Jetzt einstellen?
Groß sind die Unsicherheiten in der Coronakrise, die meisten Unternehmen versuchen zu sparen. Dabei gäbe es gerade jetzt gute Chancen, Talente auf sich aufmerksam zu machen.
Einstellungen stehen derzeit nur bei wenigen Firmen auf der Agenda. Zu groß sind die Unsicherheiten in der Coronakrise. Dabei gebe es gerade jetzt gute Chancen, Talente auf sich aufmerksam zu machen, meint Martina Ruiß, Head of HR beim Softwarehaus Personio.
Während die Krise in vielen Unternehmen zu einem Einstellungsstopp geführt hat, gibt es auch jetzt noch Branchen, die sich um neue Mitarbeiter bemühen. Dennoch herrscht unter vielen Festangestellten wie auch unter Jobsuchenden Unsicherheit: Welche Personalstrategie werden ihre (potenziellen) Arbeitgeber in diesen turbulenten Zeiten verfolgen?
„Viele Unternehmen treten in der Krise auf die Bremse und stellen ihre Recruiting-Maßnahmen komplett ein“, beobachtet Martina Ruiß, Personalchefin des in München ansässigen Softwarehauses Personio. Sie ist überzeugt: „Eigentlich wäre jetzt genau die richtige Zeit für Recruiter, um Vollgas zu geben und die Bewerber-Pipeline kontinuierlich zu füllen.“Es gelte, die Krise zu nutzen und das eigene Unternehmen in eine vorteilhafte Position für die Zeit nach Corona zu bringen. Dazu müssten die Handlungsmuster der Personalabteilungen angepasst werden, da sich auch das Verhalten der Talente verändert habe.
„Corona führt nicht nur auf Seiten der Arbeitgeber zu einer falschen Zurückhaltung“, beobachtet die Münchner Personalexpertin. Auch viele Mitarbeiter gingen momentan lieber auf Nummer sicher. Sie verharrten in teilweise ungeliebten Jobs statt Alternativen zu suchen. „Personalverantwortliche, die immer noch darauf warten, die passenden Bewerbungen zu erhalten, verfolgen die falsche Strategie“, ist Ruiß überzeugt.
Jetzt gelte es, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Jobportale wie LinkedIn oder Xing böten gute Möglichkeiten, direkt auf geeignete Kandidaten zuzugehen. Auch wenn derzeit keine Stellen ausgeschrieben würden, ließe sich gerade jetzt der Talent-Pool mit guten Kandidaten füllen. Im späteren Einstellungsprozess werde so die Arbeit einfacher.
Trotz Einstellungsstopp dranbleiben!
Hätten Unternehmen einen Einstellungsstopp beschlossen, dürften Recruiter nicht in eine Starre verfallen und Passivität ausstrahlen, rät die Personio-Managerin. Jetzt heiße es, neue Kontakte zu knüpfen, die in der Zeit nach Corona interessant werden könnten. Vielleicht müssten Arbeitgeber Bewerbern für den Moment absagen, doch Talent-Communities seien „hervorragend“geeignet, um langfristig in Kontakt zu bleiben.
Ruiß zweifelt nicht: Der Personalbedarf wird wieder steigen, und „eine gefüllte Pipeline ist dann Gold wert“. Recruiter, die jetzt ihre Ressourcen in einen gut gepflegten Talent-Pool stecken, müssten später nicht mehr bei Null anfangen. Ganz im Gegenteil könnten sie dann einfach und schnell auf geeignete Anwärter zurückgreifen und Gespräche wieder in Gang bringen.
Eine Möglichkeit, sich im Einstellungsprozess und der Kontaktpflege von Wettbewerbern abzuheben, liegt in der Nutzung digitaler Tools. Ruiß ermutigt ihre HR-Kollegen, die Digitalisierung ihrer Prozesse anzupacken. Digitale Bewerbungsabläufe seien mittlerweile in vielen Unternehmen Standard und würden vor allem von Bewerbern erwartet.
„Personalabteilungen, die schon vor Corona auf die Digitalisierung des Bewerbungsverfahrens gesetzt haben, statt sich während der Krise von einem auf den nächsten Tag zu einem solchen Schritt genötigt zu sehen, sind daher im Vorteil,“sagt die Personio-Managerin. Nachzügler realisierten oft erst jetzt, welch weitreichende Vorteile mit der Einführung digitaler Prozesse verbunden seien.
Mit Hilfe entsprechender Softwarelösungen könnten Unternehmen und Bewerber viel Geld sparen und ein Zeichen in Sachen Umweltschutz setzen. Hat der Jobanwärter beispielsweise einen weiten Anfahrtsweg, ist die sparsame und nachhaltige Alternative ein Online-Einstellungsgespräch per Videokonferenz. Entsprechende Softwarelösungen helfen aber auch,
Talent-Pools anzulegen. Gleichzeitig bieten sie Unternehmen die Möglichkeit, sich jetzt und auch künftig verantwortungsbewusst zu zeigen – gegenüber den eigenen Mitarbeitern und auch gegenüber der Umwelt. Wo heute Vorstellungsgespräche oder sogar ganze Arbeitstage zur Probe online stattfinden, wird auch ein Zeichen für die Zukunft gesetzt: Beide Seiten sind interessiert, digitale Optionen der Zusammenarbeit auch in Zukunft zu nutzen.
Die Arbeitgebermarke muss funktionieren
Die Krise gibt den Personalern auch die nötige Muße, sich zu überlegen, was ihr Unternehmen als Arbeitgeber ausmacht und wie diese Einzigartigkeit ins rechte Licht gerückt werden kann. „Eine funktionierende Employer-Branding-Strategie kann eine tragende Rolle für den Unternehmenserfolg spielen“, sagt Ruiß. „Eine herausragende Unternehmenskultur lassen ein Unternehmen ebenso wie individuelle Förder- und Weiterbildungsprogramme für Bewerber besonders attraktiv erscheinen.“
Personalverantwortliche hätten nun die Chance, sich auf eine solche Strategie zu konzentrieren und damit die Arbeitgebermarke zu stärken. Ein zentrales Anliegen sollte hierbei sein, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeiter einzugehen. So werde die vermehrte Nutzung digitaler Tools in der Coronakrise auch die Erwartungshaltung der Mitarbeiter ändern. Diese würden beispielsweise HomeOffice-Möglichkeiten in Zukunft verstärkt einfordern. „Wer mit der Zeit geht und Arbeitnehmern mit flexiblen, modernen Regelungen entgegenkommt, der bleibt zukunfts- und konkurrenzfähig“, so Ruiß.
Die Expertin ist sich sicher, dass die Coronakrise den Arbeitsmarkt nicht nur kurzfristig aufgewirbelt hat, sondern auch auf lange Sicht zu Veränderungen führen wird. Wer sich intensiv mit den kommenden Herausforderungen beschäftige und frühzeitig Maßnahmen ergreife, sei im Vorteil. Dazu zähle vor allem eine proaktive Arbeitsweise der Recruiter: Mit dem Aufbau eines Talent-Pools, der Digitalisierung von Prozessen und dem intensiven Arbeiten an einer starken Arbeitgebermarke würden die Weichen richtig gestellt.