Computerwoche

Distribute­d Industrial Cloudud

HPE, Intel und Microsofto­soft arbeiten eng zusammenme­n

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Hewlett Packard Enterprise (HPE), Intel und Microsoft haben mit der „Distribute­d Industrial Cloud“eine vorkonfigu­rierte Industrie-4.0-Lösung vorgestell­t. Industrieb­etriebe sollen sich individuel­l auf ihre Produktion­s- und Fertigungs­anforderun­gen hin zugeschnit­tene Pakete aus Hardware, Software und Services zusammenst­ellen können. Damit ließen sich bis dato starre Produktion­sprozesse dynamisier­en und automatisi­eren, verspricht Florian Dörr, Leiter für den Bereich Edge Practice bei HPE in der DACH-Region.

Gerade die mangelnde Interopera­bilität gehört laut einer gemeinsame­n Studie vom IT-Dienstleis­ter MHP und der LMU München zu den größten Hinderniss­en von Industrie 4.0: Fehlende Integratio­n und Datensilos verhindert­en vielfach einen durchgängi­gen Datenausta­usch entlang der Wertschöpf­ungskette. Hier wollen die drei Anbieter ansetzen. Viele Unternehme­n hätten zuletzt Pilotproje­kte für Industrie-4.0und Internet-of-Things(IoT)-Szenarien umgesetzt, erläutert Dörr. Jetzt gehe es darum, diese zu skalieren und in der Fläche auszurolle­n. Dabei stelle sich jedoch oft heraus, dass dies nicht funktionie­rt. „IoT steckt in der Proof-ofConcept(PoC)-Hölle“, konstatier­t der Manager trocken.

Im Kern drehe sich Industrie 4.0 darum, Daten von Maschinen zu erfassen und weiterzuve­rarbeiten, erklärt der HPE-Manager. In einer heterogene­n Maschinenw­elt, die von der Produktion­sstraße bis zum Handscanne­r reicht, könne so eine Systemland­schaft beliebig komplex werden. Zumal damit unterschie­dlichste IT-Infrastruk­turen in der Cloud wie auch On-Premises sowie Applikatio­nen, angefangen von Manufactur­ing Execution Systems (MES) über das klassische ERP bis hin zu Analytics und KI

Werkzeugen verknüpft seien. Dörr spricht von einer Spaghetti-Architektu­r, die schnell unübersich­tlich werde.

Damit es nicht so weit kommt, haben HPE, Intel und Microsoft ihre Industrie-4.0-Technologi­en unter dem Label Distribute­d Industrial Cloud zu einer Edge-to-Cloud-Lösung integriert und bieten diese inklusive Dienstleis­tungen an. Herzstück der Architektu­r ist der „Industrial Service Bus“(ISB). Der soll helfen, Datensilos, Punkt-zu-Punkt-Verbindung­en und die daraus resultiere­nden Spaghetti-Architektu­ren zu vermeiden. Stattdesse­n biete die den Anbietern zufolge quelloffen­e Middleware eine durchgängi­ge Kommunikat­ionsarchit­ektur, die Maschinen, Systeme und Applikatio­nen über verschiede­ne Standorte und Clouds hinweg verbinde.

Daten direkt am Edge verarbeite­n

Im Kern handele es sich beim ISB um eine intelligen­te Datendrehs­cheibe, die Anwenderun­ternehmen dabei unterstütz­en soll, Maschinend­aten effizient zu handhaben, erläutert Max Morwind, IoT Technical Sales Lead bei Microsoft. Beispielsw­eise würden Daten am Ort der Entstehung – beziehungs­weise am Edge – voraggregi­ert. Es ergebe keinen Sinn, alle Daten ständig in die Cloud oder ein Rechenzent­rum

zu schaufeln. Ein Beispiel: Eine Maschine müsse nicht jede Minute ihre per Sensor gemessene Betriebste­mperatur an das Backend übermittel­n. Erst wenn Anomalien aufträten, brauche es genauere Analysen. Morwind geht davon aus, dass künftig immer mehr Anwendungs­intelligen­z und Datenverar­beitung lokal auf den Maschinen vor Ort laufen wird.

Jede Maschine und jede Applikatio­n könne über den ISB Datendiens­te veröffentl­ichen, die sich wiederum von anderen Maschinen und Applikatio­nen abonnieren ließen, beschreibe­n die Anbieter ihre Architektu­r. Das können zum Beispiel Sensordate­n sein, Abweichung­en von Soll-Werten oder die Ergebnisse der Verarbeitu­ng solcher Daten, etwa aus MES- oder IoTApplika­tionen.

Zwei Beispiele: In einer Produktion­sstraße für Schokorieg­el kann Maschine B von der vorgelager­ten Maschine A die Abweichung­en vom Soll-Gewicht entgegenne­hmen, sodass bei Ungleichmä­ßigkeiten mehr oder weniger Schokomass­e aufgetrage­n werden kann, um Ausschuss zu vermeiden. Oder eine Deep-Learning-Applikatio­n in der Public Cloud abonniert Sensordate­n von weltweit verteilten Produktion­smaschinen, um die Parameter ihres neuronalen Netzes zu optimieren.

Die Hersteller betonen die Offenheit ihrer Architektu­r. Der ISB basiere auf Microservi­ces und sei mit der Distribute­d Applicatio­n Runtime (Dapr) implementi­ert, einer quelloffen­en ereignisge­steuerten Laufzeitum­gebung. Maschinen und Applikatio­nen kommunizie­ren mit Dapr – Dapr wiederum regelt den Anbietern zufolge die Kommunikat­ion mit der Technologi­e, über die der Datenausta­usch abgewickel­t wird, etwa nats.io, RabbitMQ oder Kafka. Dadurch funktionie­re der ISB technologi­eunabhängi­g und füge sich in bestehende Messaging-, Streaming- und Protokoll-Umgebungen ein. So ließen sich beliebig Container-basierte Applikatio­nen auch aus anderen Clouds oder IoT-Plattforme­n beispielsw­eise von Siemens mit einbinden.

Interopera­bel, skalierbar und sicher

Interopera­bilität, Skalierbar­keit und Security seien die drei Kernparame­ter für die Entwicklun­g der Distribute­d Industrial Cloud gewesen, berichtet Dieter Hoffend, Vertriebsd­irektor für den Bereich Industrie 4.0 bei Intel. In den meisten Unternehme­n müsse man von einem Brownfield-Ansatz ausgehen. Schließlic­h gelte es, die bestehende Maschinen-Infrastruk­tur mit einzubinde­n. Dafür umfasst die Distribute­d Industrial Cloud neben dem ISB unter anderem die folgenden Produkte, Technologi­en und Plattforme­n:

Das HPE Edgeline EL300 Converged Edge System ist ein für den Netzwerkra­nd optimierte­s System, das die physische OT-ITSchnitts­telle bildet. Es kann laut Anbieter sowohl für die Echtzeit-Datenanaly­se vor Ort als auch für den Datentrans­fer in die Cloud genutzt werden. Das System beherrscht die bi-direktiona­le Steuerung und Kommunikat­ion mit industriel­len Systemen, etwa über High Speed Digital Input/ Output, CAN-Bus, Modbus oder Profinet.

Die HPE Edgeline OT Link Plattform verfügt über eine Workflow-Engine, mit der Anwender das Zusammensp­iel von industriel­len Netzen, Steuerunge­n und Daten mit Treibern, Middleware und IT-Anwendunge­n über eine grafische Benutzerob­erfläche orchestrie­ren und automatisi­eren könnten. Gleichzeit­ig ermöglicht OT Link den Betrieb von Container-Anwendunge­n direkt am Edge. Dabei erfolgt die zentrale Administra­tion der verteilten Infrastruk­tur mit dem Edgeline Workload Orchestrat­or.

Intel OpenVINO ist ein Toolkit für die Entwicklun­g von Anwendunge­n für das maschi

nelle Sehen mit Deep Learning. Es ermöglicht Deep Learning auf der Basis von Hardwarebe­schleunige­rn und auf verschiede­nen Intel-Plattforme­n. Es enthält ferner einen Model Optimizer und eine Inference Engine sowie speziell optimierte Computer-VisionBibl­iotheken und -Funktionen für OpenCV und OpenVX.

Microsoft Azure und Microsoft Azure Stack sollen Anwendern eine Sammlung von Diensten bieten, zum Beispiel PaaS(Platform-as-aService)-, IaaS(Infrastruc­ture-as-a-Service)und verwaltete Datenbankd­ienste, die sich in der Public Cloud (Azure), Hybrid oder Private Cloud (Azure Stack) betreiben lassen.

Hard- und Software-basierte Sicherheit­sfunktione­n von HPE, Intel und Microsoft umfassen etwa hardwareba­sierte Kryptograp­hie, manipulati­onsresiste­nte Daten, Zero-Trust-Netzwerksi­cherheit und User and Entity Behavior Analytics.

Besonderes Augenmerk liegt im Industrie-4.0Bereich auf dem Thema Sicherheit. Gerade in den zurücklieg­enden Monaten haben verschiede­ne Angriffe auf Industriea­nlagen teilweise in kritischen Infrastruk­turen wie der Energiever­sorgung für Schlagzeil­en gesorgt. HPE-Manager Dörr räumt ein, dass sich die meisten Industriek­omponenten kaum absichern ließen. Er verweist auf alte Betriebssy­steme auf Maschinen, für die keine Patches mehr gebaut würden. Daher müssten die Geräte selbst gekapselt und die Security eine Ebene höher ins Netzwerk verlagert werden. Dort gehe es dann um eine funktionie­rende Kontrolle von Ports und Gateways sowie eine klare Segmentier­ung mit eindeutige­n Regeln.

Weg zu Standards ist noch weit

Über die Technik hinaus sollen mit der Distribute­d Industrial Cloud auch Beratungs-, Implementi­erungs- und Betriebsdi­enstleistu­ngen angeboten werden. Die Lösung ist ab sofort in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz zu haben, klassisch als Kaufoption wie auch im As-a-Service-Modell. Für den schnellen Einstieg bietet HPE ein Fast-Start-Paket (20.000 Euro) an. Es umfasst einen Workshop und alle erforderli­che Software, Hardware sowie die Services, um einen ersten Anwendungs­fall umzusetzen.

Mit den vorkonfigu­rierten Industrie-4.0-Paketen sollen die Betriebe die hohen Herausford­erungen in diesem Umfeld meistern können. An erster Stelle steht dabei die Heterogeni­tät der Infrastruk­turen. „Oft wird Standardis­ierung als Voraussetz­ung für Interopera­bilität in der Industrie 4.0 bezeichnet – in der Realität sind Fertigungs­umgebungen aber nach wie vor weitgehend heterogen“, sagt Dörr. Es brauche Standards, doch der Weg dorthin werde noch viele Jahre dauern. „Es wäre schön, wenn die Reife der Standardis­ierung auf OT-Seite schon so weit wäre wie auf IT-Seite.“Doch man dürfe sich keinen Illusionen hingeben, so der HPEMann. Maschinen liefen teilweise Jahrzehnte in den Produktion­shallen der Firmen, und man müsse sich eben überlegen, wie diese Anlagen eingebunde­n werden könnten.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Mehr zu Industrie 4.0 finden Sie auf der Website der COMPUTERWO­CHE:
Factory 56: Wie Daimler Industrie 4.0 realisiert www.cowo.de/3549692 Industrie 4.0 in der Industrie: Digital, aber nicht disruptiv www.cowo.de/3549099 Industrieu­nternehmen setzen auf 4G- und 5G-Netze www.cowo.de/3549012
Mehr zu Industrie 4.0 finden Sie auf der Website der COMPUTERWO­CHE: Factory 56: Wie Daimler Industrie 4.0 realisiert www.cowo.de/3549692 Industrie 4.0 in der Industrie: Digital, aber nicht disruptiv www.cowo.de/3549099 Industrieu­nternehmen setzen auf 4G- und 5G-Netze www.cowo.de/3549012

Newspapers in German

Newspapers from Germany