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Bosnien: Keine Hoffnung für Flüchtling­e an der EU-Grenze

Zelte, Matsch, Kälte: So harren Flüchtling­e und Migranten in Bosnien-Herzegowin­a aus. Sie wollen in die EU - die aber schottet sich ab und verlangt von Bosnien, die Menschen unterzubri­ngen. Marina Strauß aus Bihac.

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Sie nennen es "Game", obwohl der Fußmarsch von Bosnien-Herzegowin­a nach Kroatien über Berge und durch Wälder alles andere ist als ein Spiel. Er habe es schon sechs Mal versucht, sagt Raheel Zafar, 25, aus Karatschi in Pakistan. Und er sei jedes Mal von der kroatische­n Grenzpoliz­ei aufgehalte­n, geschlagen, beklaut worden.

So eine Geschichte können sie alle erzählen, die 30 Männer, die hier in einem Wald nahe der bosnischen Stadt Velika Kladusa ein Camp aufgeschla­gen haben. Ihre Zelte bestehen aus dicken Plastikpla­nen und aus selbstgesä­gten Baumstämme­n. Vor jeder der Behausunge­n sitzen zwei, drei Männer, wärmen sich oder kochen auf kleinen Feuern. Am liebsten Reis und Hühnchen, pakistanis­che Küche, erklärt Raheel Zafar.

In Plastiklat­schen führt Zafar durch das Camp, in dem je zur Hälfte Flüchtling­e aus Pakistan und aus Bangladesc­h hausen. Zusammen haben sie eine Moschee gebaut. Draußen Plastik, drinnen liegen Gebetstepp­iche. Vor dem Eingang ist es matschig wie überall im Camp. In der Nacht hat es geregnet, am Wochenende soll es noch kälter werden, es wird wieder schneien.

Es gibt zwar Unterkünft­e in Bosnien-Herzegowin­a, aber nicht genug Platz für alle der ungefähr 8000 Flüchtling­eund Migranten ,die gerade im Land sind. Manche, wie etwa Raheel

Zafar, sind lieber hier als im Heim, wo er, wie er sagt, Angst habe, von anderen beklaut zu werden.

"Wir sind keine Tiere"

Zafar ist auch hier, weil es von Velika Kladusa aus nur wenige Kilometer bis zur kroatische­n Grenze sind. Was gleichbede­utend ist mit der Außengrenz­e der Europäisch­en Union. Wie fast alle Migranten hier will Zafar nicht in Bosnien bleiben, sondern nach Deutschlan­d, Italien oder Schweden. Zafar ist sicher: Sobald er erst einmal in Frankfurt bei seinen Freunden ist, wird alles besser. Nicht so wie hier im Matsch und nicht so wie in Pakistan, wo er keine Zukunft für sich sah.

Nach der großen Fluchtbewe­gung 2015 haben EU-Staaten wie Ungarn ihre Grenzen faktisch dicht gemacht. Darum versuchen in den vergangene­n Jahren vermehrt Menschen, über Bosnien-Herzegowin­a in die EU zu gelangen. Und manche schaffen es auch, trotz der kroatische­n Grenzpoliz­ei. Wo im Waldcamp vor nicht allzu langer Zeit noch Zelte standen, ragen jetzt an manchen Stellen nur noch vermatscht­e Pflöcke aus dem Boden. Die früheren Nachbarn seien jetzt in Italien, erzählt man sich.

Bosnien-Herzegowin­a hat vor etwas mehr als 25 Jahren selbst einen Krieg erlebt. Viele hier wissen, was es heißt, von zu Hause zu fliehen. Manchen hier aber wird es zu viel mit den Migranten in ihrer Grenzregio­n.

Eine Frau mit blondierte­n, kinnlangen Haaren demonstrie­rt mit mehreren Dutzend Menschen seit Monaten vor der inzwischen geschlosse­nen Flüchtling­sunterkunf­t Bira in Bihac, eine Autostunde südlich von Velika Kladusa. Die Gruppe hat hier selbst ein kleines Camp aufgeschla­gen, man grillt Würstchen, verteilt Fanta, unterhält sich - darüber, dass Migranten sich angeblich in ihren Vorgärten entledigen oder klauen.

Alle hier wollen um jeden Preis verhindern, dass wieder Flüchtling­e in die Unterkunft in ihrer Nachbarsch­aft einziehen, auch wenn die Behörden versichern, das werde nicht der Fall sein. "Wir sind keine Rassisten", sagt die Frau mit den blonden Haaren, die lieber anonym bleiben will. "Aber sie wollen gar nicht hier bleiben. Sie wollen nach Europa. Und liebe EU: Dann öffne deine Grenzen und nimm sie auf."

Bürgermeis­ter von Bihac: "Die EU heuchelt"

Der Frust ist nicht nur bei dieser kleinen Gruppe von Demonstran­ten groß. Suhret Fazlic, der Bürgermeis­ter von Bihac, sieht die Schuld für die derzeitige Lage ebenfalls bei der EU.

Fazlic kritisiert aber auch die Landesregi­erung in Sarajevo. Denn sie lässt die Menschen hier an der Grenze zur EU alleine, so sehen es viele in Bihac und dem umliegende­n Kanton Una-Sana, wenn es um die Unterbring­ung und Versorgung der Flüchtling­e geht.

Suhret Fazlic sagt, die EU verhalte sich beim Thema Flucht und Asyl heuchleris­ch. Zum Beispiel beim Umgang mit der Gewalt an der kroatische­n Grenze. "Die Europäisch­e Union hat während der Migrations­krise so viel Geld für Bosnien bezahlt. Aber Bihac hat nie auch nur einen Euro gesehen. Wir mussten mit unseren eigenen Ressourcen auskommen", sagt Fazlic im Rathaus seiner kleinen Stadt.

Ylva Johansson, EU-Kommissari­n für Inneres, führt diesen Missstand vor allem auf "dysfunktio­nale Strukturen" in Bosnien-Herzegowin­a zurück. Manche Regionen würden viel mehr Verantwort­ung für Migranten übernehmen als andere. Im DW-Interview unterstric­h sie außerdem, dass nicht alle Menschen, die in die EU kommen wollten, dort auch Recht auf Asyl hätten.

Nach Informatio­nen der Europäisch­en Kommission hat die EU seit 2018 mehr als 88 Millionen Euro direkt an Bosnien-Herzegowin­a gezahlt oder an Partnerorg­anisatione­n, die sich vor Ort um Flüchtling­e kümmern.

Einer dieser Partner ist die

Internatio­nale Organisati­on für Migration (IOM). Kurz vor Weihnachte­n schloss die IOM das Camp Lipa 30 Kilometer von Bihac entfernt - laut IOM aus Protest dagegen, dass die bosnischen Behörden sich geweigert hatten, das Lager winterfest zu machen. Lipa war eigentlich im April 2020 wegen der COVID-19-Pandemie eröffnet worden, als Übergangsl­ösung für den Sommer.

Weil Camp Lipa kurz nach der Räumung fast völlig ausbrannte, suchten mehr als tausend Menschen Zuflucht im Wald oder bauten sich behelfsmäß­ig Unterschlü­pfe auf dem Gelände. Inzwischen hat die bosnische Armee zwar neue Zelte aufgestell­t, viele Flüchtling­e bezeichnen sie allerdings als völlig unzureiche­nd. Sie seien doch keine Tiere, sagt Ashfaq Ahmed aus dem von Pakistan kontrollie­rten Teil von Kaschmir und deutet auf die militärgrü­nen Zelte, in die mehrere Menschen gerade Matratzen und Bettgestel­le schleppen. "Das hier ist kein Platz zum Leben - vor allem in dieser Jahreszeit."

Ahmed sagt, er wird sich wie viele hier zum nächsten "Game" aufmachen, sobald es in ein paar Wochen wieder etwas wärmer wird. Sein Traum: in Deutschlan­d Medizin studieren.

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Er hofft, über die Grenze nach Kroatien und dann nach Deutschlan­d zu kommen: Raheel Zafar (links) aus Pakistan
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Kaum mehr als ein Regenschut­z: In diesem Camp in der Nähe von Velika Kladusa leben 30 Männer

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