Deutsche Welle (German edition)
Radikalisierte Trump-Anhänger: Sturm auf die Demokratie
Die Erstürmung des US-Kapitols hat in der westlichen Welt einen politischen Schock ausgelöst. In Deutschland hatten im vergangenen Jahr Demonstranten versucht, den Reichstag zu besetzen. Wie gefährdet ist die Demokratie?
Die biblische "Stadt auf dem Berg", das leuchtende Vorbild für die ganze Welt: Vom Gründervater John Winthrop bis zu Präsident Ronald Reagan war das über Jahrhunderte das Selbstverständnis der Vereinigten Staaten. Heute fühlt sich Trumps Parteifreund und Vorvorgänger im Amt, George Bush, an eine "Bananenrepublik" erinnert.
Mit großer Schadenfreude haben gerade diejenigen Regierungen auf die Vorgänge von Washington reagiert, die sonst von den USA wegen mangelnder Demokratie kritisiert werden, von Venezuela bis China. "Die Blasen der 'Demokratie' und der 'Freiheit' sind geplatzt", schreibt die Peking-treue "Global Times", kurz nachdem die chinesische Regierung erneut mit Festnahmen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong vorgegangen war.
Diese Zäsur durch den Sturm des Kongress-Gebäudes ist Ben Rhodes durchaus bewusst. Der Sicherheitsberater von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Diese Bilder werden die Wahrnehmung der USA in der Welt dauerhaft verändern. Leider kommt diese Entwertung der Demokratie zu einem Zeitpunkt, da autoritärer Nationalismus auf jedem Kontinent auf dem Vormarsch ist."
Man muss nicht bis zum Nationalsozialismus der 1920er und 30er Jahre zurückgehen, um Beispiele für ähnliche Szenen in Europa zu finden. 2006 erstürmte ein rechtsextremer Mob das ungarische Parlament und lieferte sich wochenlange Straßenschlachten mit der Polizei – was mit zum Aufstieg des rechtspopulistischen amtierenden Premier Viktor Orban geführt hat.
die Demokratie, Lügen gefährden die Demokratie, Gewalt gefährdet die Demokratie." Steinmeier hatte noch als Außenminister Trump, der damals Wahlkampf führte, einen "Hassprediger" genannt. Er sieht sich erneut bestätigt.
Parallelen nicht zuletzt im Behördenversagen sieht auch Miro Dittrich, der seit Jahren Rechtsextremismus im Netz beobachtet. In beiden Fällen habe es online klare Zeichen gegeben. "Die Sicherheitsbehörden, die für den Schutz zuständig waren, haben das aber nicht gesehen. Die alternativen Wirklichkeiten, die sich im Internet bilden, die ganz klar zu Gewalt aufrufen und dies organisieren, werden einfach nicht wahrgenommen."
Unterschied ist, dass in den USA seit vier Jahren vom Präsidenten selber immer wieder die Demokratie infrage gestellt wird." Die Aktion in Berlin sei dagegen von einer "sehr kleinen radikalen Minderheit in der Gesellschaft getragen" worden.
Sein Kollege, der Politikwissenschaftler Hans-Jürgen Puhle, sagt im DW-Gespräch über die USA: "Das Land ist hochpolarisiert. Die sozialen Spannungen sind viel größer als in Europa." Und ausgerechnet in einer Zeit der Spannungen,"auch durch Trumps Politik", habe es der Präsident geradezu als seine Aufgabe angesehen, weiter zu polarisieren. "So einen Präsidenten hatten die USA noch nie." der gewaltsamen Aktion, 43 Prozent lehnen sie ab. Selbst von den Befragten insgesamt findet sie mehr als jeder fünfte richtig, 21 Prozent.
Hans-Jürgen Puhle sieht "im Moment in Westeuropa keine solchen Zustände und Ausartungen in Gewalt am Horizont". Und Sebastian Bukow zieht die Leipziger Autorismus-Studie als Beleg heran, "dass die Zufriedenheit mit der Demokratie stabil, sogar steigend ist, es aber gleichwohl einen kleinen, sich radikalisierenden Teil der Gesellschaft gibt, der die Demokratie ablehnt". Diese liege nur im einstelligen Prozentbereich.
Der Populismus, meint Puhle, sei nicht das eigentliche Problem, er sei vielmehr "ein Symptom für die Defekte, die Demokratien haben können, und für unzureichende politische Lösungsvorschläge". Das beste Mittel gegen Populismus "ist gute Politik der nichtpopulistischen Parteien und Politiker, ist vernünftige, offene, ehrliche politische Kommunikation" ohne falsche Versprechungen.
Bukow meint, weil Populismus auch "das Spielen mit der vermeintlichen Ohnmacht" sei, komme es darauf an, Menschen zu zeigen, "dass man sich einbringen kann, dass sich auch etwas erreichen lässt", zum Beispiel in einer Partei. Die laufende Debatte in der CDU um die Parteiführung sei dafür ein positives Beispiel, sagt er im DWGespräch.
Was die demokratische Vorbildfunktion der USA für die Welt angeht, so hält sie der Politikwissenschaftler Puhle schon immer für übertrieben. "Für die, die simpelgläubig sind und für die die USA sozusagen das Gute und die Sonne auf der Erde war, für die ist es ganz heilsam", dass die USA manchmal "von Bananenrepubliken auch nicht so weit entfernt sind".