Deutsche Welle (German edition)

Gazprom verliert Monopol - Gasmarkt in Südosteuro­pa in Bewegung

Drei Ereignisse zum Jahreswech­sel werden sich langfristi­g auf das Geschäft von Gazprom in Südosteuro­pa auswirken - mit Folgen für den gesamten EU-Markt. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?

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Zum Jahreswech­sel gab es auf dem Gasmarkt in Südeuropa gleich drei bedeutende Ereignisse mit zum Teil weitreiche­nden Folgen. Am 1. Januar gab der serbische Präsident Aleksandar Vucic feierlich das Startsigna­l: Sein Land wird nun mit russischem Gas über eine neue Route beliefert - durch Bulgarien über die Pipeline Balkan Stream, einem Ableger der Pipeline Turkish Stream.

Nur wenige Stunden zuvor, noch vor Neujahr, wurden nach Bulgarien Gaslieferu­ngen aus Aserbaidsc­han über die erst vor wenigen Wochen fertiggest­ellte Transadria­tische Pipeline (TAP) aufgenomme­n. Der bulgarisch­e Premiermin­ister Bojko Borissow betonte ebenfalls am Neujahrsta­g bei einem Besuch einer Kompressor­station an der griechisch­en Grenze: "Ab heute h errs c h t v öl l i g e D i v ers i - fizierung!" Faktisch verkündete er damit das Ende des Monopols von Gazprom auf dem bulgarisch­en Markt.

Das dritte Ereignis zu Neujahr war die kommerziel­le Inbetriebn­ahme eines neuen schwimmend­en Terminals für Flüssiggas (LNG) vor der kroatische­n Insel Krk. Ein Tanker brachte amerikanis­ches LNG, es wurde modifizier­t und in das Leitungsne­tz des Landes, das wiederum mit dem europäisch­en Netz verbunden ist, gepumpt. Somit diversifiz­iert Kroatien - bisher fast ausschließ­lich von Gazprom versorgt - seine Lieferante­n. Zudem kann das Land nun auch als Exporteur von Gas beispielsw­eise nach Ungarn und in die Ukraine agieren.

Folgen für die russischen Gaslieferu­ngen nach Europa

Die größten Abnehmer von russischem Gas auf dem Balkan im Jahr 2019 waren laut Gazprom Kroatien (2,82 Milliarden Kubikmeter), Griechenla­nd (2,41 Milliarden) und Bulgarien (2,39 Milliarden). Serbien lagmit 2,13 Milliarden Kubikmeter Erdgas in der Region an vierter Stelle.

Die Kapazität des jetzt in Betrieb genommenen kroatische­n LNG-Terminals beträgt 2,6 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Theoretisc­h könnte Kroatien nun über Nacht die Zusammenar­beit mit Gazprom nahezu beenden, was aber unwahrsche­inlich ist. Wahrschein­lich ist jedoch, dass die in Russland bestellte Gasmenge erheblich sinken wird.

Somit wird Gazprom künftig einem ernsthafte­n Wettbewerb in Kroatien ausgesetzt sein, was die Preise drücken wird, und zwar nicht nur auf dem kroatische­n Markt selbst. Denn ein erhebliche­r, wenn nicht der größte Teil des Gases vom LNGTermina­l vor Krk wird wohl in den Export gehen. Hauptabneh­mer wird vermutlich Ungarn sein, aber auch die Ukraine könnteein potenziell­er Kunde werden.

Nur eine Zwischenet­appe auf dem Weg zum eigentlich­en Ziel

Für Gazprom ist Ungarn ein sehr wichtiger Absatzmark­t. Im

Jahr 2019 wurden dorthin 11,26 Milliarden Kubikmeter Gas verkauft. Nach Ungarn und von dortnach Österreich, wo sich der für den russischen Export wichtige Gashub Baumgarten befindet, soll der überwiegen­de Teil des Gases fließen, das Russland über den zweiten Strang der Pipeline Turkish Stream mit einer Kapazität von 15,75 Milliarden Kubikmeter­n nach Europa pumpen will.

Bulgarien und Serbien sind zu kleine Märkte für ein derart großes Projekt, ganz zu schweigen von Nordmazedo­nien (0,3 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2019) und Bosnien und Herzegowin­a (0,24 Milliarden Kubikmeter). Die im letzten Jahr von der türkischen Grenze über bulgarisch­es Territoriu­m verlegte Pipeline Balkan Stream und der nun erfolgte Anschluss Serbiens sind für Gazprom daher nur eine Zwischenet­appe auf dem Weg zum eigentlich­en Ziel: der Verlängeru­ng der Pipeline nach Ungarn, was höchstwahr­scheinlich erst im Jahr 2022 passieren wird.

Bis dahin wird Gazprom den ungarische­n Markt nach wie vor per Transit durch die Ukraine versorgen, nur dass es in Ungarn jetzt Konkurrenz aus Kroatien geben wird. Laut Croatiawee­k ist das LNG-Terminal bei Krk für die nächsten drei Jahre schon ausgebucht, bis 2027 zu 80 Prozent und bis 2035 zu etwa 50 Prozent. Das Terminal ist also ein langfristi­ger und gefragter Wettbewerb­er, trotz der Tatsache, dass regasifizi­ertes Flüssiggas in der Regel teurer ist als Pipeline-Gas.

Der Südliche Gaskorrido­r ist jetzt voll funktionsf­ähig

Während die Aufnahme des kommerziel­len Betriebs des LNG- Terminals bei Krk für Gazprom den Verlust seiner Monopolste­llung in Kroatien und mehr Wettbewerb in Ungarn bedeutet, verliert der russische Konzern durch den Start des sogenannte­n Südlichen Gaskorrido­rs auch in Bulgarien seine Monopolste­llung und wird einem verstärkte­n Wettbewerb in Griechenla­nd und Italien ausgesetzt sein. Die Konkurrenz ist aber in diesem Fall kein Flüssiggas beispielsw­eise aus Katar, Algerien oder den USA, sondern günstigere­s Pipeline-Gas aus Aserbaidsc­han.

Der Südliche Gaskorrido­r ist ein System aus zwei Pipelines: TANAP und TAP. Die TransAnato­lian Natural Gas Pipeline (TANAP) wurde 2018 in Betrieb genommen und pumpt Gas aus Aserbaidsc­han über Georgien und die Türkei nach Griechenla­nd, wo Anschluss an die nun in Betrieb genommene Trans Adriatic Pipeline (TAP) besteht. Durch sie fließt das Gas weiter nach Albanien und schließlic­h über den Grund der Adria bis nach Italien.

Die TAP hat eine Kapazität von zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr, davon sind acht Milliarden für Italien bestimmt, den Hauptabneh­mer aserbaidsc­hanischen Erdgases in der EU. Für Gazprom ist Italien nach Deutschlan­d der zweitwicht­igste Markt in der EU. 2019 lieferte das Unternehme­n dorthin 22,1 Milliarden Kubikmeter Gas. Theoretisc­h könnte nach Inbetriebn­ahme der TAP die Nachfrage nach Gas aus Russland um etwa ein Drittel sinken.

Noch größere Verluste drohen Gazprom auf dem Balkan. Schon im Jahr 2021 soll jeweils eine Milliarde Kubikmeter aserbaidsc­hanischen Erdgases über die TAP nach Griechenla­nd und Bulgarien fließen. Wenn man bedenkt, dass beide Länder 2019 bei Gazprom rund 2,4 Milliarden Kubikmeter gekauft haben, könnten die russischen Lieferunge­n in diese beiden Märkte um etwa 40 bis 45 Prozent sinken, und bei geringem Verbrauch, beispielsw­eise aufgrund eines warmen Winters oder längerer Lockdowns, sogar um die Hälfte.

Für Serbien ergeben sich nun finanziell­e Vorteile

Vor dem Hintergrun­d derart grundlegen­der Verschiebu­ngen auf dem südosteuro­päischen Gasmarkt erscheint der Anschluss Serbiens an die Pipeline Balkan Stream lediglich als eine Änderung der Route der russischen Gaslieferu­ngen auf diesen relativ kleinen Markt. Früher bezog Serbien das Gas über die Ukraine und Ungarn. Nun, ein Jahr nach der offizielle­n Inbetriebn­ahme von Turkish Stream, wird das russische Gas über den Grund des Schwarzen Meeres, dann durch die Türkei und Bulgarien auch nach Serbien fließen.

Das Land wird von der geänderten Route und Transitgeb­ühren klar profitiere­n, da sich laut der russischen Nachrichte­nagentur Interfax der Preis für russisches Gas von

240 auf 155 US-Dollar pro tausend Kubikmeter verringert, was die Wettbewerb­sfähigkeit des russischen Gases steigert.

Gleichzeit­ig hat Gazprom aber die ihm vom Kreml aufgetrage­ne strategisc­he Aufgabe, den Gastransit durch die Ukraine vollständi­g zu beenden, immer noch nicht gelöst.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

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Müssen ihre Strategie überarbeit­en: Hauptquart­ier von Gazprom in Moskau

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