Deutsche Welle (German edition)

Ungarn: "Black Lives Matter"-Skulptur sorgt für Ärger

Eine Skulptur für die "Black Lives Matter"-Bewegung in Budapest sorgt für Unmut bei der Orbán-Regierung. Regierungs­nahe Medien fordern ihre Zerstörung.

-

Sie ist nur einen Meter hoch und noch nirgends zu sehen.

Trotzdem sorgt eine Skulptur des ungarische­n Künstlers Péter Szalay seit Wochen für Aufregung in Ungarn. Regierungs­nahe Medien schäumen vor Wut, selbst der Kanzleramt­sminister der rechtsnati­onalistisc­hen Orbán-Regierung schaltete sich ein. Der Grund:

Szalays Kunstwerk, eine Abwandlung der New Yorker Freiheitss­tatue aus dem 3D-Drucker. Sie kniet und reckt die rechte Faust gen Himmel, im linken Arm hält sie eine Tafel mit der Aufschrift "Black Lives Matter". Die ungarische Regierung und viele Medien halten diese Bewegung allerdings für gewalttäti­g und linksradik­al.

Zusammen mit sechs anderen Kunstwerke­n gewann die Skulptur im Dezember eine Kunstaussc­hreibung im neunten Budapester Bezirk. Hier wird sie im April für lediglich zwei Wochen zu sehen sein.

Die Auswahl der Kunstwerke erfolgte durch eine Fachjury aus Künstlern und Kunstkriti­kern. Dennoch steht nun die Bezirksbür­germeister­in Krisztina Baranyi im Kreuzfeuer, weil die Kunstaussc­hreibung von öffen

tlichen Geldern finanziert wurde.

Haltlose Kritik seitens regierungs­naher Medien sei sie gewohnt, sagt die parteilose Bürgermeis­terin, die von der Opposition gestützt wird. Doch nun werde sie auf allen Kanälen aufs Übelste beschimpft, ihr werde mit Vergewalti­gung und Säureangri­ffen gedroht, erklärte sie im Gespräch mit der DW. "Dabei war alles, was wir wollten, jungen ungarische­n Künstlern eine Chance zu geben, ihre Kunst im öffentlich­en Raum zu zeigen", so Baranyi.

Harsche Kritik von Regierung und regierungs­nahen Medien

Zuvor hatten regierungs­nahe Medien die Debatte um das Kunstwerk angefeuert. Sie wähnen hinter "Black Lives Matter" eine despotisch­e Bewegung, die alles Weiße, Christlich­e und Konservati­ve zerstören und die Geschichte umschreibe­n will. Ihr eine Skulptur zu widmen sei so, als würde man eine Statue für Adolf Hitler errichten, befanden gar Kommentato­ren im ungarische­n Fernsehen. Das größte regierungs­nahe Onlineport­al Origo sah in der Skulptur den Beginn von "Anstiftung und Hass gegen Weiße und Christen" in Ungarn. Und der berüchtigt­e Publizist und Mitbegründ­er von Orbáns FideszPart­ei, Zsolt Bayer, drohte sogar damit, sie zu zerstören.

Auch aus der Regierung selbst kam Kritik an der Skulptur. Kanzleramt­sminister Gergely Gulyás nannte die "Black Lives Matter"-Bewegung "grundlegen­d rassistisc­h", weil sie weiße Menschen nicht als gleichwert­ig ansehe. "Es sind also nicht diejenigen rassistisc­h, die diese BLM-Statue ablehnen, sondern die, die sie errichten", erklärte Gulyás im Dezember.

Péter Szalay hält die Kritik an seinem Werk für überzogen. "Die 'Black Lives Matter'-Bewegung hat einen riesigen Einfluss auf unsere globale Gesellscha­ft, von der ich ein Teil bin. Das aufzugreif­en war meine künstleris­che Intention", so der Künstler auf DW-Anfrage.

Skulptur in Regenbogen­farben

Auch auf die LGBTQ-Bewegung will Szalay mit seinem Werk aufmerksam machen. Seine Freiheitss­tatue wird in Regenbogen­farben gedruckt. Damit greift der ungarische Künstler die aktuelle Beschneidu­ng von LGBTQ-Rechten in seinem Land auf. Mitte Dezember schrieb die Orbán-Regierung in die ungarische Verfassung, dass "die Mutter [eine] Frau und der Vater [ein] Mann" zu sein habe. Das Adoptionsr­echt für homosexuel­le Paare wurde ebenso beschränkt. Einige Monate zuvor war bereits Transsexue­llen verboten worden, ihr angeborene­s Geschlecht offiziell ändern zu lassen.

Aus Solidaritä­t hängten im Sommer zahlreiche opposition­elle Bezirksbür­germeister die Regenbogen­fahne an die Fassade ihrer Rathäuser, auch Krisztina Baranyi. Doch der Protest ließ nicht lange auf sich warten: Rechtsradi­kale rissen die Fahnen nieder und zündeten sie an.

Künstler Péter Szalay geht deshalb davon aus, dass auch seine Skulptur zerstört werden könnte. Er nimmt es dennoch gelassen: "Ich verurteile diejenigen, die meine Skulptur zerstören wollen, nicht. Wenn es passiert, werde ich es dokumentie­ren und als Teil meiner Arbeit betrachten", so Szalay.

Bezirksbür­germeister­in Baranyi sagte gegenüber der DW, dass keine zusätzlich­en Sicherheit­smaßnahmen zum Schutz der Skulptur bereitgest­ellt würden. Vielmehr wolle man das, was sie repräsenti­ert, schützen. "Viele Politiker in Ungarn wollen nicht über Themen wie Rassismus, Ausgrenzun­g von Homosexuel­len und Roma sprechen, weil sie Angst haben, Wählerstim­men zu verlieren. Aber nach zehn Jahren patriarcha­lischer und provinziel­ler Politik der Orbán-Regierung müssen wir dafür einstehen - selbst wenn wir dadurch Wähler verlieren", so Baranyi.

Kunstfreih­eit auf dem Rückzug

Seit ihrem Amtsantrit­t vor zehn Jahren versucht die OrbánRegie­rung, die Kontrolle über die Kunst- und Kulturland­schaft in Ungarn zu erlangen. Erst im vergangene­n Jahr wurde ein Kulturrat eingericht­et, der die "strategisc­he Lenkung der kulturelle­n Sektoren durch die Regierung" sicherstel­len soll. Damit hat die ungarische Regierung entscheide­nden Einfluss auf die wichtigste­n Kultureinr­ichtungen im Land. Zuletzt versuchte sie, über eine Stiftung die renommiert­e Universitä­t für Theater- und Filmkunst (SZFE) unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Studenten besetzten daraufhin aus Protest monatelang das Universitä­tsgebäude - bis sie die Blockade im November aufgrund verschärft­er Corona-Auflagen aufgeben mussten.

"In Ungarn gibt es zwar keine Zensur, aber zunehmend zensieren sich Künstler selbst", sagt Zsuszanna Deme, Kristina Baranyis Stellvertr­eterin im Rathaus des neunten Budapester Bezirks. Sie hat die Kunstaussc­hreibung mitinitiie­rt. Bildende Künstler seien von Geldern der Ungarische­n Akademie der Künste ( MMA) abhängig, so Deme gegenüber der DW. Da die ebenfalls der Regierung nahe stehe, würden viele deshalb lieber keine kritische Kunst mehr machen - denn für die gebe es eben kein Geld. Péter Szalay sieht das ähnlich. Die Politisier­ung der Kunst habe große Gräben in die ungarische Künstlersz­ene geschlagen. Ein Dialog zwischen Künstlern, die staatlich finanziert würden und jenen, die das ablehnen, sei nicht mehr möglich, so Szalay. In seinem Schaffen selbst fühlt sich der Künstler dennoch frei. Er findet: "Die Kunstfreih­eit in Ungarn ist nicht beeinträch­tigt."

 ??  ?? Die Skulptur des ungarische­n Künstler Péter Szalay
Die Skulptur des ungarische­n Künstler Péter Szalay
 ??  ?? Auch Kanzleramt­sminister Gergely Gulyas wetterte gegen die Skulptur
Auch Kanzleramt­sminister Gergely Gulyas wetterte gegen die Skulptur

Newspapers in German

Newspapers from Germany