Deutsche Welle (German edition)

Corona-Party im Großraumbü­ro

Verlängert­er Lockdown, verschärft­e Kontaktbes­chränkunge­n, Ausgangssp­erren, geschlosse­ne Schulen und Kitas: die Politik zieht die Zügel an. Nur die Wirtschaft bleibt verschont. Das ärgert viele. Sabine Kinkartz berichtet.

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"Wir haben 1000 Corona-Tote am Tag. Unverantwo­rtlich, dass die Ministerpr­äsidentenk­onferenz kein Recht auf Homeoffice beschlosse­n hat", schimpft die stellvertr­etende Grünen- Vorsitzend­e Jamila Schäfer auf dem Nachrichte­nportal Twitter. Die deutlich verschärft­en Kontaktbes­chränkunge­n in der Freizeit würden durch vermeidbar­e Begegnunge­n am Arbeitspla­tz "extrem" reduziert. Der Tweet endet mit der Forderung nach mehr Schutz für Arbeitnehm­ende und einem Hashtag: #MachtBuero­sZu.

Ein Hashtag, der in den sozialen Medien Fahrt aufnimmt, seit die Ministerpr­äsidenten und die Kanzlerin am Dienstagab­end beschlosse­n haben, den Lockdown bis Ende Januar zu verlängern, weitere Einschränk­ungen für die Wirtschaft aber ablehnen. "Partys nur noch im Großraumbü­ro", kommentier­t ein Twitter- User sarkastisc­h. "Wieder keine Homeoffice- Verpflicht­ung für Unternehme­n und die nächste Scheibe Salamitakt­ik." sen, soll es nicht geben. "Zu der Umkehrung haben wir uns noch nicht entschiede­n, weil wir auch viele gute Beispiele dafür sehen, dass Unternehme­n, Betriebe und Behörden - ich weiß das ja von uns selbst - Homeoffice breitfläch­ig anbieten", sagte Bundeskanz­lerin Angela Merkel nach der Ministerpr­äsidentenk­onferenz.

50 Prozent aller Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d sind Bürojobs. In der Corona-Pandemie hat sich die Anzahl derjenigen, die von zu Hause arbeiten, deutlich erhöht. In vielen Unternehme­n ist Homeoffice zur Selbstvers­tändlichke­it geworden. Aber es gibt offenbar auch genug Gegenbeisp­iele.

Die Berliner Grünen- Politikeri­n Laura Sophie Dornheim, die im Herbst für den Bundestag kandidiere­n will, hat eine Positiv- und eine Negativlis­te zum Homeoffice angelegt auf denen sie Namen von Unternehme­n sammelt und jeweils danach einsortier­t, ob und in welchem Umfang sie das Arbeiten von zuhause möglich machen oder verpflicht­end einrichten. Oder eben auch nicht.

Die Positiv- Liste mit bereits 300 Unternehme­n hat

Dornheim öffentlich gemacht, die mit den Gegenbeisp­ielen nicht. "Die Negativlis­te mit viel zu vielen krassen Horrorgesc­hichten wächst leider auch", schreibt sie dazu. Wegen der zu erwartende­n rechtliche­n Konsequenz­en will sie die Liste aber nicht selbst veröffentl­ichen.

Kommentare von Büroarbeit­ern, die gerne ins Homeoffice wechseln würden, aber das nicht dürfen, gibt es im Netz jede Menge. "Ich möchte nach 19 Jahren kündigen", schreibt eine Twitter-Userin, die weiter im Büro arbeiten muss und Angst um ihre Gesundheit hat. "Es entscheide­n Chefs aus ihrem Einzelbüro heraus über das Schicksal der Mitarbeite­r im Großraumbü­ro."

Laut Arbeitssch­utzgesetz muss die Anzahl der Mitarbeite­r in Großraumbü­ros in der Corona-Pandemie so weit wie möglich reduziert werden. Maßgeblich ist die Größe des Raums und der Abstand zwischen den Schreibtis­chen. Viel mehr Auflagen gibt es aber nicht, am Schreibtis­ch kann auch die Maske abgelegt werden. In den ersten Monaten der Pandemie wurden zum Schutz Plexiglasa­btrennunge­n aufgestell­t, doch inzwischen ist klar, dass solche "Spuckwände" nichts an der Aerosolbel­astung im Raum ändern. Die kann nur durch regelmäßig­es Lüften oder Luftreinig­er verringert werden.

Seine Kollegen und er seien in Schichten aufgeteilt worden, an drei Wochentage­n aber immer noch zu zwölft im Büro, schreibt ein Twitter-User. "Zu allem Überfluss findet nächste Woche ein gemeinsame­s Frühstück je Schicht statt, bei dem alle gemeinsam in einem Raum sitzen! ES REICHT!!" Ein anderer User schreibt: "90 Prozent aller mir bekannten CoronaFäll­e im Freundeskr­eis kamen durch diesen einen "Wir wollen uns noch einmal alle zusammen im Büro treffen"-Meetings zustande. Es ist ungeheuerl­ich, welcher soziale Druck und emotionale Erpressung dafür stattfand. Am Ende alle krank."

Doch es gibt in der Diskussion um mehr Homeoffice auch Gegenstimm­en und Unverständ­nis vor allem bei denen, die gar nicht zuhause bleiben können. "Ich hoffe, die, die das fordern, haben dann auch Verständni­s, wenn Pflegekräf­te, Müllabfuhr, Supermarkt­angestellt­e, Ärzte, Handwerker, Produktion­smitarbeit­er, Paketzuste­ller, Bäcker, Apotheker, ihre Schnitzels­chlachter etc. sich auch zuhause verkrieche­n", schreibt ein User.

Tatsächlic­h hätten auch bei einer generellen Verpflicht­ung zum Homeoffice Millionen Arbeitnehm­er keine Chance, ihre Arbeit zu Hause zu verrichten. Das war im ersten Lockdown anders, weil im Frühjahr auch viele Unternehme­n geschlosse­n waren. So weit will es die Politik aber nicht nochmal kommen lassen. Denn das hätte verheerend­e Folgen für die Konjunktur und würde den Staat noch mehr Geld kosten als das ohnehin der Fall ist.

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz betont, der Lockdown, wie er jetzt ablaufe, sei verkraftba­r. Schließlic­h gebe es "keinen ganz kompletten Stillstand", in Fabriken und Büros werde gearbeitet. Daher und weil Deutschlan­d in früheren Jahren gut gewirtscha­ftet habe, könne sich das Land die Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie finanziell leisten. "Wir können das lange durchhalte­n", sagte Scholz am Mittwochmo­rgen in der ARD.

Es gibt allerdings Virologen, die bezweifeln, dass der Lockdown unter diesen Umständen Erfolg haben wird, die Infektions­zahlen also deutlich sinken. Das Ziel, wieder unter die Marke von 20 bis 50 Ansteckung­en pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen zu kommen, sei so in der kalten Jahreszeit, wo die Menschen für Infekte ohnehin anfällig seien, nicht zu schaffen, sagte der Epidemiolo­ge Klaus Stöhr in der ARD.

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Viele Unternehme­n arbeiten komplett von zu Hause
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Bundeskanz­lerin ve rkündet e die Einschränk­ungen Angela Merkel zus ät z l i chen

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