SAP lagert Finance-Lösungen aus
Gemeinsam mit den Investoren von Dediq gründet SAP die Gesellschaft Financial Services Industry (FSI). Dort soll künftig die Entwicklung von Cloud-Lösungen für Banken und Versicherungen gebündelt werden.
Mit den Investoren der Dediq GmbH hat SAP eine separate Gesellschaft gegründet, um neue Kernsysteme für Banken und Versicherungen zu bauen. Lesen Sie, was dahinter steckt.
SAP lagert seine Produkte für Finanzdienstleister in eine separate Gesellschaft aus. Gemeinsam mit der Münchner Beteiligungsgesellschaft Dediq GmbH soll eine Firma für die Finanzdienstleistungsbranche (Financial Services Industry: FSI) gegründet werden, an der beide Partner beteiligt sind. In einer Mitteilung der Partner heißt es, sowohl SAP als auch Dediq würden die erforderlichen finanziellen Mittel, die Technologie und das Entwicklungs-Know-how sowie ein breites Partnernetz einbringen, um die neue FSI-Geschäftseinheit im IT-Markt zu etablieren.
Neue Finance-Lösungen aus der Cloud
Dediq will demzufolge über 500 Millionen Euro in die neue Geschäftseinheit investieren und damit die Mehrheit halten. Wie viel Geld SAP hineinstecken wird und wie die Beteiligungsverhältnisse genau aussehen sollen, wurde nicht verraten. Die kartellrechtliche Genehmigung vorausgesetzt, soll die Geschäftseinheit im zweiten Halbjahr 2021 ihren Betrieb aufnehmen.
Dediq steht für „Dedicated Entrepreneurs with digital IQ“. Die 2011 in München gegründete Beteiligungsgesellschaft versteht sich als „operativ aktiver Investor“. Es gehe um die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen. Dafür bringe man neben Kapital auch unternehmerisches Know-how ein. Das variiere je nach Situation, beschreibt der Investor seine Rolle. „Vom aktiven Gesellschafter bis hin zur Übernahme von Managementaufgaben.“
Gemeinsames Ziel sei es, das SAP-Portfolio für Finanzdienstleister auszubauen und in neue branchenspezifische Lösungen zu investieren.
Diese sollen auf SAP-Software basieren und in das Portfolio und die Produkt-Roadmap von SAP integriert werden, hieß es. FSI werde sich auf rasche Innovationen für Kernprozesse von Banken und Versicherungen sowie auf neue Lösungen konzentrieren, die speziell für diese Branche entwickelt werden. Damit sollen die Anforderungen von Finanzdienstleistern bezüglich digitaler Innovationen und Kosteneffizienz besser erfüllt werden.
„Durch die Partnerschaft mit Dediq werden wir die Digitalisierung von Kunden im Finanzdienstleistungssektor noch stärker unterstützen und schneller innovative Cloud-Lösungen bereitstellen, mit denen unsere Kunden ihre Unternehmen ganzheitlich transformieren können“, sagte Christian Klein, CEO der SAP. Der Finanzsektor sei eine „Schlüsselbranche“für die Walldorfer.
Tatsächlich stecken die Banken derzeit in einem starken Wandel. Der Druck zur Digitalisierung steigt massiv. Dafür müssen jedoch die teilweise jahrzehntealten Legacy-Systeme, die in vielen Instituten noch voll im Einsatz sind, modernisiert werden. Das ist alles andere als einfach. Auf dem Mainframe laufende CobolAnwendungen lassen sich nicht per Knopfdruck in moderne Microservices-Architekturen
für die Cloud transformieren. Hinzu kommt, dass vielen Unternehmen mittlerweile das Wissen über die alten Systeme abhanden kommt. Oft haben die Institute umfangreiche Projekte gestartet, um mithilfe von Dienstleistern die Funktionalität ihrer Kernbankensysteme zu extrahieren und in modernere ITInfrastrukturen zu überführen. Diese Vorhaben sind aufwendig und dauern oft viele Jahre.
FSI soll unabhängig agieren
Schnell Innovationen für Kernprozesse von Banken und auch Versicherungen auf die Straße zu bringen, wie es SAP und Dediq vorhaben, dürfte also nicht einfach werden. Luka Mucic, Finanzvorstand der SAP SE, ist dennoch zuversichtlich: „Der Markt für Finanzdienstleister eröffnet uns riesige Chancen.“
Gemeinsam mit Dediq werde man das bestehende Portfolio für Finanzdienstleister erweitern, um Prozesse im Bank- und Versicherungswesen durchgängig abzubilden. Vorrangiges Ziel der neuen FSI-Geschäftseinheit werde sein, Kunden durch digitale Innovationen und Cloud-Technologie zu mehr Flexibilität zu verhelfen. Die neue Einheit soll dabei unabhängig agieren und ihre strategische Richtung selbstständig festlegen, hieß es.
Das SAP-Management verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass im Rahmen der Strategie für das Industry-Cloud-Portfolio bereits zahlreiche Kooperationen geschlossen worden seien. Die jüngste Partnerschaft mit Dediq setze einen weiteren Meilenstein. Eine separate Gesellschaft mit einem Partner zu gründen sei jedoch einzigartig, sagte SAPManager und Financial-Services-Spezialist Dirk Kruse. Ansonsten arbeite SAP in der Entwicklung von Branchenlösungen eher direkt mit den Anwenderunternehmen zusammen.
Wie genau die Grenzlinie zwischen FSI und SAP verlaufen soll, bleibt allerdings noch zu klären. „SAP wird weiterhin SAP-Lösungen für Enterprise Information Management und Lösungen für Banken und Versicherungen verkaufen und Support dafür bieten“, heißt es in einer Mitteilung. SAP-Kunden blieben weiterhin SAP-Kunden. Die neue FSI-Geschäftseinheit soll offenbar verstärkt in Kernbereiche des Finanzdienstleistungs-Sektors vordringen, zum Beispiel in das gewerbliche Kreditgeschäft, das Privatkundengeschäft, Kernprozesse von Versicherungen sowie das Finanzwesen von Versicherungen und Banken. Die neuen Lösungen würden als Teil der Industry-Cloud-Lösungen von SAP entwickelt und auf SAP-Technologien und Anwendungen wie etwa HANA, S/4HANA und der Business Technology Platform (BTP) aufbauen.
Welche Rolle SAP bei der Digitalisierung des Finance-Sektors spielen wird, bleibt abzuwarten. Derzeit scheint es für Banken und Versicherungen in erster Linie darum zu gehen, den passenden Cloud-Partner zu finden. Beispielsweise hat die Commerzbank in den vergangenen Monaten mehrjährige strategische Partnerschaften mit Microsoft und Google angekündigt. Ziel der Kooperationen sei es, die digitale Transformation zu beschleunigen und innovative Lösungen für Bankkunden zu entwickeln. Eine signifikante Zahl von Bankanwendungen werde in die Cloud verlagert. Welche das sein sollen, wurde nicht näher ausgeführt.
Legacy schiebt man nicht einfach in die Cloud
Auch die Deutsche Bank kooperiert mit Google, um ihre Kernsysteme zu modernisieren. Zentralisieren, standardisieren und modernisieren, beschrieb Technik-Vorstand und Ex-SAPManager Bernd Leukert sein „Concept of One“. Gemeinsam mit Google will Leukert einen großen Teil der Systeme und Anwendungen in die Cloud migrieren sowie gemeinsam mit Google digitale Finanzprodukte entwickeln. Problematisch sind dabei vor allem LegacyAnwendungen, die nicht selten schon mehr als 20 Jahre im Backend laufen. „Die kann man nicht einfach in die Cloud schieben“, sagte Leukert dem „CIO Magazin“. Sie sollen entweder neu gebaut oder, wenn möglich, abgeschaltet werden. Wie hoch der Anteil solcher Programme ist, wollte Leukert nicht verraten. Der Zeitrahmen für die Cloud-Migration ist zunächst auf zwei bis fünf Jahre festgelegt.