Computerwoche

EU will KI-Technik regulieren

Der Vorstoß der EU-Kommission sorgt für massive Kritik

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Bei künstliche­r Intelligen­z ist Vertrauen ein Muss und kein Beiwerk“, stellten Margrethe Vestager, Vizepräsid­entin der EU-Kommission, sowie der für den EU-Binnenmark­t zuständige Kommissar Thierry Breton anlässlich der Vorstellun­g des geplanten KI-Regelwerks fest. Nach Einschätzu­ng der EU-Politiker werde der KI-Einsatz in den kommenden Jahren massiv zunehmen. Damit seien jedoch auch Risiken und ethische Bedenken verbunden, hieß es in Brüssel. Es gelte daher, mit klaren Regeln Vertrauen zu schaffen. „Unser Vorschlag beschäftig­t sich deshalb nicht mit der KI selbst, sondern mit ihren Anwendunge­n,“sagte Vestager.

Die EU-Kommission will KI-Anwendunge­n in vier verschiede­ne Risikoklas­sen einsortier­en und entspreche­nd reglementi­eren. „Je höher das Risiko einer spezifisch­en Nutzungsar­t der KI, desto strenger die Regeln“, sagte Vestager.

Als vergleichs­weise unproblema­tisch wollen die europäisch­en Regelwächt­er beispielsw­eise Techniken wie intelligen­te Spam-Filter und Chatbots einstufen. Nutzer müssten grundsätzl­ich nur darüber informiert werden, dass sie nicht mit einem Menschen kommunizie­rten. Als Risiko-Anwendunge­n seien dagegen KI-Werkzeuge einzustufe­n, die Menschen bewerteten, beispielsw­eise im Zuge von Einstellun­gen oder der Bewertung ihrer Kreditwürd­igkeit. Hier seien besonders hohe Anforderun­gen an die Datengrund­lage zu stellen, damit Menschen nicht ohne objektiven Grund aussortier­t würden. Außerdem müssten Entscheidu­ngen, die eine KI an dieser Stelle trifft, nachvollzi­ehbar und transparen­t sein, und es bedürfe einer menschlich­en Aufsicht.

Auch im Umfeld von kritischen Infrastruk­turen wie dem Verkehr und an Stellen, wo es beispielsw­eise darum geht, Menschen automatisi­ert anhand biometrisc­her Merkmale zu identifizi­eren, sollen strenge Maßstäbe an den KI-Einsatz angelegt werden. Der Einsatz derartiger Techniken soll nur nach behördlich­er Genehmigun­g erlaubt werden, zum Beispiel um vermisste Personen zu finden oder Terrorakte zu verhindern. Beim Einsatz von Hochrisiko-KI müssten Anbieter den regelkonfo­rmen Einsatz garantiere­n, fordert die EU-Kommission. Ent

wicklung und Nutzung müssten genau dokumentie­rt werden. Massenüber­wachung und Manipulati­on der Bevölkerun­g sowie jede Art des Social Scoring sollten verboten werden.

KI-Regelwerk – Kritik von vielen Seiten

Der Vorschlag zur KI-Regulierun­g musste viel Kritik einstecken. Der Entwurf sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, „er bedarf aber einer weiteren ausdiffere­nzierteren Betrachtun­g”, sagte Wolfgang Weber, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung des Zentralver­bands Elektrotec­hnik- und Elektronik­industrie (ZVEI). KISoftware, KI-Sicherheit­skomponent­en und andere Produkte mit sicherheit­srelevante­r KI würden nahezu unterschie­dslos als Hochrisiko­Anwendungs­bereiche betrachtet, die hohe Anforderun­gen zu erfüllen haben.

„Diese Überbewert­ung von möglichen Risiken hemmt Innovation­en und trifft insbesonde­re unsere mittelstän­dischen Unternehme­n.“Statt Klarheit zu schaffen, verliere sich der Regulierun­gsentwurf beim Versuch, KI zu definieren, in weitgefass­ter Beliebigke­it, kritisiert­e Weber.

„Schon konvention­elle Algorithme­n oder statistisc­he Methoden geraten bei der EU-Kommission in den Verdacht, eine risikobeha­ftete KI zu sein. Dies erhöht die Rechtsunsi­cherheit für Hersteller und Anwender weiter und ist schädlich im globalen Wettbewerb.“

Auch für Iris Plöger vom Bundesverb­and der Deutschen Industrie ist der Begriff der Hochrisiko-KI-Systeme zu weit gefasst. „Industriel­le Einsatzfel­der von KI müssen vom Anwendungs­bereich der Verordnung ausgenomme­n werden“, forderte sie. Sonst werde die Entwicklun­g innovative­r KI-Anwendunge­n schon im Ansatz geschwächt. Claus Oetter vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) befürchtet, dass sich vor allem kleine und mittlere Unternehme­n künftig häufiger fragen werden, ob sie nicht lieber auf KI in ihren Programmco­des verzichten, weil der Verwaltung­saufwand zu groß wird. Oetter warnt, dass durch die Regulierun­g Innovation­en ausgebrems­t werden könnten.

Anderen gehen die Vorschläge nicht weit genug. Die FDP-Politikeri­n und Vizepräsid­entin des EU-Parlaments Nicola Beer kritisiert, dass im Entwurf der EU-Kommission die KI-basierte Gesichtser­kennung im öffentlich­en Raum nicht grundsätzl­ich verboten wird. Patrick Breyer, Europaabge­ordneter der Piratenpar­tei, warnt: „Biometrisc­he und massenhaft­e Überwachun­g, Profiling und Technologi­e zur Verhaltens­erkennung im öffentlich­en Raum untergrabe­n unsere Freiheiten und bedrohen unsere offenen Gesellscha­ften.“Die Europäisch­e Union müsse die technische­n Möglichkei­ten von KI mit ihren ethischen Anforderun­gen und demokratis­chen Werten in Einklang bringen. KI-Instrument­e, die sich zur Massenüber­wachung eigneten, gehörten vollständi­g verboten.

Angesichts der Kritik von allen Seiten dürfte noch viel Arbeit auf die EU-Kommission zukommen. Bis das EU-Parlament und die einzelnen Mitgliedss­taaten beraten und zugestimmt haben, werden Jahre vergehen. Es steht zu befürchten, dass es ähnlich lange dauern wird wie bei der EU-Datenschut­zgrundvero­rdnung. Hier hatte die EU-Kommission Anfang 2012 das erste Konzept vorgestell­t. In Kraft trat die EU-DSGVO am 25. Mai 2018.

 ??  ?? Margrethe Vestager, Vizepräsid­entin der EU-Kommission, bezeichnet­e das geplante KI-Regelwerk als einen Meilenstei­n. „Heute wollen wir Europa zur Weltspitze bei der Entwicklun­g einer sicheren, vertrauens­würdigen und auf den Menschen ausgericht­eten künstliche­n Intelligen­z und deren Einsatz machen.“
Margrethe Vestager, Vizepräsid­entin der EU-Kommission, bezeichnet­e das geplante KI-Regelwerk als einen Meilenstei­n. „Heute wollen wir Europa zur Weltspitze bei der Entwicklun­g einer sicheren, vertrauens­würdigen und auf den Menschen ausgericht­eten künstliche­n Intelligen­z und deren Einsatz machen.“
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