten wir unseren Newbies nach Hause. Durch den ausschließlich virtuellen Kontakt war es mir besonders wichtig, ein noch stärkeres Augenmerk auf unser Buddy-Programm zu legen. Im Büroalltag können neue Kollegen bei Fragen ihren Sitznachbarn oder den Vorgesetzten ansprechen – aber zu Corona-Zeiten nicht. Jeder Neue bekommt zwei Buddies an die Seite gestellt: Einer ist für die ersten Wochen zur Einführung in das Team und die technischen Tools verantwortlich. Der Zweite steht für die langfristige Unterstützung zur persönlichen und fachlichen Weiterentwicklung zur Verfügung. Die neuen Kollegen empfanden das Vorgehen als sehr professionell und strukturiert.
CW: Was fordert Sie als Personalerin am meisten?
Wolf: Die rechtliche Absicherung war für mich eine der größten Herausforderungen. Durch die neue Situation waren selbst die staatlichen Stellen oft über die kurzfristigen politischen Entscheidungen nicht informiert. Des Weiteren war es ein Spagat zwischen dem Einführen der Kurzarbeit und der Mitarbeiterzufriedenheit. Auch die Unternehmenskultur hat an der veränderten Arbeitssituation gelitten. Unser früheres Arbeiten lebte auch von gemeinsamen Aktivitäten, ob das nun Grillen auf der Dachterrasse, Kickern oder Nerf-Gun-Schlachten waren.
CW: Lässt sich ein solcher Zusammenhalt auch virtuell fördern?
Wolf: Das ist natürlich nicht so einfach, da man virtuell nie das Zwischenmenschliche so abbilden kann. Wir haben uns intensiv mit der Frage befasst: Wie gehe ich im Social-DistanceModus mit diesem Thema um? Wir setzten schließlich verstärkt auf digitale Veranstaltungen. Zweimal wöchentlich finden virtuelle Coffee-Breaks statt, in denen Gründer und Geschäftsführer Alexander Thamm unter anderem ein Update zur aktuellen Lage gibt. Eine weitere Initiative heißt „Keep the AT spirit alive“, für die eine Task Force ins Leben gerufen wurde. Hier kann sich jeder Mitarbeiter anschließen und helfen, den Zusammenhalt stärker voranzutreiben. Auch Mitarbeiter sind aktiv geworden, haben etwa mit dem Lunch Loop einen Algorithmus programmiert, der Kollegen zum virtuellen Lunch zusammenwürfelt. Diese Balance aus Unternehmensmaßnahmen und Mitarbeiterinitiativen funktioniert wirklich gut und stärkt uns als Team, um durch die Krise zu kommen.
CW: Wie geht es bei Ihnen weiter?
Wolf: Inzwischen arbeitet ein Teil der Mitarbeiter wieder im Office. Die Anzahl der Arbeitsplätze ist allerdings beschränkt, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Damit dies sichergestellt wird, muss sich jeder Mitarbeiter vorab in einen Belegplan eintragen. Zusätzlich haben wir weitere Hygiene- sowie Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen. Ein Großteil der Kollegen arbeitet aber nach wie vor remote. Ansonsten ist es nicht so einfach zu beantworten, wie es weitergeht, da wir vor unvorhersehbaren Entwicklungen stehen.
Einerseits ist der weitere Verlauf der Coronakrise nicht abschätzbar, andererseits ist heute schon klar: Bedingt durch die Krise verändern sich die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns, bisherige Strategien müssen grundsätzlich überdacht und aufbauende Maßnahmepläne für die Zeit nach der Krise erstellt werden. Diesbezüglich lassen sich nur Hypothesen formulieren und darauf aufbauende Szenarien entwerfen. Wir verstehen das auch als unsere Aufgabe und wollen die Weichen für die Zeit nach der Krise in Richtung Erfolg stellen. Deshalb arbeiten wir an einem Recovery
Plan, der den Weg zurück in die Normalität beschreiben soll. Diesen Plan gilt es regelmäßig zu überprüfen.
CW: Was empfehlen Sie aktuell Bewerbern?
Wolf: Auch wenn die Wirtschaft einbricht und die Zahl der Kurzarbeiter in der nächsten Zeit auf Rekordniveau bleiben wird, lohnt es sich, sich zu bewerben. Gerade in der IT-Branche ist trotz Corona kein signifikanter Rückgang zu verzeichnen. Hier wird ständig Fachpersonal gesucht. Berufseinsteiger sollten sich nicht entmutigen lassen und die vorübergehende Lücke mit Weiterbildungen schließen. Daher wäre meine Empfehlung, sich weiterhin bei Unternehmen zu bewerben.
CW: Was bedeutet Corona für die Zukunft der Arbeit?
Wolf: Wir müssen umdenken. Das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitsmodellen wird nach der Coronakrise stärker sein als zuvor. Die Mitarbeiter fragen sich: Warum soll ich im Büro sitzen, wenn ich auch im Café oder in den eigenen vier Wänden arbeiten kann? Die Arbeitgeber fragen sich: Warum sollen wir so viel Bürofläche anmieten, wenn der Mitarbeiter auch von zuhause gute Arbeit leistet? Zählen nur noch die Arbeitsergebnisse, ist die Präsenzkultur auf dem Rückmarsch. Individuelle Arbeitsmodelle sind mehr denn je ein unverzichtbarer Bestandteil des Kompensationspakets.
Jedes Unternehmen sollte sich reflektieren und auf einen Prüfstand stellen, um Dinge zu verändern. Ich sehe in dieser Krise eine Chance zur positiven Disruption. Endlich kommt bei der Digitalisierung Bewegung in Bereiche, in denen bisher viel verschlafen wurde. Eines Tages werden wir vielleicht zurückblicken und feststellen, dass aus der Krise Innovationen entstanden sind, die zu einer Metamorphose der Wirtschaft beitrugen. z