Corona beeinflusst das Digitalisierungstempo
Die Pandemie könnte einen „Digital Divide“in der Wirtschaft befördern
4.200 CIOs aus 83 Ländern berichten im neuen „CIO Survey 2020“von KPMG und Harvey Nash, wie sie die Coronakrise erleben. In Sachen digitale Transformation trennt Covid-19 demnach die Spreu vom Weizen.
Corona treibt die digitale Spaltung unter den Unternehmen voran, bilanziert das Umfrageteam. Vor allem CIOs, die schon vor der Krise Schwierigkeiten hatten, ihre Strategie zu entwickeln und/oder umzusetzen, täten sich nun noch schwerer. Um mit den Folgen der Pandemie zurechtzukommen, hätten die IT-Chefs ihre Budgets für dieses Jahr um durchschnittlich fünf Prozent aufstocken müssen, heißt es. Remote Working, das Überwachen von Zulieferketten, vor allem aber die Mehrausgaben für IT-Sicherheit gingen demnach in den Monaten März, April und Mai 2020 mächtig ins Geld.
Laut KPMG und Harvey Nash bereiten die unerwarteten und ungeplanten Capex- und OpexAusgaben den ohnehin leidenden Organisationen große Kopfschmerzen. Deshalb schauten viele CIOs und auch Chief Financial Officer (CFOs) genau auf den Return on Invest von Technologieinvestitionen sowie auf zusätzliche Sparoptionen.
Die Analysten bestätigen, was niemanden mehr überraschen dürfte: In der Covid-19-Krise sind die Branchen – anders als in früheren Rezessionen – unterschiedlich stark betroffen. Einigen Unternehmen seien die angestammten Umsatzquellen komplett ausgetrocknet. Sie seien gezwungen, unter hohem Zeitdruck alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Andere hätten es mit einer rasant gestiegenen Nachfrage zu tun, die sie kaum bewältigen könnten.
Die meisten Betriebe bewegen sich zwischen diesen Extremen und investieren unterschiedlich intensiv. Vergleichsweise hohe Beträge für den digitalen Umbau nehmen Energieversorger, Gesundheitseinrichtungen, Behörden und zum Teil auch die Technologiekonzerne selbst in die Hand. Zurückhaltend zeigt sich erwartungsgemäß die Reise- und Freizeitbranche, aber auch Industrieunternehmen sind auffallend vorsichtig.
Zudem offenbart sich eine große Unsicherheit in den Planungen. Sechs von zehn Unternehmensführungen trauen sich derzeit nicht zu, einen Forecast für die nächsten drei Monate zu geben und sich festzulegen, wohin die Reise gehen wird. Die Steuermänner und -frauen müssen also im Nebel navigieren – was für viele mehr als ungewohnt ist.
Nachzügler haben es schwerer
Den Studienautoren zufolge wird die Pandemie den „Digital Divide“unter den globalen Unternehmen weiter beschleunigen. Einige Firmen seien in die gegenwärtige Phase der Unsicherheit besser vorbereitet eingetreten als andere. Drei von zehn Betrieben hatten bereits eine ausgereifte digitale Geschäftsstrategie, ehe die Corona-Pandemie ausbrach. Hier gab es bereits eine Infrastruktur für Working from Home, und auch sonst waren diese Firmen in allen wichtigen IT-Technologien fortgeschrittener als andere. Auch während der Krise wurde hier weiter in digitale Technologien investiert, anstatt kopflos die Reißleine zu ziehen. Die Autoren rechnen deshalb damit, dass sich diese Betriebe von den anderen deutlich absetzen werden.
Die Studie zeigt ferner, dass während der Pandemie die Zahl der Cyberangriffe sprunghaft gestiegen ist: Die Angreifer nutzen demnach die durch Remote Working und fehlende Sicherheitsinvestitionen entstehenden Lücken eiskalt aus. Laut KPMG und Harvey Nash hat sich die Angriffsfläche in den Unternehmen „exponentiell ausgedehnt“. Über die gängigen Cybercrime-Herausforderungen hinaus hätten 41 Prozent der Befragten zusätzliche Vorkommnisse festgestellt, meistens durch SpearPhishing- und Malware-Angriffe verursacht. Deshalb sei IT-Sicherheit zur Investment-Priorität Nummer eins geworden, und IT-SecurityProfis seien nun die gefragtesten IT-Fachleute.
Viele Mitarbeiter bleiben im Home Office
Was die Rückkehr ins Büro angeht, rechnen 43 Prozent der Technologieverantwortlichen damit, dass mehr als die Hälfte der Mitarbeiter auch nach der Krise überwiegend aus dem Home Office arbeiten wird. „Die Unternehmen beginnen jetzt zu erkennen, wie anders eine Arbeitswelt aussieht, in der die Bindung der Mitarbeiter an einen Ort nicht mehr so wichtig ist“, heißt es in der Studie. „Bei Einstellungen ist der Talent-Pool, aus dem geschöpft werden kann, potenziell ein weltweiter.“
Künftig müssten die Betriebe sich etwas einfallen lassen, damit Menschen auch dann noch engagiert und produktiv arbeiten, wenn physische Präsenz keine Rolle mehr spiele. Die mentale Gesundheit der Mitarbeiter könnte in der schönen neuen Arbeitswelt allerdings zu einer Herausforderung werden: 84 Prozent der CIOs sagen, dass sie sich Sorgen um ihre Teams machen. Oft gibt es bereits Programme, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Dass künftig mehr Frauen in die IT drängen werden, wenn Arbeitszeiten und -orte stärker flexibilisiert sind, darüber wollen die Studienautoren nicht spekulieren. Doch die befragten CIOs schließen sich vielen anderen Untersuchungen an, wonach divers aufgestellte Teams bessere Ergebnisse schneller abliefern.
Wenn sich der Pandemie aus IT-Sicht etwas Positives abgewinnen lässt, dann ist es wohl die Aufwertung von IT-Mitarbeitern und der CIOPosition in vielen Unternehmen. 60 Prozent der IT-Chefs bestätigen, dass ihr Einfluss in den vergangenen Monaten gestiegen sei. CIOs wollen mitreden, in der Coronakrise haben sie dazu Gelegenheit bekommen, so die Studie. Wie lange das so bleibe, sei dahingestellt, doch clevere Technologiechefs würden sich die Butter nicht wieder vom Brot nehmen lassen.
In den Geschäftsleitungen der Unternehmen rund um den Globus haben sich die beiden wichtigsten Prioritäten nicht verändert: Betriebliche Effizienz und Kundenbeziehungen stehen im Mittelpunkt. Für IT-Chefs sei das nicht neu, sie arbeiteten oft schon seit Jahren an diesen Themen. Was sich aber ändert, ist die Geschwindigkeit des Wandels. In der Umfrage sagen einige CIOs, dass in den vergangenen sechs Monaten mehr Innovation stattgefunden habe als in den zehn Jahren zuvor.
Auf der Suche nach Mustern, wie Unternehmen von der Krise betroffen sind und was CIOs tun sollten, kommt die Analyse zu folgenden vier Unternehmenstypen. Je nach Geschäftsfeld und Standort könnten sich die Firmen aber auch mehr als einer der folgenden Gruppen zuordnen lassen, so die Autoren.
1.
Harter Reset, wenn alles zu spät ist
Unternehmen in dieser Gruppe stecken in einer existenziellen Krise und stehen vor einer unsicheren Zukunft. Sie brauchen Geld und Ideen, um sich neu zu positionieren, da ihr traditionelles Geschäft schwer beschädigt wurde. Betroffene Branchen sind das Hotel- und Gastgewerbe sowie Reise- und Transportunternehmen. Auch manche Anbieter von gewerblichen Immobilien haben zu kämpfen.
Die Nachfrage in diesen Märkten wird vorerst gering bleiben, die Kapitaldecke weiter zusammenschmelzen. Oft haben diese Firmen auch nicht die richtigen Mitarbeiter, um einen strategischen Kurswechsel voranzutreiben. Gleichzeitig brauchen sie aber einen klaren Plan, um die Kosten zu senken und Ineffizienzen zu beseitigen, was in der gegenwärtigen Situation besonders schwierig ist.
CIOs in diesen Branchen müssen sich klar machen, dass es ums Überleben geht. Nachhaltige Kostensenkung und gegebenenfalls auch Personalabbau gehören nach oben auf die Tagesordnung. Solche Sparzwänge können erhebliche Veränderungen für das IT-Betriebsmodell wie für die Organisation insgesamt mit sich bringen. Die Verantwortlichen müssen sich genau überlegen, welche Rollen sie künftig besetzen wollen und welche Skills sie brauchen werden. Ebenso müssen sie sich fragen, wo sie automatisieren können, und welche Aufgaben sie an einen Dienstleister oder Managed Service Provider auslagern können.
2.
Transformieren für das Comeback
Den Studienautoren zufolge fallen die meisten Unternehmen in diese Kategorie: Das Business-Modell trägt weiterhin, doch die Schnittstelle zu den Kunden und Märkten verändert sich rasant. Deshalb muss die betriebliche Organisation stark angepasst werden, und – aufgrund der Covid-19-Krise – muss das viel schneller geschehen als vielleicht ursprünglich geplant.
Die Art und Weise, in der Kunden Kontakt suchen, Produkte oder Services kaufen und konsumieren, hat sich gerade in den letzten paar Monaten weitgehend in die digitale Welt verlagert – viel schneller als es die Unternehmen in den Jahren zuvor erlebt haben. Investitionen in künstliche Intelligenz, E-Payment, integrierte Plattformen und Automatisierung stehen ganz oben auf der Tagesordnung. Jetzt braucht es Hartnäckigkeit beim Verfolgen des eingeschlagenen Weges und Geld für die Umsetzung.
CIOs sollten sich fokussieren und mit hoher Priorität geschäftskritische Bereiche sowie kundenorientierte Prozesse unterstützen. Dabei ist es wichtig, nicht in Abteilungsgrenzen zu denken, sondern Abläufe siloübergreifend Ende zu Ende zu unterstützen. Investitionen, die nicht klar zum Geschäftszweck beitragen, sind zu vermeiden. Es gilt, einen modernen digitalen Backbone sowie technische Fähigkeiten zu schaffen, um Cloud und neue Technologien optimal nutzen zu können. Nur dann lassen sich Kundenkanäle, Lieferketten und Office-Systeme angemessen modernisieren.
Betriebliche Services müssen kosteneffizient, frei von Störungen und „digital-native“erbracht werden. Viele Unternehmen tun sich damit schwer, sie sind noch stark an individuell angepasste oder veraltete IT-OperationsWerkzeuge gefesselt. Deshalb sei es wichtig, so die Studienautoren, den Anwendungs-Stack zu modernisieren und eine API-Strategie zu verfolgen.
3.
Business as usual – leicht verändert
Keine Branche, kein Unternehmen und keine Region sind von Covid-19 unbeeinflusst geblieben. Allerdings waren für manche die Folgen nicht so gravierend wie für andere. Energieunternehmen, Finanzdienstleister oder auch Behörden haben beispielsweise eine temporäre Zurückhaltung von Kunden beziehungsweise Besuchern gespürt, doch sie können damit rechnen, dass schnell wieder Normalität einkehrt.
Allerdings stellen auch diese Firmen fest, dass sich das Verhalten ihrer Klientel verändert hat. Die Kunden erwarten schnelle Antworten und Lösungen über alle digitalen Kanäle, was bedeutet, dass die Firmen und Behörden ihre di
gitale Transformation insgesamt beschleunigen müssen. Wichtig ist es, in der gegenwärtigen Krise nicht vom Gas zu gehen und den Umbau weiter voranzutreiben.
Front-Office-Tools, Analytics-Lösungen und auch Cloud-Lösungen verkaufen sich aus diesem Grund in der Corona-Pandemie bestens. Nicht immer denken die Kunden bei der Anschaffung ausreichend über Folgekosten für Support und Integration nach, oder über Fragen der Nachhaltigkeit. CIOs sollten lernen, zu unterscheiden, was „gute Kosten“sind, die ihr Unternehmen besser für zukünftiges Wachstum positionieren, und was Legacy-Ausgaben sind, die möglichst heruntergefahren werden sollten.
Um ihre Kunden und ihre Präferenzen zu verstehen, brauchen Unternehmen Daten. Es wird darum gehen, Daten über das gesamte Ökosystem hinweg zu erheben und zu verwalten. Techniken wie Machine Learning und NLP können dabei helfen, die Kundenschnittstellen professioneller zu gestalten und mehr Kunden besser anzusprechen. Dazu sind die Kundenprozesse genau zu durchleuchten und die Übergabestellen zwischen Chatbots und menschlichem Customer Service optimal einzurichten.
In den Unternehmen selbst gilt es, schneller zu werden, um Kundenerwartungen möglichst perfekt zu erfüllen. Agile Arbeitsmethoden, automatisierte Kernprozesse und moderne Delivery-Ansätze sind dafür entscheidend. Der Shift von der Projekt- hin zur Produktdenke ist in vielen Betrieben bereits vollzogen. Die guten Ergebnisse sprechen für sich.
4.
Partytime
Auch sie gibt es, die Unternehmen, die von Covid-19 profitieren und eine erhöhte Kundennachfrage verbuchen können. Doch solche Betriebe stehen ebenfalls vor Herausforderungen: Sie müssen in hohem Tempo skalieren, um der großen Nachfrage Herr zu werden, und dabei immer die Kundenwünsche und Marktentwicklungen im Auge behalten. Hilfreich dafür sind Advanced Analytics, Automatisierung und reibungslos funktionierende Lieferketten. Moderne Arbeitsbedingungen müssen schnell und in industriellem Maßstab geschaffen, IT und Business in weiten Bereichen automatisiert werden.
Was heißt das für CIOs? Um Aufgaben wie intelligente Automatisierung, Kostenmanagement, Customer Engagement sowie IT-Sicherheit und
Compliance in den Griff zu bekommen, sind künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen wichtige Hilfsmittel. Wer entscheidet über den Technologieeinsatz und wer kümmert sich um die Governance? Wenn Business und IT nicht mehr voneinander zu trennen sind, stellen sich solche Fragen neu.
Die genaue Analyse des Kundenverhaltens hilft bei der Skalierung des Geschäfts. Zudem muss genau überlegt werden, an welchen Stellen neue Technologie beschafft und in welchen Zyklen Projekte und Services, die nicht den erwarteten Erfolg bringen, ausgesiebt werden können. Schnelles Wachstum kann zum Problem werden. Überflutet von Kunden- und auch Mitarbeiteranfragen, kann der IT-Betrieb rasch überfordert sein. Dann nehmen Incidents zu, die Change- und Verbesserungsnachfragen explodieren. Deshalb sind gerade für schnell wachsende Unternehmen ausgefeilte Service-Management-Mechanismen wichtig.