Die größten Probleme im Home Office: antriebslos, demotiviert und einsam
Seit über einem halben Jahr stecken viele Wissensarbeiter im Home Office. Eine baldige Rückkehr in die Büros ist angesichts der steigenden Fallzahlen fraglich. Allmählich steigt das Risiko, die Beschäftigten daheim zu verlieren.
Melanie Vogel organisiert seit zehn Jahren Europas größte Frauenmesse „women&work“und coacht Führungskräfte. Regelmäßig befragt sie ihr Netzwerk zu Themen wie Bewerbung, Karriere und Führung. Die Ergebnisse der jüngsten Umfrage zum Home Office ließen die Führungsexpertin von Female Recruiting aufhorchen: So hat die Pandemie die Arbeitswelt aller 162 befragten Business-Frauen stark verändert, 40 Prozent von ihnen fühlen sich in der Ausführung ihrer Aufgaben eingeschränkt, beinahe ebenso viele können sich nicht mehr so stark mit ihrem Arbeitgeber identifizieren wie vor der Krise. „Das ist besorgniserregend und zeigt: Mehr denn je werden Programme zur Mitarbeiterbindung notwendig, um die Fachkräfte bei der Stange zu halten“, sagt Vogel. In der Praxis setzen sich aber viele Unternehmen noch nicht mit den Folgen der Remote-Arbeit auseinander.
Schnelle Absprachen fehlen
Dabei zeichnen sich schon heute negative Tendenzen ab. Zwar gab mehr als jede zweite Befragte an, zuhause produktiv arbeiten zu können, gleichzeitig fehlen vielen im Home Office wichtige Versatzstücke, die Zusammenarbeit ausmachen: etwa der tägliche persönliche Kontakt mit KollegInnen, die schnellen Absprachen zwischendurch, das Gefühl, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, oder auch das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein. „Erste Firmen melden uns, dass sich eine gewisse ,Dekadenz der Home-Office-Privilegierten‘ bei Männern und Frauen breitmacht, die in ersten Fällen schon bis zur Verweigerung der Rückkehr an den Arbeitsplatz geht“, berichtet Vogel. „Je länger die 100-Prozent-Home-Office-Maßgabe aufrechterhalten wird, und je weniger vor allem die Menschen abgeholt werden, denen es im Home Office nicht gut geht, umso stärker dürften sich die bereits jetzt schon abzeichnenden negativen Tendenzen auswirken.“Und dass es einigen bereits heute nicht so gut geht, zeigt ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Lethargie, Demotivation, Einsamkeit und Stress sind für die Befragten die häufigsten negativen Emotionen, die sie im Home Office begleiten. Dem stehen aber auch positive Emotionen wie Erleichterung und Entspannung gegenüber.
Unternehmen sparen an Weiterbildung
Den Personalverantwortlichen indes ist bewusst, dass sie sich mit dem Thema „New Work“, zu dem auch Home Office gehört, stärker auseinandersetzen müssen. Laut Studie des Bundesverbands der Personalmanager BPM ist New Work für die 1500 HR-Verantwortlichen derzeit das wichtigste Thema auf der Agenda und verdrängt Recruiting auf die Plätze. Zwar gab es in der Krise einen gewaltigen Schub in Sachen digitale Prozesse, so setzen beispielsweise 70 Prozent der Befragten auf virtuelle Kommunikationstools (vorher 40 Prozent). Gleichzeitig führte die Pandemie zumindest zeitweise zu einer gravierenden Vernachlässigung von Entwicklungsthemen.
Vielerorts gerieten und geraten betriebliche Maßnahmen zur Personal- und Organisationsentwicklung ins Stocken. Jedes zweite Unternehmen schränkte Weiterbildungsbudgets etwas beziehungsweise stark ein. Bei Unternehmen mit mindestens 5.000 Mitarbeitern traf dies sogar bei 62 Prozent zu. In den Augen von Führungsexpertin Melanie Vogel wird hier am falschen Ende gespart. Fühlen sich Mitarbeiter im Home Office nicht mehr dem Unternehmen zugehörig und verlieren ihren Antrieb, sinkt bald auch ihre Leistung.