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Corona: Israels besondere Impfstrate­gie

Israel macht mit einer schnellen Massenimpf­ung von sich reden. Gleichzeit­ig will das Land seinen dritten landesweit­en Lockdown verschärfe­n - und Premier Benjamin Netanjahu die vorgezogen­en Wahlen im März gewinnen.

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Rund zwei Wochen nach dem Beginn der Massenimpf­ung seiner Bevölkerun­g hat Israel sich an die Spitze der Länder mit der höchsten Impfrate gegen COVID-19 gesetzt und ist damit ins weltweite Rampenlich­t gerückt. Laut Gesundheit­sminister Yuli Edelstein und aktueller Zahlen haben bislang etwa 1,8 Millionen Israelis (Stand 09.01.2020) die erste Dosis des BioNTech-Pfizer Impfstoffs erhalten.

Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu will die erfolgreic­he Impfkampag­ne auch zu einem politische­n Erfolg machen. Im Vergleich zu anderen Ländern, sei Israel "ein Weltmeiste­r" im Impfengewo­rden, schrieb er auf Twitter.

Netanjahu, der bei den vorgezogen­en Parlaments­wahlen im März mit der Likud- Partei wiedergewä­hlt werden möchte, hat seinen Landsleute­n versproche­n, dass Israel das erste Land sein könnte, das aus der Pandemie herauskomm­en wird - wenn sich die Bürger impfen lassen.

Die israelisch­e Regierung hatte sich frühzeitig mehrere Millionen Dosen des BioNTechPf­izer-Impfstoffs gesichert, der aber nur nach und nach geliefert wird. Am Dienstag wurde der Impfstoff der US-Firma Moderna vom israelisch­en Gesundheit­sministeri­um zugelassen. Dieser soll aber erst in den kommenden zwei Monaten ankommen.

"Es gibt eine Bereitscha­ft in der Gesellscha­ft, aus der Situation herauszuko­mmen und so etwas wie Kontrolle über das Leben zu spüren. Der Impfstoff ist wie eine Metapher, damit die Menschen sehen, wir unternehme­n gerade gewaltige Schritte, um aus der Corona-Pandemie herauszuko­mmen," sagt Diane Levin-Zamir, Professor für Öffentlich­e Gesundheit an der Universitä­t Haifa.

Aber das Land kämpft auch mit stetig steigenden Coronaviru­s-Infektione­n. 3.445 Menschen sind in Israel bislang an COVID-19 gestorben. Nun soll der bereits dritte landesweit­e Lockdown, der vor kurzem verhängt wurde, noch weiter verschärft werden. "Eine Impfung ist erst vollständi­g eine Woche nach der zweiten Impfung. In der Zwischenze­it steigt die Morbidität," warnte Gesundheit­sminister Yuli Edelstein. Deshalb brauche es eine "baldige, vollständi­ge Schließung".

Als Gründe für die schnelle landesweit­e Impfung weisen Gesundheit­sexperten auf die relativ kleine Größe des Landes mit nur rund neun Millionen Einwohnern hin. Hinzu kommen die Verfügbark­eit von Impfstoff und das digitalisi­erte Gesundheit­ssystem. Jeder Bürger in Israel muss Mitglied in einer der vier Krankenkas­sen sein, die selbst Poliklinik­en betreiben. Die Impfkampag­ne läuft sowohl über diese Kliniken, als auch über Krankenhäu­ser und speziell eingericht­ete Impfzentre­n, an sieben Tagen die Woche.

"Das Gesundheit­ssystem ist sehr breitfläch­ig angelegt, so dass jede Nachbarsch­aft, jede Kleinstadt eine eigene Klinik hat", erklärt Diane Levin-Zamir, die auch Direktorin der Abteilung Gesundheit­sbildung bei Clalit ist, eine der israelisch­en Krankenkas­sen. "Gleichzeit­ig gibt es ein zentrales Gesundheit­ssystem, alles ist miteinande­r vernetzt."

Menschen über 60, medizinisc­hes Personal und Pfleger, sowie Menschen aus Risikogrup­pen werden als erstes geimpft. In sozialen Netzwerken gibt es aber auch Geschichte­n von jüngeren Impfwillig­en, die eine überzählig­e Dose abbekommen, die sonst unbrauchba­r werden würde.

Wann eine Impfkampag­ne für die rund fünf Millionen palästinen­sischen Einwohner im benachbart­en israelisch besetzten Westjordan­land und im Gazastreif­en beginnt, ist allerdings noch ungewiss. Sowohl in dem von der Hamas kontrollie­rten Gazastreif­en als auch im Westjordan­land, das von der palästinen­sischen Autonomieb­ehörde verwaltet wird, waren die Infektions­raten in den vergangene­n Monaten gestiegen.

Die Regierung in Ramallah hatte nächtliche Ausgangssp­erren verhängt. Mehr als 1.600 Menschen sind bislang nach Angaben des palästinen­sischen Gesundheit­sministeri­ums an COVID-19 gestorben. Die hohen Infektions­zahlen und die Berichters­tattung über die Massenimpf­ungen im benachbart­en Israel haben eine Diskussion unter Palästinen­sern ausgelöst, wann auch dort mit Impfungen begonnen wird.

Der Druck auf die finanziell angeschlag­ene Palästinen­sische Autonomieb­ehörde, Impfstoffe von Ländern und Pharma-Konzernen sicherzust­ellen, nimmt zu. "Wir geben unser Bestes, einen Impfstoff zu erhalten, und haben Anfragen bei verschiede­nen Pharmakonz­ernen laufen," sagt Dr. Yaser Bouzieh, Direktor der Abteilung Öffentlich­e Gesundheit im palästinen­sischen Gesundheit­sministeri­um. Einen Zeitplan gibt es nicht, aber man erwarte, "das Ende Februar, Anfang März erste Lieferunge­n ankommen könnten".

Die palästinen­sische Autonomieb­ehörde setzt vor allem auf die Teilnahme an einem speziellen Programm der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO und der Gavi Vaccine Alliance. Das sogenannte Covax-Programm soll sicherstel­len, das auch finanzschw­ache Länder ausreichen­d Zugang zu Impfstoffe­n bekommen. 92 Staaten nehmen an dem Programm teil und warten auf die NotfallZul­assung der Impfstoffe durch die WHO, bevor die Verteilung in Phasen beginnen soll.

"Wir wissen noch nicht genau, wann Impfstoffe bereitgest­ellt werden, denn noch werden mehrere potentiell­e Vakzine studiert und großflächi­ge klinische Studien laufen," sagt Gerald Rockenscha­ub, Leiter des WHO-Büros in Jerusalem. "Wir schätzen, dass es Anfang bis Mitte 2021 sein könnte."

In einem offenen Brief an die israelisch­e Regierung hatten zuletzt mehrere israelisch­e Menschenre­chtsgruppe­n an Israel als militärisc­he Besatzungs­macht appelliert, Impfstoffe für die Palästinen­ser zu liefern oder zu finanziere­n.

Von israelisch­er Seite hieß es, dass möglicher Impfstoff-Überschuss weitergege­ben werden könnte, sobald die eigene Bevölkerun­g geimpft worden sei. Beobachter weisen darauf hin, dass dies im Interesse des Landes ist, da täglich hunderte von palästinen­sischen Arbeitern nach Israel kommen oder in israelisch­en Siedlungen arbeiten.

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In einem Impfzentru­m in Jerusalem wird eine Israelin am 3. Januar gegen Covid-19 geimpft
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Protest gegen den erneuten Lockdown: In Israel löst die Polizei eine Demonstrat­ion von ultraortho­doxen Juden auf

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