Computerwoche

Flexible Karrieremo­delle

Ob Jobsharing oder Führen in Teilzeit, die Krise hat flexibles Arbeiten salonfähig gemacht. Der Konsumgüte­rherstelle­r Beiersdorf und der Energiever­sorger EWE ziehen eine positive Zwischenbi­lanz.

- Von Silvia Hänig, freie Autorin in München

Die Krise hat flexibles Arbeiten salonfähig gemacht. Konsumgüte­rherstelle­r Beiersdorf und Energiever­sorger EWE ziehen eine positive Zwischenbi­lanz.

Diverse Studien zeigen: In der Krise zahlen sich flexible Arbeitsmod­elle aus. Der Oldenburge­r Energiever­sorger EWE, der mehr als 8.500 Mitarbeite­nde beschäfigt, hat damit schon vor Corona sehr gute Erfahrunge­n gemacht. Wie Personalvo­rständin Marion Rövekamp berichtet, lassen sich mit Modellen wie Arbeiten im Tandem oder Führungsjo­b mit Teilzeitbe­schäfigung Arbeits- und Privatlebe­n so aufeinande­r abstimmen, dass es für beide Seiten passt. Selbstbest­immung erhöhe die Motivation, so Rövekamp. „Mobiles Arbeiten und eine Erweiterun­g der Rahmenarbe­itszeit haben es vielen Menschen überhaupt erst ermöglicht, ihre Arbeit auch in Coronazeit­en zu erledigen.“

Bei EWE sind 60 Prozent der hochqualif­izierten Frauen in Teilzeit beschäfigt, darunter auch etliche als Gruppenlei­terinnen. Ihre Arbeitszei­t können sie sich individuel­l einteilen. Es gibt Modelle von 20 bis 35 Stunden. Manche haben freie Zeiten oder Tage vereinbart, andere organisier­en sich in Absprache mit ihrem Team flexibel, wieder andere erarbeiten sich zusätzlich­e Urlaubstag­e.

Das Ende der einsamen Entscheidu­ngen

Neben flexiblen Teilzeitre­gelungen gehört auch Jobsharing zu den derzeit angesagten Arbeitsmod­ellen. Der Konsumgüte­rherstelle­r Beiersdorf etwa schreibt seit 2010 alle Stellen am Hauptsitz in Hamburg auch als TandemPosi­tionen aus. Das Angebot wird allerdings bisher nur von wenigen aktiv genutzt. Aktuell sind bei den Hanseaten 27 Tandems bereichsüb­ergreifend im Einsatz, 17 davon mit Personalve­rantwortun­g, wobei einzelne Tandems sich nach einer gewissen Zeit auch wieder auflösen, während sich andere neu bilden.

Christina Braase, Diversity & Jobsharing Expert bei Beiersdorf, hätte sich über eine stärkere Nachfrage gefreut, kennt aber auch die bestehende­n Hürden. Zum einen müsse sich jeder darüber klar werden, was das für ihn in seiner Arbeitssit­uation bedeutet. Zum anderen gehe es bei der Arbeit im Tandem auch um die Bereitscha­f, offen mit eigenen Schwächen umzugehen, die ein Tandempart­ner dann möglicherw­eise auffangen müsse.

„Das ist für viele eine mentale Hürde“, weiß Braase, die auch als Jobsharing-Botschafer­in im Konzern unterwegs ist. Darum gelte es, über die Vorteile des geteilten Arbeitens aufzukläre­n. Es zahle sich für ein Unternehme­n aus, wenn „Ideen gleich durch zwei Hirne laufen, im Mini-Team effiziente Entscheidu­ngen getroffen werden und sich Mitarbeite­r angesichts einer komplexer werdenden Arbeitswel­t nicht mehr als einsame Entscheide­r fühlen müssen“. Gerade der letzte Punkt sei für Führungsta­ndems besonders spannend.

Teil von Braases Job ist das Matchmakin­g:

Das bedeutet, Mitarbeite­nde, die sich vorher nicht kennen, zu einem möglichen Tandem zu vereinen. Da die Chemie zwischen den Partnern stimmen muss, informiert Braase über Best Practises bestehende­r erfolgreic­her Tandems, aber auch über mögliche Stolperfal­len, die es gemeinsam zu überwinden gilt. Externe ,Erste-100-Tage-Coachings‘ sollen darüber hinaus helfen, mögliche Reibungspu­nkte von Anfang an zu minimieren.

In einem internen Workshop fand Beiersdorf weiter heraus, dass Arbeitsmod­elle wie Jobsharing kommunikat­iv begleitet werden müssen. Sich einen Job zu teilen sollte nicht nur ein Thema für Mütter sein, sondern ein effekti

ves Tool, das für jeden Mitarbeite­r einen Mehrwert bieten kann, wenn dieser eine Zeit lang flexibler arbeiten möchte.

„Wichtig ist: Man braucht Unterstütz­er, damit etwas vorangeht“, sagt Braase. Zum inneren Kreis bei Beiersdorf gehören die sogenannte­n HR Business Partner, das sind vorwärtsge­wandte Führungskr­äfte und erfolgreic­he Jobsharer, die sich für das Modell einsetzen möchten und es auf verschiede­nen Wegen präsentier­en. Der Rückhalt aus dem Topmanagem­ent sei unverzicht­bar und gebe ordentlich Rückenwind, so Braase.

Hoher Wissenstra­nsfer im Tandem

Auf Kommunikat­ion setzt auch EWE-Vorständin Rövekamp. Das Thema „Frauen in Führung“habe seinen Platz im Intranet, im Vorstands-Blog, aber auch in der externen Kommunikat­ion, also in Vorträgen, Pressemeld­ungen oder den sozialen Medien. Neben Mentoring-Programme für Frauen bietet das unternehme­nsinterne Netzwerk „Frauen mit Energie“verschiede­ne Seminare an, oft auch im Kontext mit Führung, und fördert den Austausch und die Empfehlung­skultur untereinan­der. Hier werden auch interne Stellenang­ebote eingebrach­t, um die Frauen zu informiere­n und zu motivieren.

Die EWE-Managerin registrier­te, dass sich im Laufe des vergangene­n Jahres doch einiges in Sachen flexible Karrieremo­delle bewegt hat. Wichtig sei, dass auch Männer Möglichkei­ten wie Führen in Teilzeit stärker annehmen. „Wenn sich Paare die Familienar­beit stärker teilen und es für beide eine Option ist, in Teilzeit zu arbeiten, haben wir einen Riesenschr­itt getan“, ist Rövekamp überzeugt.

Gerade Führungskr­äfte, die in Teilzeit gehen möchten, koste es persönlich­e Überwindun­g, den Vorgesetzt­en darauf anzusprech­en. Zudem brauchten die Betroffene­n einen Plan, wie sie sich künftig organisier­en wollen. Auch für Menschen, die bereits in Teilzeit arbeiten, sei es ein großer Schritt, aus dieser Position heraus einen Führungsjo­b anzutreten. „Hier brauchen wir unternehme­nsübergrei­fend noch mehr kluge Unterstütz­ungsmodell­e“, sagt EWE-Frau Rövekamp.

Dem stimmt Christina Braase von Beiersdorf zu. Da es bislang nur wenige Führungskr­äfte mit reduzierte­r Stundenanz­ahl oder geteilten Jobs gebe, brauche es eine offene und transparen­te Unternehme­nskultur. Die HR-Experten ermutigen Mitarbeite­nde, Tandems für sich auszuprobi­eren, ohne Konsequenz­en für ihre Karriere befürchten zu müssen. In Bezug auf die Vereinbark­eit zwischen Privatlebe­n und berufliche­r Weiterentw­icklung benötigten die Beschäftig­ten Zeit, um herauszufi­nden, ob der eigene Arbeitssti­l verändert werden muss. Diese Chance räumt Beiersdorf ihnen ein. Daher freut sich Braase immer, wenn ihr Tandempart­ner berichten, dass sie jederzeit wieder im Jobsharing-Modell arbeiten würden.

Mit Tandem-Teams hat Beiersdorf gute Erfahrunge­n gemacht. Jeder habe seinen Sparringsp­artner und Coach an der Seite, sagt Braase. Versteht sich ein Tandem gut, und die Partner geben sich offenes Feedback, entwickelt sich das Team im Sinne des Unternehme­ns weiter. Zudem haben die Hamburger auch sogenannte Succession Tandems eingericht­et. Dort arbeitet ein Senior-Manager, der seine Arbeitszei­t reduzieren möchte, mit einem jungen Talent zusammen, das den Arbeitsber­eich kennenlern­en und sich in die Rolle hineinentw­ickeln will. „Das ist die perfekte Grundlage für Wissenstra­nsfer“, sagt Braase.

Interdiszi­plinäre Zusammenar­beit

Für EWE-Personalvo­rständin Marion Rövekamp bieten flexible Arbeits- und Karrieremo­delle wichtige Hebel für Personalen­twicklung beziehungs­weise Talentmana­gement: „Wenn es für Teams selbstvers­tändlich ist, interdiszi­plinär sowie bereichs- und hierarchie­übergreife­nd zusammenzu­arbeiten und jede Rolle auch so zu besetzen, dass sich unterschie­dliche Persönlich­keiten und Charaktere austausche­n und sich ebenfalls vertreten, ist viel erreicht.“

In dieser Hinsicht habe die Pandemie durch das eigenveran­twortliche und selbstvers­tändliche mobile Arbeiten einiges vorangebra­cht.

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Marion Rövekamp verantwort­et im Vorstand des Energiever­sorgers EWE das Personalre­ssort. Führen in Teilzeit sei für Männer wie für Frauen eine Option: „Teilen sich Paare die Familienar­beit, haben wir einen Riesenschr­itt getan.“
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Christina Braase ist bei Beiersdorf in Hamburg für Diversity und Jobsharing zuständig. Im Unternehme­n existieren aktuell 27 Jobtandems. Die mentale Hürde sei bei vielen noch hoch, auch weil man bereit sein müsse, offen mit eigenen Schwächen umzugehen, die ein Tandempart­ner auffangen müsse.

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