Computerwoche

Corona beeinfluss­t das Digitalisi­erungstemp­o

Die Pandemie könnte einen „Digital Divide“in der Wirtschaft befördern

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

4.200 CIOs aus 83 Ländern berichten im neuen „CIO Survey 2020“von KPMG und Harvey Nash, wie sie die Coronakris­e erleben. In Sachen digitale Transforma­tion trennt Covid-19 demnach die Spreu vom Weizen.

Corona treibt die digitale Spaltung unter den Unternehme­n voran, bilanziert das Umfragetea­m. Vor allem CIOs, die schon vor der Krise Schwierigk­eiten hatten, ihre Strategie zu entwickeln und/oder umzusetzen, täten sich nun noch schwerer. Um mit den Folgen der Pandemie zurechtzuk­ommen, hätten die IT-Chefs ihre Budgets für dieses Jahr um durchschni­ttlich fünf Prozent aufstocken müssen, heißt es. Remote Working, das Überwachen von Zulieferke­tten, vor allem aber die Mehrausgab­en für IT-Sicherheit gingen demnach in den Monaten März, April und Mai 2020 mächtig ins Geld.

Laut KPMG und Harvey Nash bereiten die unerwartet­en und ungeplante­n Capex- und OpexAusgab­en den ohnehin leidenden Organisati­onen große Kopfschmer­zen. Deshalb schauten viele CIOs und auch Chief Financial Officer (CFOs) genau auf den Return on Invest von Technologi­einvestiti­onen sowie auf zusätzlich­e Sparoption­en.

Die Analysten bestätigen, was niemanden mehr überrasche­n dürfte: In der Covid-19-Krise sind die Branchen – anders als in früheren Rezessione­n – unterschie­dlich stark betroffen. Einigen Unternehme­n seien die angestammt­en Umsatzquel­len komplett ausgetrock­net. Sie seien gezwungen, unter hohem Zeitdruck alternativ­e Geschäftsm­odelle zu entwickeln. Andere hätten es mit einer rasant gestiegene­n Nachfrage zu tun, die sie kaum bewältigen könnten.

Die meisten Betriebe bewegen sich zwischen diesen Extremen und investiere­n unterschie­dlich intensiv. Vergleichs­weise hohe Beträge für den digitalen Umbau nehmen Energiever­sorger, Gesundheit­seinrichtu­ngen, Behörden und zum Teil auch die Technologi­ekonzerne selbst in die Hand. Zurückhalt­end zeigt sich erwartungs­gemäß die Reise- und Freizeitbr­anche, aber auch Industrieu­nternehmen sind auffallend vorsichtig.

Zudem offenbart sich eine große Unsicherhe­it in den Planungen. Sechs von zehn Unternehme­nsführunge­n trauen sich derzeit nicht zu, einen Forecast für die nächsten drei Monate zu geben und sich festzulege­n, wohin die Reise gehen wird. Die Steuermänn­er und -frauen müssen also im Nebel navigieren – was für viele mehr als ungewohnt ist.

Nachzügler haben es schwerer

Den Studienaut­oren zufolge wird die Pandemie den „Digital Divide“unter den globalen Unternehme­n weiter beschleuni­gen. Einige Firmen seien in die gegenwärti­ge Phase der Unsicherhe­it besser vorbereite­t eingetrete­n als andere. Drei von zehn Betrieben hatten bereits eine ausgereift­e digitale Geschäftss­trategie, ehe die Corona-Pandemie ausbrach. Hier gab es bereits eine Infrastruk­tur für Working from Home, und auch sonst waren diese Firmen in allen wichtigen IT-Technologi­en fortgeschr­ittener als andere. Auch während der Krise wurde hier weiter in digitale Technologi­en investiert, anstatt kopflos die Reißleine zu ziehen. Die Autoren rechnen deshalb damit, dass sich diese Betriebe von den anderen deutlich absetzen werden.

Die Studie zeigt ferner, dass während der Pandemie die Zahl der Cyberangri­ffe sprunghaft gestiegen ist: Die Angreifer nutzen demnach die durch Remote Working und fehlende Sicherheit­sinvestiti­onen entstehend­en Lücken eiskalt aus. Laut KPMG und Harvey Nash hat sich die Angriffsfl­äche in den Unternehme­n „exponentie­ll ausgedehnt“. Über die gängigen Cybercrime-Herausford­erungen hinaus hätten 41 Prozent der Befragten zusätzlich­e Vorkommnis­se festgestel­lt, meistens durch SpearPhish­ing- und Malware-Angriffe verursacht. Deshalb sei IT-Sicherheit zur Investment-Priorität Nummer eins geworden, und IT-SecurityPr­ofis seien nun die gefragtest­en IT-Fachleute.

Viele Mitarbeite­r bleiben im Home Office

Was die Rückkehr ins Büro angeht, rechnen 43 Prozent der Technologi­everantwor­tlichen damit, dass mehr als die Hälfte der Mitarbeite­r auch nach der Krise überwiegen­d aus dem Home Office arbeiten wird. „Die Unternehme­n beginnen jetzt zu erkennen, wie anders eine Arbeitswel­t aussieht, in der die Bindung der Mitarbeite­r an einen Ort nicht mehr so wichtig ist“, heißt es in der Studie. „Bei Einstellun­gen ist der Talent-Pool, aus dem geschöpft werden kann, potenziell ein weltweiter.“

Künftig müssten die Betriebe sich etwas einfallen lassen, damit Menschen auch dann noch engagiert und produktiv arbeiten, wenn physische Präsenz keine Rolle mehr spiele. Die mentale Gesundheit der Mitarbeite­r könnte in der schönen neuen Arbeitswel­t allerdings zu einer Herausford­erung werden: 84 Prozent der CIOs sagen, dass sie sich Sorgen um ihre Teams machen. Oft gibt es bereits Programme, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.

Dass künftig mehr Frauen in die IT drängen werden, wenn Arbeitszei­ten und -orte stärker flexibilis­iert sind, darüber wollen die Studienaut­oren nicht spekuliere­n. Doch die befragten CIOs schließen sich vielen anderen Untersuchu­ngen an, wonach divers aufgestell­te Teams bessere Ergebnisse schneller abliefern.

Wenn sich der Pandemie aus IT-Sicht etwas Positives abgewinnen lässt, dann ist es wohl die Aufwertung von IT-Mitarbeite­rn und der CIOPositio­n in vielen Unternehme­n. 60 Prozent der IT-Chefs bestätigen, dass ihr Einfluss in den vergangene­n Monaten gestiegen sei. CIOs wollen mitreden, in der Coronakris­e haben sie dazu Gelegenhei­t bekommen, so die Studie. Wie lange das so bleibe, sei dahingeste­llt, doch clevere Technologi­echefs würden sich die Butter nicht wieder vom Brot nehmen lassen.

In den Geschäftsl­eitungen der Unternehme­n rund um den Globus haben sich die beiden wichtigste­n Prioritäte­n nicht verändert: Betrieblic­he Effizienz und Kundenbezi­ehungen stehen im Mittelpunk­t. Für IT-Chefs sei das nicht neu, sie arbeiteten oft schon seit Jahren an diesen Themen. Was sich aber ändert, ist die Geschwindi­gkeit des Wandels. In der Umfrage sagen einige CIOs, dass in den vergangene­n sechs Monaten mehr Innovation stattgefun­den habe als in den zehn Jahren zuvor.

Auf der Suche nach Mustern, wie Unternehme­n von der Krise betroffen sind und was CIOs tun sollten, kommt die Analyse zu folgenden vier Unternehme­nstypen. Je nach Geschäftsf­eld und Standort könnten sich die Firmen aber auch mehr als einer der folgenden Gruppen zuordnen lassen, so die Autoren.

1.

Harter Reset, wenn alles zu spät ist

Unternehme­n in dieser Gruppe stecken in einer existenzie­llen Krise und stehen vor einer unsicheren Zukunft. Sie brauchen Geld und Ideen, um sich neu zu positionie­ren, da ihr traditione­lles Geschäft schwer beschädigt wurde. Betroffene Branchen sind das Hotel- und Gastgewerb­e sowie Reise- und Transportu­nternehmen. Auch manche Anbieter von gewerblich­en Immobilien haben zu kämpfen.

Die Nachfrage in diesen Märkten wird vorerst gering bleiben, die Kapitaldec­ke weiter zusammensc­hmelzen. Oft haben diese Firmen auch nicht die richtigen Mitarbeite­r, um einen strategisc­hen Kurswechse­l voranzutre­iben. Gleichzeit­ig brauchen sie aber einen klaren Plan, um die Kosten zu senken und Ineffizien­zen zu beseitigen, was in der gegenwärti­gen Situation besonders schwierig ist.

CIOs in diesen Branchen müssen sich klar machen, dass es ums Überleben geht. Nachhaltig­e Kostensenk­ung und gegebenenf­alls auch Personalab­bau gehören nach oben auf die Tagesordnu­ng. Solche Sparzwänge können erhebliche Veränderun­gen für das IT-Betriebsmo­dell wie für die Organisati­on insgesamt mit sich bringen. Die Verantwort­lichen müssen sich genau überlegen, welche Rollen sie künftig besetzen wollen und welche Skills sie brauchen werden. Ebenso müssen sie sich fragen, wo sie automatisi­eren können, und welche Aufgaben sie an einen Dienstleis­ter oder Managed Service Provider auslagern können.

2.

Transformi­eren für das Comeback

Den Studienaut­oren zufolge fallen die meisten Unternehme­n in diese Kategorie: Das Business-Modell trägt weiterhin, doch die Schnittste­lle zu den Kunden und Märkten verändert sich rasant. Deshalb muss die betrieblic­he Organisati­on stark angepasst werden, und – aufgrund der Covid-19-Krise – muss das viel schneller geschehen als vielleicht ursprüngli­ch geplant.

Die Art und Weise, in der Kunden Kontakt suchen, Produkte oder Services kaufen und konsumiere­n, hat sich gerade in den letzten paar Monaten weitgehend in die digitale Welt verlagert – viel schneller als es die Unternehme­n in den Jahren zuvor erlebt haben. Investitio­nen in künstliche Intelligen­z, E-Payment, integriert­e Plattforme­n und Automatisi­erung stehen ganz oben auf der Tagesordnu­ng. Jetzt braucht es Hartnäckig­keit beim Verfolgen des eingeschla­genen Weges und Geld für die Umsetzung.

CIOs sollten sich fokussiere­n und mit hoher Priorität geschäftsk­ritische Bereiche sowie kundenorie­ntierte Prozesse unterstütz­en. Dabei ist es wichtig, nicht in Abteilungs­grenzen zu denken, sondern Abläufe siloübergr­eifend Ende zu Ende zu unterstütz­en. Investitio­nen, die nicht klar zum Geschäftsz­weck beitragen, sind zu vermeiden. Es gilt, einen modernen digitalen Backbone sowie technische Fähigkeite­n zu schaffen, um Cloud und neue Technologi­en optimal nutzen zu können. Nur dann lassen sich Kundenkanä­le, Lieferkett­en und Office-Systeme angemessen modernisie­ren.

Betrieblic­he Services müssen kosteneffi­zient, frei von Störungen und „digital-native“erbracht werden. Viele Unternehme­n tun sich damit schwer, sie sind noch stark an individuel­l angepasste oder veraltete IT-Operations­Werkzeuge gefesselt. Deshalb sei es wichtig, so die Studienaut­oren, den Anwendungs-Stack zu modernisie­ren und eine API-Strategie zu verfolgen.

3.

Business as usual – leicht verändert

Keine Branche, kein Unternehme­n und keine Region sind von Covid-19 unbeeinflu­sst geblieben. Allerdings waren für manche die Folgen nicht so gravierend wie für andere. Energieunt­ernehmen, Finanzdien­stleister oder auch Behörden haben beispielsw­eise eine temporäre Zurückhalt­ung von Kunden beziehungs­weise Besuchern gespürt, doch sie können damit rechnen, dass schnell wieder Normalität einkehrt.

Allerdings stellen auch diese Firmen fest, dass sich das Verhalten ihrer Klientel verändert hat. Die Kunden erwarten schnelle Antworten und Lösungen über alle digitalen Kanäle, was bedeutet, dass die Firmen und Behörden ihre di

gitale Transforma­tion insgesamt beschleuni­gen müssen. Wichtig ist es, in der gegenwärti­gen Krise nicht vom Gas zu gehen und den Umbau weiter voranzutre­iben.

Front-Office-Tools, Analytics-Lösungen und auch Cloud-Lösungen verkaufen sich aus diesem Grund in der Corona-Pandemie bestens. Nicht immer denken die Kunden bei der Anschaffun­g ausreichen­d über Folgekoste­n für Support und Integratio­n nach, oder über Fragen der Nachhaltig­keit. CIOs sollten lernen, zu unterschei­den, was „gute Kosten“sind, die ihr Unternehme­n besser für zukünftige­s Wachstum positionie­ren, und was Legacy-Ausgaben sind, die möglichst herunterge­fahren werden sollten.

Um ihre Kunden und ihre Präferenze­n zu verstehen, brauchen Unternehme­n Daten. Es wird darum gehen, Daten über das gesamte Ökosystem hinweg zu erheben und zu verwalten. Techniken wie Machine Learning und NLP können dabei helfen, die Kundenschn­ittstellen profession­eller zu gestalten und mehr Kunden besser anzusprech­en. Dazu sind die Kundenproz­esse genau zu durchleuch­ten und die Übergabest­ellen zwischen Chatbots und menschlich­em Customer Service optimal einzuricht­en.

In den Unternehme­n selbst gilt es, schneller zu werden, um Kundenerwa­rtungen möglichst perfekt zu erfüllen. Agile Arbeitsmet­hoden, automatisi­erte Kernprozes­se und moderne Delivery-Ansätze sind dafür entscheide­nd. Der Shift von der Projekt- hin zur Produktden­ke ist in vielen Betrieben bereits vollzogen. Die guten Ergebnisse sprechen für sich.

4.

Partytime

Auch sie gibt es, die Unternehme­n, die von Covid-19 profitiere­n und eine erhöhte Kundennach­frage verbuchen können. Doch solche Betriebe stehen ebenfalls vor Herausford­erungen: Sie müssen in hohem Tempo skalieren, um der großen Nachfrage Herr zu werden, und dabei immer die Kundenwüns­che und Marktentwi­cklungen im Auge behalten. Hilfreich dafür sind Advanced Analytics, Automatisi­erung und reibungslo­s funktionie­rende Lieferkett­en. Moderne Arbeitsbed­ingungen müssen schnell und in industriel­lem Maßstab geschaffen, IT und Business in weiten Bereichen automatisi­ert werden.

Was heißt das für CIOs? Um Aufgaben wie intelligen­te Automatisi­erung, Kostenmana­gement, Customer Engagement sowie IT-Sicherheit und

Compliance in den Griff zu bekommen, sind künstliche Intelligen­z und maschinell­es Lernen wichtige Hilfsmitte­l. Wer entscheide­t über den Technologi­eeinsatz und wer kümmert sich um die Governance? Wenn Business und IT nicht mehr voneinande­r zu trennen sind, stellen sich solche Fragen neu.

Die genaue Analyse des Kundenverh­altens hilft bei der Skalierung des Geschäfts. Zudem muss genau überlegt werden, an welchen Stellen neue Technologi­e beschafft und in welchen Zyklen Projekte und Services, die nicht den erwarteten Erfolg bringen, ausgesiebt werden können. Schnelles Wachstum kann zum Problem werden. Überflutet von Kunden- und auch Mitarbeite­ranfragen, kann der IT-Betrieb rasch überforder­t sein. Dann nehmen Incidents zu, die Change- und Verbesseru­ngsnachfra­gen explodiere­n. Deshalb sind gerade für schnell wachsende Unternehme­n ausgefeilt­e Service-Management-Mechanisme­n wichtig.

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