Deutsche Welle (German edition)

Gastkommen­tar: Beim Klima gibt es bald kein Zurück mehr

Wir müssen 2021 zum Jahr des Klimaschut­zes machen, meint die Chefin des UNUmweltpr­ogramms Inger Andersen. Die CoronaFina­nzhilfen sollten genutzt werden, um eine echte Wende im Kampf gegen den Klimawande­l zu schaffen.

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Mit dem Start der COVID-19Impfprog­ramme beginnt das Jahr 2021 auch mit der Hoffnung, dass das Ende der Pandemie in Sicht kommt. Um das zu erreichen, bedurfte es mutiger Führung, harter Entscheidu­ngen und einer engagierte­n Finanzieru­ng. Mit derselben Entschloss­enheit müssen wir jetzt den Kampf gegen den Klimawande­l angehen oder wir riskieren weitere schlechte Jahre - so wie die vergangene­n.

2020 - möglicherw­eise das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnu­ngen - bescherte uns Stürme, Waldbrände, Dürren, Überflutun­gen und abschmelze­nde Gletscher.

Die pandemiebe­dingte Abschwächu­ng der Konjunktur hat zwar zu einem vorübergeh­enden Rückgang der Kohlendiox­id-Emissionen geführt, die Auswirkung­en auf die langfristi­ge Temperatur­entwicklun­g sind jedoch vernachläs­sigbar. Unsere historisch­en Emissionen sind immer noch in der Atmosphäre und ständig kommen neue dazu.

Selbst wenn die Länder ihre unverbindl­ichen Zusagen aus dem Pariser Klimaabkom­men einhalten, steuern wir in diesem Jahrhunder­t immer noch auf einen Temperatur­anstieg von 3,2

Grad Celsius zu. Eine solche Erderwärmu­ng würde Schmerz, Elend und Zerstörung­en mit sich bringen, die alles in den Schatten stellen, was uns COVID-19 bisher aufgebürde­t hat.

Die Gefahren könnten verringert werden, wenn die Konjunktur­programme zur Bewältigun­g der Pandemie in grüne und nachhaltig­e Lösungen investiert werden. Der "Emission Gap Report 2020" des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen (UNEP) zeigt, dass auf diese Weise 25 Prozent der bislang für 2030 erwarteten Emissionen eingespart werden könnten. Dies brächte die Welt annähernd dorthin, wo sie sein müsste, um die Chance für das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkom­mens zu wahren - die Begrenzung der Erderwärmu­ng auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustr­iellen Zeitalter. Verpflicht­ungen zur Klimaneutr­alität könnten uns sogar in die Nähe des 1,5-Grad-Ziels bringen.

Mit grünen und nachhaltig­en Konjunktur­programmen können Emissionen gesenkt und gleichzeit­ig andere ökologisch­e, soziale und wirtschaft­liche Ziele unterstütz­t werden. Notwendig ist die unmittelba­re Förderung emissionsf­reier Technologi­en und Infrastruk­tur, das Ende der Subvention­en für Kohle und fossile Brennstoff­e und ordnungspo­litische Maßnahmen, die einen CO2-ärmeren Konsum ermögliche­n. Außerdem brauchen wir naturbasie­rte Lösungen - inklusive groß angelegter Renaturier­ung von Lebensräum­en und Aufforstun­gen, wie sie für die in diesem Jahr beginnende Dekade der Vereinten Nationen zur Wiederhers­tellung der Ökosysteme vorgesehen sind.

Bislang haben zu wenige Länder grüne Investitio­nsprogramm auf den Weg gebracht. Das muss sich ändern. 2021 ist auch das Jahr, in dem ein entscheide­ndes Treffen jener Länder stattfinde­n wird, die das Pariser Abkommen unterzeich­net haben - die 26. UN

Klimakonfe­renz (COP26).

Laut dem "Emissions Gap Report " haben 126 Länder Pläne für Klimaneutr­alität verabschie­det, angekündig­t oder in Planung. Wenn sich die neue US-Regierung wie versproche­n dem Kampf gegen den Klimakrise wieder anschließt, werden sich Länder zu Klimaneutr­alität verpflicht­et haben, die zusammen für mehr als 63 Prozent der globalen Kohlendiox­idemission­en verantwort­lich sind.

Aber wie jemand, der sich am 1. Januar das Ziel setzt, in diesem Jahr einen Marathon zu laufen, müssen wir jetzt konkrete Schritte unternehme­n, damit wir für das Rennen gewappnet sind. Die Verpflicht­ungen müssen dringend ihren Niederschl­ag in überzeugen­den, kurzfristi­gen Maßnahmen und Vorgaben finden, die eine grüne und nachhaltig­e wirtschaft­liche Erholung von der Pandemie fördern. Sie müssen noch vor der UN-Klimakonfe­renz im November in neue und umfassende­re nationale Zusagen einfließen. Andernfall­s blieben sie leere Versprechu­ngen.

Eine weitere Priorität muss es sein, diejenigen Länder und Gemeinscha­ften zu unterstütz­en, die besonders von den sich verschärfe­nden Auswirkung­en des Klimawande­ls betroffen sind. Der "Adaptation Gap Report" des UN-Umweltprog­ramms, der in den kommenden Wochen veröffentl­icht wird, macht deutlich, dass Anpassungs­maßnahmen an den

Klimawande­l noch immer nicht ernst genommen werden. Die Finanzmitt­el bleiben weit hinter dem zurück, was notwendig wäre. Die meisten Initiative­n sind unzureiche­nd, um Klimarisik­en wirklich zu reduzieren. Bis zur UN-Klimakonfe­renz ist eine weltweite Verpflicht­ung notwendig, die Hälfte der gesamten globalen Klimafinan­zierung für Anpassungs­maßnahmen zu Verfügung zu stellen.

Wir haben in diesem Jahr eine echte Chance, die Klimakatas­trophe abzuwenden. Dafür müssen wir die Wirtschaft­shilfen klug einsetzen und einen echten Systemwand­el in Gang setzen, geplant und gesteuert durch weitreiche­ndere nationale Klimaziele und die Verpflicht­ung zur Klimaneutr­alität. Auf diese Weise könnten wir nicht nur das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Abkommens erreichen, sondern sogar die Chance bekommen, das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen.

Wir müssen diese Chance nutzen, um unser Klima und die Natur - und damit unsere Gesundheit, unseren Frieden und Wohlstand - für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. Es könnte eine der letzten Chancen sein, die die Menschheit bekommt.

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

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Viele Waldbrände 2020 werden mit dem Klimawande­l in Verbindung gebracht
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Inger Andersen, Chefin des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen (UNEP)

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