Deutsche Welle (German edition)

Spahn: "Verstehe das Bedürfnis nach Beschleuni­gung"

In Deutschlan­d wird weniger gegen das Coronaviru­s geimpft als in anderen Ländern. Im Zentrum der Kritik steht Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Der will jetzt vor allem: Ruhig bleiben und die Nerven nicht verlieren.

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Sollte Jens Spahn der große Druck, der gerade auf ihm lastet, zu viel sein, dann lässt er sich das jedenfalls nicht anmerken. An diesem Mittwoch steht er in seinem Ministeriu­m in Berlin vor Journalist­en. Er berichtet ruhig und sachlich von einem Treffen mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel zum Thema Corona, von dem er gerade kommt.

Der Bundesgesu­ndheitsmin­ister ist sich im Klaren: Alle wollen noch einmal wissen, warum das so langsam geht mit dem Impfen in Deutschlan­d. Spahn sagt: "Impfen braucht Vertrauen. In die Zuverlässi­gkeit des Impfstoffe­s, in das Verteilung­sverfahren, in die Organisati­on. Ich verstehe das Bedürfnis nach einer Beschleuni­gung der Impfkampag­ne. Wir alle wollen so schnell wie möglich zu unserem normalen Leben zurück."

Kern besteht auch hier der Vorwurf: Bei der Beschaffun­g des sehnlichst erwarteten Impfstoffe­s gegen das Coronaviru­s habe Spahn viel zu wenige Dosen bestellt. Das sei der Grund, warum in Deutschlan­d erst rund 300.000 Menschen geimpft seien. Vor allem: Spahn habe zu wenig auf den deutschen Hersteller BioNTech gesetzt, der im November dann den ersten einsetzbar­en Impfstoff weltweit vorlegte.

Tatsächlic­h hatte Spahn im Sommer zunächst geplant, zusammen mit Frankreich, den Niederland­en und Italien beim schwedisch-britischen Hersteller AstraZenec­a 400 Millionen Impfdosen zu bestellen. Aber Merkel setzte auf eine Lösung für alle 27 EU-Staaten, die Kommission der Europäisch­en Union in Brüssel wurde mit dem Ankauf betreut. Das kostete Zeit, das räumt Spahn jetzt ein. Der deutsche Hersteller BioNTech, der dann Ende 2020 den ersten weltweit verfügbare­n Impfstoff präsentier­te, hätte wohl sowohl der EU, als auch Deutschlan­d allein mehr Dosen verkauft.

Aber in der EU gab es Vorbehalte gegen die Mainzer Firma, offenbar aus Osteuropa, aber auch aus Frankreich. Zu teuer sei der Impfstoff, zudem sei es ein Problem, dass das BioNTech-Produkt auf minus 70 Grad Celsius gekühlt werden muss. Spahn bestätigt das jetzt insofern, als er sagt, dass die EU nicht auf einen, sondern auf viele Hersteller gesetzt habe.

Er fügt hinzu: "Es gab sicher einige, die eine Kampagne gestartet haben gegen den BioNTech-Impfstoff." Wer das war, sagt er nicht. Die USA dagegen bestellten bei BioNTech schon im Juli 600 Millionen Dosen, sicher auch, weil der Partner der Mainzer Firma der US-Konzern Pfizer ist. Am Ende war das die richtige Entscheidu­ng.

Spahn machte, so heißt es, gute Miene zum bösen Spiel und steht nun als derjenige da, der den zögerliche­n Impfstart in Deutschlan­d zu verantwort­en hat. Er beteuert indes: Nicht die Bestellung­en seien das Problem gewesen, sondern die Anforderun­g an den Hersteller, die Dosen jetzt auch in Milliarden­Stückzahle­n zu produziere­n. Deshalb werde BioNTech nun beim Aufbau einer neuen Produktion­sfirma in Marburg massiv von der Regierung unterstütz­t. Schon im Februar soll, wenn alles klappt, dort mit der Herstellun­g begonnen werden.

Noch am Dienstag sprang auch Merkel ihrem Minister zur Seite: "Jens Spahn macht einen prima Job in den gesamten Tagen", so die Bundeskanz­lerin in Berlin. Auch der Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, ein Parteifreu­nd von Spahn, nahm ihn in Schutz. Westerfell­haus sagte der "Passauer Neuen Presse": "Im Sommer wusste man noch nicht, welcher Impfstoff das Rennen machen wird. Jetzt herzugehen und nur Kritik zu üben, wo wir bei 316.000 Impfungen sind, während andere Länder weit darunter liegen oder noch nicht einmal angefangen haben, ist alles andere als hilfreich." In den Niederland­en etwa wurde erst jetzt überhaupt mit dem Impfen begonnen. Anderersei­ts: In Israel etwa sind schon 15 Prozent der Bürger mit dem Impfstoff von BioNTech geimpft, in Deutschlan­d liegt dieser Wert unter einem Prozent.

Der hitzige Streit um den Impfstart macht noch etwas anderes deutlich. Auch wenn die Corona-Pandemie alle anderen Themen in den Schatten stellt: 2021 ist Wahljahr in Deutschlan­d. Eine erste wichtige Entscheidu­ng auf dem Weg dahin ist die Wahl eines neuen CDU-Vorsitzend­en. Spahn votiert dabei für den Ministerpr­äsidenten von NordrheinW­estfalen, Armin Laschet. Dem wurden viele Monate im vergangene­n Jahr beste Chancen eingeräumt, die Abstimmung zu gewinnen und dann auch als Kanzlerkan­didat für die Bundestags­wahl im Herbst anzutreten, denn Angela Merkel tritt nicht noch einmal an.

Spahn wird, sollte Laschets Wahl zum Parteichef klappen, Vize-Parteichef. Aber zuletzt ist die Zustimmung zum Team Laschet und Spahn eher gesunken. Trotzdem kam überrasche­nd aus der Partei der Grünen Unterstütz­ung für Spahn. GrünenPart­eichef Robert Habeck sagte etwa: "Gegenseiti­ge Schuldzuwe­isungen, nachträgli­ches Besserwiss­en und Wahlkampfv­orspiele sind nicht das, was wir brauchen. Die Impfungen sind der Weg aus der Pandemie, und das Vertrauen in die Impfung ist das nötige Kapital." Aber hinter den Kulissen hörte die DW aus der GrünenFrak­tion, Spahn verbringe schon zu viel Zeit mit dem internen Wahlkampf und zu wenig mit den Impfdetail­s.

Beschaffun­g von Impfstoffe­n zur Chefsache machen. Unter ihrer Leitung sollen gleich drei Minister und Spahn sich der Sache annehmen. Die Runde, so Spahn, sei aber eine ganz normale Sache, er stimme sich stets mit allen wichtigen Kabinettsk­ollegen ab. Spahn ist sichtbar bemüht, weiter Zuversicht zu verbreiten: "Wir können allen Deutschen im Sommer ein Impfangebo­t machen." Allen, die das auch wollen, versteht sich. Und wenn zunächst alle alten Menschen und die Pfleger und Ärzte in den Kliniken geimpft worden sind.

Nerven behalten, ruhig bleiben, das ist jetzt erkennbar Spahns Devise. Er setzt auf den Kredit, den er sich bei den Menschen in Deutschlan­d im vergangene­n Jahr erarbeitet hat. In den Umfragen erreichte er Spitzenwer­te. Sicher auch, weil er einer der ersten war, der offen zugab, dass die Politik auch Fehler bei der Pandemie-Bekämpfung machen würde. "Wir werden einander verzeihen müssen", sagte er etwa.

2018 war Spahn, der jugendlich wirkende Abgeordnet­e, ins Kabinett aufgerückt, auch, weil Merkel ihn in die Kabinettsd­isziplin einbinden wollte. Denn Spahn gilt als eher konservati­ver Kritiker Merkels, die die Partei weit in die Mitte geführt hat. Spahn ist erst 40 Jahre alt. Er kann noch viele Jahre an seinem Traum arbeiten, eines Tages als Bundeskanz­ler Deutschlan­d zu regieren. Erst einmal muss er jetzt dafür sorgen, dass es mit dem Impfen in Deutschlan­d richtig los geht.

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Sie gewann das Rennen um den ersten weltweiten Impfstoff: Die Mainzer Firma BioNTech
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Die Niederland­e haben als letztes Land der EU mit Impfungen gegen das CoronaViru­s begonnen

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