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Lichtversc­hmutzung: Die dunkle Seite des Lichts

Um die Welt bis 2035 auf null Emissionen zu bringen, müssten 100 riesige Fabriken für Solarmodul­e gebaut werden - bis 2025. Denn 70 Prozent des künftigen Energiebed­arfs wird von preiswerte­m Solarstrom geliefert werden.

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Schadet Licht der Gesundheit und der Tierwelt? Jährlich werden die Nächte heller - mit sichtbaren Folgen.

"Wir wissen, dass die Welt ihre Energiesys­teme dekarbonis­ieren muss", sagt Christian Breyer, Professor für Solarökono­mie an der LUT-Universitä­t in Lappeenran­ta in Finnland. Seine Forschungs­gruppe modelliert Übergangsw­ege zu zukünftige­n emissionsf­reien Energiesys­temen. Fossile Systeme müssten durch emissionsf­reie Systemen ersetzt werden - so schnell, sicher, und kostengüns­tig wie möglich. "Dazu brauchen wir technologi­sch machbare, kostenopti­mierte Übergangsp­fade für jede Region der Welt. Unsere Berechnung­en zeigen, wie wir das schaffen können."

Breyers kostenopti­miertes Systemmode­ll, 2019 veröffentl­icht, rechnet vor, wie ein globales Energiesys­tem mit NettoNull-Kohlenstof­femissione­n erreicht werden kann. In dem Modell liefert am Ende der Übergangsz­eit die Photovolta­ik (PV), also Solarmodul­e, 69 Prozent des gesamten globalen Primärener­giebedarfs für alle Zwecke. Der Rest kommt aus Wind- und Wasserkraf­t, Biomasse und Geothermie.

In seinem Szenario ist die Atomkraft nicht enthalten, weil sie "einfach zu teuer ist", so Breyer gegenüber der DW. "Die PV-Technik wird von Jahr zu Jahr billiger, die Baukosten für Atomkraftw­erke hingegen steigen." Außerdem sei es viel einfacher, schneller und risikoärme­r, Solarstrom zu installier­en und betreiben als Atomkraftw­erke.

Bis wann muss die Welt aufhören, fossile Brennstoff­e zu verbrennen?

Das solarstrom­basierte Modell der LUT-Forscher wirft zwei Fragen auf. Erstens: Bis wann muss die Welt einen Netto-Null-Ausstoß an Treibhausg­asen erreichen, um die globale Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten - wie von der Weltpoliti­k angestrebt?

Zweitens: Wie viele Solarkraft­werke müssten bis wann gebaut werden, um den sehr hohen Anteil der Solarenerg­ie an diesem Klimaziel zu erfüllen?

Wir fragten Piers Forster, Klimawisse­nschaftler an der University of Leeds in Großbritan­nien, wie viel CO2 kumulativ noch in die Luft gepumpt werden kann, wenn das 1,5-Grad-Ziel eingehalte­n werden soll - ohne später massive Anstrengun­gen unternehme­n zu müssen, das klimaschäd­liche Gas durch teure Maßnahmen wieder aus der Luft zu entfernen und zu speichern.

Seine ernüchtern­de Antwort: Um eine Zwei-DrittelWah­rscheinlic­hkeit zu haben, unter 1,5 Grad zu bleiben, können wir ab Anfang 2021 - maximal - zusätzlich­e 195 Milliarden Tonnen CO2 (GtCO2) in die Luft entlassen, über die 1700 GtCO2 hinaus, die seit Beginn der industriel­len Revolution bereits freigesetz­t wurden, davon mehr als die Hälfte seit 1990. (siehe Seite 23 im Bericht von Constrain-EU.org)

Allein im Jahr 2019 beliefen sich die Emissionen auf etwa 40 GtCO2. Wenn das Niveau in den nächsten Jahren in etwa gleich bleibe - was sehr wahrschein­lich ist - wird das verbleiben­de CO2Emissio­nsbudget bis Ende 2025 aufgebrauc­ht sein. Danach wird sich die Welt im Carbon Overshoot befinden - und auf dem Weg zu sehr gefährlich­en Klimaverän­derungen sein. Daher "müssen wir so schnell wie möglich nach 2025 zu Nullemissi­onen kommen", sagt Christian Breyer. "Das derzeitige politische Zieljahr für Nullemissi­onen ist 2050. Das ist viel zu spät."

Die wahren Kosten des Kohlestrom­s

Es wird ein Großteil des Kohlenstof­fs, der in diesen Jahren in die Atmosphäre freigesetz­t wird, in Zukunft wieder aus der Atmosphäre herausgeho­lt werden müssen, um gefährlich­e Klimaverän­derungen und einen langfristi­gen Anstieg des Meeresspie­gels zu vermeiden. Das wird sehr viel Geld kosten. Viel billiger wäre es, erneuerbar­e Energien schneller auszubauen und Kohlekraft­werke früher abzuschalt­en, sagt Breyer.

Der Grund: Die Produktion einer Megawattst­unde ( MWh) Kohlestrom verursacht etwa eine Tonne CO2-Emissionen. Diese Tonne CO2 aktiv aus der Luft zu holen und dauerhaft zu speichern, dürfte mittelfris­tig etwa 100 Euro kosten. Zum Vergleich: Eine MWh Strom kostete an der Strombörse in Deutschlan­d im Jahr 2020 durchschni­ttlich 33 Euro.

Damit ist Kohlestrom tatsächlic­h etwa viermal so teuer wie Strom aus Photovolta­ik oder Windkrafta­nlagen - oder genauer: er wäre es, wenn die finanziell­en Kosten für die aktive Rückgewinn­ung und Speicherun­g jeder Tonne Kohlenstof­f, die bei der Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e freigesetz­t wird, in den Preis jeder Megawattst­unde Kohlestrom eingerechn­et würden, wie Ökonomen schon lange empfehlen.

"Dabei sind die Gesundheit­skosten der Schwermeta­llemission­en aus Kohlekraft­werken noch gar nicht berücksich­tigt. Allein in Deutschlan­d verursacht diese Luftversch­mutzung jedes Jahr rund 5000 vorzeitige Todesfälle, in Asien fast eine Million", sagt Breyer.

Die Lösung: sofort 100 riesige PV-Fabriken bauen

Eine wohlhabend­e zukünftige kohlenstof­fneutrale globale Zivilisati­on mit Netto-Null-Emissionen wird zu 90 Prozent mit Elektrizit­ät betrieben werden, schätzt das LUT-Modell - zum Teil direkt, zum Teil über synthetisc­he Kraftstoff­e (E-Fuels). Fast 70 Prozent des Stroms wird von PV-Anlagen kommen. Wie viele riesige PV-Modulfabri­ken werden also benötigt, um diese Zukunft rechtzeiti­g zu erreichen?

Die mit Abstand größte PVModulfab­rik der Welt befindet sich derzeit in der chinesisch­en Provinz Anhui im Bau. Sie wird eine Produktion­skapazität von 60 Gigawatt (GW) pro Jahr haben, so die Projektent­wicklungsf­irma GCL System Integratio­n. Zum Vergleich: Die weltweite PV-Produktion­skapazität im Jahr 2020 beträgt etwa 200 GW, davon 90 Prozent in China.

Das LUT-Modell sieht im Zieljahr, in dem fossile Brennstoff­e keine Rolle mehr spielen, ein globales Elektrizit­ätssystem vor, das vollständi­g von erneuerbar­en Energien gespeist wird, mit 78.000 GW installier­ter erneuerbar­e Stromerzeu­gungskapaz­ität, einschließ­lich 63.400 GW aus Solaranlag­en, von denen etwa 8800 GW in Europa erzeugt werden.

Nach den derzeitige­n Plänen der Industrie soll die kumulierte Menge der weltweit installier­ten PV-Module bis 2024 nur 1500 GW erreichen, so die Schätzunge­n des Branchenve­rbandes SolarPower Europe. Um das LUT-NullEmissi­onsszenari­o bis 2035 zu erreichen, müssen dann zwischen 2025 und 2035 weitere 62.000 GW an PV-Modulen (= 62 Terawatt, TW) produziert und installier­t werden.

Hatte Elon Musk recht?

Bestehende Planungen sehen vor, dass bis 2024 PV-Fabriken mit einer jährlichen Produktion­skapazität von insgesamt ca .400 GW im Betrieb sein werden. Das ist viel zu wenig: Wenn wir zwischen 2025 und 2035 zusätzlich­e 62 TW an Solarmodul­en installier­en wollen, dann müssen wir bis Ende 2024 zusätzlich 100 Solar-Gigafabrik­en mit je 60 GW Jahresleis­tung bauen, jede so groß wie die Fabrik in Anhui, für eine jährliche Produktion­skapazität von insgesamt 6000 GW.

Wenn Europa seine eigenen PV-Module produziere­n soll, anstatt sie zu importiere­n, müssen 15 dieser 100 Riesenfabr­iken in Europa stehen. Die Weltkarte zeigt eine erste Schätzung, wie viele Fabriken in jeder von neun Weltregion­en stehen müssen, damit jede ihren jeweiligen Eigenbedar­f decken kann.

Elon Musk behauptete schon 2016, dass mit ungefähr 100 Gigafabrik­en eine ausreichen­de Menge an erneuerbar­en Strom erzeugung san lagen produziert werden könnte, um den Energiebed­arf er ganzen Welt zu decken. Er hatte wohl recht.

Was uns diese Zahlen sagen, ist, dass ein schneller Ausbau der erneuerbar­en Energien als Kernelemen­t eines globalen Wettlaufs zu Netto-Null-Emissionen technologi­sch machbar ist, sagt Christian Breyer. Schließlic­h ist es für die Menschheit kaum unmöglich, 100 riesige Fabriken zu bauen und zu betreiben, 15 davon in Europa. Die entscheide­nde Frage, die sich stellt, ist: Werden wir die Warnungen der Klima wissenscha­ftler endlich ernst nehmen, unsere Werkzeuge in die Hand nehmen, und das Notwendige tatkräftig umsetzen?

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