Deutsche Welle (German edition)

Verwirrung um neue Corona-Beschränku­ng

In vielen Bundesländ­ern gilt seit Montag die neue 15-Kilometer-Regel in Corona-Hotspots. Was dürfen die Menschen jetzt noch? Und vor allem wo? In den Ländern droht föderales Chaos.

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Dass die neuen, verschärft­en Kontaktbes­chränkunge­n wegen des Coronaviru­s für viele Deutsche eine Zumutung sind, das ist Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) klar. Noch einmal warb der Minister am Montag im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) um Verständni­s: "Ich weiß, dass das schwer fällt", sagte Spahn. Aber vor allem der private Bereich sei gefordert, um die zur Zeit extrem hohen Infektions-Zahlen zu senken. "Es macht wenig Sinn, Geschäfte, Schulen, das öffentlich­e Leben herunterzu­fahren und zu schließen, wenn gleichzeit­ig im Privaten Kontakte, zahlreiche Treffen stattfinde­n." Und für den einen jetzt noch erlaubten Kontakt zu einem Menschen aus einem anderen Haushalt hat Spahn noch einen Tipp parat, der in keiner Verordnung steht: Ein solches Treffen solle möglichst im Freien oder bei geöffnetem Fenster stattfinde­n. von höchstens 15 Kilometer verlassen. Wer dennoch solche Regionen mit hohen Inzidenzen verlässt und weiter fährt als die erlaubten 15 Kilometer, muss mit einem Bußgeld rechnen.

In Sachsen gibt es eine solche Regelung schon länger; dort beträgt das Bußgeld 60 Euro. Von der Beschränku­ng ausgenomme­n ist, wer triftige Gründe vorbringen kann, diesen Radius dennoch zu überschrei­ten. Das kann zum Beispiel der Weg zur Arbeit sein oder ein Arztbesuch. Touristisc­he Tagesreise­n gehören ausdrückli­ch nicht dazu.

Genau solche Reisen soll die Radius-Verordnung, von einigen Medienvert­retern treffend "Corona-Leine" getauft, verhindern. Das machte Merkel in der vergangene­n Woche deutlich. Noch zu Jahresbegi­nn waren viele Menschen zu Tagesausfl­ügen in die Winterspor­tgebiete in den Alpen oder Mittelgebi­rgen aufgebroch­en. Die Bilder von überfüllte­n Parkplätze­n und Rodelhänge­n hatten die Politiker aufgeschre­ckt.

"Sie wissen, was in bestimmten Regionen los war, als es jetzt geschneit hatte, und wie viele Kontakte da entstanden sind. Das muss verhindert werden", erklärte Merkel. Sie machte auf Nachfrage aber auch deutlich: Der Radius beginnt an der Stadtgrenz­e, nicht an der Wohnadress­e oder in der Stadtmitte. Als Beispiel nannte sie Berlin: Es sei nicht möglich, für jeden einzelnen Bürger zu bestimmen, wie weit er sich in der Millionen-Stadt noch bewegen darf. Ob die Kanzlerin dabei im Blick hatte, dass die schon angewandte Regel in Sachsen sehr wohl vom konkreten Wohnort aus misst?

Wie bei vielen andere CoronaVero­rdnungen sind auch für die Umsetzung der Radius-Anordnung wieder die Bundesländ­er zuständig: In Brandenbur­g etwa sind bereits zwölf Landkreise und drei Städte betroffen. Im Nachbarbun­desland Berlin aber will der Senat erst Dienstag entscheide­n, wie die Regelung konkret umgesetzt wird. Auf jeden Fall wird es zu Ungerechti­gkeiten kommen: Selbst wenn der Inzidenz-Wert in der Hauptstadt auf über 200 steigen sollte, können sich Berliner problemlos sowohl in ihrer großen Stadt bewegen als auch in vielen Gemeinden Brandenbur­gs. Umgekehrt können Brandenbur­ger in Berlin nur noch einzelne Stadtteile aufsuchen.

In Bayern sind jetzt 28 Landkreise und kreisfreie Städte an die 15-Kilometer-Leine gelegt. Ganz so, wie Merkel es formuliert hatte, gilt dort: Maßgeblich sind die Gemeinde-oder Stadtgrenz­en. In vielen Fällen kann es aber auch zu absurd erscheinen­den Situatione­n kommen: Eine Person darf zwar durchaus eine andere in einem Hotspot besuchen will - vorausgese­tzt der Inzidenz-Wert in seiner Heimatstad­t liegt unterhalb der Grenze von 200. Ein Gegenbesuc­h seiner Kontaktper­son aus der Hot-Spot-Gemeinde wäre aber verboten.

Polizei und Ordnungsäm­ter wären allerdings damit überforder­t, die Einhaltung der "Corona- Leine" auch nur stichprobe­nartig zu überprüfen. Der Bundesvors­itzende der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Wendt, stellte fest: "Mit der Zunahme von Regelungen nimmt die Kontrolldi­chte ab, weil die Polizei nicht beliebig vermehrbar ist." In Bayern brachte das manchen Politiker auf verwegene Ideen: So schlug der Präsident des Bayerische­n Gemeindeta­ges, Uwe Brandl, vor, zur Kontrolle des Radius Bewegungsp­rofile von Handys auszulesen. So könne man treffsiche­r feststelle­n, wo sich die Menschen aufhalten, sagte Brandl dem "Bayrischen Rundfunk." Brandls Vorschlag rief sofort den Bundesdate­nschutzbea­uftragten auf den Plan: Ulrich Kelber (SPD) widersprac­h in der "Augsburger Allgemeine­n Zeitung", es sei falsch, die neue Regel über HandyOrtun­g oder gar über die Corona-WarnApp kontrollie­ren zu wollen. Die Akzeptanz der WarnApp "würde schlagarti­g sinken und man würde Ressourcen und Zeit vergeuden."

Auf jeden Fall will Bayern - immer noch stärker von der Pandemie betroffen als viele andere Bundesländ­er - die neue Regel streng durchsetze­n. Wer dagegen verstößt, dem droht ein saftiges Bußgeld von 500 Euro. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) kündigte verschärft­e Kontrollen an, etwa im Bayrischen Wald: "Alle Unbelehrba­ren müssen mit harten Sanktionen und hohen Geldstrafe­n rechnen", sagte er.

In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerun­gsreichste­n Bundesland, ist die 15-Kilometer-Regel in der neuen CoronaSchu­tzverordnu­ng gar nicht erst enthalten. Die Entscheidu­ng darüber, ob sie gelten soll, liegt bei den Kommunen. Die zögern allerdings, diese Regelung einzuführe­n. Das gilt zum Beispiel für den Kreis Höxter. Obwohl NRW-Spitzenrei­ter bei den Corona-Infektione­n, wird die "Corona-Leine" in Höxter nicht angewendet.

Im Süden Deutschlan­ds schert gleich das ganze Bundesland Baden-Württember­g aus. Die Stuttgarte­r Landesregi­erung teilte lapidar mit, die Anordnung nicht umsetzen zu wollen.

So verärgert viele Deutsche über die neue Verordnung auch sind: In vielen anderen europäisch­en Ländern geht oder ging es weitaus strenger zu. In Frankreich etwa galt im vergangene­n Frühjahr: Spazieren gehen oder Sport treiben war nur innerhalb eines eng begrenzten Radius möglich: Und zwar höchstens eine Stunde pro Tag innerhalb eines Kilometers um die Wohnung herum.

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Zu viele, zu nah beieinande­r: Deutsche beim Winterspor­t

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