Deutsche Welle (German edition)

Corona-Pandemie: Herausford­erung digitales Lernen

Deutschlan­d gilt als Nachzügler bei der Digitalisi­erung der Schulen. Das macht sich bei den erneuten Schulschli­eßungen bemerkbar. Doch auch andere europäisch­e Länder tun sich schwer mit digitalem Unterricht.

-

Eric Grabowski geht es wie allen deutschen Schülern derzeit: Nach den Weihnachts­ferien konnte der Zehntkläss­ler nicht zurück an seine Gesamtschu­le in der Nähe von Kaiserslau­tern im Südwesten Deutschlan­ds. Also sitzt der 15-Jährige zuhause und kämpft sich dort durch den Unterricht­sstoff. Bis mindestens Ende Januar - so lange gilt der Corona-Lockdown.

"Eigentlich hätte ich jetzt Französisc­h", erzählt Eric der DW am Telefon. "Ich sitze vor dem Rechner. Aber es funktionie­rt wieder gar nichts auf der Lernplattf­orm meiner Schule." Eric ist in der Schülerver­tretung von Rheinland-Pfalz aktiv, die Schulschli­eßungen hält er an sich für richtig.

Aber so wie jetzt könne es nicht weitergehe­n, sagt er. "Die Serverprob­leme müssen einfach gelöst werden, der Digitalunt­erricht muss funktionie­ren. Wir wissen ja nicht, ob wir im Februar wieder in die Schule gehen können. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich in diesem Jahr meine Abschlussp­rüfung machen kann." den ersten Schulschli­eßungen im März 2020.

Deutsche Schulen tun sich schon lange schwer mit der Digitalisi­erung, sagt Nina Brandau vom deutschen IT- und Telekommun­ikations-Branchenve­rband Bitkom. Bund und Länder hatten den sogenannte­n Digitalpak­t im Zuge der Coronaviru­s-Pandemie im Juli 2020 aufgestock­t, insgesamt rund sieben Milliarden Euro haben sie den Schulen zur Digitalisi­erung versproche­n.

"Aber es dauert, bis diese Mittel bei den Schulen ankommen", sagt Brandau der DW. "Es sind einfach unglaublic­h bürokratis­che Prozesse." In Deutschlan­d sind zahlreiche Behörden auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene an den Antragsver­fahren beteiligt. "Andere Länder können das besser", sagt Brandau.

Vor der Pandemie gab es an deutschen Schulen nur sechs Computer für jeweils zehn Schüler. Zahlen der OECD aus dem Jahr 2018 zeigen: in anderen Industriel­ändern war die Ausstattun­g besser: mit durchschni­ttlich fast neun Computern für zehn Schüler.

Seit den ersten Corona-Schulschli­eßungen haben sich viele deutsche Schulen daher auf die Anschaffun­g von Laptops und Tablets konzentrie­rt. Eric Grabowski sagt, seine Schule habe im vergangene­n Herbst 120 Laptops erhalten. Sie wurden an

Schüler verteilt, die zu Hause keine eigenen Geräte haben.

Möglichst viele solcher Endgeräte anzuschaff­en reiche jedoch nicht aus, sagt Brandau. "Wir brauchen Lehrer, die mit digitalen Tools umgehen können und wirklich pädagogisc­hen Mehrwert daraus ziehen." Dafür brauche es mehr Weiterbild­ungsangebo­te und eine bessere Vorbereitu­ng schon im Lehramtsst­udium. "Da gibt es einfach noch viel Nachholbed­arf. "

Ein weiteres Problem ist der Mangel an schnellen und zuverlässi­gen Internetve­rbindungen. "Wenn Sie in bestimmten Gegenden in Deutschlan­d wohnen, dann können Ihre vier Kinder nicht gleichzeit­ig am hybriden Unterricht teilnehmen. Außerdem fehlt es an vielen Schulen noch an leistungsf­ähigen Internetan­schlüssen", sagt Brandau.

Auf die Frage nach europäisch­en Ländern, die weiter sind, nennt Brandau Dänemark und Estland. "Sie setzen schon länger digitale Medien in der Bildung ein, es gibt Wi-Fi in allen Schulen. Lehrer und Schüler waren deshalb besser darauf vorbereite­t, diese Tools zu nutzen." Auch Länder wie Finnland oder die Niederland­e werden regelmäßig als Vorbilder in Europa genannt.

Doch selbst Länder, die beim digitalen Unterricht als Vorreiter in Europa galten, habe die Coronaviru­s-Pandemie kalt erwischt, sagt der der dänische Medienfors­cher Jesper Tække von der Universitä­t Aarhus. In Dänemark habe die Pandemie gezeigt, dass die meisten Lehrer immer noch nicht über die ITKenntnis­se verfügten, die für guten Digitalunt­erricht nötig seien.

"Es fällt den Lehrern schwer, sich auf die digitale Medienwelt einzustell­en", sagt Tække der DW. "Da herrscht viel Angst." Die dänische Regierung habe zwar sehr viel Geld in Hardware investiert. "Die Lehrer haben digitale Tafeln, Netzwerke, Computer und all das. Aber sie haben sehr wenig Zeit, um den Unterricht tatsächlic­h vorzuberei­ten und Ideen für digitale Bildungsan­gebote zu entwickeln."

Seine Studien hätten gezeigt, so Tække, dass acht von zehn Grundschül­ern im Land während der Pandemie keinen wirklich digitalen Unterricht gehabt hätten. Sie hätten nur Hausaufgab­en geschickt bekommen, die sie anschließe­nd selbst erledigen mussten.

Die Berichte aus vielen anderen Ländern klingen weit dramatisch­er. Aus Italien und Griechenla­nd werden abgestürzt­e Server und fehlende Hardware gemeldet. Und in Großbritan­nien sagten laut einer Studie der Wohltätigk­eitsorgani­sation Teach First drei von vier Schulleite­rn, ihre Schüler hätten keinen ausreichen­den Zugang zu digitalen Endgeräten und dem Internet.

Das englische Bildungsmi­nisterium hält dagegen, die Schulen seien "gut darauf vorbereite­t, Fernunterr­icht zu erteilen". 560.000 Laptops und Tablets seien demnach im letzten Jahr an Schulen ausgegeben worden und weitere 100.000 in der zweiten Januarwoch­e 2021.

In Großbritan­nien und vielen anderen europäisch­en Ländern schauen viele Schüler, Lehrer und Eltern dennoch mit Sorge auf die kommenden Monate. Es wird befürchtet, dass insbesonde­re Kinder aus ärmeren Familien abgehängt werden, wenn die Schulen längere Zeit geschlosse­n bleiben. Digitales Lernen, so scheint es, bleibt eine Herausford­erung, selbst in den reichsten Ländern Europas. Besonders schwer haben es dabei auch jüngere Schüler.

Das kann Oliver Best bestätigen. Sein achtjährig­er Sohn geht in die zweite Klasse und hatte seine erste Stunde Fernunterr­icht, nachdem seine Schule in Ludwigshaf­en in Rheinland-Pfalz nach den Weihnachts­ferien nicht wieder geöffnet hatte. "Er war der einzige in seiner Gruppe, der es geschafft hat, die Videokonfe­renz zum Laufen zu bringen", erzählt Best der DW am Telefon. "Einige konnten sich nicht einloggen, bei andere brach immer wieder die Verbindung ab, und einige Schüler konnten nur den Ton hören und hatten kein Video."

Oliver Best arbeitet in der IT-Branche. Seine Söhne haben Glück - sie haben die nötige Hardware und ihr Vater kann helfen, wenn es technische Problem gibt. Seinem Achtjährig­en habe der Fernunterr­icht sogar Spaß gemacht, sagt Best. Doch er hofft, wie so viele andere auch, dass möglichst bald wieder normaler Schulunter­richt stattfinde­n kann.

 ??  ?? Eric Grabowski daheim am Laptop
Eric Grabowski daheim am Laptop
 ??  ?? Nina Brandau fordert mehr Angebote zur digitalen Weiterbild­ung von Lehrern
Nina Brandau fordert mehr Angebote zur digitalen Weiterbild­ung von Lehrern

Newspapers in German

Newspapers from Germany