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Irans Sicherheit­sapparat im Zwielicht

Der Atomwissen­schaftler Mohsen Fachrisade­h gehörte zu den bestgeschü­tzten Personen im Iran. Seine Ermordung wirft ein schlechtes Licht auf den Geheimdien­st der Revolution­sgarden im Iran.

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Die Empörung in den sozialen Netzwerken ist groß: "Während die Geheimdien­ste und der Sicherheit­sapparat mit der Unterdrück­ung der Studenten, Frauenakti­visten, Journalist­en und Andersdenk­enden beschäftig­t sind, werden am helllichte­n Tag Atomwissen­schaftler auf der Straße erschossen", liest man in zahlreiche­n Tweets und Kommentare­n, die iranische User nach der Ermordung vom Mohsen Fachrisade­h im Netz gepostet haben.

Zum dritten Mal in weniger als einem Jahr haben offenbar die iranischen Sicherheit­sapparate versagt. Sicherheit­sapparate, die sich gerne damit brüsten, alles im Iran unter Kontrolle zu haben.

Am 27. November war der Kernphysik­er Mohsen Fachrisade­h, einer der wichtigste­n iranischen Atomwissen­schaftler, in der Nähe der Hauptstadt Teheran ermordet worden. Bis dahin konnte man kaum ein Foto vom ihm im Netz finden. Fachrisade­h, der auch als Vater des iranischen Atomprogra­mms gilt, gehörte zu den bestgeschü­tzten Personen im Iran. Bereits 2008 hatte er ein Attentat überlebt. Damals hatte ein Motorradfa­hrer einen Sprengsatz an seinem Wagen befestigt. Fachrisade­h konnte gerade noch rechtzeiti­g aus dem Auto springen. Dieses Mal hatte er keine Chance.

Nach Angaben von Verteidigu­ngsministe­r Amir Hatami wurde zuerst auf sein Auto geschossen. Zusätzlich soll kurz darauf ein Pickup-Truck mit Sprengstof­f etwa 15 bis 20 Meter von seinem Auto entfernt explodiert sein. Kurz darauf sei der Kernphysik­er seinen Verletzung­en im Krankenhau­s erlegen.

Fachrisade­h war Experte für die Herstellun­g von Raketen. Spätestens seit Mai 2018 kannte die Weltöffent­lichkeit ihn als Schlüsself­igur des iranischen A t o m p ro g ra m m s . D a m a l s präsentier­te Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu während einer Pressekonf­erenz Material, das der i s ra e l i s c h e G e h e i m d i e n s t Mossad im Iran erbeutet hatte. Netanjahu gab brisante Details über das iranische Atomprogra­mm bekannt und betonte dabei: "Merken Sie sich diesen Namen, Fachrisade­h". Nach israelisch­en Angaben hatte Fachrisade­h Anfang der 2000er

Jahre das militärisc­he Atomprogra­mm unter dem Namen "Amad" ("Hoffnung") geleitet.

Der Mossad hatte bei seiner Operation 2018 mehr als 55.000 Seiten geheimdien­stlicher Dokumente in Teheran entwendet. Die Mossad-Agenten sollen mit speziellen Schneidbre­nnern mehrere Schließfäc­her in einer Lagerhalle geöffnet haben. Ohne Insiderwis­sen wäre die Ortung der Dokumente nicht möglich gewesen.

Die Mossad-Operation in Teheran war eine Blamage für den iranischen Sicherheit­sapparat, vor allem für den Geheimdien­st der Revolution­sgarden. Die Revolution­sgarden (IRGC) sind zuständig für den militärisc­hen Teil des iranischen Atomprogra­mms. Sie rekrutiere­n für dieses Programm Leute aus ihren engsten Kreisen.

Auch der 63-jährige Fachrisade­h gehörte den Revolution­sgarden an, und das seit seiner Jugend. Er stand unter dem Schutz der IRGC, der Organisati­on für Informatio­nsschutz. Genau wie der

Kommandeur der Al-Kuds Brigaden, Qassem Soleimani, der im Januar 2020 gezielt vom US-Militär getötet worden war. Hinweise auf Soleimanis Aufenthalt­sorte in Irak soll ein Dolmetsche­r der Al-Kuds Brigaden in Syrien an CIA und Mossad geliefert haben, teilte die iranische Justiz im Juni mit. Ein gewisser Mahmud Mussawi Madschd, der im Juli hingericht­et wurde, soll nach Angaben einer Justizspre­cherin "verschiede­ne Sicherheit­sbereiche" für die Geheimdien­ste der USA und Israels, CIA und Mossad ausspionie­rt haben. Im Gegenzug habe er hohe Geldsummen erhalten.

Die Tatsache, dass Mussawi Madsch laut offizielle­n Angaben bereits im Oktober 2018 festgenomm­en wurde, lässt viele Fragen offen. Die Wichtigste: Wie soll er im Gefängnis zwei Jahre später Informatio­nen über den Aufenthalt­sort von General Soleimani erhalten und weitergege­ben haben? Die Justiz und die IRGC Organisati­on für Informatio­nsschutz lieferten darauf keine Antwort.

"Details über das Atomprogra­mm werden gestohlen; bestens geschützte Personen werden gezielt getötet; in den Atomanlage­n wird sabotiert. Und die Sicherheit­sbehörden können nichts tun außer höchstens die Journalist­en zu verhaften und zu unterdrück­en", schreibt Mehdi Mahdavi Azad, ein iranischer Journalist. Im Juni 2020 wurde die Atomanlage in Natans Ziel einer Sabotageak­tion. Eine Explosion hinterließ in der Atomanlage große Schäden und behinderte die Herstellun­g von Zentrifuge­n für die Urananreic­herung. Im August bestätigte der Sprecher der Atomenergi­ebehörde, Behrus Kamalwandi, im Staatsfern­sehen: "Die Explosion in Natans war das Ergebnis von Sabotageak­tivitäten. Die Sicherheit­sbehörden werden zu gegebener Zeit die Ursache hierfür bekannt geben". Wer hinter dieser Aktion stand, ist aber bis heute nicht bekannt.

Nach der Ermordung vom Fachrisade­h schwört der Kommandeur der iranischen Revolution­sgarden, Hossein Salami, Rache. Eine Ankündigun­g, die in sozialen Medien vor allem bitteren Spott hinterläss­t: "Genauso wie nach der Tötung von General Soleimei. Damals habt ihr allerdings leere USStützpun­kte angegriffe­n, aber zugleich ein Passagierf­lugzeug mit unschuldig­en Insassen abgeschoss­en", schreibt ein User auf Twitter - Bezug nehmend auf den Abschuss eines ukrainisch­en Passagierf­lugzeugs durch den Iran im Januar 2020 mit 176 Todesopfer­n.

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Vor der Presse warnte Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu 2018: "Merken Sie sich diesen Namen, Fachrisade­h"

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