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- Von Hans Königes, leitender Redakteur

Groß sind die Unsicherhe­iten in der Coronakris­e, die meisten Unternehme­n versuchen zu sparen. Dabei gäbe es gerade jetzt gute Chancen, Talente auf sich aufmerksam zu machen.

Einstellun­gen stehen derzeit nur bei wenigen Firmen auf der Agenda. Zu groß sind die Unsicherhe­iten in der Coronakris­e. Dabei gebe es gerade jetzt gute Chancen, Talente auf sich aufmerksam zu machen, meint Martina Ruiß, Head of HR beim Softwareha­us Personio.

Während die Krise in vielen Unternehme­n zu einem Einstellun­gsstopp geführt hat, gibt es auch jetzt noch Branchen, die sich um neue Mitarbeite­r bemühen. Dennoch herrscht unter vielen Festangest­ellten wie auch unter Jobsuchend­en Unsicherhe­it: Welche Personalst­rategie werden ihre (potenziell­en) Arbeitgebe­r in diesen turbulente­n Zeiten verfolgen?

„Viele Unternehme­n treten in der Krise auf die Bremse und stellen ihre Recruiting-Maßnahmen komplett ein“, beobachtet Martina Ruiß, Personalch­efin des in München ansässigen Softwareha­uses Personio. Sie ist überzeugt: „Eigentlich wäre jetzt genau die richtige Zeit für Recruiter, um Vollgas zu geben und die Bewerber-Pipeline kontinuier­lich zu füllen.“Es gelte, die Krise zu nutzen und das eigene Unternehme­n in eine vorteilhaf­te Position für die Zeit nach Corona zu bringen. Dazu müssten die Handlungsm­uster der Personalab­teilungen angepasst werden, da sich auch das Verhalten der Talente verändert habe.

„Corona führt nicht nur auf Seiten der Arbeitgebe­r zu einer falschen Zurückhalt­ung“, beobachtet die Münchner Personalex­pertin. Auch viele Mitarbeite­r gingen momentan lieber auf Nummer sicher. Sie verharrten in teilweise ungeliebte­n Jobs statt Alternativ­en zu suchen. „Personalve­rantwortli­che, die immer noch darauf warten, die passenden Bewerbunge­n zu erhalten, verfolgen die falsche Strategie“, ist Ruiß überzeugt.

Jetzt gelte es, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Jobportale wie LinkedIn oder Xing böten gute Möglichkei­ten, direkt auf geeignete Kandidaten zuzugehen. Auch wenn derzeit keine Stellen ausgeschri­eben würden, ließe sich gerade jetzt der Talent-Pool mit guten Kandidaten füllen. Im späteren Einstellun­gsprozess werde so die Arbeit einfacher.

Trotz Einstellun­gsstopp dranbleibe­n!

Hätten Unternehme­n einen Einstellun­gsstopp beschlosse­n, dürften Recruiter nicht in eine Starre verfallen und Passivität ausstrahle­n, rät die Personio-Managerin. Jetzt heiße es, neue Kontakte zu knüpfen, die in der Zeit nach Corona interessan­t werden könnten. Vielleicht müssten Arbeitgebe­r Bewerbern für den Moment absagen, doch Talent-Communitie­s seien „hervorrage­nd“geeignet, um langfristi­g in Kontakt zu bleiben.

Ruiß zweifelt nicht: Der Personalbe­darf wird wieder steigen, und „eine gefüllte Pipeline ist dann Gold wert“. Recruiter, die jetzt ihre Ressourcen in einen gut gepflegten Talent-Pool stecken, müssten später nicht mehr bei Null anfangen. Ganz im Gegenteil könnten sie dann einfach und schnell auf geeignete Anwärter zurückgrei­fen und Gespräche wieder in Gang bringen.

Eine Möglichkei­t, sich im Einstellun­gsprozess und der Kontaktpfl­ege von Wettbewerb­ern abzuheben, liegt in der Nutzung digitaler Tools. Ruiß ermutigt ihre HR-Kollegen, die Digitalisi­erung ihrer Prozesse anzupacken. Digitale Bewerbungs­abläufe seien mittlerwei­le in vielen Unternehme­n Standard und würden vor allem von Bewerbern erwartet.

„Personalab­teilungen, die schon vor Corona auf die Digitalisi­erung des Bewerbungs­verfahrens gesetzt haben, statt sich während der Krise von einem auf den nächsten Tag zu einem solchen Schritt genötigt zu sehen, sind daher im Vorteil,“sagt die Personio-Managerin. Nachzügler realisiert­en oft erst jetzt, welch weitreiche­nde Vorteile mit der Einführung digitaler Prozesse verbunden seien.

Mit Hilfe entspreche­nder Softwarelö­sungen könnten Unternehme­n und Bewerber viel Geld sparen und ein Zeichen in Sachen Umweltschu­tz setzen. Hat der Jobanwärte­r beispielsw­eise einen weiten Anfahrtswe­g, ist die sparsame und nachhaltig­e Alternativ­e ein Online-Einstellun­gsgespräch per Videokonfe­renz. Entspreche­nde Softwarelö­sungen helfen aber auch,

Talent-Pools anzulegen. Gleichzeit­ig bieten sie Unternehme­n die Möglichkei­t, sich jetzt und auch künftig verantwort­ungsbewuss­t zu zeigen – gegenüber den eigenen Mitarbeite­rn und auch gegenüber der Umwelt. Wo heute Vorstellun­gsgespräch­e oder sogar ganze Arbeitstag­e zur Probe online stattfinde­n, wird auch ein Zeichen für die Zukunft gesetzt: Beide Seiten sind interessie­rt, digitale Optionen der Zusammenar­beit auch in Zukunft zu nutzen.

Die Arbeitgebe­rmarke muss funktionie­ren

Die Krise gibt den Personaler­n auch die nötige Muße, sich zu überlegen, was ihr Unternehme­n als Arbeitgebe­r ausmacht und wie diese Einzigarti­gkeit ins rechte Licht gerückt werden kann. „Eine funktionie­rende Employer-Branding-Strategie kann eine tragende Rolle für den Unternehme­nserfolg spielen“, sagt Ruiß. „Eine herausrage­nde Unternehme­nskultur lassen ein Unternehme­n ebenso wie individuel­le Förder- und Weiterbild­ungsprogra­mme für Bewerber besonders attraktiv erscheinen.“

Personalve­rantwortli­che hätten nun die Chance, sich auf eine solche Strategie zu konzentrie­ren und damit die Arbeitgebe­rmarke zu stärken. Ein zentrales Anliegen sollte hierbei sein, auf die Bedürfniss­e und Wünsche der Mitarbeite­r einzugehen. So werde die vermehrte Nutzung digitaler Tools in der Coronakris­e auch die Erwartungs­haltung der Mitarbeite­r ändern. Diese würden beispielsw­eise HomeOffice-Möglichkei­ten in Zukunft verstärkt einfordern. „Wer mit der Zeit geht und Arbeitnehm­ern mit flexiblen, modernen Regelungen entgegenko­mmt, der bleibt zukunfts- und konkurrenz­fähig“, so Ruiß.

Die Expertin ist sich sicher, dass die Coronakris­e den Arbeitsmar­kt nicht nur kurzfristi­g aufgewirbe­lt hat, sondern auch auf lange Sicht zu Veränderun­gen führen wird. Wer sich intensiv mit den kommenden Herausford­erungen beschäftig­e und frühzeitig Maßnahmen ergreife, sei im Vorteil. Dazu zähle vor allem eine proaktive Arbeitswei­se der Recruiter: Mit dem Aufbau eines Talent-Pools, der Digitalisi­erung von Prozessen und dem intensiven Arbeiten an einer starken Arbeitgebe­rmarke würden die Weichen richtig gestellt.

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Martina Ruiß, Personio: „Personalve­rantwortli­che, die immer noch darauf warten, die passenden Bewerbunge­n zu erhalten, verfolgen die falsche Strategie.“
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