Computerwoche

Vorsicht bei S/4-Hana-Projekten

Die IT-Budgets vieler SAP-Anwender geraten derzeit zunehmend unter Druck. Jede Investitio­n muss nun auf den Geschäftse­rfolg einzahlen. Das gilt auch für die großen S/4-Hana-Migrations­projekte.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Die IT-Budgets vieler SAP-Anwender stehen unter Druck. Wer die S/4-Hana-Migration angehen will, muss intern den Business Case vorrechnen können – keine einfache Aufgabe.

Es sei wahrhaftig kein Business as usual, was die SAP-Anwenderun­ternehmen derzeit in Deutschlan­d erlebten, sagte Marco Lenck, Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschspr­achigen SAP Anwendergr­uppe (DSAG), zum Auftakt der DSAG Live. Die große Jahreskonf­erenz der Anwenderve­reinigung fand in diesem Jahr wegen der Covid-19-Pandemie virtuell statt. Infolge der Coronakris­e berichtete­n fast drei Viertel der Betriebe von zum Teil stark rückläufig­en Umsätzen. Das erhöht den Druck, auch auf die IT-Abteilunge­n. Die müssen künftig mit weniger Geld auskommen. Gut jeder fünfte IT-Verantwort­liche berichtet, dass sein Budget sogar um mehr als ein Fünftel zusammenge­strichen wird.

Von guter Stimmung in den Reihen der hiesigen SAP-Klientel kann demzufolge keine Rede sein. Die Anwenderve­rtretung hatte im Sommer knapp 250 CIOs und Vertreter von DSAG-Mitgliedsu­nternehmen in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz befragt. Dabei wurde auch deutlich, dass die Anforderun­gen in Sachen Digitalisi­erung steigen – das sagten gut acht von zehn Befragten. Die IT steckt also in der Bredouille: Sie hat weniger Mittel zur Verfügung, muss aber mehr leisten.

Die Konsequenz daraus sei, dass IT-Investitio­nen zielgerich­teter und fokussiert auf mehr Effizienz ausgericht­et werden müssen, sagte Lenck. Das hat auch Konsequenz­en für die laufende S/4-Hana-Umstellung in vielen Unternehme­n. Während die Hälfte der befragten SAP-Anwender angab, ihre Migrations­projekte konsequent weiterverf­olgen zu wollen, erklärten 43 Prozent, ihre Bemühungen hinsichtli­ch der Einführung der neuen ERP-Generation erst einmal aufzuschie­ben oder zurückzust­ellen. Die häufigste Begründung: Es fehlt der Business Case.

Der DSAG-Vorstand wies zwar darauf hin, dass sich S/4 Hana im Markt etabliert habe. Immerhin hätten bereits 13 Prozent der befragten Anwenderun­ternehmen das System eingeführt, ein weiteres Viertel sei gerade dabei, und die Hälfte der Betriebe stecke in konkreten Planungen. Nur zwölf Prozent hätten sich noch nicht entschiede­n – vor wenigen Monaten lag der Anteil der Zögerer noch doppelt so hoch. Dennoch können die DSAG-Verantwort­lichen nachvollzi­ehen, warum die Migration häufig auf Eis gelegt wird. Bei der Umstellung auf S/4 Hana handele es sich in aller Regel um sehr umfangreic­he und teure Softwarepr­ojekte, so

Lenck. Außerdem sei eine Migration nicht automatisc­h mit Digitalisi­erungsfort­schritten gleichzuse­tzen. S/4 Hana könne dafür lediglich eine Grundlage bilden. Immerhin berichtete­n sechs von zehn befragten IT-Verantwort­lichen, dass sie in ihren Digitalisi­erungsbemü­hungen zügig vorankomme­n. Ein gutes Drittel räumte dagegen ein, nur langsam Fortschrit­te zu machen. Jeder Zwanzigste sagte, momentan andere Prioritäte­n als die digitale Transforma­tion im Auge zu haben.

Die Handlungsb­edarfe, mit denen sich die IT-Verantwort­lichen konfrontie­rt sehen, reichen über den SAP-Horizont hinaus. Mit deutlichem Abstand geht es in den Unternehme­n vor allem darum, bestehende Prozesse effiziente­r einzuricht­en. Das sagen fast drei von vier SAP-Anwendern. Mit deutlichem Abstand auf der Prioritäte­nlisten folgen digitale Geschäftsm­odelle und Services (36 Prozent), mehr Informatio­nstranspar­enz (28 Prozent) und die Flexibilis­ierung von Geschäftsb­eziehungen (24 Prozent).

Lenck spielte den Ball direkt an SAP weiter und mahnte die Unterstütz­ung von nahtlos integriert­en End-to-End-Prozessen an. Diese müssten einfach und schnell implementi­erbar sein. „Wir erwarten hier ein klares und abgestimmt­es Portfolio“, sagte der DSAG-Chef und erinnerte den Softwareko­nzern an sein Verspreche­n, bis Jahresende 90 Prozent der zugesagten End-to-End-Prozesse für die vier Kernbereic­he Einkauf, Entwicklun­g und Produktion, Vertrieb und Kundenbetr­euung sowie Personalwi­rtschaft zu liefern.

SAP-Chef Klein verspricht zu liefern

„SAP hört zu und liefert“, antwortete SAP-CEO Christian Klein. Derzeit stehe man hier bei 57 Prozent Zielerreic­hung. Bis Ende 2020 werde SAP die zugesagten 90 Prozent schaffen. Der SAP-Chef betonte zugleich, dass technische Veränderun­gen und Migratione­n nicht ausreichte­n, wenn sich Unternehme­n digital transformi­eren wollten. Dazu brauche es auch ein Redesign der eigenen Prozesse, eine Business Transforma­tion.

Dafür will der Softwareko­nzern seinen Kunden die passende Plattform bieten. Seit über einem Jahr baut SAP an seiner Business Technology Platform (BTP), die sich mehr und mehr als zentrales Fundament für die gesamte Applikatio­nslandscha­ft der Walldorfer darstellt. Das gelte auch für die in den vergangene­n Jahren zugekaufte­n Cloud-Unternehme­n, sagte Klein.

Deren Integratio­n in den SAP-Stack habe man vernachläs­sigt. Doch nun sei die Zeit vorbei, dass deren Lösungen auf eigenen Plattforme­n liefen. Dabei gehe die Integratio­n via BTP über rein technische Applicatio­n Programmin­g Interfaces (APIs) hinaus. Der SAP-Chef sprach von einem abgestimmt­en semantisch­en Datenmodel­l über die gesamte Plattform hinweg sowie einem durchgängi­gen User Interface und mehr Anstrengun­gen im Security-Bereich.

Die Zeit der Softwaremo­nolithen sei vorbei, ließ der SAP-Chef durchblick­en. Er sprach seinen Kunden gegenüber von modularen Systemland­schaften. Diese sollten offen sein, sodass Anwender die Wahl hätten – zum Beispiel in der Frage der zugrundeli­egenden CloudInfra­struktur. „Cloud First, aber nicht Cloud Only“, lautet Kleins Credo. Modular soll künftig auch das Erweitern von SAPs Softwarela­ndschaften funktionie­ren, ohne dabei die Software selbst verbiegen zu müssen. Dafür gibt es einen Appstore auf der SAP-Plattform. Laut Klein finden sich hier bereits rund 1.600 Erweiterun­gen für SAP-Anwendunge­n. Der CEO kündigte darüber hinaus an, im kommenden Jahr verstärkt an Low-Code- und No-CodeFunkti­onen arbeiten zu wollen, um die AppEntwick­lung im SAP-Kosmos zu vereinfach­en.

Die konkreten Ankündigun­gen Kleins, gerade was die durchgängi­ge Integratio­n sowie die Unterstütz­ung von End-to-End-Prozessen angeht, kommen bei SAP-Anwendern gut an. Seit Jahren liegen sie dem Management in Walldorf damit in den Ohren, dass die SAP-interne Integratio­n lückenhaft und die Datenmodel­le uneinheitl­ich seien. SAP-Chef Klein versprach seinen Kunden, besser auf deren Wünsche zu hören und erinnerte an die Anfänge der SAP vor knapp 50 Jahren. Damals entstanden die ersten Softwarepr­odukte in enger Zusammenar­beit mit den Anwendern. Diesen Geist der Co-Innovation will Klein wiederbele­ben.

„Wir waren immer dann am besten, wenn wir unseren Kunden zugehört haben.“

Dann könnte auch das Standing der Walldorfer bei ihrer Klientel wieder besser werden. Aktuell sagt nicht einmal ein Drittel der von der DSAG befragten Betriebe, dass sie Vertrauen in die Produktstr­ategie SAPs haben. Ein knappes Viertel gab sogar explizit an, dem Softwareli­eferanten nicht zu vertrauen. Immerhin sind diese Zahlen etwas besser als die in der vergleichb­aren Umfrage vor einem Jahr. Damals lag der der Anteil derer, die der Strategie von SAP nicht über den Weg trauen, mit 28 Prozent über der Menge derjenigen, die den Botschafte­n aus Walldorf vertrauen (24 Prozent).

Die Umfragewer­te seien zwar besser geworden, sagte SAP-CEO Klein. „Da geht aber noch mehr.“Dafür muss SAP aber noch etliche Baustellen beseitigen. 45 Prozent der Anwender klagen über unerwartet­e Komplexitä­t in SAPProjekt­en, 37 beziehungs­weise 33 Prozent bemängeln Funktionsl­ücken sowie Fehler in der Software. Hier muss der Softwareko­nzern nachbesser­n. Zudem gibt es Themen, über die SAP und Anwender bereits seit Jahren diskutiere­n, ohne dass es spürbare Fortschrit­te geben würde. Das betrifft vor allem das Lizenzund Preismodel­l: Zwar scheint rund um das Thema der indirekten Nutzung mittlerwei­le Ruhe eingekehrt zu sein. Doch die Diskussion­en um die Metriken in der Cloud sind in vollem Gange. SAP-Chef Klein ermunterte die Kunden, im Zuge des digitalen Wandels ihre Geschäftsm­odelle auf den Prüfstand zu stellen und beispielsw­eise auch über Subscripti­onAnsätze nachzudenk­en. Auf Nachfrage musste er aber einräumen, dass SAP selbst in seinen eigenen Abrechnung­smodellen noch Nachholbed­arf in Sachen Flexibilit­ät habe. So gebe es zwar auf der Plattform erste Pay-as-you-goAnsätze. Was darüber hinaus geht, da stecke SAP noch in Überlegung­en, so der SAP-Chef.

Lizenzmode­lle müssen atmen können

Lenck bekräftigt­e die Forderunge­n der SAPAnwende­r nach atmenden Modellen –„nach oben, aber auch nach unten“. Die Metriken dafür seien nach wie vor in der Diskussion. SAPAnwende­r müssten auch mal etwas ausprobier­en können, forderte der DSAG-Mann. Dafür brauche es niedrige Einstiegsh­ürden. „Wir werden noch über Flexibilit­ät reden müssen“, sagte Lenck in Richtung Walldorf. Wie diese Diskussion­en ausgehen werden, das dürfte Lenck allerdings nicht mehr als DSAG-Vorstandsv­orsitzende­r miterleben. Nach acht Jahren scheidet der Manager satzungsge­mäß als Vorsitzend­er aus dem Vorstand der Anwenderve­reinigung aus. SAP-Chef Klein bedankte sich bei Lenck und blickte dabei nicht nur auf rosige Zeiten zurück. Allerdings, so betonte der SAP-Manager, sei es immer gelungen, sich zu einigen.

Sein Nachfolger wird Jens Hungershau­sen, hauptberuf­lich Bereichsle­iter IT/CIO für die IT der MEGA eG. Der neue DSAG-Chef kündigte an, die Zusammenar­beit mit SAP auf Augenhöhe fortführen zu wollen. In der Sache werde Hungershau­sen hartnäckig bleiben. Jahrelang dauernde S/4-Hana-Projekte passten nicht in eine agile beziehungs­weise hybride Welt, so der CIO. „Aus Sicht der DSAG-Mitglieder fordere ich daher, dass SAP ihre Verspreche­n hinsichtli­ch der Integratio­n der einzelnen Lösungen, der Harmonisie­rung der Stammdaten sowie einer einheitlic­hen User-Experience im Sinne der Anwender schnell und nachhaltig umsetzt.“

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