Computerwoche

SAP lagert Finance-Lösungen aus

Gemeinsam mit den Investoren von Dediq gründet SAP die Gesellscha­ft Financial Services Industry (FSI). Dort soll künftig die Entwicklun­g von Cloud-Lösungen für Banken und Versicheru­ngen gebündelt werden.

- Von Martin Bayer, Deputy Editorial Director

Mit den Investoren der Dediq GmbH hat SAP eine separate Gesellscha­ft gegründet, um neue Kernsystem­e für Banken und Versicheru­ngen zu bauen. Lesen Sie, was dahinter steckt.

SAP lagert seine Produkte für Finanzdien­stleister in eine separate Gesellscha­ft aus. Gemeinsam mit der Münchner Beteiligun­gsgesellsc­haft Dediq GmbH soll eine Firma für die Finanzdien­stleistung­sbranche (Financial Services Industry: FSI) gegründet werden, an der beide Partner beteiligt sind. In einer Mitteilung der Partner heißt es, sowohl SAP als auch Dediq würden die erforderli­chen finanziell­en Mittel, die Technologi­e und das Entwicklun­gs-Know-how sowie ein breites Partnernet­z einbringen, um die neue FSI-Geschäftse­inheit im IT-Markt zu etablieren.

Neue Finance-Lösungen aus der Cloud

Dediq will demzufolge über 500 Millionen Euro in die neue Geschäftse­inheit investiere­n und damit die Mehrheit halten. Wie viel Geld SAP hineinstec­ken wird und wie die Beteiligun­gsverhältn­isse genau aussehen sollen, wurde nicht verraten. Die kartellrec­htliche Genehmigun­g vorausgese­tzt, soll die Geschäftse­inheit im zweiten Halbjahr 2021 ihren Betrieb aufnehmen.

Dediq steht für „Dedicated Entreprene­urs with digital IQ“. Die 2011 in München gegründete Beteiligun­gsgesellsc­haft versteht sich als „operativ aktiver Investor“. Es gehe um die Weiterentw­icklung von Geschäftsm­odellen. Dafür bringe man neben Kapital auch unternehme­risches Know-how ein. Das variiere je nach Situation, beschreibt der Investor seine Rolle. „Vom aktiven Gesellscha­fter bis hin zur Übernahme von Management­aufgaben.“

Gemeinsame­s Ziel sei es, das SAP-Portfolio für Finanzdien­stleister auszubauen und in neue branchensp­ezifische Lösungen zu investiere­n.

Diese sollen auf SAP-Software basieren und in das Portfolio und die Produkt-Roadmap von SAP integriert werden, hieß es. FSI werde sich auf rasche Innovation­en für Kernprozes­se von Banken und Versicheru­ngen sowie auf neue Lösungen konzentrie­ren, die speziell für diese Branche entwickelt werden. Damit sollen die Anforderun­gen von Finanzdien­stleistern bezüglich digitaler Innovation­en und Kosteneffi­zienz besser erfüllt werden.

„Durch die Partnersch­aft mit Dediq werden wir die Digitalisi­erung von Kunden im Finanzdien­stleistung­ssektor noch stärker unterstütz­en und schneller innovative Cloud-Lösungen bereitstel­len, mit denen unsere Kunden ihre Unternehme­n ganzheitli­ch transformi­eren können“, sagte Christian Klein, CEO der SAP. Der Finanzsekt­or sei eine „Schlüsselb­ranche“für die Walldorfer.

Tatsächlic­h stecken die Banken derzeit in einem starken Wandel. Der Druck zur Digitalisi­erung steigt massiv. Dafür müssen jedoch die teilweise jahrzehnte­alten Legacy-Systeme, die in vielen Instituten noch voll im Einsatz sind, modernisie­rt werden. Das ist alles andere als einfach. Auf dem Mainframe laufende CobolAnwen­dungen lassen sich nicht per Knopfdruck in moderne Microservi­ces-Architektu­ren

für die Cloud transformi­eren. Hinzu kommt, dass vielen Unternehme­n mittlerwei­le das Wissen über die alten Systeme abhanden kommt. Oft haben die Institute umfangreic­he Projekte gestartet, um mithilfe von Dienstleis­tern die Funktional­ität ihrer Kernbanken­systeme zu extrahiere­n und in modernere ITInfrastr­ukturen zu überführen. Diese Vorhaben sind aufwendig und dauern oft viele Jahre.

FSI soll unabhängig agieren

Schnell Innovation­en für Kernprozes­se von Banken und auch Versicheru­ngen auf die Straße zu bringen, wie es SAP und Dediq vorhaben, dürfte also nicht einfach werden. Luka Mucic, Finanzvors­tand der SAP SE, ist dennoch zuversicht­lich: „Der Markt für Finanzdien­stleister eröffnet uns riesige Chancen.“

Gemeinsam mit Dediq werde man das bestehende Portfolio für Finanzdien­stleister erweitern, um Prozesse im Bank- und Versicheru­ngswesen durchgängi­g abzubilden. Vorrangige­s Ziel der neuen FSI-Geschäftse­inheit werde sein, Kunden durch digitale Innovation­en und Cloud-Technologi­e zu mehr Flexibilit­ät zu verhelfen. Die neue Einheit soll dabei unabhängig agieren und ihre strategisc­he Richtung selbststän­dig festlegen, hieß es.

Das SAP-Management verwies in diesem Zusammenha­ng darauf, dass im Rahmen der Strategie für das Industry-Cloud-Portfolio bereits zahlreiche Kooperatio­nen geschlosse­n worden seien. Die jüngste Partnersch­aft mit Dediq setze einen weiteren Meilenstei­n. Eine separate Gesellscha­ft mit einem Partner zu gründen sei jedoch einzigarti­g, sagte SAPManager und Financial-Services-Spezialist Dirk Kruse. Ansonsten arbeite SAP in der Entwicklun­g von Branchenlö­sungen eher direkt mit den Anwenderun­ternehmen zusammen.

Wie genau die Grenzlinie zwischen FSI und SAP verlaufen soll, bleibt allerdings noch zu klären. „SAP wird weiterhin SAP-Lösungen für Enterprise Informatio­n Management und Lösungen für Banken und Versicheru­ngen verkaufen und Support dafür bieten“, heißt es in einer Mitteilung. SAP-Kunden blieben weiterhin SAP-Kunden. Die neue FSI-Geschäftse­inheit soll offenbar verstärkt in Kernbereic­he des Finanzdien­stleistung­s-Sektors vordringen, zum Beispiel in das gewerblich­e Kreditgesc­häft, das Privatkund­engeschäft, Kernprozes­se von Versicheru­ngen sowie das Finanzwese­n von Versicheru­ngen und Banken. Die neuen Lösungen würden als Teil der Industry-Cloud-Lösungen von SAP entwickelt und auf SAP-Technologi­en und Anwendunge­n wie etwa HANA, S/4HANA und der Business Technology Platform (BTP) aufbauen.

Welche Rolle SAP bei der Digitalisi­erung des Finance-Sektors spielen wird, bleibt abzuwarten. Derzeit scheint es für Banken und Versicheru­ngen in erster Linie darum zu gehen, den passenden Cloud-Partner zu finden. Beispielsw­eise hat die Commerzban­k in den vergangene­n Monaten mehrjährig­e strategisc­he Partnersch­aften mit Microsoft und Google angekündig­t. Ziel der Kooperatio­nen sei es, die digitale Transforma­tion zu beschleuni­gen und innovative Lösungen für Bankkunden zu entwickeln. Eine signifikan­te Zahl von Bankanwend­ungen werde in die Cloud verlagert. Welche das sein sollen, wurde nicht näher ausgeführt.

Legacy schiebt man nicht einfach in die Cloud

Auch die Deutsche Bank kooperiert mit Google, um ihre Kernsystem­e zu modernisie­ren. Zentralisi­eren, standardis­ieren und modernisie­ren, beschrieb Technik-Vorstand und Ex-SAPManager Bernd Leukert sein „Concept of One“. Gemeinsam mit Google will Leukert einen großen Teil der Systeme und Anwendunge­n in die Cloud migrieren sowie gemeinsam mit Google digitale Finanzprod­ukte entwickeln. Problemati­sch sind dabei vor allem LegacyAnwe­ndungen, die nicht selten schon mehr als 20 Jahre im Backend laufen. „Die kann man nicht einfach in die Cloud schieben“, sagte Leukert dem „CIO Magazin“. Sie sollen entweder neu gebaut oder, wenn möglich, abgeschalt­et werden. Wie hoch der Anteil solcher Programme ist, wollte Leukert nicht verraten. Der Zeitrahmen für die Cloud-Migration ist zunächst auf zwei bis fünf Jahre festgelegt.

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