Nach Iaas und SaaS kommt jetzt PaaS
In der zweiten Cloud-Welle bauen die Anwender an ihren Plattformen
In der ersten Welle des Cloud Computing standen eher einfache Software- und Infrastrukturdienste im Mittelpunkt. Jetzt werden die komplizierteren Szenarien umgesetzt: Hybrid- und Multicloud-Umgebungen, Plattformen, Ökosysteme.
Wir nennen sieben Trends, die IT-Verantwortliche begleiten werden.
Viele CIOs versprechen sich mehr Agilität, Kostenvorteile und teilweise auch die Umsetzung ganz neuer Geschäftsmodelle, wenn sie Anwendungen in die Cloud migrieren. Dabei wählen sie meist eine Kombination aus Public und Private Cloud, um Skalen- und Kostenvorteile nutzen und gleichzeitig Sicherheits- und ComplianceAnforderungen gerecht werden zu können. Während der Pandemie ist das Interesse an der Cloud noch einmal gestiegen, da viele Betriebe ausfallsichere Remote-Work-Szenarien umgesetzt und ihre E-Commerce-Aktivitäten intensiviert haben.
Doch die Implementierung hybrider CloudUmgebungen verläuft häufig alles andere als reibungslos. Beispielsweise stellen die Finanzierungsmodelle für den Betrieb von CloudInfrastrukturen eine Herausforderung dar. Oft stellen IT-Leiter fest, dass eine schlechte Governance den Betrieb von Cloud-Software teurer werden lässt als die Bereitstellung aus dem eigenen Data Center. Zudem verläuft die Innovationsgeschwindigkeit bei CloudServices und -Architekturen so schnell, dass nicht alle Firmen Schritt halten können. Dennoch wissen IT-Leiter um die Vorteile einer Cloud-Strategie – und umkehren können sie ohnehin nicht mehr. Unser US-Kollege Clint Boulton von cio.com nennt die wichtigsten Cloud-Trends 2021.
1. Investitionen müssen sich rechnen
Eine im November 2020 von Accenture veröffentlichte Studie birgt eine hässliche Wahrheit: Den meisten Unternehmen ist es noch nicht gelungen, einen messbaren Mehrwert aus ihren Cloud-Investitionen herauszuholen. Von 750 Geschäfts- und IT-Führungskräften sagen nur 37 Prozent, dass sich ihre Cloud-Investitionen wie erwartet gerechnet haben. Weitere 29 Prozent haben zumindest die Hoffnung auf einen Return on Investment (RoI) noch nicht aufgegeben.
Karthik Narain, Global Lead des Bereichs Cloud First bei Accenture, sieht zwei Gründe für die ernüchternde Zwischenbilanz: Unternehmen schaffen es nicht, sich von Altsystemen zu lösen, und sie konzentrieren sich bei ihren Migrationen zu stark auf Nebenschauplätze – auf Anwendungen also, die für den Geschäftserfolg nicht entscheidend sind. Narain nennt das Beispiel einer Hotelkette, die ihr Spesenmanagement in die Public Cloud verlagert, aber ihr zentrales Reservierungssystem im Hause behält. Wer zweitrangigen Services den Vorzug gebe, könne keine Wertschöpfung erwarten.
Accenture-Mann Narain empfiehlt ein entschlossenes Vorgehen, wobei vor allem im Change Management die Hausaufgaben erledigt werden müssten. Wer das versäume, werde auch 2021 Schwierigkeiten haben, mit der Migration in die Cloud einen finanziellen Nutzen zu erzielen.
2. PaaS-Dienste werden wichtiger
Nahezu ein ganzes Jahrzehnt lang standen Compute- und Storage-Dienste aus der Cloud im Vordergrund. Im Jahr 2021 dürfte sich das Gewicht von Infrastruktur- auf Business-Services verlagern. Jetzt werden Platform as a Service (PaaS), Microservices und APIs in den
Mittelpunkt rücken, weil Unternehmen ihre Plattform- und Ökosystem-Ansätze ausbauen wollen. Dieser Meinung ist zumindest Joe Kinsella, Vice President der VMware-Geschäftseinheit Cloudhealth, die Software für das Hybrid- und Multi-Cloud-Management anbietet.
Vor allem APIs und Plattformen für deren Management werden laut Kinsella wichtiger. Sie machten ganz neue übergreifende Geschäftsszenarien möglich – etwa wenn Car-SharingDienste mit Banken und anderen Dienstleistern zusammenarbeiten, um Kunden Dienste und Rabatte aus einem Guss zu offerieren. In Cloud-2.0-Zeiten werden laut Kinsella auch die reinen Lift-and-Shift-Projekte zurückgehen. Die Anwender würden cloudnative Applikationen entdecken, die mithilfe von Microservices-Technologie gebaut werden.
3. Co-Innovation auf dem Vormarsch Accenture-Manager Narain erwartet zudem, dass sich Unternehmen in ihren Geschäftsphilosophien öffnen werden, um zusätzliche Wertschöpfungsquellen zu erschließen. Sie würden Partnerschaften mit Cloud-Anbietern, Beratern und anderen eingehen, um gemeinsam neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln beziehungsweise ihre Fähigkeiten zu erweitern. Als Beispiel nennt er die amerikanische Agrargenossenschaft Land O‘Lakes, die zusammen mit dem Logistikkonzern Fedex und Microsoft Produkte entwickelt.
Auch Amazon Web Services (AWS) unterhält solche Technologiepartnerschaften – beispielsweise mit dem japanischen Pharmakonzern Takeda und dem US-Hersteller von Kälteanlagen Carrier. Hier in Deutschland arbeiten AWS und Volkswagen oder die Deutsche Bank und Google Cloud eng zusammen. Solche CoInnovationspartnerschaften zwischen großen Unternehmen und Hyperscalern sollen 2021 stark zunehmen.
4. Die Cloud wird (noch) komplexer
Schon jetzt ist es alles andere als einfach, die vielfältigen Build- und Deploy-Ansätze in der Cloud zu verstehen. Das Problem dürfte sich weiter zuspitzen, weil Unternehmen immer neue virtuelle Server und Speicher zur Unterstützung bestimmter Anwendungen in Betrieb nehmen und in ihre Cloud-Umgebung einbinden. Es entstehen Systemabhängigkeiten, die kaum noch zu durchschauen sind, warnt VMware-Manager Kinsella.
Hinzu komme, dass AWS, Microsoft und Google in kurzen Abständen neue Cloud-Services auf den Markt brächten – Stichworte für neue Technologieansätze sind beispielsweise Serverless oder Function as a Service. Oft könnten die Tools, die für die Nutzung und das Management solcher Dienste erforderlich seien, mit dem Innovationstempo der Hyperscaler nicht mithalten. „Die Cloud ist wirklich komplex“, sagt Kinsella. „Die Architekturlandschaft ändert sich ständig.“
Jeff Kukowski, CEO von Cloudbolt, empfiehlt Anwendern, Governance-, Sicherheits- und andere Funktionen so weit wie möglich zu automatisieren. Allerdings ist dieser Rat nicht ganz frei von Eigeninteressen: Cloudbolt bietet Self-Service-Software für das Management von Cloud-Umgebungen an. „Alles individuell selbst zu programmieren, ist eine Herausforderung“, fügt er hinzu.
5. Cloud-Kosten im Griff Hybrid-Cloud-Systeme im Rahmen des vorgesehenen Budgets zu betreiben, gerät oft zu einer echten Herausforderung. Kinsella sieht die Probleme der Anwender und gesteht, dass er früher einmal – in Diensten eines anderen Unternehmens, das früh auf AWS setzte – mit ansehen musste, wie sich seine Cloud-Rechnung unerwartet auf 350.000 US-Dollar verdoppelte. Einige CIOs setzen FinOps ein, eine Kombination aus betriebswirtschaftlichen Praktiken und Analysesoftware, mit der sich die Kosten für die Nutzung der Cloud kalkulieren lassen sollen. Eine Studie der FinOps Foundation zeigt aber, dass die Hälfte der FinOps-Praktiker am Ende auch keine echten Erfolge bei der automatisierten Verwaltung ihrer Cloud-Investitionen aufweisen konnte.
6. Konsolidierung auf dem Cloud-Markt
Der Markt für Cloud Management Services werde sich 2021 weiter konsolidieren, prophezeit Cloudbolt-CEO Kukowski. Sein Unternehmen hatte im vergangenen Jahr Sovlabs, einen Spezialisten für Hybrid-Cloud-Integration, sowie den Cloud-Management-Anbieter Kumolus übernommen. Solche Deals sind in der Branche derzeit an der Tagesordnung. Binnen vier Jahren kaufte VMware Cloudhealth, HPE erwarb Cloud Cruiser, Flexera schnappte sich Rightscale und Apptio übernahm Cloudability. „Der Hybrid- und MultiCloud-Bereich ist gesetzlos wie der Wilde Westen“, sagt Kukowski.
7. Cloud ist ein Vorstandsthema
CIOs sind nicht mehr die einzigen Führungskräfte, die den Wert der Cloud entdecken. Immer mehr Geschäftsführer und sonstige Führungskräfte auf dem C-Level diskutieren Vor- und Nachteile einer Migration zu CloudServices, sagt Accenture-Mann Narain. „In den letzten sechs Monaten ist die Zahl der Gespräche, die ich mit CEOs und Vorständen zum Thema Cloud geführt habe, sprunghaft angestiegen“, so der Berater. Die Vorstände wollen in dieser strategischen Frage die Weichen stellen. Cloud wird in immer mehr Unternehmen top-down ausgerollt.