Virtual Reality in der Zusammenarbeit: Wenn Avatare ins Gespräch kommen
Videokonferenzen statt realer Meetings werden uns vermutlich auf lange Sicht erhalten bleiben. Einen Schub für die digitale Zusammenarbeit könnte Virtual Reality bringen. Bei T-Systems begegnen sich Teammitglieder auch als Avatare.
Der bärtige Gregor rückt mir auf die Pelle, so viel Nähe ist mir unangenehm. Instinktiv weiche ich zurück und stoße an meinen Schreibtisch. Nach fünf Minuten mit der Oculus Quest auf der Nase und den Controllern in den Händen habe ich bereits vergessen, dass ich in meinem Arbeitszimmer stehe und nicht unter der weitläufigen Glaskuppel mit Panoramablick auf die Alpen. Und dass Gregor kein übergriffiger Typ ist, sondern ein Avatar, dessen Oberkörper und Hände sich von einer Stelle zur nächsten beamen, bis er unmittelbar vor meinem Avatar zum Stillstand kommt.“
An diesem Erfahrungsbericht lässt sich erkennen, was ein Virtual-Reality-Meeting von einer klassischen Videokonferenz unterscheidet.
Die Teilnehmer, die eine VR-Brille tragen und Controller in ihren Händen halten, bewegen sich gemeinsam in einem virtuellen Raum und nehmen darin sich selbst und andere als Avatare wahr. Die unterstützende Gestik der Hände hilft, das Gefühl einer lebendigeren und unmittelbareren Kommunikation aufkommen zu lassen. Bewegung ist eine non-verbale Kommunikationsebene, die in Videokonferenzen, in denen Menschen vor allem auf ihre Bildschirme starren, oft auf der Strecke bleibt.
„In der menschlichen Kommunikation ist Nähe wichtig, auch, um Vertrauen aufzubauen. Hier hilft Virtual Reality, da sich Avatare untereinander näher kommen als die Menschen, die getrennt voneinander an einer Videokonferenz teilnehmen“, erklärt Rafaela Sieber. Als Leiterin des Fachteams AR/ VR bei T-Systems Multimedia Solutions beschäftigt sie sich nicht nur theoretisch mit dem Thema Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) für die Zusammenarbeit, sondern nutzt selbst diese Collaboration Tools für ihre Team- oder auch Scrum-Meetings, denen bis zu 20 Personen beiwohnen. Die meisten nehmen über VR- und AR-Brillen, die anderen am Desktop teil. Technisch können maximal 30 Menschen teilnehmen.
Ein 3D-Stift für Designer
Manches klappt im virtuellen Raum besser als in der realen Welt. Designprozesse etwa funktionieren in der „echten“Welt nur am 2D-Bildschirm. In VR/AR-Szenarien hingegen lassen sich Modelle nicht nur in 3D darstellen, sondern mit einem 3D-Stift kann auch direkt daran gearbeitet werden. Auch große, nicht tragbare Maschinen und Anlagen lassen sich mühelos in der AR-Welt aufstellen und präsentieren. Auch in Schulungen und Team-Events können sich Teilnehmer als Avatare begegnen.
VR strengt mehr an als Zoom
Jörg Preußig, Geschäftsführer von Preußig Seminare, hat diese Technologie für seine Schulungen entdeckt: „Wir können damit komplett in die virtuelle Welt eintauchen. Man spricht in dem Zusammenhang von Immersion. Das ist aber auch anstrengender als eine Videokonferenz. Darum planen wir in unseren Kommunikations- oder Projekt-ManagementTrainings nur mit VR-Sequenzen, die nicht länger als eine Stunde dauern.“Noch seien die VR-Brillen nicht so bequem, aber es zeichne sich ab, dass sie angenehmer und leichter zu tragen sind. Preußigs Prognose: „Die VR-Brillen haben das Potenzial, irgendwann VideoKonferenzen zu ersetzen.“
T-Systems-Expertin Rafaela Sieber sieht die Begegnung der Avatare als „eine weitere Art des Treffens an, die Videokonferenzen, aber auch reale Teammeetings gut ergänzen kann.“Deshalb spricht sie auch von XR Collaboration, die Virtual, Augmented Reality sowie Mischformen umfasst. Um sich in der VR-Welt zu bewegen, bräuchten Mitarbeiter keine ausgesprochene IT-Affinität. Auch für den Gebrauch der Brillen sei nur eine technische Anleitung, aber keine Schulung erforderlich.
Investitionen für XR Collaboration
Als Investitionskosten sollten Unternehmen, die VR und AR in der Zusammenarbeit einsetzen wollen, monatliche Lizenzkosten von 40 bis 100 Euro pro Mitarbeiter sowie zwischen 500 und 1.000 Euro pro VR-Brille einplanen. In Siebers Augen sind das überschaubare Ausgaben, zumal durch den VR-Einsatz Reisekosten eingespart werden können.
Beschleunigt durch die Covid-19-Krise hat eine Reihe von Startups, darunter Spaces, Glue, Immersed und Spatial, XR-Kollaborationsräume entwickelt. Eine Aufgabe von Sieber und ihrem Team ist es, die Tools dieser und anderer Anbieter zu testen und solche herauszusuchen, die sich für die Anforderungen der Kunden am besten eignen.
Im Rhythmus von sechs bis zwölf Wochen werden dann die Tools weiterentwickelt und die Avatare verfeinert. Noch lassen etwa ihre Mimikfähigkeiten zu wünschen übrig, die Gesichter wirken holzschnittartig. Bald soll es auch möglich sein, dass Berührungen der Avatare, etwa ein Abklatschen oder ein Händedruck, beim User als Vibrationen ankommen.