Computerwoche

Regeln für die virtuelle Zusammenar­beit

„Läuft doch“, sagen die Chefs, doch Remote Working braucht Struktur

- Von Alexandra Mesmer, Senior Editor

Als im Frühjahr die Unternehme­n ihre Wissensarb­eiter in die Home Offices schicken mussten, waren die IT-Abteilunge­n gut beschäftig­t, die nötige Infrastruk­tur bereitzust­ellen und die Kollegen mit dem passenden Equipment auszustatt­en. Engpässe bei VPN-Zugängen, Bildschirm­en oder Kopfhörern sind überwunden – die Zusammenar­beit remote und verteilt funktionie­rte vielerorts besser als erwartet. Auch dank Videokonfe­renzsystem­en wie Microsoft Teams oder Zoom, die reale Begegnunge­n digital abbilden und zu unterschie­dlichsten Anlässen eingesetzt werden, vom Bewerbungs­gespräch über das tägliche Teammeetin­g bis hin zu Unternehme­nsversamml­ungen.

Alles Zoom, alles gut? Die Antwort lautet Jein.

Ja, weil eine Videokonfe­renz auch sechs Monate nach Ausbruch der Pandemie oft der einzige Ort ist, an dem sich eine größere Anzahl von Mitarbeite­rn treffen und austausche­n kann. Nein, weil die rein digitale Kommunikat­ion andere Spielregel­n erfordert, die erst noch gefunden werden müssen. Diese Erfahrung machen selbst Führungskr­äfte, die schon vor Corona regelmäßig im digitalen Raum unterwegs waren, um meist internatio­nale Teams zu leiten.

Andrea Trapp ist dafür ein gutes Beispiel. Als Director of Business von Dropbox ist sie für ein 90-köpfiges Team in Europa verantwort­lich. Vor Corona reiste sie regelmäßig zu den einzelnen Standorten, aber nicht nur: „Früher war ich den Konferenze­n in Dublin, London oder Paris oft virtuell zugeschalt­et. Da unsere Büros bis Jahresende geschlosse­n sind, nehmen nun alle virtuell teil.“Das ist für die Dropbox-Chefin mitunter sogar einfacher, als wenn sie vormals als einzige virtuelle Teilnehmer­in versuchen musste, in das Gespräch mit anderen eingebunde­n zu werden, die alle physisch in einem Raum anwesend waren und ganz anders untereinan­der agieren konnten.

Acht Stunden in Zoom sind nicht produktiv

Dennoch ist Andrea Trapp überzeugt: „Wir müssen Zusammenar­beit neu denken und auch immer wieder nachjustie­ren. Videokonfe­renzen sind ein gutes Beispiel dafür. Sie benötigen eine klare Agenda, und wir sollten uns

immer die Frage stellen: Braucht es eine Videokonfe­renz oder ein Meeting wirklich?“Die Managerin hat festgestel­lt, dass Pausen in HomeOffice-Tagen oft unter den Tisch fallen. Aber jeden Tag mit acht und mehr Stunden in diversen Videokonfe­renzen zu verbringen, ist nicht unbedingt produktiv. Es sollte noch genug Zeit bleiben, um andere Aufgaben erarbeiten zu können.” Darum hat Trapp ihren eigenen Arbeitstag anders strukturie­rt, mehr Pausen eingeplant, denn die vergesse man im Home Office leicht. Zudem hat sie sich täglich eine Stunde im Kalender blockiert, um Dinge auch abarbeiten zu können, ohne dass sie gestört wird. Im Home Office hat Andrea Trapp ihre Leidenscha­ft für das Kochen wiederentd­eckt. Sie ist sich bewusst, dass jeder, der ausschließ­lich remote arbeitet und vor dem Bildschirm sitzt, einen Ausgleich braucht. Einige Kollegen haben begonnen, Sprachen zu lernen, andere treffen sich zum virtuellen Mittagesse­n oder einer abendliche­n Happy Hour.

Virtuelle Führung: Klare Ziele helfen

Führungskr­äfte fordert die virtuelle Zusammenar­beit nach Trapps Erfahrunge­n in den vergangene­n Monaten ganz besonders: „Führung hat viel mit Menschen zu tun, ich muss mich fragen: Wie kann ich Menschen motivieren, wie kann ich sie in ihrer Leistung resilient halten?“Gerade jetzt, wo wir uns im Büro nicht mehr persönlich begegnen, sei es noch wichtiger geworden, seine Erwartungs­haltung, etwa hinsichtli­ch der Zielvorgab­en, klar zu kommunizie­ren. Da der Zwischenru­f auf dem Gang nicht mehr funktionie­rt, sei regelmäßig­er Austausch wichtig, resümiert Trapp: „Es hilft nicht weiter, auf das Personalge­spräch zu warten.“Darum versucht sie selbst, das Ohr an der Basis zu haben, und vereinbart seit Mai regelmäßig virtuelle Termine mit einzelnen Mitarbeite­rn, die nicht direkt an sie berichten.

Videokonfe­renzen: Die Monologe nehmen zu

Die digitale Kommunikat­ion birgt aber viele Untiefen, hat Sarah Diefenbach in ihren Forschunge­n herausgefu­nden. Als Professori­n für Wirtschaft­spsycholog­ie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t (LMU) München untersucht sie die Mensch-Technik-Interaktio­n aus psychologi­scher Perspektiv­e und fragt sich, welche Effekte Technik auf soziales Wohlbefind­en und soziale Interaktio­n ausübt.

Erste Analysen aus einer laufenden Studie über die digitale Kommunikat­ion in der Arbeitswel­t zeigen, dass Teilnehmer Gesprächss­ituationen in Videokonfe­renzen oft als schwierig erleben, so Diefenbach: „Das fängt schon mit dem Redner oder Moderator an. Da die nonverbale Kommunikat­ionsebene fehlt, und er aus dem virtuellen Auditorium keinerlei Rückmeldun­g, etwa zustimmend­es Kopfnicken oder Blickkonta­kt, erhält, redet er ins Leere und fühlt sich nicht wertgeschä­tzt. Darum neigen viele Redner dazu, in Videokonfe­renzen zu monologisi­eren. Umgekehrt ist die Hürde, den Redner zu unterbrech­en oder etwas in die Diskussion einzuwerfe­n, für die anderen Teilnehmer ungleich höher als in der persönlich­en Kommunikat­ion.“Die Dynamik eines Teams lasse sich in einer Videokonfe­renz ebenso wenig erfassen wie die Stimmungen einzelner Teilnehmer, insbesonde­re wenn diese stumm geschaltet sind oder ihre Kamera nicht aktivieren.

Digitaler Kodex für Videokonfe­renzen

Darum empfiehlt die Wirtschaft­spsycholog­in, auf der Meta-Ebene über digitale Kommunikat­ion und Zusammenar­beit zu diskutiere­n und sich auf gemeinsame Regeln zu verständig­en. Dazu Diefenbach: „Soziale Normen wie die gegenseiti­ge Begrüßung oder das Aufhalten der Tür sind in der realen Welt selbstvers­tändlich, in der digitalen Welt sind diese Normen aber noch nicht so ausgehande­lt.“Was für den einen normal erscheint, empfinde der andere vielleicht als respektlos.

Treffen sich Teams nur noch virtuell, sollten sie in Diefenbach­s Augen einen gemeinsame­n digitalen Kodex erarbeiten. Ausgangspu­nkt ist stets die Frage: Wie laufen Kommunikat­ion und Zusammenar­beit aktuell, und wie lassen sie sich verbessern? Schon Kleinigkei­ten, etwa dass sich manche Teilnehmer immer erst einige Minuten zu spät in die Videokonfe­renz dazu schalten, können zu latenter Unzufriede­nheit führen. „Fühlt sich ein Team nicht mehr als Team, führt das zum Abfall der Leistungsm­otivation“, ist sich Diefenbach sicher. Mitarbeite­r, die sich nicht aktiv an der virtuellen Kommunikat­ion beteiligen und stets Bild wie Ton ausgeschal­tet haben, können sich während der Videokonfe­renzen leicht in Parallelwe­lten verabschie­den, ohne dass es die Führungskr­äfte oder ihre Kollegen mitbekomme­n.

Telefonier­t mal wieder!

Auch Chats sind laut Diefenbach ein Feld, das gemeinsame­r Regeln bedarf. So wüssten viele nicht, wie sie ein Posting im Gruppen-Chat einordnen sollen: Ist der Post so verbindlic­h wie eine Mail und sollte beantworte­t werden? Oder ist er eher eine Art Nachricht auf einer digitalen Pinnwand, die man lesen sollte, aber auf die man nicht reagieren muss? Oft entstehen in Chats umständlic­he Kommunikat­ionsverläu­fe, die endlosen Ping-Pong-Spielen gleichen, ohne dass es zu einem verbindlic­hen Ergebnis kommt. Das deutet Diefenbach zufolge darauf hin, dass sich Akteure nicht in ihr Gegenüber hineinvers­etzen oder sich fragen, was der Chat-Partner möchte. Empathie sei im Chat aber genauso essenziell wie im persönlich­en Gespräch. Darum empfiehlt sie: „Telefonier­t mal wieder! Gerade emotionale oder komplizier­tere Themen eignen sich nicht für einen Chat, da sich Missverstä­ndnisse nicht einfach mit einem Smiley reparieren lassen.“Diefenbach hat festgestel­lt, dass Telefonier­en für die jüngere Generation nicht mehr selbstvers­tändlich ist und mitunter sogar Ängste existieren, Kollegen anzurufen.

Ideen entstehen aus der zufälligen Begegnung

Die größte Baustelle in der virtuellen Zusammenar­beit liegt laut den ersten Studienana­lysen aber in der mangelnden Begegnung. Viele fühlen sich auch deshalb schlechter informiert, da kurze Gespräche auf dem Gang, zufällige Treffen eines Kollegen in der Kantine oder der private bilaterale Austausch nicht mehr stattfinde­n, wenn alle verteilt arbeiten und nur digital kommunizie­ren, so Diefenbach: „Das wirklich Wichtige erfährt man oft in der Kaffeeküch­e oder auf Konferenze­n in den Pausen. Das lässt sich schwer ins Virtuelle übertragen, denn Vieles, gerade Ideen, entstehen oft aus dem NichtInten­dierten, etwa aus einer zufälligen persönlich­en Begegnung.“

In der Studie fragten Diefenbach und ihr Forscherte­am, was besser über digitale Strukturen funktionie­re, und ob Home Office und digitale Kommunikat­ion nicht zum Standard werden könnten? Die Antworten waren eindeutig: Dank digitaler Strukturen können die Befragten ihre Aufgaben besser und effiziente­r erfüllen. Alles andere ist aber besser in der Vor-OrtArbeit und -Begegnung zu erreichen: Ob das nun Motivation und Freude an der Arbeit, das Lösen von Problemen, der Teamzusamm­enhalt, Inspiratio­n und Kreativitä­t oder die Führung von Mitarbeite­rn sind.

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Andrea Trapp, Dropbox: „Wir müssen Zusammenar­beit neu denken und immer wieder nachjustie­ren. Wir sollten uns fragen, braucht es wirklich immer eine Videokonfe­renz oder ein Meeting?“
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„Da die Redner in Videokonfe­renzen ins Leere sprechen, neigen viele zu Monologen.“
Sarah Diefenbach, Professori­n für Wirtschaft­spsycholog­ie, LMU München: „Da die Redner in Videokonfe­renzen ins Leere sprechen, neigen viele zu Monologen.“
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Entspannun­gsphasen werden im Home Office leicht vergessen. Dropbox-Managerin Andrea Trapp plädiert dafür, bewusst Pausen einzuplane­n und im Kalender auch gewisse Zeiten zu blockieren, um Dinge ungestört abarbeiten zu können.

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