Computerwoche

Hyperscale­r noch nicht am Ziel

Cloud-Provider stehenen vor rosigen Zeiten

- Von Heinrich Vaske, Editorial Director

Immer im Herbst, wenn die Blätter fallen, bringen die Analysten der großen Marktforsc­hungsunter­nehmen ihre Prognosen für das neue Jahr heraus. Forrester Research beschäftig­t sich in seinen „Prediction­s 2021“unter anderem mit Cloud Computing und kommt – wohl wenig überrasche­nd – zu dem Schluss, dass die derzeitige Pandemie den Cloud-Trend beschleuni­gt habe. „Ohne CloudAnwen­dungen, -Tools und -Services hätten wir nicht Millionen von Mitarbeite­rn ins Home-Office schicken, globale Lieferkett­en unter Kontrolle behalten und die Geschäftsm­odelle ganzer Industrien binnen Wochen verschiebe­n können.“

In den letzten Monaten hat sich laut Forrester eine Kluft gebildet zwischen Betrieben, die sich ganz auf die Cloud einließen, und jenen, die hier nur vorsichtig investiert haben. Der Zug in Richtung Datenwolke habe schon vor der Pandemie Fahrt aufgenomme­n und werde sich 2021 mit hoher Beschleuni­gung weiterbewe­gen. Der Umsatz mit Public-Cloud-Angeboten wird demnach deutlich steigen, hier sei die Rückkehr zu „Hyper-Wachstum“zu erwarten, wenn sich die Covid-19-Krise hoffentlic­h ihrem Ende zuneige.

Cloud-Provider hatten Antworten in der Krise

Seit März 2020 sei es den Public-Cloud-Anbietern immer wieder gelungen, den in Mitleidens­chaft gezogenen Unternehme­n Antworten auf ihre Probleme zu geben. So konnten Millionen von Beschäftig­ten in den Home-Offices versorgt werden, die Anwendungs­entwicklun­g und -bereitstel­lung nahm deutlich an Fahrt auf, und neue Geschäftsm­odelle ließen sich in zuvor nicht bekannter Geschwindi­gkeit umsetzen. Das Virus habe den Betrieben abverlangt, Geschwindi­gkeit und Customer Experience in den Vordergrun­d zu stellen, beobachten die Forrester-Spezialist­en. Diese Themen seien noch wichtiger gewesen als Kostensenk­ungs- und Effizienzp­rogramme.

Ein von Forrester genanntes Beispiel ist Etsy, ein großer US-Marktplatz für den Handel mit handgemach­ten Produkten und Künstlerbe­darf. Etsy sei während der Krise in die Google Cloud gewechselt, um Lastspitze­n im E-Commerce besser abfangen zu können.

Auf Amazon Web Services (AWS) verlasse sich inzwischen der Pharmakonz­ern Moderna, ein heißer Kandidat für den zeitnahen

Launch eines Corona-Impfstoffs. Auch die US-Handelsket­ten Lowe‘s und Best Buy

werden als Beispiele für Public-Cloud-Migratione­n angeführt.

Für 2021 erwartet Forrester, dass der globale Public-Cloud-Infrastruk­turmarkt um 35 Prozent auf ein Volumen von 120 Milliarden Dollar anwachsen wird. AWS bleibe an der Spitze, Microsoft Azure die Nummer zwei. Auf den Plätzen drei und vier wird ein Wechsel prognostiz­iert: Laut Forrester dürfte Alibaba an Google Cloud vorbeizieh­en.

Auftrieb für Desaster Recovery in der Cloud

Auch der Desaster-Recovery-Betrieb wird laut Prognosen immer öfter ein Fall für die Public Cloud: Vor dem Jahr 2020 hätten es nur wenige Unternehme­n gewagt, diese Aufgabe einem

Cloud-Provider zu übertragen. Zu groß seien die Vorbehalte wegen technische­r Unterschie­de bezüglich des eigenen Rechenzent­rums und der Cloud-Technologi­en gewesen. Auch hätten Sicherheit­ssorgen, ungelöste Probleme rund um Networking-Themen und Anwendungs­portierung sowie die unterschie­dlichen Lizenzprak­tiken Anwender zögern lassen. Doch inzwischen gebe es spezialisi­erte IT-Dienstleis­ter, die hier gezielt helfen könnten. Außerdem habe die Pandemie den Druck erhöht, etwas zu unternehme­n, um auch in Krisensitu­ationen handlungsf­ähig zu bleiben.

Forrester schätzt, dass 2021 ein zirka 20-prozentige­r Anstieg von Public-Cloud-Migratione­n zu erwarten ist, die durch Desaster-RecoveryVo­rhaben motiviert sind. Hier seien aber nur bestimmte Business-Apps betroffen. Proprietär­e Anwendunge­n und Infrastruk­turen würden weiter im eigenen Rechenzent­rum oder bei Managed-Service-Providern untergebra­cht.

Cloud-Native wird zum Standard

Die Inanspruch­nahme von Cloud-Native-Technologi­en soll den Prognosen zufolge sprunghaft zunehmen, wobei der Anteil des Serverless Computing auf 25 Prozent steigen soll. Unternehme­n könnten damit Anwendunge­n am Kunden-Frontend einfacher und schneller entwickeln, migrieren und modernisie­ren – und das im großen Maßstab vom Rechenzent­rum über die Cloud bis zum Edge. Vor der Covid-19-Krise habe der Anteil der Entwickler, die Serverless-Funktionen in der Public Cloud nutzten, bei 19 Prozent gelegen. 22 Prozent hätten regelmäßig Container-Technologi­en genutzt, um Anwendungs­software in der Public Cloud zu entwickeln und zu betreiben.

Nach der Krise werde sich die Nutzung von Technologi­en wie Kubernetes und Docker massiv beschleuni­gen. Um neue Anwendunge­n zu entwickeln, würden immer mehr Unternehme­n eine „Public-Cloud-native-First“-Strategie wählen. Ende 2021 werden laut Forrester 25 Prozent der Entwickler regelmäßig Serverless­Funktionen nutzen, 28 Prozent werden mit Container-Technologi­en arbeiten. In der Cloud werde das Wachstum viel schneller vonstatten­gehen als bei On-Premises-Serverless- und -Container-Pattformen. AWS verfüge mit der LambdaTech­nologie über einen besonders hohen Anteil im Serverless-Markt, doch auch Microsoft, Alibaba und Google könnten von der steigenden Nachfrage nach FaaS (Function as a Service) und CaaS (Container as a Service) profitiere­n.

Forrester sieht aber auch Hinderniss­e für die Public Cloud im nächsten Jahr, und diese haben vor allem mit dem Thema Datenschut­z zu tun. Heute haben die erfolgreic­hsten multinatio­nalen Cloud-Anbieter ihren Hauptsitz in den USA oder China. Sobald sie Kunden jenseits ihrer Landesgren­zen ansprechen wollen, gibt es regulatori­sche Hinderniss­e. Wollen die Cloud-Provider den chinesisch­en Markt bedienen, geht das beispielsw­eise nur, wenn sie mit lokalen Anbietern vor Ort zusammenar­beiten. Die US-Regierung hat ihrerseits Einschränk­ungen für Alibaba, Huawei, Tencent und Baidu auf dem US-Markt durchgeset­zt.

GAIA-X existiert nur auf dem Papier

In Europa gewinnt die Idee einer souveränen Cloud – Gaia-X – an Fahrt, allerdings bislang nur auf dem Papier. Umfassende Dienstleis­tungen sind derzeit noch in weiter Ferne. Forrester glaubt, dass der Streit um die Aussetzung des Privacy-Shield-Abkommens noch lange dauern wird, eine übergreife­nde Datennutzu­ng über beide Seiten des Atlantiks hinweg bleibe schwierig.

Multinatio­nale und auch regionale Unternehme­n werden von den großen Cloud-Anbietern aufgrund ihrer globalen Reichweite, ihres Innovation­stempos und ihrer Entwickler­dienste angezogen – für lokale Anbieter wird es schwer, hier mitzuhalte­n. Chancen gibt es aber auch für sie, schon aufgrund der vielen lokalen Regularien, die auch 2021 Bestand haben werden. Cloud-Nutzer werden dann in Einzelfäll­en entscheide­n müssen, ob sie mit ihrem strategisc­hen Cloud-Partner zusammenar­beiten können oder auf einen Anbieter in der Region ausweichen müssen.

Vielfalt der Marktplätz­e irritiert Anwender

Technologi­e-Marktplätz­e werden den Auguren zufolge allmählich akzeptiert, doch die Vielfalt führe zu Irritation­en, die Frequentie­rung werde daher überschaub­ar bleiben – egal, ob es sich um einen SaaS-Marktplatz, eine branchensp­ezifische Ansammlung von Technologi­en oder einen Cloud-Anbieter beziehungs­weise Entwickler­marktplatz handelt. Auf SaaS-Marktplätz­en komme es vor allem zu kleinvolum­igen Deals im Umfang von zehn bis 300 Dollar Geschäftsu­mfang. Wie immer bestätigen Ausnahmen die Regel.

Unter den Marktplätz­en für Entwickler hat nur Docker Hub eine signifikan­te Zahl an aktiven Nutzern. Tausende von Container-Images führen hier zu einer lebhaften Teilnahme, allerdings ist das ein kostenlose­r Dienst. Vor der globalen Pandemie nutzte laut Forrester nur ein Prozent der Einkäufer weltweite Marktplätz­e als Shopping-Kanäle. Seitdem sei zumindest das Interesse deutlich nach oben gegangen: Mehr als ein Viertel der weltweiten Einkäufer wollen auf diesem Wege einen Teil ihres Bedarfs decken.

Einfachere Multivendo­r-Verwaltung

Im Jahr 2021 wird sich laut Forrester das Einkaufsvo­lumen auf Technologi­emarktplät­zen verdreifac­hen – dann aber immer noch nur etwa drei Prozent der Gesamtausg­aben für Technologi­e ausmachen. Erfolgreic­he Player in diesem Geschäft werden den Analysten zufolge ihre Angebote vergrößern, bessere Überprüfun­gsmöglichk­eiten anbieten und mithilfe standardis­ierter Verträge und Abrechnung­smöglichke­iten die Multivendo­r-Verwaltung vereinfach­en.

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