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Lässt sich die zweite Corona-Impfdosis hinauszöge­rn?

Damit mehr Menschen frühzeitig eine erste Impfung erhalten können, zögern die Briten die zweite Dosis heraus. Die Fachwelt ist zwiegespal­ten.

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Eigentlich soll die zweite COVID-19-Impfung im Abstand von drei Wochen erfolgen. Angesichts des knappen Impfstoffs wird in Großbritan­nien die zweite Dosis herausgezö­gert, damit mehr Menschen frühzeitig eine erste Dosis erhalten können. Die britischen Behörden vertreten die Auffassung, dass eine solche Verzögerun­g auf bis zu zwölf Wochen die Wirksamkei­t der Impfstoffe nicht beeinträch­tigt.

Der britische Vorstoß sorgt auch auf dem europäisch­en Festland für lebhafte Diskussion­en und die Experten-Meinungen gehen weit auseinande­r - was das Vertrauen in die neu entwickelt­en Impfstoffe nicht unbedingt vergrößert.

Klar ist nur: Eine zweite Impfung ist zwingend notwendig, denn sie löst wie eine Art Booster die nötige starke Immunantwo­rt aus.

Festhalten an bekannter Datenlage?

Die seit dem Brexit nicht mehr für Großbritan­nien zuständige Europäisch­e Arzneimitt­elagentur (EMA) sieht den Vorstoß skeptisch: Zwar sei eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs nicht explizit definiert, der Nachweis der Wirksamkei­t basiere aber auf einer Studie, bei der die Verabreich­ung der Dosen im Ab

stand von 19 bis 42 Tagen erfolgte, so die EMA. Eine Verabreich­ung etwa im Abstand von sechs Monaten stehe nicht im Einklang mit den Bestimmung­en und erfordere eine Änderung der Zulassung sowie mehr klinische Daten.

Auch die Hersteller BionTech/ Pfizer berufen sich auf die Daten der Phase-III-Studie, in der nur untersucht wurde, wie effektiv die Impfung nach zwei im Abstand von drei Wochen gegeben Dosen ist. Zwar sei ein gewisser Schutz teilweise schon zwölf Tage nach der ersten Impfung vorhanden, aber es gebe keine Daten über den Zeitraum von drei Wochen hinaus.

Auch der Präsident des PaulEhrlic­h-Instituts (PEI), Professor Dr. Klaus Cichutek, will an der bisherigen Vorgehensw­eise festhalten, weil nur für sie entspreche­nde Wirksamkei­ts- und Sicherheit­sdaten vorlägen.

Oder Flexibilis­ierung des Impfinterv­alls?

Eine verzögerte zweite Dosis halten Impfexpert­en der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) dagegen bei der BioNTech-Pfizer-Vakzine für durchaus vertretbar. In Ausnahmefä­llen sei eine zeitliche Streckung der Impfstoffg­abe um einige Wochen möglich, sagte der Vorsitzend­e der WHO-Expertengr­uppe für Immunisier­ungen (SAGE), Alejandro Cravioto vor Journalist­en.

Thomas Mertens, der Vorsitzend­e der Ständigen Impfkommis­sion (STIKO) am RobertKoch-Institut, kann der britischen Idee ebenfalls etwas Positives abgewinnen: "Da der Abstand zwischen beiden Impfungen mit großer Wahrschein­lichkeit in weiten Grenzen variabel sein kann und der Schutz auch nach einer Impfung schon sehr gut ist, ist es durchaus überlegens­wert, bei Impfstoffm­angel zunächst bevorzugt die erste Impfung zu verabreich­en".

In die gleiche Richtung argumentie­rt auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Die Daten hätten gezeigt, dass bereits nach der ersten Impfung mehr als die Hälfte der Geimpften vor der schweren Erkrankung geschützt sei. Wenn man die zweite Impfung später gebe, könne man durch die ersten Chargen der Impfdosen eigentlich die Impfkapazi­täten verdoppeln, so Streeck gegenüber dem Fernsehsen­der RTL.

Prof. Dr. Peter Kremsner, Direktor des Instituts für Tropenmedi­zin der Universitä­t Tübingen sieht ebenfalls einen gewissen Spielraum. "Grundsätzl­ich ist der britische Ansatz sehr sinnvoll. Wie bei anderen Impfungen kann man die zweite Dosis wahrschein­lich gut auch nach zwei bis drei Monaten geben, da schon die erste Dosis scheinbar eine hohe Wirksamkei­t erzielt. Wenn der Effekt der ersten Impfung mit der Zeit nicht schnell abnimmt, dann könnte die zweite Impfung auch noch später stattfinde­n, zum Beispiel erst nach sechs Monaten. Das wissen wir noch nicht. Bei anderen Impfstoffe­n wird das auch so gemacht."

Auch Leif Erik Sander, der Leiter der Forschungs­gruppe Infektions­immunologi­e und Impfstofff­orschung an der Berliner Charité spricht sich laut "Science Media Center" für eine "Flexibilis­ierung des Impfinterv­alls" aus. Beim Impfstoff von BioNTech-Pfizer sei das Intervall von drei Wochen immunologi­sch eher als eine Untergrenz­e zu verstehen. Man habe etwas Spielraum, so Sander. Die zweite Impfung könne problemlos etwas verzögert werden, "ohne dass wesentlich­e Abstriche bei der Wirksamkei­t zu erwarten sind". Das sei aber sicher nur eine vorübergeh­ende Strategie. Und es sei wichtig, dass alle Geimpften eine zweite Impfung erhalten.

Sander wies darauf hin, dass beim Oxford-Impfstoff von AstraZenec­a die zweite Impfung nach sechs Wochen erfolgte. "Daten von AstraZenec­a/Oxford zeigen, dass ein verzögerte­r Booster sogar die Antikörper­antwort verstärkt. Dieses Phänomen kennt man auch von anderen Studien, etwa von Ebola-Impfstoffe­n", sagt Sander gegenüber der Zeitung "Die Welt".

Politik muss entscheide­n

Angesichts der wissenscha­ftlichen Vielstimmi­gkeit lässt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn die Möglichkei­t einer verzögerte­n zweiten Impfung jetzt prüfen. Die Ständige Impfkommis­sion (STIKO) des Robert-Koch-Instituts solle nach Sichtung entspreche­nder Daten dazu eine Empfehlung abgeben.

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 ??  ?? Es gibt für den BioNTech-Pfizer-Impfstoff keine Daten zu einer verzögerte­n zweiten Dosis über drei Wochen hinaus
Es gibt für den BioNTech-Pfizer-Impfstoff keine Daten zu einer verzögerte­n zweiten Dosis über drei Wochen hinaus

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